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Finster und feindlich lag die Nacht über dem Bergfried der alten Burg. Droben auf der kleinen Plattform kauerten zwei regungslose Gestalten: Heribald und Werner. Sie hatten den Auftrag, ein Feuer anzuzünden, wenn die Mitternachtsstunde gekommen war.
»Ob sie auf dem Spitzberg bei Stannern die Flammen sehen können?« flüsterte Werner.
»Ganz sicher. Der Wartturmwächter gibt das Notzeichen weiter, dann sehen es die in Trebitsch und von Trebitsch leuchten sie nach Schloß Eichhorn, dort steht der Herzog mit seinen Rittern; wenn er sich beeilt, kommt er zur rechten Zeit herüber.« 135
»Wer sagt dir, daß er noch bei Eichhorn ist, daß er uns Hilfe senden kann?«
Heribald schwieg und sah in den Sternenhimmel.
Enger und enger hatten die Krieger des wilden Twaroh die Burg umschlossen, ein Ring von Eisen und Feuer. Die Nahrungsmittel schwanden mit unheimlicher Schnelligkeit. Gefangene sagten aus, der Twaroh habe beim Scheiterhaufen des Hus geschworen, keinem der Verteidiger das Leben zu schenken, wenn er die Feste erstürmt hätte.
»Es ist Zeit«, flüsterte Heribald und deutete nach den matt flimmernden Sternen des Himmelwagens.
Werner schlug Feuer. Kleine Flämmchen zuckten auf und ab; dann hob sich die Lohe, das aufgehäufte Holz begann zu krachen und zu knistern, blutrot ergoß sich der Schein über das schlafende Land. Die Wachen drüben im Hussenlager starrten herüber; ängstlich drückten sich Werner und Heribald an die Mauer. Wie sie da standen, von der Glut beleuchtet, boten sie jedem Armbrustschützen ein leichtes Ziel. Ein Pfeil zischte heran und fuhr dicht an Heribalds Kopf vorbei in das Gemäuer. Das war Frantos Geschoß.
Sie warfen sich nieder und suchten Schutz hinter den Zinnen. Bald prasselte ein Hagel von Pfeilen um sie her. Keiner traf.
Ruhig und hell stiegen die Flammen empor, von aufgescheuchtem Raubvogelzeug krächzend umflattert. Endlich sank das Feuer in sich zusammen und erlosch.
»Glaubst du, daß sie es auf dem Spitzberg gesehen haben?«
Sie spähten angestrengt nach Osten. Ja, den Spitzberg sah man wohl; scharf hob sich seine Kuppe über die Wipfel 136 des Urwaldes; aber keine Antwort kam von drüben. Verschlief der Wächter seine Pflicht? Oder war der Wartturm in Feindeshänden?
Bange Viertelstunden verstrichen. Das Schießen hatte aufgehört; die Schützen sahen in der Finsternis kein Ziel.
Endlich, endlich glomm ein ferner Lichtschein auf, kaum bemerkbar in düsterroter Glut; aber es war kein Zweifel: man hatte das Notzeichen gesehen.
Die beiden erhoben sich und tappten über die steilen Stufen hinab in die Turmstube. Dort wartete Godeschalk. Seine Wangen waren eingefallen, ungeordnet hing das graue Haar über die Schläfe; der Hunger sah ihm aus den Augen.
»Habt ihr Antwort erhalten?«
Sie bejahten und streckten sich todmüde auf das Lager, während Godeschalk die Wache übernahm.
Er schnitt mit dem Schwert eine neue Kerbe in das Holz des Türpfostens.
»Die dreizehnte Nacht,« murmelte er. »Wann wird die letzte kommen?«
Er glaubte nicht mehr an ein gutes Ende.
