Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil III
Henry Fielding

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135 Siebentes Kapitel.

Enthält einen ausführlichern Bericht über Mad. Waters, wie über die Umstände, die sie in jene schreckliche Lage brachten, aus der Jones sie befreiete.

Obgleich die Natur keineswegs jedem menschlichen Herzen einen gleichen Theil von Neugierde oder Eitelkeit gegeben hat, so lebt doch vielleicht keine Person, der sie von beiden nicht so viel gegeben hätte, daß Kunst und Mühe dazu gehört, sie im Zaume zu halten, was jedoch von Jedem nothwendiger Weise geschehen muß, welcher einigermaßen für klug oder gut erzogen gelten will.

Da nun Jones mit Recht ein gut erzogener junger Mann genannt werden konnte, so hatte er auch jede Neugierde unterdrückt, welche die außerordentliche Art, wie er mit Mad. Waters bekannt geworden war, in ihm wohl hervorgerufen haben konnte. Zwar hatte er Anfangs gegen die Dame einige Male darauf angespielt, sich aber, sobald er bemerkte, wie sorgfältig sie einer Erklärung auswich, zufrieden gegeben, zumal er argwöhnte, es möchten irgendwie Umstände dabei im Spiele sein, die sie zum Erröthen zwingen müßten, wenn sie die ganze Wahrheit erzählen wolle.

Da es nun aber wohl möglich ist, daß einige unserer Leser sich nicht so leicht zufrieden geben, wir auch den Wunsch hegen, Alle zufrieden zu stellen, so haben wir uns besondere Mühe gegeben, um über die Sache klar zu werden, und mit der Erzählung derselben wollen wir denn dieses Kapitel beschließen.

Diese Dame hatte einige Jahre mit einem Capitain Waters gelebt, welcher Capitain in demselben Regimente war, welchem Northerton angehörte. Sie galt für die Frau 136 des Capitains und führte dessen Namen; dennoch zweifelte man einigermaßen, wie schon der Feldwebel erwähnt hat, ob sie auch wirklich getraut worden wären, was wir hier nicht weiter untersuchen wollen.

Mad. Waters hatte, wie ich leider gestehen muß, seit einiger Zeit ein vertrautes Verhältniß mit dem obenerwähnten Fähndrich angeknüpft, was ihrem Rufe freilich nicht sehr günstig sein konnte. Daß sie eine große Vorliebe für diesen jungen Mann besaß, ist eine ausgemachte Sache; ob es dabei wirklich zu verbrecherischen Vorfällen kam, läßt sich nicht so genau ermitteln, man müßte denn annehmen, die Frauen bewilligten einem Manne niemals jede Gunst bis auf eine, ohne ihm auch diese eine zu bewilligen.

Die Abtheilung von dem Regimente, zu welcher Capitain Waters gehörte, war der Compagnie Northerton's auf dem Marsche zwei Tage voraus, so daß die erstere Worcester gerade an dem Tage nach dem unglücklichen Vorfalle zwischen Jones und Northerton erreichte, den wir früher erzählt haben.

Mad. Waters und der Capitain waren übereingekommen, daß sie ihn auf seinem Marsche bis Worcester begleiten sollte, wo sie Abschied von einander nehmen wollten und von wo sie nach Bath zurückkehren sollte, um da bis zur Beendigung des Winterfeldzuges gegen die Rebellen zu bleiben.

Von dieser Verabredung wurde Northerton unterrichtet. Ja, um die Wahrheit zu sagen, die Dame hatte ihn gerade an den Ort bestellt und versprochen, in Worcester zu bleiben, bis seine Compagnie dahin käme; in welcher Absicht und zu welchem Zwecke muß dem Scharfsinne des Lesers überlassen bleiben, denn ob wir gleich Thatsachen erzählen müssen, so sind wir doch nicht verbunden, unserem Herzen Gewalt anzuthun und zum Nachtheile für den liebenswürdigsten Theil der Schöpfung Betrachtungen anzustellen.

Northerton hatte kaum seine Freiheit erlangt, wie wir gesehen haben, als er forteilte, um Mad. Waters einzuholen, was ihm denn auch in der letzterwähnten Stadt gelang, in welcher er ankam, nachdem sie Capitain Waters einige Stunden vorher verlassen hatte. Er machte kein Geheimniß aus dem unglücklichen Vorfalle, den er wirklich als sehr unglücklich darstellte, indem er Alles davon verschwieg, was ihm zum Nachtheile gereichen könnte, wenigstens vor einem Ehrengerichte, wenn auch Manches übrig blieb, was vor einem gewöhnlichen Gerichte nicht ohne Tadel würde hingegangen sein.

Die Frauen, zu ihrem Ruhme sei es gesagt, sind in höherem Maße als die Männer jener heftigen und anscheinend uneigennützigen Leidenschaft der Liebe fähig, welche nur das Gute ihres Gegenstandes sucht. Mad. Waters hatte also kaum von der Gefahr gehört, welcher ihr Geliebter ausgesetzt gewesen war, als sie Alles über seiner Sicherheit vergaß, und da dies für den Herrn eine ebenfalls angenehme Sache war, so besprachen sie sich denn Beide sogleich darüber.

