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Es war vor einem halben Jahrtausend.
Über dem Höhenzug, der die Grenze von Böhmen und Mähren auf seinem granitenen Rücken trägt und das Bergland von Iglau genannt wird, hingen die Nebel eines feuchten Frühsommermorgens.
Wie nasse Schwämme lagen sie zwischen den Wipfeln der Tannen und ließen ihr Wasser auf den Moosboden fallen, so daß bei jedem Tritt ein Tümpel braunen Wassers zurückblieb.
Dichter Urwald deckte die Gegend; Wölfe und Füchse strichen unbehelligt herum und kamen in rauher Winterszeit bis an die Landmark von Iglau. Aber das Raubzeug schuf den Bewohnern des Landes die geringste Sorge; der Krieg war's, der seit mehr als zwölf Jahren Vieh und Leute fraß, der das Landvolk verschlagen und menschenscheu machte und in den engen Kreis der Behausung zurücktrieb; und wenn jeder Krieg die gepeinigte Menschheit mit Geißeln schlägt, der damalige schlug sie mit Skorpionen; denn er war ein Kampf um den Glauben, und im Namen Gottes ist am meisten gesündigt worden auf Gottes Erde.
Man war froh, daß sich die Scharen der wilden Taboriten wenigstens nicht in die Nähe von Iglau wagten, wo sie sich schon mehr als einmal blutige Köpfe geholt hatten; erschreckt horchte man auf, wenn verworrene 4 Kunde kam, wie bei Mies die gepanzerten Ritter vor ihren rollenden Steinwagen davon gelaufen, wie sie bei Taus ein ganzes Kreuzheer in schmähliche Flucht gejagt und der Kardinal Julian, als Krieger verkleidet, sich in den Sümpfen versteckt und kaum das nackte Leben gerettet hatte.
Droben auf dem Höhenrücken zwischen Wald und Ödland, kleinen Hochmooren und ausgerodeten Flächen lag die Stadt Iglau, ein wohlbefestigter Platz, geschützt von gewaltiger Ringmauer mit Zinnen und Pechnasen, Ausfalltoren und Zugbrücken. Morgenlicht schimmerte auf den vergoldeten Knäufen der vielen Türme, Glockengeläute klang durch den Nebel; eilig bimmelte es vom Dominikanerkloster herüber, langsamer und bedächtiger ging die Glocke der Minoriten, aber am schönsten sprach doch die tiefe Stimme der Susanna im Turm von Sankt Jakob; man freute sich, daß der eherne Mund heute keine Feuersnot und Kriegsgefahr, sondern einen stillen, geruhigen Werktag verkündete.
Solch ein friedlicher Tag begann auch für den Köhler Jaromir Wlk, der mit einer mächtigen Schürstange auf der Schulter durch den Wald seinem Meiler zuschritt. Zu Johannis war Markt in Iglau, da gedachte er eine gehörige Last Holzkohle auf seinem Handwagen hinzuführen; die Hälfte seiner Kohlen mußte er der Stadtobrigkeit als der Grundherrin zinsen, da auf ihrem Boden sein Häusel mit dem kleinen Garten lag, die andere Hälfte durfte er verkaufen. Es war wohl an der Zeit, daß er sich mit allerlei Notdurft versah, die man in der Einschicht braucht und nur in der Stadt erhalten kann: 5 ein scharfes Beil, eine neue Säge, ein paar Pfund Salz oder vielleicht ein bißchen Würze für das Fäßchen Melniker, das er jüngst von einem herumreisenden Weinfuhrmann gekauft hatte.
»Wirst wieder tüchtig ziehen müssen, Triglaff«, murmelt er und patscht mit der schwieligen Faust den großen zottigen Hund auf den Kopf, der hinter ihm hertrottet und den buschigen Schwanz wie eine Fahne hin und her schwenkt.
Da ist die Kohlstatt.
Die träge, schwarze Masse des Meilers liegt ruhig da wie ein gewaltiger Maulwurfshaufen; aber es schwelt und glüht in ihrem Innern, wo die Kräfte der Natur das braune Holz in nützliche Kohle wandeln, mit der die Menschen in der Stadt ihre Stuben heizen und ihre Mahlzeiten bereiten.
Langsam schreitet der Wlk um den Meiler herum und prüft ihn mit aufmerksamen Blicken. Hie und da wirft er eine Schaufel feuchte Walderde gegen seine Flanken. Die Flamme, die irgendwo ausbricht, frißt dem Köhler ein Loch in den Beutel; still nach innen muß sie arbeiten, wie Lust und Leid in der Menschenseele, ohne daß die Welt draußen etwas zu merken braucht.
