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Funfzehntes Kapitel.

Wie Mistreß Towwouse etwas sanftmüthiger wird, und wie eifrig Herr Barnabas und der Chirurgus sich in der gerichtlichen Verfolgung des Diebes zeigen; nebst einer Dissertation, worin die Ursache ihres Eifers genügend erklärt wird, so wie der gleichen Theilnahme vieler andern in dieser Geschichte nicht erwähnten Personen.


Betty sagte der Wirthin, sie glaube, der Kranke im Bette sei gewiß ein vornehmerer Mann, als wofür man ihn halte; denn außer seiner ungemein weißen Haut, und seiner zarten Hände habe sie eine große Vertraulichkeit zwischen dem fremden Herrn und ihm bemerkt, und sie müßten genaue Bekannte wenn nicht gar Verwandte sein. Diese Mittheilung heiterte die strengen Züge der Mistreß Towwouse etwas auf. Sie sagte, davor solle sie Gott behüten, daß sie gegen den »armen Herrn,« der in ihr Haus gebracht worden, nicht jede Christenpflicht erfülle; sie habe allerdings eine natürliche Antipathie gegen Landstreicher, mit den Unfällen eines frommen Christen fühlte sie aber so gut Mitleiden wie irgend Jemand. – Towwouse sagte: »Wenn der Reisende wirklich ein vornehmer Herr ist, so werden wir doch später unser Geld bekommen, obgleich er jetzt nichts bei sich hat; schreibe daher nur immer an, mein Schatz!« – Hierauf entgegnete sie: »Schweig mit Deinen einfältigen Reden; ich werde schon selbst wissen, was ich zu thun habe. Das Unglück des armen Herrn geht mir sehr zu Herzen, und ich hoffe, der Bösewicht, der ihn so grausam zugerichtet hat, wird schon seinen Lohn am Galgen finden. Betty, geh, und frage, was er befiehlt. Der Himmel verhüte, daß es ihm in meinem Hause an etwas fehlen sollte!« –

Barnabas und der Chirurgus begaben sich zu dem Patienten, um über das Goldstück nähere Erkundigungen einzuziehen. Joseph konnte nur mit Mühe vermocht werden, es ihnen zu zeigen, aber er wollte es durchaus nicht aus der Hand geben. Er betheuerte jedoch, daß es dasselbe sei, welches man ihm geraubt, und Betty erklärte sich bereit, zu beschwören, daß man es bei dem Gefangenen gefunden habe.

Die einzige Schwierigkeit war nur noch, wie man dieses Gold dem Friedensrichter vorlegen solle; denn Joseph selbst zu ihm zu bringen, schien unmöglich, auch war keine große Wahrscheinlichkeit vorhanden, es von ihm zu erhalten, denn er hatte es mit einem Band an seinen Arm gebunden, und betheuerte feierlich, nur unwiderstehliche Gewalt solle ihn je davon trennen, in welchem Beschluß Herr Adams, der zugleich eine Faust ballte, die nicht viel kleiner war, als der Kniebug eines Ochsen, ihn unterstützen zu wollen erklärte.

Es entspann sich bei dieser Gelegenheit ein Streit über die nothwendige Beschaffenheit der Zeugnisse, worüber wir ausführlich zu berichten nicht für nöthig halten; dann verband der Chirurgus Josephs Kopf, wobei er zwar nochmals auf die dringende Gefahr, worin sein Patient schwebe, aufmerksam machte, doch mit einem sehr bedeutsamen Blick hinzufügte: »Er beginne, einige Hoffnung zu nähren, und werde einen sanativen Schlaftrunk senden, und am nächsten Morgen wieder nach seinem Kranken sehen. Hierauf entfernte er sich mit Barnabas, und ließ Joseph mit Herrn Adams allein.

Dieser unterrichtete nun den Kranken von dem Grund seiner Reise. Er wollte nemlich nach London, um dort drei Bände Predigten in Druck zu geben, wozu er, wie er sagte, durch die vor kurzem erschienene Ankündigung einer Gesellschaft von Buchhändlern aufgemuntert worden, die sich erboten, Manuscripte für einen von zwei Sachkundigen festzustellenden Preis anzunehmen; und obgleich er bei dieser Gelegenheit ein hübsches Sümmchen zu erhalten hoffe, dessen seine Familie sehr bedürftig sei, so werde er doch auf keinen Fall Joseph in dessen gegenwärtigem Zustande verlassen. Schließlich sagte er noch, daß er neun Schillinge und drei ein halb Pence in seiner Tasche habe, womit er gern zu Diensten stehe.

Die Gutmüthigkeit des biedern Pfarrers trieb dem Kranken die Thränen in die Augen; er sagte: jetzt habe er einen zweiten Grund, sich das Leben zu wünschen, damit er seine Dankbarkeit gegen einen so edlen Freund darlegen könne. Adams sprach ihm Muth zu, denn er sei überzeugt, daß der Chirurgus, abgesehen von dessen Unwissenheit, sich aus seiner Kur ein Verdienst zu machen suche, denn er habe bemerkt, daß die Wunden an seinem Kopf keineswegs gefährlich seien; auch sei seiner Ueberzeugung nach durchaus kein Fieber vorhanden, und er zweifle nicht, daß Joseph in einem Tage oder in zweien die Reise werde fortsetzen können.

Diese Worte flößten dem Kranken neuen Muth ein; er sagte, er fühle noch Schmerzen an den Beulen, doch habe er nicht Grund zu glauben, daß ein Knochen verletzt sei, oder er überhaupt innern Schaden gelitten habe; nur in seinem Magen scheine ihm nicht Alles richtig; doch wisse er nicht, ob das nicht daher komme, daß er seit mehr als vierundzwanzig Stunden keinen Bissen genossen habe. Auf die Frage, ob er Eßlust verspüre, antwortete er bejahend, und als Pfarrer Adams ihn aufforderte zu sagen, ob er ein weichgesottenes Ei oder Hühnerbrühe vorziehe, erwiederte Jener, daß er zwar zu beiden Lust habe, doch noch mehr zu einem Stück Rindfleisch und einer Schüssel Kohl.