Nach einer langen Berathung kamen sie endlich überein, daß der Fähndrich quer durch das Land nach Hereford gehen sollte, von wo er wohl Gelegenheit nach einem Seehafen in Wales finden und von da aus in das Ausland entfliehen könnte. Mad. Waters versprach, ihn auf dieser ganzen Reise zu begleiten, für welche sie ihm auch Geld, einen für Northerton sehr wichtigen Gegenstand, liefern konnte, da sie drei Banknoten in Betrag von gegen 400 Thlrn. nebst einigem klingenden Gelde besaß und einen Diamantring von ansehnlichem Werthe am Finger hatte. Dies gestand sie mit völligem Vertrauen dem schlechten Menschen, ohne im Geringsten zu muthmaßen, daß sie auf diese Weise in ihm die Absicht errege, sie zu berauben. Da sie nun, wenn sie von Worcester aus Pferde genommen, ihren Verfolgern 138 die Mittel in die Hand gegeben hätten, den Weg ausfindig zu machen, welchen sie eingeschlagen, so schlug der Fähndrich vor, was die Dame auch sogleich genehmigte, die erste Station zu Fuße zurückzulegen.

Der größte Theil des Gepäckes der Dame befand sich bereits in Bath und sie hatte nichts bei sich, als einige weiße Wäsche, die der Galan zu tragen versprach. Nachdem so am Abende Alles verabredet war, standen sie am nächsten Morgen frühzeitig auf und verließen um fünf Uhr Worcester, zur damaligen Jahreszeit zwei Stunden vor Tagesanbruch. Der Mond, welcher gerade schien, leuchtete jedoch hell genug.

Mad. Waters gehörte nicht zu den zarten Damen, welche es nur der Erfindung der Fuhrwerke verdanken, daß sie sich von einem Orte zum anderen bewegen können, und die also einen Wagen zu den Bedürfnissen des Lebens rechnen. Ihre Glieder waren kräftig und gewandt, und da es ihr ebensowenig an Muth gebrach, so konnte sie mit ihrem flinken Liebhaber recht wohl Schritt halten.

Nachdem sie einige Meilen auf der Landstraße gegangen waren, die, wie Northerton gehört haben wollte, nach Hereford führen sollte, gelangten sie mit Tagesanbruche an einen großen Wald, wo er mit einem Male stehen blieb, mit sich selbst zu Rathe zu gehen schien und seine Besorgnisse darüber aussprach, noch länger auf einer Landstraße zu gehen. Er beredete deshalb seine schöne Begleiterin leicht, ihn auf einem Wege zu folgen, der gerade durch den Wald zu führen schien und der sie endlich an den Fuß des Mozzard-Berges brachte.

Ob der abscheuliche Plan, den er hier auszuführen versuchte, die Folge früherer Ueberlegung war, oder ob er ihm jetzt erst in den Sinn kam, vermag ich nicht anzugeben. 139 Genug, sobald sie diese einsame Stelle erreicht hatten, wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach schwerlich gestört werden konnten, band er sich plötzlich das Knieband ab, packte die arme Frau und versuchte die schreckliche und abscheuliche That auszuführen, die wir früher erwähnten und welche durch das Erscheinen des Herrn Jones auf so glückliche Weise verhindert wurde.

Es war ein Glück für Mad. Waters, daß sie nicht zu den Schwächsten der Frauen gehörte, denn sie bemerkte kaum, als er eine Schleife in sein Knieband machte, und durch seine Erklärung, welche teuflische Absicht er hatte, als sie sich kräftig zur Wehr setzte und so mit ihrem Gegner kämpfte, und dabei so laut nach Hilfe rief, daß sie die Ausführung des Vorsatzes des Bösewichtes um mehrere Minuten verzögerte, und es dem Herrn Jones möglich machte, ihr gerade in dem Augenblicke zu Hilfe zu kommen, als die Kräfte sie verließen. Sie wurde also aus den Händen des Bösewichtes befreit, ohne etwas Anderes zu verlieren, als die Kleidungsstücke, welche ihr vom Leibe gerissen wurden, so wie den Diamantring, den sie im Kampfe entweder verlor, oder den ihr Northerton vom Finger zog.

So, lieber Leser, haben wir Dir das Resultat schwieriger Nachforschungen mitgetheilt, die wir um Deinetwillen anstellten. Wir eröffneten Dir damit zugleich ein Schauspiel von Thorheit und Schlechtigkeit, deren, wie man glauben möchte, die menschliche Natur gar nicht fähig sein sollte. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß jener Bösewicht damals den festen Glauben hegte, bereits einen Mord begangen und sein Leben dadurch vor dem Gesetz gefährdet zu haben. Da er deshalb meinte, er könne sich nur durch die Flucht retten, so glaubte er durch das Geld der Frau dieselbe zu erleichtern.

140 Bei dieser Gelegenheit müssen wir Dich, lieber Leser, dringend warnen, niemals aus den schlechten Handlungen eines solchen Bösewichtes einen Schluß auf eine so würdige und ehrenwerthe Gesellschaft von Männern zu ziehen, wie die Offiziere in unserer Armee im Allgemeinen sind.


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