Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil III
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Zeigt unter andern den Scharfsinn Partridge's, den Wahnsinn des Herrn Jones und die Narrheit Fitzpatrick's.

Es war jetzt fünf Uhr früh vorüber und andere im Hause standen allmälig auf und kamen in die Küche, darunter der Sergeant und der Kutscher, die sich vollkommen mit einander ausgesöhnt hatten und ein Glas mit einander tranken.

Bei diesem Trinken ereignete sich nichts besonderes außer dem Benehmen Partridges, der, als der Sergeant auf das Wohl des Königs Georg trank, nur das Wort König wiederholte und nicht vermocht werden konnte, mehr zu sagen; denn ob er gleich auf dem Wege war, gegen seine eigene Sache zu kämpfen, so ließ er sich doch nicht bewegen, gegen dieselbe zu trinken.

Jones, der jetzt in sein eigenes Bett zurückgekehrt war (woher er kam, dürfen wir nicht sagen), rief Partridge 168 aus der angenehmen Gesellschaft ab und dieser sprach, als er nach einer ceremoniösen Vorrede die Erlaubniß erhalten hatte, seine Meinung zu sagen:

»Es ist ein altes und ein wahres Sprichwort, daß ein gescheidter Mann bisweilen auch von einem Narren etwas lernen kann; ich möchte deshalb wohl so kühn sein und meine Meinung aussprechen, welche die ist, nach Hause zurück zu kehren und die horrida bella, die blutigen Schlachten, Menschen zu überlassen, die zufrieden sind, wenn sie Pulver schlucken, weil sie sonst nichts zu essen haben. Jedermann weiß, daß Ihnen zu Hause nichts abgeht, und warum sollte der Mensch, wenn dies der Fall ist, im Lande umher reisen?«

»Partridge,« rief Jones, »Du bist eine feige Memme, ich wünsche also ebenfalls, daß Du nach Hause zurück kehrest und mich nicht länger belästigest.« – »Ich bitte um Verzeihung,« entgegnete Partridge, »ich sprach mehr Ihret-, als meinetwegen, denn meine Umstände sind, Gott weiß es, schlecht genug und statt furchtsam zu sein, kann ich versichern, daß ich mir aus einem Pistole oder einem andern solchen Dinge nicht mehr mache als aus einer Knallbüchse. Jedermann muß einmal sterben, auf die Art, wie es geschieht, kommt nichts an; übrigens kann ich ja auch mit dem Verluste eines Armes oder eines Beines davon kommen. Ich kann versichern, daß ich in meinem Leben niemals furchtsam gewesen bin und wenn Sie also entschlossen sind, weiter zu reisen, so bin ich auch entschlossen, Ihnen zu folgen. In diesem Falle möchte ich aber meine Meinung zum besten geben. Es ist gewiß scandalös, daß ein vornehmer Herr wie Sie zu Fuße geht. Hier stehen zwei bis drei gute Pferde im Stalle, die Ihnen der Wirth gewiß ohne Bedenken anvertraut; will er es nicht, so kann ich sie leicht stehlen; der König 169 verzeiht es gewiß, wenn er erfährt, daß es nur geschah, um schneller ihm zu Hilfe zu kommen.«

Partridge würde eine solche That gewiß nicht versucht haben, hätte er sich dabei nicht für ganz sicher gehalten. Jones schalt ihn tüchtig aus, als er sich überzeugte, daß derselbe in vollem Ernste sprach. Partridge versuchte dem Gespräche eine andere Wendung zu geben und sagte, er glaube, sie befänden sich in einem schlechten Hause, denn es habe ihm viel Mühe gekostet, zwei Frauenzimmer zu verhindern, den jungen Herrn mitten in der Nacht in dem Schlafe zu stören. »Sie müssen sogar gegen meinen Willen hier im Zimmer gewesen sein, denn da liegt der Muff der Einen an dem Boden.« Jones war im Dunkel in das Bett zurück gekommen, hatte den Muff auf dem Bett nicht bemerkt und heruntergeworfen. Partridge hob ihn jetzt auf und wollte ihn in die Tasche stecken als Jones denselben zu sehen verlangte. Der Muff war so merkwürdig, daß unser Held denselben vielleicht auch ohne den daran befindlichen Zettel wieder erkannt hätte. Sobald er »Sophie Western« gelesen hatte, sprang er auf wie wahnsinnig und rief. »Himmel, wie kam dieser Muff hierher?« – »Das weiß ich eben so wenig als Sie,« antwortete Partridge, »aber ich sah ihn an dem Arme Eines der Frauenzimmer, die Sie gestört haben würden, wenn ich es zugelassen hätte.« – »Wo sind sie?« fragte Jones, indem er aus dem Bette sprang und nach seinen Kleidungsstücken griff. – »Jetzt wahrscheinlich bereits viele Meilen weit weg,« antwortete Partridge. Jones überzeugte sich nach mehrern weitern Fragen, daß die Inhaberin des Muffes keine andere als die liebenswürdige Sophie selbst gewesen sein konnte.