Adams freute sich nicht wenig über eine so vollkommene Bestätigung seiner Vermuthung, daß nicht im geringsten Fieber vorhanden sei, rieth ihm aber für diesen Abend zu einer leichtern Diät. Joseph speis'te dem gemäß ein Stückchen Kaninchenbraten oder Rebhuhn (ich habe nur einigermaßen sichere Auskunft erhalten können, ob es eins oder das andere war); dann ward er auf der Mistreß Towwouse Befehl in ein besseres Bett gebracht, und ihm eins von den Hemden ihres Mannes bewilligt.

Schon am frühen Morgen kamen Barnabas und der Chirurgus in das Wirthshaus, um den Gefangenen vor den Richter führen zu lassen. Sie hatten die ganze Nacht überlegt, welche Maßregeln zu nehmen seien, um das Goldstück als Beweis gegen den Bösewicht vorzubringen; denn beide waren in dieser Angelegenheit mit dem größten Eifer beseelt, obgleich keiner von ihnen persönlich dabei interessirt sein konnte, da sie nie mit dem Delinquenten zu thun gehabt, noch überhaupt einer von ihnen je in dem Ruf gestanden, aus reiner Menschenliebe dem Publiko mit einer Predigt oder mit Pillen umsonst zu dienen geneigt zu sein.

Um unsere Leser daher so schnell als möglich über diesen Eifer aufzuklären, müssen wir ihm berichten, daß, da dieses Kirchspiel das Unglück hatte, keinen Rechtsgelehrten zu besitzen, die beiden Lehrer im moralischen und im physischen Fache von jeher über ihre Fähigkeiten in einer Wissenschaft, wovon sie beide nichts verstanden, und mithin gleiche Ansprüche hatten, ihre Meinungen zu vertheidigen, im Streite lebten. Diese Fehden wurden von beiden Seiten mit äußerster Erbitterung geführt, und hatten fast das ganze Dorf entzweit; indem Herr Towwouse und die eine Hälfte der Nachbarn für den Chirurgus, Mistreß Towwouse aber mit der andern Hälfte für den Pfarrer stimmte. Der Wundarzt schöpfte seine Kenntnisse aus jenen unschätzbaren Quellen, »des Advokaten Taschengefährte,« und »Jakobs Gesetztafeln«; Barnabas hingegen verließ sich gänzlich auf »Woods Institutionen.« Es begab sich bei dieser Gelegenheit, wie überhaupt in den meisten Fällen, daß die beiden gelehrten Herren über die Hinlänglichkeit des Beweises verschiedener Ansicht waren, indem der Wundarzt behauptete, der Schwur der Magd werde auch ohne Vorzeigung des Goldstücks den Gefangenen überführen, der Pfarrer dagegen contra, totis viribus. Der einzige Beweggrund, den wir daher für den Eifer, welchen beide für die Sache der öffentlichen Gerechtigkeit zu haben vorgaben, entdecken können, war, ihre juristischen Kenntnisse vor dem Friedensrichter und der Gemeinde leuchten zu lassen.

O Eitelkeit! wie wenig wird deine Kraft erkannt, wie wenig werden deine Wirkungen durchschaut! wie muthwillig täuschest du die Menschen unter verschiedenen Masken! Jetzt trägst du die des Mitleids, dann die der Großmuth; ja du hast selbst die Keckheit, dich mit jenen glorreichen Zierrathen zu schmücken, die nur der Heldentugend gebühren. Du hassenswerthes entstelltes Ungeheuer, das Priester geschmäht, Philosophen verachtet, Dichter verspottet haben; ist noch irgend ein Nichtswürdiger so verworfen, daß er öffentlich seine Bekanntschaft mit dir eingestände? – Und doch, wie wenige werden sich weigern, im geheim sich deinem Umgang hinzugeben; ja, du begleitest sogar die meisten Menschen durch ihr ganzes Leben. Dir zu Liebe werden täglich die größten Schlechtigkeiten verübt, und der gemeinste Spitzbube entgeht eben so wenig deiner Aufmerksamkeit, als der berühmteste Held. Deine Umarmungen sind oft das einzige Ziel, der einzige Lohn des unbedeutendsten Diebstahls, wie der geplünderten Provinz! Um dir zu huldigen, du unkeusche Dirne, suchen wir Andern zu entziehen, was wir nicht bedürfen, oder ihnen vorzuenthalten, was ihnen gebührt. Alle unsere Leidenschaften sind deine Sklaven! Selbst der Geiz ist oft nur deine Dienerin, und die Wollust nur deine Gelegenheitsmacherin. Die scheue Furcht entflieht vor dir wie ein Feigling, und Freude und Gram verbergen in deiner Gegenwart ihre Häupter.

Ich weiß, du wirst denken, indem ich dich schmähe, mache ich dir den Hof, und nur die Liebe zu dir habe mich begeistert, diese sarkastische Lobrede auf dich zu schreiben; doch du täuschest dich; du hast für mich nicht den geringsten Werth, und es soll mich durchaus nicht kümmern, wenn du dem Leser etwa vermagst diese Abschweifung als anmaßenden Unsinn zu tadeln; denn wisse zu deiner Beschämung, daß ich dich aus keinem andern Grunde hier eingeführt habe, als um ein kurzes Kapitel zu verlängern; und so kehre ich denn zu meiner Geschichte zurück.


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