Der Wlk beginnt mit dem Bau eines zweiten, kleineren Meilers. Holz schichtet er zuhauf, Rasenstücke legt er kunstgerecht darüber und ist bald so vertieft in seine Arbeit, daß er gar nicht darauf achtet, was unterdessen Triglaff treibt.
Der hat schon mehrmals den Kopf mit der mächtigen Mähne emporgestreckt, als spüre er etwas in der Luft, 6 das zu sein ist für stumpfe Menschensinne; jetzt spitzt er die Ohren und trottet langsam ins Dickicht.
Tiefe Stille ringsum. Nur irgendwo in der Ferne hämmert ein Specht oder der heisere Schrei eines Raubvogels zerreißt die Luft; dann hebt sich der Morgenwind und in den Wipfeln der Tannen rauscht sein uraltes Lied.
Der Wlk hat den Meiler instand gebracht und läßt sich nun schwerfällig auf einem Baumstumpfe nieder; die Köhlerstange ragt in die Luft gleich einer Lanze.
Wie die Nebel um die Waldbäume, so ziehen im Kopf des bärtigen Mannes die Gedanken hin und her. Besonders heiter scheinen sie nicht zu sein; er runzelt die Stirn und murmelt etwas vor sich hin, das klingt gar wie ein halb erstickter Fluch.
Ein lustiger Kumpan ist der Wlk wohl niemals gewesen; das Leben in der Waldeinsamkeit schafft nun einmal keine heiteren Menschen. Wär' ihm nur sein gutes Weib nicht weggestorben, die Anna mit dem goldenen Haar und dem goldenen Herzen und der lieben, klingenden Stimme, deren leiser Singsang das kleine Haus erfüllte wie Vogelgezwitscher. Aber seit dem Tage, da sie der Würgengel der Pest an der Hand genommen und weggeführt hat auf ewig, möchte man schier glauben, daß ein Gespenst in der Hütte umgeht, ein Gespenst, das im Gärtchen die Kohlköpfe verhext, daß die Raupen sie fressen, und den Habicht anlockt, der ein Huhn nach dem andern zerreißt; ein Gespenst, das sich des abends, wenn der Kienspan flackert, auf den leeren Platz der Hausfrau setzt und den Einsamen anstarrt aus hohlen Augen – es ist zum Verrücktwerden! 7
Und sein Freund, der Vaclav, dem er einmal sein Herz ausgeschüttet, hat ihm erzählt, wie gut es ihm geht, seit er im Heere des großen Prokop Dienst genommen. Da gibt's keine Sorge ums tägliche Brot, kein mühselig Fronen und Sparen und Darben. Essen und Trinken haben die Brüder in Fülle und Beutestücke zum Aussuchen, wenn ein Städtchen zerstört oder eine Herrenburg geplündert wird.
»Sollst mit uns kommen, Jaromir, und dich anwerben lassen beim großen Prokop! Du, ich weiß einen von uns der hat eine ganze Sammlung von goldenen Kelchen zusammengebracht. Und der Hauptmann Hynek von Jaromersch läßt seine Pferde aus Silberbecken saufen.«
Aber der Wlk hat den Kopf geschüttelt und nicht dran wollen.
Was ein richtiger Kriegsmann ist, braucht Rüstung und Waffen. Von einem tüchtigen Harnisch und einem stichfesten Kettenpanzer hängt in der Schlacht das Leben ab. Und wenn auch der Schlarbaum in Iglau ein verläßlicher Plattnermeister ist: so ein Ding kostet schweres Geld. Und das Schwert und der Helm und die Eisenhose und dazu noch das Roß – nein, es geht nicht.
Der Vaclav aber hat ein gewaltiges Gelächter aufgeschlagen.
