Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil III
Henry Fielding

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28 Sechstes Kapitel.

In welchem sich einige andere Talente Benjamin's zeigen. Auch ergiebt es sich, wer dieser außergewöhnliche Mensch war.

Früh war Jones über das Ausbleiben des Chirurgen etwas besorgt, da er Unannehmlichkeit, wenn nicht gerade Gefahr fürchtete, wenn seine Wunde nicht verbunden würde; er erkundigte sich demnach bei dem Kellner, welche andere Wundärzte in der Nähe zu haben wären und erfuhr, daß einer nicht weit entfernt wohne, der sich aber gewöhnlich weigere, Hilfe zu leisten, wenn vor ihm nach einem andern geschickt worden sei. »Aber, Herr,« fuhr der Kellner fort, »wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, so sage ich Ihnen, daß kein Arzt im Lande den Verband besser machen kann als der Barbier, der gestern Abend bei Ihnen war. Wir halten ihn für einen der geschicktesten Männer, denn ob er gleich kaum drei Monate hier ist, so hat er doch schon einige große Curen gemacht.«

Der Kellner wurde sogleich zu dem kleinen Benjamin beordert, der sich auch bald darauf einfand, aber diesmal mit ganz verschiedener Miene und ganz anderm Aussehen denn da, als er das Barbierbecken unter dem Arme trug, so daß er kaum für dieselbe Person zu erkennen war.

»Sie beschäftigen sich, tonsor, wie ich finde, mit mehr als einem Gewerbe,« sagte Jones; »warum sagten Sie mir das gestern Abend nicht?« – »Ein Wundarzt,« antwortete Benjamin sehr gravitätisch, »betreibt eine Kunst und Wissenschaft, kein Gewerbe. Ich erzählte Ihnen gestern nicht, daß ich diese Kunst treibe, weil ich der Meinung war, daß Sie von einem andern behandelt würden, und ich greife meinen Collegen nicht in ihre Kundschaft. Ars 29 omnibus communis. Jetzt aber, mein Herr, will ich Ihren Kopf untersuchen, wenn es Ihnen beliebt, und Ihnen sogleich sagen, wie es mit Ihnen steht.«

Jones hatte kein großer Vertrauen zu seinem neuen Arzte, ließ jedoch den Verband von demselben abnehmen und die Wunde besichtigen. Kaum war dies geschehen, so begann Benjamin zu brummen und gewaltig den Kopf zu schütteln, so daß Jones ihn aufforderte, doch nicht den Narren zu spielen, sondern gerade heraus zu sagen, wie er ihn finde. »Soll ich Ihnen antworten als Wundarzt oder als Freund?« fragte Benjamin. – »Als Freund und ernst,« entgegnete Jones. – »Nun, wahrhaftig« sprach Benjamin, »es würde große Kunst dazu gehören, um zu verhindern, daß Sie nach wenigen Verbänden vollkommen wohl wären, und wenn Sie gestatten, will ich eine von meinen Salben auflegen, für deren Trefflichkeit ich bürge.« Jones willigte ein und das Pflaster wurde demnach aufgelegt.

»Nun,« fuhr Benjamin fort, »werde ich mein früheres Selbst wieder annehmen. Ein Mann muß eine gewisse Würde in seinem Gesichte bewahren, während er solche Operationen vornimmt, sonst würde sich die Welt ihm nicht anvertrauen. Sie können sich schwerlich vorstellen, von welcher Wichtigkeit ein ernstes Aussehen bei einem ernsten Charakter ist. Ein Barbier darf sie zu Lachen machen, ein Wundarzt sollte sie eher zum Weinen bringen.«