Am nächsten Tag erneute sich der Kampf. Die Hussiten fuhren fünf kleine Geschütze hinter ihren Schutzschilden auf. Mühselig war das Richten, langsam das Laden, aber die Steinkugeln richteten wenig Schaden an den dicken Mauern an. Nur dort, wo sie in der vergangenen Woche die große Bresche geschossen hatten, tobte erbitterter Streit. Notdürftig war die Lücke mit Steinen und Balken geschlossen; Dieter befehligte hier seine Mannen, mancher Stein flog den Anstürmenden von der Höhe der Mauer auf die Köpfe, man 137 goß heißes Wasser und brennendes Pech hinab, umwand Ruten mit Stroh und zündete sie an; einmal war es den Hussiten schon gelungen, Leitern anzulegen, da warf der Rübendunst einen mächtigen Balken, krachend splitterte das Holzwerk unter lautem Wehgeschrei der zu Tode Getroffenen; noch einmal näherte sich ein Trupp unter dem Schutz eines hölzernen Bohlendaches, aber ein Hagel von Steinen empfing ihn; er mußte zurück.
Nun arbeiteten die Hussiten mit ihren Hakenbüchsen. Holzschirme wurden aufgestellt, hinter denen die dicken schweren Rohre gerichtet und losgebrannt wurden. Es war ein mühsamer Kleinkrieg. Die Verteidiger hielten sich wacker. Vom Führer bis zum letzten Knecht, der die Steine auf die Mauerzinnen zu schleppen hatte, tat jeder seine Pflicht.
Godeschalk biß die Zähne zusammen und unterdrückte einen Fluch.
Mit solchen Mannen hätte er die Burg noch wochenlang gehalten. Aber der Hunger, der Hunger! Mit Entsetzen dachte er daran, daß man bald das letzte Pferd werde schlachten müssen. Und dann? Wenn es den Feinden gelang, noch eines ihrer großen Schleudergeschütze heranzubringen und aufzustellen, so fiel ihnen die Burg als Trümmerhaufen in die Hände.
Es war ein Glück, daß der Brunnen noch immer klares und gutes Wasser gab; dadurch war man mindestens vor dem Verdursten gesichert. Am schlimmsten ging es den Gefangenen. Außer Jaromir waren noch drei Armbrustschützen und einige Fußsoldaten eingebracht worden. Sie litten natürlich noch viel mehr Hunger als die Ritter und wunderten sich, daß man ihnen nicht schon längst den Garaus 138 gemacht hatte. In der Tat war im Kriegsrat davon die Rede gewesen; aber Godeschalk wollte ohne ausdrücklichen Befehl des Herzogs ein solches Urteil nicht vollstrecken.
»So lange wir noch selber unser Leben fristen können, beflecken wir uns nicht mit ihrem Blut«, meinte er, und Dieter war ihm dankbar für dieses Wort. Oft schlich er heimlich ins Verlies und teilte mit Jaromir die paar Bissen seiner schmalen Kost, die ihm die anderen dann vom Munde wegrissen. Es war ein erbärmlicher Anblick wenn die armen Teufel mit ihren hohlwangigen Gesichtern und tiefliegenden Augen, in denen eine beständige Todesangst flackerte, durch das vergitterte Fensterloch in den Hof hinausguckten; aber auch die da draußen frei umhergingen, waren kaum weniger schlimm daran als sie. Immer und immer wieder fragte man den Turmwächter, ob nicht von Osten her Berittene anrückten – immer kam ein trauriges Nein zur Antwort.
Ein finsterer Trotz hatte sich der ganzen Besatzung bemächtigt, aber an Übergabe dachte kein einziger. Als der Wolf einmal ganz beiläufig davon sprach, fielen alle über ihn her und wenig fehlte, so wären sie mit ihm handgemein geworden.
Aus den vierzehn Tagen, von denen Rolf Beneke gesprochen hatte, wurden zwanzig und noch immer hielten die Verteidiger ihre Stellung. Hätte Twaroh einen neuen Sturm versucht, so wären die ermatteten Kämpfer sicherlich unterlegen. Aber er begnügte sich in der Erinnerung an seine letzten großen Verluste mit der engen Umzingelung der Burg, die ihm nach seiner festen Überzeugung in wenigen Tagen ohne Schwertstreich zufallen mußte. 139
Spottend ließ er den Belagerten einen Schinken und ein Fäßchen Wein über die Mauern werfen und forderte sie auf, ihre Henkersmahlzeit zu halten.