Alles Unsinn! Gerade in diesem Kriege zeigt sich, daß die ganze ritterliche Rüstung vom bunten Helmbusch bis zu den vergoldeten Sporen herunter einen Plunder wert ist. Lederhosen, Dreschflegel, Streitkolben, ein gutes Beil – so zieht man aus; und wenn man irgendwo einen Helm findet und einen rostigen Harnisch, kann man das Ding ja anlegen – aber die Hauptsache ist, daß man sich rühren 8 kann, daß man Weg und Steg kennt, während so ein eiserner Kerl auf seinem Roß so unbeholfen ist wie ein Krebs. Der Ziska – Gott laß ihn selig ausruhen vom langen Streite – hat was Neues eingeführt: eiserne Haken an langen Stangen, damit haben sie die Ritter in der Schlacht von den Pferden gerissen und ihnen auf der Erde den Garaus gemacht. Und erst die wunderbare neue Erfindung, das schwarze Pulver, mit dem man Steinkugeln aus Mörsern schießen kann! Freilich zerspringt manchmal das Geschütz, wenn man zu stark lädt, aber die Pferde kriegen eine Heidenangst bei dem Blitzen und Krachen und werfen ihre Reiter ab. »Komm mit uns, Jaromir, wirst ein großer Kriegsheld, dafür steck' ich meine Hand ins Feuer!«
So hat er gesprochen, der Vaclav, und dabei mit der goldenen Kette gespielt, einem Beutestück aus dem zerstörten Aussig.
Aber der Wlk wollte nicht. Ein wenig kam ihm doch das Grauen vor dem rohen Treiben des wilden Kriegsvolkes.
»Aber wir kämpfen für den Kelch! Für Gemeinschaft der Güter, freie Predigt und die reine Lehre der Urchristen!« rief der Vaclav und schlug sich an die breite Brust, daß es dröhnte.
Der Jaromir schüttelte trotzdem den Kopf. Oh, er weiß noch die Zeit, als der Magister Johannes Hus unter dem Schutze des freien Geleites nach Konstanz kam und dort verbrannt wurde; er hat den Sturm der Entrüstung mitgemacht, der damals über das Land brauste, und sich mit Tausenden aus der Umgebung frei und offen zu seiner 9 Lehre bekannt und sein Bild daheim unter dem Kruzifix aufgehängt. Er hat in der Einsamkeit seines Waldes oft über die Geheimnisse der Religion gegrübelt, während Vaclav, damals noch Bergmann im Iglauer Silberbergwerk, im Kreise der Genossen laut und heftig den Kampf gegen alles Bestehende predigte. Aber als dann die wilden Vernichtungszüge gegen die deutschen Städte, die Massenmorde von Prachatitz und Kuttenberg, die Zerstörungen aller Kirchen und Klöster begannen, da ging der Jaromir nimmer mit. Lebte der Hus noch, er hätte das alles gewiß nicht gebilligt.
An all das muß er heute wieder denken, wie er da sitzt und vor sich hinstarrt in das Dunkel der Tannen.
Aber schau, was hat den der Triglaff?
Mit großen Sätzen kommt er dahergesprungen, sieht seinen Herrn an, läuft wieder zum Walde zurück und steht still, als wollte er ihn auffordern zu folgen.
Der Wlk schultert die schwere Köhlerstange und geht dem Hunde nach, tief ins Dickicht hinein.
Plötzlich hemmt er den Schritt.
Hingestreckt auf dem Moose liegt eine leblose Gestalt. Blonde Locken umrahmen ein totenblasses Gesicht; hell schimmert das kurze Schwert am vergoldeten Wehrgehenk.
»Ein Junker!« sagt der Wlk erstaunt und beugt sich über den Regungslosen; aber im selben Augenblick prallt er zurück: wenn er ein Pestkranker ist! Im nahen Böhmen wütet die Seuche, Tausende sollen ihr schon zum Opfer gefallen sein. Doch nein, da sind keine verdächtigen Flecken, keine blauen Lippen – der da liegt, ist auf den Tod ermattet, verwundet vielleicht, aber so sieht kein Pestkranker aus. 10
Mit seinen schweren Stiefeln stampft der Wlk zum Waldbach, schöpft mit dem Lederhut Wasser und wäscht dem jungen Menschen die Schläfe. Da hebt ein tiefer Atemzug seine Brust; die Hände zucken, die Lippen bewegen sich – jetzt schlägt er die Augen auf und sieht den bärtigen Waldmenschen vor sich.
»Wo . . . wo bin ich?« fragt er kaum hörbar.
Der Wlk gibt keine Antwort. Aber in den Blicken, mit denen er den Jüngling betrachtet, muß etwas Vertrauenerweckendes liegen; der Ausdruck von Angst und Furcht schwindet aus dem schmalen Gesicht und er flüstert heiser:
»Ich bin auf der Flucht – tut mir nichts zuleide – ach, und die Zunge brennt im Mund – Wasser!«
Der Köhler reicht ihm den Hut hin. Er trinkt in gierigen Zügen und richtet sich halb empor.