»Herr Barbier oder Herr Wundarzt, oder Herr Barbier-Wundarzt,« sagte Jones. – »O, lieber Herr,« unterbrach ihn Benjamin, »infandum, regina, jubes renovare dolorem. Sie erinnern mich an die grausame Trennung der vereinten Corporationen, welche leider für beide Nachtheile hat, wie sie jede Trennung haben muß nach dem alten Sprichworte: vis unita fortior. Welcher Schlag ist 30 sie aber besonders für mich, der ich beide Corporationen in meiner Person vereinige!« – »Nun, welchen Titel man Ihnen auch geben mag,« fuhr Jones fort, »Sie sind sicherlich einer der närrischsten, komischsten Käuze, die ich jemals kennen gelernt und in Ihrer Lebensgeschichte, die ich, wie Sie selbst gestehen werden, ein Recht zu erfahren habe, muß es mancherlei Ueberraschendes geben.« – »Ich gestehe es,« antworte Benjamin, »und will sie Ihnen gern erzählen, wenn Sie einmal Zeit genug haben, denn sie ist ziemlich lang.« Jones entgegnete darauf, er könne schwerlich jemals mehr Zeit übrig haben als eben jetzt, und Benjamin fuhr fort: »so will ich Ihren Wunsch erfüllen, erst aber die Thüre verschließen, damit uns Niemand störe.« Er verriegelte die Thüre, trat dann mit feierlichem Ernste an Jones und sprach: »vor allem muß ich Ihnen sagen, daß Sie mein größter Feind gewesen sind, den ich im Leben gehabt habe.« Jones erschrak einigermaßen über diese unerwartete Erklärung und sagte verwundert und ernst: »ich, Ihr Feind!« – »Nun, erzürnen Sie sich nur nicht,« antwortete Benjamin; »ich bin darum nicht aufgebracht gegen Sie. Sie sind an dem Schaden, den Sie mir zufügten, vollkommen unschuldig, denn Sie waren damals noch ein Kind. Ich werde Ihnen wohl sogleich das Räthsel lösen, sobald ich meinen Namen nenne. Haben Sie niemals von einem gewissen Partridge gehört, der die Ehre hatte, für Ihren Vater zu gelten, und durch diese Ehre in Unglück gestürzt wurde?« – »Ich habe allerdings von diesem Partridge gehört,« antwortete Jones, »und mich auch immer für den Sohn desselben gehalten.« – »Nun,« fuhr Benjamin fort, »dieser Partridge bin ich, aber hier entbinde ich Sie von jeder Kindespflicht gegen mich, denn ich schwöre es Ihnen zu, daß Sie mein Sohn nicht sind.« – »Ist es möglich,« 31 sprach Jones, »daß ein solcher Verdacht Ihnen alles das Unglück zuzog, das mir nur zu wohl bekannt ist?« – »Es ist möglich,« entgegnete Benjamin, »denn es ist so; aber ob es gleich sehr natürlich ist, daß Menschen selbst die unschuldige Ursache ihres Unglückes hassen, so steht es bei mir doch anders. Ich habe Sie geliebt, seit mir Ihr Benehmen gegen den schwarzen Georg bekannt wurde, wie ich Ihnen schon sagte, und das jetzige unerwartete Zusammentreffen giebt mir die Ueberzeugung, daß Sie alles wieder gut machen sollen, was ich um Ihretwillen gelitten habe. Ueberdies träumte ich die Nacht vorher, ehe ich Sie sah, ich stolperte über einen Stuhl, ohne mir wehzuthun, was offenbar etwas Gutes bedeutet, und in der vorigen Nacht träumte ich wieder, ich sitze hinter Ihnen auf einem milchweißen Pferde, was gewiß ein ganz vortrefflicher Traum ist, der großes Glück verheißt, das ich zu verfolgen entschlossen bin, wenn Sie nicht so grausam sind, es mir zu versagen.«

»Es würde mich sehr freuen, Herr Partridge,« antwortete Jones, »wenn es in meiner Macht stünde, Ihnen für das, was Sie um meinetwillen gelitten haben, Vergeltung zu gewähren; für jetzt sehe ich die Möglichkeit nicht ein, doch verspreche ich Ihnen, Ihnen nichts zu versagen, was ich Ihnen gewähren kann.«

»Es steht vollkommen in Ihrer Macht,« entgegnete Benjamin, »denn ich wünsche weiter nichts, als Sie auf Ihrer Wanderung begleiten zu dürfen. Ich habe meinen Sinn so fest darauf gestellt, daß Sie, durch eine Weigerung, einen Barbier und einen Wundarzt in einem Athem umbringen werden.«

Jones erwiederte lächelnd, es würde ihm sehr Leid thun, wenn er die Ursache eines so großen Unglücks für das Publicum sein sollte; dann aber äußerte er manche verständige 32 Gründe, um Benjamin (den wir nun wieder Partridge nennen werden), von dem Vorhaben abzubringen, jedoch vergebens. Partridge vertrauete unerschütterlich fest auf seinen Traum von dem milchweißen Pferde. »Uebrigens versichere ich Sie, daß ich der Sache so aufrichtig zugethan bin, als es irgend Jemand sein kann. Ich werde gehen, Sie mögen mir erlauben, in Ihrer Gesellschaft zu reisen oder nicht.«

Jones, dem Partridge so wohl gefiel als er Partridge gefallen konnte und nicht nach seinem Wunsche, sondern des Vortheils des Andern wegen ihn ersucht hatte, dazubleiben, willigte endlich ein, als er seinen Freund so fest entschlossen fand; doch setzte er hinzu: »vielleicht glauben Sie, Herr Partridge, ich könne Sie erhalten; das vermag ich nicht.« Zum Beweise zog er seine Börse und schüttete neun Guineen heraus, die, wie er versicherte, sein ganzes Vermögen waren.

Partridge antwortete, er verlasse sich blos auf seine spätere Gunst, da er fest überzeugt sei, der Herr Jones werde bald mehr vermögen. »Gegenwärtig,« setzte er hinzu, »bin ich vielleicht reicher als Sie und alles, was ich habe, steht zu Ihrem Dienste und zu Ihrer Verfügung. Ich bestehe darauf, daß Sie Alles nehmen und bitte blos, Sie als Ihr Diener begleiten zu dürfen. Nil desperandum est Teucro duce et auspice Teucro.« Jones jedoch wollte von dem uneigennützigen Anerbieten durchaus keinen Gebrauch machen.

Sie kamen überein, am nächsten Morgen aufzubrechen, aber da zeigte sich eine Schwierigkeit wegen des Gepäckes, denn der Mantelsack unseres Jones war zu groß, als daß er ohne ein Pferd hatte getragen werden können.

»Wenn ich einen Rath geben darf,« sagte Partridge, »so lassen wir den Mantelsack mit allem, was darin ist, 33 mit Ausnahme einiger Wäsche, zurück. Dieß werde ich leicht für Sie tragen können; Ihre übrigen Kleidungsstücke können ganz sicher in meinem Hause bleiben.« Dieser Vorschlag wurde sogleich angenommen, worauf der Barbier fortging, um alles zu der Abreise vorzubereiten.


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