Am Morgen des einundzwanzigsten Tages entstand auf dem Burghof eine fieberhafte Bewegung. Der Türmer hatte gemeldet:
»Starke Staubwolken aus der Gegend von Brünn. Es können tausend oder mehr Reiter sein.«
»Das ist der Herzog,« rief Dieter. »Endlich, endlich kommt uns Erlösung!«
Alles lief und schrie durcheinander; jeder wollte auf den Turm steigen und sich mit eigenen Augen von der Richtigkeit der Meldung überzeugen, als Godeschalks Donnerstimme durch die Luft dröhnte:
»Alle Mannen an ihren Posten! Die Hussen rüsten zum Sturm!«
Er sprach die Wahrheit. Auch im feindlichen Lager hatte man das Nahen der Reiterschar bemerkt. Würde es Twaroh doch noch in letzter Stunde gelingen, die Burg zu erobern?
Ein erbittertes Ringen begann. Wieder krachten Mörser und Haubitzen, donnernd schlugen Balken und Steine gegen das Tor; Twaroh führte seine Leute persönlich an und kümmerte sich nicht im geringsten um die Brandfackeln, Pfeile und Pechkränze, die um ihn her durch die Luft flogen. Die Armbrustschützen schonten jetzt ihre Geschosse nicht mehr; es ging um Sieg oder Tod. Kaltblütig nahmen sie jeden aufs Korn, der sich der Mauer näherte. Unter den Vordersten befand sich Vaclav; er kommandierte ein Dutzend Leute, die unter einem Schutzdach anrückten, um die notdürftig geflickte Bresche wieder aufzureißen. 140
»Hierher!« schrie er, »ganz nahe an die Mauer! Niedriger das Bretterdach! Und die Steine heraus – so – so recht – und du, Franto, ziele nur scharf nach der Zinne und schicke jedem, den du siehst, einen Pfeil in die Gurgel – Achtung – hier setzt die Brechstange ein – los!«
Krachend brach ein großer Stein aus der Mauer. Vaclaw brüllte Triumph; aber in diesem Augenblick gab er sich eine Blöße, ein Pfeil fuhr von der Mauer herab und durchbohrte seinen Arm, so daß er mit einem Fluch unter das Schutzdach sprang. Unverwandt starrte Franto hinauf; sein Finger lag am Drücker der Armbrust; da zeigte sich droben, einen Augenblick nur, etwas Weißes – Franto drückte ab. Von oben klang ein schriller Schmerzensschrei. »Der hat genug,« brummte der Scharfschütze grimmig. Der Kamerad war gerächt.
Bald nützten die herabgeschleuderten Feuerbrände nichts mehr. Die Hussiten hatten in aller Eile das Schutzdach mit Rasenstücken und Erde belegt und arbeiteten darunter unverdrossen an der Zerstörung der Mauer. Vaclav, den Arm in einem eiligst hergestellten Notverband, trieb sie an.
»Vorwärts, Kinder, macht rasch – die verdammten deutschen Ritter kommen immer näher. Hört ihr die Trommel? Das ist Ziskas Fell – er ruft euch – vorwärts, ihr Kinder Ziskas, vorwärts!«
Droben war Jammer und Verzweiflung. Auf seinen Schultern hatte Werner den schwer verwundeten Freund Heribald in die Halle hinabgetragen, die in ein Lazarett verwandelt war. Der Rübendunst lag mit verbundenem Kopf in der Ecke; eine Büchsenkugel hatte ihm den Schädel arg zugerichtet. Neben ihm stöhnte der Wolf, dem Rolf Beneke eben den gebrochenen Arm untersuchte. 141
»Was gibt's, Werner?«
Werner ließ den verwundeten Heribald sanft auf das Strohlager nieder. Der Pfeil steckte tief in der Höhlung des Auges und mußte ins Gehirn gedrungen sein. Schwarzes Blut rann unaufhörlich aus der Wunde. Es war ein gräßlicher Anblick.
Heribald krümmte und wand sich vor Schmerzen. Als Rolf Beneke dem Wolf den Arm kunstgerecht verbunden hatte, betrachtete er die Wunde; er sprach kein Wort, aber in seinem bekümmerten Gesicht konnte Werner deutlich lesen, daß hier jede Hilfe vergeblich war.
»Bleib bei ihm,« sagte er mit heiserer Stimme, »ich muß wieder auf die Mauer – sie brauchen dort jeden Mann!«
Aber der Todwunde griff nach der Hand des Freundes und ächzte:
»Bleib du, Werner – eine Weile nur – es wird bald vorbei sein – bald vorbei sein. Wasser, Wasser, das Auge brennt so furchtbar. Und ich sehe rote Flammen – oh!«
Er wurde ohnmächtig.