Das Benehmen unseres Helden, seine Gedanken, seine Mienen, seine Worte, seine Handlungen lassen sich 170 unmöglich beschreiben. Nach vielen Verwünschungen gegen Partridge und gegen sich selbst, befahl er dem armen Teufel, der im höchsten Grade erschrocken war, sogleich hinunter zu gehen und um jeden Preis Pferde zu miethen. Einige Minuten später, als er so schnell als möglich in seine Kleider gefahren war, eilte er ebenfalls die Treppe hinunter, um den Befehl selbst auszuführen, den er eben gegeben hatte.

Bevor wir aber erzählen, was bei seiner Ankunft in der Küche geschah, wird es nöthig sein, das zu erwähnen, was bereits geschehen war, seit Partridge auf den Ruf seines Herrn sich entfernt hatte.

Der Sergeant war eben mit seiner Mannschaft abmarschirt, als die beiden irischen Herrn aufstanden, herunter kamen und sich beschwerten, so oft durch den Lärm in dem Wirthshause geweckt worden zu sein, daß sie die Augen nicht hätten schließen können.

Der Kutscher, welcher die junge Dame und deren Dienerin gebracht hatte, kehrte nach Bath zurück, woher er war und erbot sich, als er hörte, daß Herr Macklachlan auch nach Bath reise, denselben zu einem sehr mäßigen Preise mitzunehmen. Zu diesem Anerbieten bewog ihn die Angabe des Hausknechtes, der sagte, das Pferd, welches Herr Macklachlan von Worchester gemiethet habe, würde lieber zu seinen Freunden daselbst zurückkehren als noch weiter reisen, da dieses Pferd mehr ein zweibeiniges als ein vierbeiniges Geschöpf sei.

Herr Macklachlan nahm den Antrag sogleich an und beredete auch seinen Freund Fitzpatrick, den vierten Platz in dem Wagen zu nehmen, was derselbe that, da er seine Frau gewiß in Bath zu finden glaubte und eine kleine Verzögerung also nicht schaden konnte.

Macklachlan, der wohl der klügste von beiden war, 171 hatte kaum vernommen, daß die Dame von Chester komme und die andern Umstände von dem Hausknecht erfahren, als es ihm einfiel, sie könne wohl die Frau seines Freundes sein, und er auch demselben seine Muthmaßung mittheilte, die dem Herrn Fitzpatrick nicht in den Sinn gekommen war, denn er gehörte zu den Menschen, welche die Natur in zu großer Eile schafft und denen sie deshalb etwas Hirn mitzugeben vergißt.

Sobald Macklachlan seine Vermuthung ausgesprochen hatte, stimmte Fitzpatrick ein; er eilte die Treppe wieder hinauf, um seine Frau zu überraschen, ehe er noch wußte, wo sie sich befand, und lief (wie es bisweilen geschieht) vergebens mit dem Kopf an mehrere Thüren und Säulen an. Nach einem langen und vergeblichen Suchen kehrte Herr Fitzpatrick endlich in die Küche zurück, wo, als gebe es wirklich eine Jagd, ein Herr mit Hallohrufen erschien. Derselbe war eben von seinem Pferde abgestiegen und ihm folgten mehrere Diener.

Hier, lieber Leser wird es nöthig sein, Dich mit einigem bekannt zu machen, was Du freilich auch schon wissen kannst, wenn Du klüger bist, als ich glaube. Es soll in den nächsten Kapitel geschehen.


 << zurück weiter >>