»Vor wem seid Ihr denn auf der Flucht, Junker?«
»Die Hussiten – sie haben unsere Burg gestürmt – zwei Tage lang irre ich in den Wäldern umher, endlich hab' ich mich hingelegt und mir nichts mehr gewünscht als den Tod.«
»Ach, man stirbt nicht so schnell,« erwidert der Wlk, in seiner ledernen Umhängtasche kramend, »da nehmt, es ist freilich nur Brot und Käse und ein Junker ist Besseres gewöhnt, aber es wird Euch Leib und Seele zusammenhalten. Ich muß zu meinen Kohlen, Triglaff soll bei Euch wachen – ein Weilchen Geduld, bald komm' ich wieder.«
Triglaff sieht seinem davonschreitenden Herrn mit forschenden Blicken nach. Wie der aber weiter und weiter geht, ohne zu rufen oder zu pfeifen, begreift er, was seine Pflicht ist, streckt sich ins Moos und legt den Kopf auf die Vorderpranken, indem er zu dem Fremden 11 hinüberblinzelt, der mit Heißhunger seine einfache Mahlzeit hält. Und wie zum Schluß eine Käserinde und ein Stückchen Brot für den treuen Wächter abfallen, leckt er ihm dankbar die Hand.
Derweilen ist der Wlk am Meiler beschäftigt, aber das hindert nicht, daß seine Gedanken in vergangene Zeiten fliegen, an die ihn der Anblick des fremden Junkers seltsam und unerwartet gemahnt hat.
Wie sich ihm das krause Haar an der Stirne lockt – wie rot seine Lippen sind! Solch krauses Haar, solche Lippen hat auch er gehabt, dem es zu finster war unter den hohen Tannenbäumen und zu eng in der Köhlerhütte – der Jodok, das einzige Kind des Jaromir Wlk.
Der ist eines Tages von Vater und Mutter fortgegangen, weit, weit fort, der klaren, geschwätzigen Sazawa nach, bis dahin, wo sie sich in die Moldau ergießt, und die Moldau abwärts zum Elbestrom und weiter mit dem Frachtschiff nach Hamburg und dann in die große, leuchtende See.
Und dieses war das letzte Lebenszeichen des Fünfzehnjährigen: ein Brief, sorgsam in ein rotes Tüchlein eingeknüpft, den ein Matrose nach Iglau brachte und beim Torwärtel, der ein Freund des Wlk war, für diesen hinterlegen ließ. Der Wlk kann natürlich nicht lesen, aber der Torwärtel hat ihm für eine Kanne Melniker die geheimnisvollen Zeichen entziffert und mit einiger Anstrengung folgendes herausgebracht:
»Lieber Herr Vater und Frau Mutter, ich tu euch zu wissen, daß ich als Schiffsjunge auf einer Karawelle Dienst genommen, so aus Portugal kommt und bald von 12 Hamburg nach dem Lande Afrika segeln wird. Wir verhoffen dort Gold zu finden und unser Schiffspater will den schwarzen Menschen das Evangelium des Heilands predigen; ist ein großer Drang in uns allen, in die Ferne auszuschweifen wie ich selber, da ich es nimmer aushalten kunnt im Walde bei euch und hat man vor etlichen Jahren eine große Insel entdeckt, die liegt weit draußen im Meer und heißet Madeira, sagen aber manche, es gäbe noch ein viel, viel größeres Land im Ozean, dort wo die Sonne untergeht. Aber so weit können wir nicht, sonst zieht der Magnetberg unser Schiff an sich und läßt es nimmer fort. Habt Geduld und betet fleißig für mich, wenn Gott es fügt, so kehre ich bald zu euch zurück und bringe Gold heim aus Afrika, dann hat unsere Not und Armut ein Ende und bis dahin vergesset nicht euren dankbaren Sohn Jodok.«
Aber nun sind drei Jahre vergangen, seit der Jodok ausgezogen ist, und die Mutter ist gestorben und der Vater hat graue Haare bekommen und wartet noch immer auf seinen Sohn. Und als vorhin der blasse Junker vor ihm lag und ihn ansah aus traurigen Augen, da dachte er: ich will gut zu ihm sein, vielleicht tun fremde Menschen einmal das Gleiche am Jodok, wenn er einsam und verlassen in der Ferne ist.
Wie der Wlk wieder zu seinem Schützling zurückkommt, hat der sich mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt und blickt düster vor sich hin.
Da bemerkt er erst, daß der linke Arm schlaff herunterhängt und mit blutigen Lappen umwickelt ist.