Rolf Beneke brachte einen Helm voll Wasser:
»Tu ihm den Willen, es nützt ja nichts mehr. Ich will deinen Platz auf der Mauer einnehmen.« Und fort war er.
Werner legte dem Unglücklichen ein nasses Tuch auf die Stirn. Die Besinnung kehrte wieder; er schlug das gesunde Auge auf und sagte matt:
»Jetzt ist mir etwas besser. Und ich sehe keine Flammen mehr – nur goldenen Glanz – ein Meer von Licht. Das ist der Himmel. Werner, glaubst du, wird Gott meiner Seele gnädig sein?«
»Ja, er wird es, so wahr es einen gerechten Gott gibt«, erwiderte Werner mit Tränen in den Augen. 142
»Du, Werner, sag, wie steht's da draußen? Steig auf den Turm, aber komm wieder – hörst du, komm wieder!«
Werner erfüllte schweigend den Wunsch seines Freundes. Als er zurückkam, lag ein Schimmer von Freude auf seinem Gesicht.
»Der Herzog ist nahe. Seine Vorhut hat das Hussitenlager angegriffen. Wenn wir die Burg nur noch eine Stunde halten, ist alles gerettet.«
Heribald faltete die Hände:
»Laß mich nicht sterben, Herr im Himmel, bis der Sieg unser ist . . . . sei mir gnädig, höre mein Gebet, Herr des Lebens und des Todes . . .2. . sei mir gnädig!«
Wieder ertönte von draußen Kampfgeschrei. Schon waren die Verteidiger am Ende ihrer Kräfte – da sah man vom Tale her eine dicke Rauchsäule aufsteigen. Unschlüssig stand Twaroh: sollte er die Belagerung aufheben und mit einem Teil der Mannschaft dem Lager zu Hilfe kommen? Bald aber rissen ihn laute Schreckensrufe aus seinen Zweifeln. »Das Lager brennt! Zum Lager!« schrie man von allen Seiten. In wilder Hast fluteten die Krieger zurück; das benutzte Godeschalk und sammelte alles, was noch kampffähig war, zu raschem Angriff auf den Feind. Das Tor sprang auf, in wildem Ansturm warfen sich die Ritter den Hussiten entgegen, Hornsignale antworteten vom Tale her ihrem Feldgeschrei. »Sankt Michael!« klang es von unten; »Heil Herzog Albrecht!« scholl der Ruf zurück; die Feinde, von beiden Seiten angegriffen, wandten sich zur Flucht.
Werner konnte es in der Halle nicht mehr aushalten. Zitternd vor Aufregung lief er die Turmtreppe hinauf und sah, wie Godeschalk an der Spitze seiner Leute den Abhang 143 hinabstürmte, während von allen Seiten die Mannen des Herzogs den Kameraden zu Hilfe eilten.
»Gott sei gelobt!« rief er. »Das wird ihm das Scheiden leichter machen. O, Heribald, armer, armer Freund!«
Aber als er zurückkam und neben dem Strohlager niederkniete, war alles vorüber. Bleich und starr, die Arme auf die Brust gekreuzt, lag er da, noch im Tode spielte ein Lächeln um seinen Mund.
»Schön ist's, im Siege zu sterben«, flüsterte Werner vor sich hin. Und seine Tränen flossen.
Auf dem Platze vor der Burg stand der Herzog inmitten seiner Getreuen, Godeschalk neben ihm. Sein großes schwarzes Auge flog im Kreis herum und haftete eine Sekunde auf Dieter.
»Sprecht, Godeschalk, wer von den Euren hat sich am wackersten gehalten?«
»Herr«, erwiderte der Alte treuherzig, »Ihr sehet insgesamt Helden vor Euch; denn bei Gott, was diese hier erdulden mußten an Hunger und Kriegsnot und Entbehrung, das ging schier über Menschenkraft; aber soll ich einem den Preis geben, so ist es der junge Dieter von Wolfstein. Der hat einen kühnen Ausfall getan und den Hussen ihr größtes Kriegswerkzeug verbrannt und ohne seine Tapferkeit wären sie durch die Bresche eingedrungen und hätten uns wohl samt und sonders den Garaus gemacht. Ist es so, Kameraden?«
Ein beistimmendes Gemurmel erhob sich.
