Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil III
Henry Fielding

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

Sophiens Flucht.

Es ist nun Zeit, daß wir uns auch nach Sophien umsehen, die, wie der Leser gewiß mit Vergnügen erfährt, wenn er sie nur halb so sehr liebet als ich, glücklich den Händen ihres zornigen Vaters und des ihr bestimmten Liebhabers entgangen war.

Zwölfmal schlug die Zeit auf die tönende Glocke und forderte die Geister auf sich zu erheben und ihre nächtliche Wanderung zu beginnen, oder einfacher, es war zwölf Uhr und die 182 ganze Familie schlief oder war betrunken, wie wir erwähnt haben, Fräulein Western, die eben eine politische Broschüre las, und unsere Heldin ausgenommen, welche sich leise die Treppe hinabschlich, eine der Hausthüren öffnete und zu dem bestimmten Orte eilte.

Trotz der vielfachen Künste, welche die Frauen bisweilen aufbieten, um ihre Furchtsamkeit bei jeder geringfügigen Gelegenheit zu zeigen (wie die Männer, die ihrige zu verbergen), so giebt es doch gewiß einen Grad von Muth, der sich nicht nur für ein Weib ziemt, sondern sogar oft für sie nöthig ist, wenn sie ihre Pflicht erfüllen soll. Ja, eine Frau, die laut aufschreit, wenn sie eine Maus oder eine Ratte sieht, ist vielleicht sogar im Stande ihren Mann zu vergiften oder, was noch schlimmer ist, ihn dahin zu bringen, daß er sich selbst vergiftet.

Sophie besaß bei aller Sanftmuth, die ein Weib haben kann, allen Muth, den sie besitzen soll. Als sie deshalb an dem bestimmten Orte statt ihre Dienerin zu treffen, wie verabredet worden war, einen Mann sah, der gerade auf sie zugeritten kam, schrie sie weder noch fiel sie in Ohnmacht; ihr Puls freilich klopfte nicht mit der gewöhnlichen Regelmäßigkeit, denn sie war einigermaßen verwundert und erschrocken, aber sie beruhigte sich auch sogleich wieder, als der Mann, indem er seinen Hut abnahm, sie sehr unterthänig fragte, ob sie hier nicht ein anderes Frauenzimmer erwarte, und dann hinzusetzte, er habe den Auftrag, sie zu demselben zu begleiten.

Sophie konnte hier keinen Argwohn hegen; sie stieg deshalb rasch hinter dem Manne auf, der sie wohlbehalten in eine etwa fünf engl. Meilen entfernte Stadt brachte, wo sie die gute Honour fand. Sie überlegten nun mit einander, welchen Weg sie wohl einzuschlagen hätten, um der Verfolgung Westerns zu entgehen, der, wie sie mit 183 Bestimmtheit erwarteten, ihnen nach wenigen Stunden nachsetzen lassen würde. Der Weg nach London kam der Mamsell Honour besonders lockend vor und sie meinte, da man Sophien vor acht bis neun Uhr des Morgens nicht vermissen werde, so könnten die Verfolger sie nicht einholen, selbst wenn sie wüßten, welchen Weg sie genommen hätten. Sophie aber hatte zu viel zu wagen, um etwas dem Zufall zu überlassen und trauete auch ihren zarten Gliedern nicht zu viel zu, wenn es darauf ankommen sollte, so schnell als möglich zu reiten. Sie nahm sich deshalb vor, wenigstens 20 bis 30 M. in das Land hinein zu reisen und dann erst sich nach London zu wenden. Sie miethete deshalb Pferde und ritt mit dem Manne als Führer fort, der sie begleitet hatte, und jetzt Mamsell Honour hinter sich nahm, aber seine Einwilligung nicht geben wollte, als Sophie nach einigen hundert Schritten ihren Wunsch aussprach, die Straße zu verlassen. Er hatte Mancherlei dagegen einzuwenden und in dem Gespräche hörte denn Sophie, daß der Mann unsern Helden auf der Reise hier begleitet hatte. Dies bestimmte sie sogleich, dem Führer eine Guinee zu bieten, wenn er sie denselben Weg führen wolle, welchen Jones eingeschlagen habe. Das geschah denn und die Reisenden kamen bei Tagesanbruch in Hambrook an, in dem Dorfe, wo Jones den Quäker getroffen hatte. Von da an suchte Sophie immer die Spur ihres geliebten Jones ausfindig zu machen und so gelangte sie denn, wie wir erzählt haben, in das Wirthshaus zu Upton, wo sich unser Held eben auch befand.

Nachdem wir Sophie bis nach Upton gebracht haben, wollen wir auch ihren Vater mit wenigen Worten dahin begleiten. Der Squire fragte Jedermann nach seiner Tochter und begegnete auch dem Führer, welcher dieselbe nach Hambrook gebracht hatte. Von ihm erfuhr er, welchen 184 Weg sie eingeschlagen hatte und er verfolgte sie bis nach Upton, was ihm nicht schwer wurde, da er überall erfuhr, welche Straße Jones genommen habe, über den ja Partridge in allen Wirthshäusern ausführliche Auskunft hinterlassen hatte, und der alte Western nicht im mindesten zweifelte, daß seine Tochter derselben Straße folge. Er bediente sich dabei freilich nicht dieses Ausdruckes, sondern eines sehr derben, den wir nicht mittheilen können; Fuchsjäger, die allein ihn verstehen würden, werden ihn wohl auch errathen.


 << zurück