»Seid ihr verwundet, Junker?« fragt er besorgt.
»Ein Schwerthieb – nichts von Bedeutung – ich hab' mir selbst einen Verband angelegt, so gut ich konnte.« 13
»Lasset mich sehen«, brummt der Köhler und wickelt den Arm aus den Binden. »Bei uns Waldmenschen gibt's keine Wundärzte, da müssen wir oft selbst . . . hm, hm . . . solltet doch die Wunde pflegen, damit kein Brand dazukommt.«
Der andere fuhr hastig auf: »Unmöglich, ich habe dringende Botschaft an den König Sigismund . . . Dinge von größter Wichtigkeit!«
Der Wlk staunte:
»Zum König wollt Ihr? Der wird jetzt keine Zeit für Euch haben. Er rüstet zum Zug nach Welschland, wo er sich die Kaiserkrone holen will.«
»Seid versichert, für mich und meine Botschaft hat er Zeit. Aber Eile tut not.«
Er stieß die Worte erregt hervor und sprang auf, war aber noch so erschöpft, daß er sich auf die breite Schulter des Köhlers stützen mußte, um nicht niederzusinken.
»Nur gemach, junger Freund. Vor einer kleinen Weile laget Ihr da, mehr tot als lebendig, und jetzt redet Ihr von Eile und dringender Botschaft. Wie wollt Ihr vor den König treten als ein siecher, verwundeter Mann?«
Der Junker schwieg und atmete schwer.
»Will Euch einen Vorschlag machen: bleibt ein paar Tage bei mir und pflegt Euch, bis Ihr wieder rote Wangen habt, dann führ' ich Euch nach Iglau, wo der König Hof hält. Und auf daß Ihr wisset, wer ich bin: sie nennen mich Jaromir Wlk.«
»Ich heiße Dieter von Wolfstein – nein ich hieß so, solange ich eine Heimat hatte . . . . heute habe ich keine mehr – keine – Heimat – mehr!« 14
Und als fasse er erst jetzt die Bedeutung dessen, was er verloren, schlug er die mageren Hände vor das Gesicht und brach in Tränen aus wie ein Kind.
Der Wlk stand schweigend vor ihm und wartete, bis er ruhig war; dann sprach er, wie man zu einem Kranken spricht:
»Kommt mit mir zur Kohlstatt, Junker, das wird Euch auf andere Gedanken bringen.«
Und Dieter wischte die Tränen von den Wangen und folgte seinem Führer, der sich wieder seiner schweigsamen Beschäftigung hingab, die nur von einem einfachen Mittagmahl unterbrochen ward.
Als die Schatten der Waldbäume länger wurden und im Westen sich die Flammen des Sonnenuntergangs entzündeten, schritten sie heimwärts.
Die Köhlerhütte war aus rohen Balken gezimmert, ein Pferdeschädel bleichte über der niedrigen Eingangstür; ein mächtiger Eichentisch, ein paar Stühle, ein großer gemauerter Ofen – das war die Einrichtung.
Der Wlk schob seinen Gast in eine kleine Kammer und deutete auf das Lager in der Ecke, wo ein großes Bärenfell lag:
»Das wird Euch warm halten, Junker, die Nächte sind gar kühl in unseren Wäldern. Nun schlaft Euch aus und morgen früh hat die ganze Welt ein anderes Gesicht.«
Dieter war allein.
So müde er auch war, wollte er doch nicht ohne die gewohnte Abendandacht zu Bett gehen. Dort in der Ecke hing ein Kruzifix; er ging darauf zu, kreuzte die Arme über der Brust und hob den Blick. – Aber was war das 15 für ein Bild unter den Füßen des Heilands? Ein Mann stand auf dem Scheiterhaufen, an einen Pfahl gebunden, von Flammen umzüngelt; ein Engel schwebte vom Himmel und reichte dem Todgeweihten den Kelch.
»Der Hus,« flüsterte Dieter schaudernd. Er war im Hause eines Ketzers! Eines jener Unseligen, gegen die der Papst den Kreuzzug predigen ließ!
Und doch – der fremde Mann war gut zu ihm gewesen, hatte ihn gespeist und beherbergt, ihm dankte er vielleicht das Leben.
Hielt er ihn wohl gar für einen seinesgleichen, für einen Ketzer?
Er schüttelte den Kopf, als könne er das alles nicht fassen.
Aber seine Ermattung war zu groß; er warf sich auf das Lager, zog das Bärenfell bis unter das Kinn und sank in einen bleischweren Schlaf.