»Solche Kunde höre ich gern«, sagte der Herzog. »So kniet denn nieder, Dieter von Wolfstein, unter dem freien Himmel der Heimat und im Angesichte Gottes, auf daß ich 144 Euch hier an der Stelle Eurer Tat mit dem Willen dieser Tapferen zum Ritter schlage.«
Er zog sein Schwert und schlug den vor ihm Knienden auf die Schulter:
»Zu Gottes und Mariä Er
Diesen Schlag und keinen mêr!
Seid küene, biderbe und gerecht!
Besser Ritter denne Knecht!«
Hell klangen die Worte der uralten Formel über den zerwühlten, trümmerbedeckten Burghof.«
Der Herzog stieß sein Schwert in die Scheide.
»Und zum Zeichen und Gedächtnis, daß wir treue Dienste zu belohnen wissen, empfanget dieses Kleinod.«
Er nahm eine schwere Goldkette von seiner Brust und hing sie dem Jüngling um.
»Erzählt mir nun, wie es Euch gelungen ist, so vieler Feinde Herr zu werden.«
Ein Gefühl unendlichen Stolzes, mit einer gewissen Beschämung wunderlich gemischt, erfüllte das Herz Dieters.
»Herr, meine Tat war nicht so hohen Lobes würdig. Kann Euch mit bestem Willen nicht sagen, wie es kam. Mit einem Mal stand ich mitten unter den Feinden und schlug auf sie ein; mich dünkt, jeder andere hätte an meiner Stelle auch so getan!«
Lächelnd wandte sich der Herzog zu Godeschalk:
»Seht, lieber Alter, das nenne ich Rittertum . . . . Wohl sind die schönen Zeiten vorüber, da wir in Pracht und Herrlichkeit zum heiligen Grabe zogen; aber wenn auch die glänzende Schale schwand, der gute Kern ist geblieben. 145 Was ist ein Ritter? Einer, der mit wappengeschmückter Pferdedecke zum Turnier reitet und die Farben seiner Dame von Müßiggängern begaffen läßt? Nein, es ist einer aus dem großen Orden der Freien, Stolzen, Edlen, auf denen die Kraft unseres Landes ruht. Solche Männer will ich um mich haben, wenn ich einst in Österreich herrschen werde!«
»Das walte Gott,« sagte Godeschalk ergriffen.
»Nun wollen wir nach den Befestigungen sehen. Godeschalk geleitet uns.«
Es zeigte sich, daß die Werke des alten Felsennestes trotz der erbitterten Stürme der Hussiten noch immer in gutem Stande waren, obwohl mancherlei auszubessern war.
»Die Ringmauer muß mit einem starken Wehrgang versehen werden,« bemerkte der Herzog. »Ist auch den Hussiten die Lust zur Wiederkehr gründlich vergangen, so müssen wir doch für alle Fälle gerüstet sein. Auf den starken Burgen und der Treue ihrer Mannen ruht unsere Herrschaft im Lande. Wo sind die Gefangenen?«
Da führte Dieter den Jaromir und seine Leidensgefährten vor. Sie sahen arg verwahrlost und verhungert aus.
»Darf ich eine Bitte wagen an meinen gnädigen Herrn?«
»Sprecht!« erwiderte der Herzog milde.
»Diese hier haben auch ihr gutes Teil Not und Hunger gelitten und zittern um ihr Leben seit langer Zeit. Wolle es Eurer Gnade gefallen, ihnen zu verzeihen?«
Da mischte sich Godeschalk ein:
»Als nach der Schlacht von Taus viele Hunderte der Unsrigen in hussitische Gefangenschaft gerieten, da wurden sie grauenvoll getötet. Wäre ich an meines Herrn Statt, ich vertilgte das ganze Ketzergesindel.« 146
Albrecht schüttelte den Kopf.
»Und doch heißt es in der Schrift, im Himmel sei mehr Freude über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte, so der Buße nicht bedürfen.«
»Diese hier aber sind verstockt und werden ihr Ketzertum nicht abschwören.«
»Und was hülfe es, wollt' ich sie dazu zwingen?« fragte der Herzog. »Im Herzen blieben sie doch, was sie sind.«
Er wandte sich zu dem Häuflein menschlichen Elends. Bleich und zitternd standen die Armen da; aber ihre trotzigen Blicke verkündeten, daß sie lieber den Tod erleiden als ihren Glauben verleugnen wollten.
Mit dem bloßen Schwerte berührte der Herzog den Hals der Gebundenen – dann sprach er:
»Meinem Schwert seid ihr verfallen und habt den Tod verdient nach Kriegsrecht. Der aber, den dieser Stahl zum Ritter schlug, hat für euch gebeten, so sei euch das Leben geschenkt. Friedlos sollt ihr hinausfahren in die Fremde; doch wer von euch noch einmal gegen uns die Hand erhebt, gehört dem Henker. Löst ihnen die Fesseln!«
Es geschah.
Noch einen Blick voll Dankbarkeit heftete Jaromir auf Dieter, dann verschwand er mit den anderen schnell im Dunkel des Waldes.
»Das war nicht nach Eurem Sinne, Godeschalk, nicht wahr? Sprechet frei heraus, ich bin keiner von jenen Fürsten, deren Ohren Frau Wahrheit nicht herbergen wollen.«
Der alte Haudegen kratzte sich hinter den Resten seines abgehauenen Ohres: 147
»Mit Gunst denn, Euer Gnaden: ich finde es schlimm und gefährlich, die Kumpane so freilaufen zu lassen. Die Böhmen hassen Euch und Euer erlauchtes Haus. Und allzu große Milde deutet man dem Fürsten leicht als Schwachheit.«
»Wollte ich nichts sein als der König von Böhmen so könntet Ihr vielleicht recht haben, mein Alter. Aber ich will mehr: dreien Völkern soll ich dereinst Führer sein; Jahrhunderte lang haben sie sich bekämpft, ich aber will ihnen den Frieden bringen! Versteht Ihr wohl: ein Reich soll entstehen, ein großes einiges Reich, gestützt auf deutsche Treue, deutsche Schwerter, auf der Ungarn Tapferkeit und auf jene zähe böhmische Kraft, die nicht locker läßt und ihr Recht verfolgt bis zum flammenden Scheiterhaufen!«
Godeschalk schüttelte den Graukopf:
»Die Böhmen sind Euch gar feindlich gesinnt, Herr!«
»Um so nötiger brauchen wir den Religionsfrieden,« fuhr der Herzog unbeirrt fort. »Ich bin ein so guter Christ wie Ihr, aber man muß auch des andern Überzeugung achten!«
»Aber dann werden die Ketzer erst recht in ihrer Verstocktheit beharren,« erwiderte Godeschalk.
»Sie werden unsere Milde preisen und in Basel den Boden zur Versöhnung der Parteien bereiten, die über kurz oder lang doch kommen muß,« sprach der Herzog zuversichtlich. »Als ich vor wenigen Tagen aus den Toren des Schlosses Eichhorn ausritt, da flog mir eine Taube zu, gurrte mich an und setzte sich auf den Eisenhandschuh meiner ausgestreckten Hand. Sie mochte den weißen Helmbusch für ein Tierchen ihrer Art gehalten haben. Ich aber nahms als günstiges Zeichen – wills Gott, so kommt 148 doch endlich einmal der Frieden über unser armes, blutendes Land!«
Als der Rundgang beendet war, winkte der Herzog seinem Gefolge und nahm Abschied von Godeschalk.
»Nun bleibet hier, bis ich weitere Befehle sende . . . . Ich muß gen Olmütz reiten zu meinem tapferen Helfer, dem eisernen Bischof Johann. Lebt wohl!«
Und sie verließen die Burg mit Heiloruf und Getrappel der vielen Hufe; noch aus weiter Ferne sah man die hohe, alle überragende Gestalt des fürstlichen Herrn, den schwarzen Helm mit den flatternden weißen Federn.
»Habt Ihr verstanden, was er meinte mit dem Reich und den drei Völkern?« fragte Godeschalk Dieter. »Ich begriff's nicht recht.«
»Es ist ein großer Gedanke«, meinte Dieter sinnend. »Ob er ihn vollbringen kann? Immerhin: ich bin froh, daß ich in seinen Dienst trat und nicht in den des falschen Luxemburgers.«
»Da möget Ihr recht haben. Daheim ists allemal am besten; und wäret Ihr mit dem Sigismund gezogen, so schlüget Ihr Euch vielleicht jetzt mit welschen Banditen herum oder läget gar mit irgend einem Gift im Leibe in fremder Erde.«
»Wie schön ist's, die Heimat schützen zu dürfen, unsere liebe, schöne Heimat und alle, die in ihr wohnen, alle – auch sie . . .« sagte er leise, wie verloren in Gedanken.
»Was meint Ihr?« fragte Godeschalk, der etwas schwerhörig war.
»Ach – nichts von Belang,« erwiderte Dieter errötend.
»Kann's nicht glauben, daß sich die Hungarn mit den Böhmen und den Deutschen vertragen werden – kann's nicht glauben,« setzte Godeschalk seinen Gedankengang 149 fort. »Und wenn's ja einmal geschehen sollte, so wird bis dahin noch viel Wasser die Donau hinab fließen. Was mich betrifft, so bin ich heilfroh, daß ich nicht drei Völker zu regieren brauche, so wahr ich ein Schalk Gottes bin. Aber kommt nun mit mir, Herr Ritter, wir wollen unserem armen Kameraden Heribald die letzte Ehre erweisen. Er hat sich brav geschlagen und Gott der Herr nimmt ihn wohl auf unter die Scharen Sankt Michaels.«
An geschützter Stelle unweit der Mauer hatten sie dem Gefallenen sein Grab geschaufelt; ein Hollunderbaum senkte seine Zweige drüber hin, der Abendwind spielte mit den grünen Blättern, als sie ihn hineinbetteten in die kühle Erde; Werner pflanzte das Schwert zu Häupten des Toten auf, warf sich auf die Knie und sprach ein Gebet, während die Tränen unaufhörlich aus seinen treuen Augen flossen.
Dann traten sie heran, einer nach dem andern, blickten zum letztenmal in das blasse Gesicht und warfen eine Erdscholle in die Grube.
Rolf Beneke hielt mit Werner Totenwacht; die Nacht hindurch wollten sie am Grabe stehen und in schweigender Erinnerung des armen Jünglings Gedächtnis feiern.
Aber das Leben ging weiter.
Die Wachen wurden verteilt; auf dem Hofe erhob sich der Lärm emsiger Arbeit, Mörtel wurde bereitet und die große Bresche vermauert, daß kein Feind mehr eindringen konnte in die Burg, an deren Widerstandskraft das Schicksal der ganzen Umgebung hing.
Dann stärkte man sich mit Speise und Trank; die Ritter des Herzogs waren reichlich mit Lebensmitteln versehen und teilten gern mit den ausgehungerten Kameraden. 150
Ach, und wie köstlich war der Schlaf in jener Nacht – der bleischwere Schlaf wackerer Männer, die ihr Bestes getan haben und der wohlverdienten Ruhe pflegen, ohne die nagende Angst und Sorge vor feindlichem Überfall.
Nur einer schlief nicht – der neue Ritter Dieter von Wolfstein.
Der hielt einen Strauß vertrockneter Nelken in der Hand und redete zu den toten Blumen wie zu einem lebenden Wesen und tat gar geheimnisvoll, als wüßte er etwas, das man nicht verraten darf.
Es war gut für seine neue Würde, daß ihn bei solch kindischer Beschäftigung niemand sah als der Mond, der mit seinem dicken Blaßgesicht durch das Fenster des kleinen Gemaches guckte.
Das Blaßgesicht lächelte gar breit und kühl, als der junge Ritter zu ihm emporseufzte, so lange und schwermütig, wie nur verliebte Menschen zu tun pflegen; und aus den Seufzern wurden Gedanken und Worte, er stützte das Haupt auf den Arm und sprach gar traurig:
»Glücklicher bist du als ich, du lieber Mond, du darfst sie schauen und ich sehe sie nicht . . . Einst war ich glücklicher als du, du standest hoch und silbern am Morgenhimmel und sahest zu, wie ich sie küßte. Bring ihr meine treuen Grüße aus der Ferne, hörst du?«
Da ging wieder ein Lächeln über das Mondgesicht . . . .