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Wie Joseph Andrews an seine Schwester Pamela schrieb.
»An Mistreß Pamela Andrews, dermalen beim Squire Borby.
Geliebte Schwester!
Seitdem ich Deinen Brief mit der Nachricht von dem Tode Deiner guten gnädigen Frau erhielt, haben wir ein ähnliches Unglück in unserm Hause erlebt. Mein würdiger Herr, Sir Thomas, ist vor vier Tagen gestorben, und was noch schlimmer ist, meine arme gnädige Frau ist bestimmt verrückt geworden. Keiner von uns Dienstleuten glaubte, daß sie sich's so zu Herzen nehmen würde, denn so lange er lebte, zankten sie sich fast alle Tage; doch hiervon nichts weiter, denn Du weißt, Pamela, ich mochte nie die Geheimnisse meiner Herrschaft ausschwatzen; aber du mußt ja gesehen haben, wie sie gegen einander gesonnen waren, und ich habe selbst mehr als tausendmal gehört, wie die gnädige Frau dem Herrn den Tod wünschte; aber Niemand weiß was es heißt, einen Freund zu verlieren, als bis er ihn nicht mehr hat.
Sage Niemanden was davon, denn ich möchte nicht, daß man mir nachsagte, ich hätte etwas aus dem Hause ausgeschwatzt; aber wäre es nicht eine so vornehme Dame gewesen, so müßte ich fast glauben, daß sie ein Auge auf mich geworfen hätte. Liebe Pamela, sag's ja keinem Menschen; aber sie befahl mir, mich an ihr Bett zu setzen, als sie im bloßen Hemde darin lag; und da nahm sie meine Hand, und sprach mit mir grade so, wie eine Dame mit ihrem Liebhaber in einer Komödie that, die ich in Coventgarden habe spielen sehen, als sie was Unerlaubtes von ihm verlangte.
Wenn die gnädige Frau wirklich verrückt ist, so werde ich wohl nicht mehr lange bei ihr bleiben; da möchte ich Dich denn sehr bitten, daß Du mir bei dem Squire oder einem andern Herrn in der Gegend einen Dienst verschafftest, es sei denn, daß Du wirklich, wie die Rede geht, den Pfarrer Williams heirathest; dann möchte ich gern sein Kantor werden, wozu ich, wie Du weißt, zu gebrauchen bin, da ich gut lesen und meinen Psalm absingen kann.
Ich denke, ich werde wohl bald meinen Abschied bekommen, und sobald es geschieht, kehre ich, wenn ich nichts weiter von Dir höre, nach dem Gut meines alten Herrn zurück, wäre es auch nur, den Herrn Adams zu besuchen, der einer der besten Menschen in der Welt ist. London ist ein schlechter Ort, und hier ist so wenig gute Kameradschaft, daß die nächsten Nachbarn sich nicht einmal kennen. Grüße vielmals alle Freunde und Bekannten, die sich nach mir erkundigen; ich verbleibe
Dein dich liebender Bruder
Joseph Andrews.«
Sobald Joseph diesen Brief versiegelt und die Adresse geschrieben hatte, ging er die Treppe hinab, wo ihm Mistreß Slipslop begegnete, mit welcher den Leser ein wenig näher bekannt zu machen wir diese Gelegenheit benutzen wollen. Sie war eine Jungfer von etwa 45 Jahren und bis auf einen kleinen Fehltritt in ihrer Jugend, bisher von mekellosem Wandel gewesen. Man konnte sie nicht besonders schön nennen; denn sie war sehr klein und dabei etwas stark untersetzt. Ihr ziemlich hochrothes Gesicht zeigte mehrere Pockennarben; ihre Nase mochte wohl etwas zu dick sein, und ihre Augen waren jedenfalls zu klein; auch glich sie einer Kuh nicht so sehr in ihrem Athem, als in zwei bräunlichen Halbkugeln, welche sie vor sich trug; ferner war das eine Bein etwas kürzer, als das andere, so daß sie im Gange ein wenig hinkte. Dieses liebreizende Geschöpf hatte längst seine Augen auf Joseph geworfen, doch ohne den guten Erfolg, den sie vermuthlich wünschte, obgleich sie die Macht ihrer angebornen Reize durch reiche Gaben von Thee, Confect, Wein und vielen andern Leckerbissen, über welche sie unbedingt verfügte, da ihr das Amt der Schlüssel anvertraut war, kräftig zu unterstützen gesucht. Joseph hatte jedoch alle diese Gunstbezeugungen nicht mit dem mindesten Danke, nicht einmal mit einem Kuß belohnt, wenn ich auch nicht unterstellen möchte, daß sie sich mit so Wenigem begnügt haben dürfte, denn unstreitig würde dies nimmer noch ein sehr undankbares Benehmen seinerseits gewesen sein. Die Wahrheit zu gestehen, sie war in einem Alter, worin sie glaubte, sich manche Freiheiten mit einem Mann erlauben zu dürfen, ohne daß sie dabei Gefahr liefe, eine dritte Person zur Welt zu bringen, welche sie verrathen könnte. Sie meinte durch eine so lange Selbstverläugnung nicht allein für jenen oben angedeuteten kleinen Fehltritt in ihrer Jugend hinlänglich gebüßt, sondern auch einen reichen Schatz von Verdienst für etwaige fernere Verirrungen gesammelt zu haben. Mit einem Wort, sie beschloß, ihren verliebten Neigungen den Zügel schießen zu lassen, und die Schuld des Genusses, mit der sie sich so sehr in Rückstand zu sein glaubte, so schnell als möglich an sich selbst abzutragen.
Mit solchen persönlichen Reizen und in solcher Stimmung begegnete sie unserm Helden unten an der Treppe, und fragte ihn, ob er nicht ein Glas von etwas Gutem trinken wolle. Joseph, der nicht wenig niedergeschlagen war, ging gern und dankbar auf das Anerbieten ein, und folgte ihr in ein Kabinet, wo Mistreß Slipslop, nachdem sie ihm ein Glas Retefia eingeschenkt, und ihn zum Sitzen genöthigt hatte, also anhub:
»Sicherlich kann ein Frauenzimmer nicht schlimmer proponirt sein, als wenn es seine Affecten auf einen jungen Menschen wirft. Hätte ich je geglaubt, daß das mein Schicksal sein würde, so wäre ich tausendmal lieber gestorben, als den Tag zu erleben. Sind wir einem Manne gut, so dürfen wir es uns nicht durch den kleinsten Blick merken lassen. Ein junger Mensch hingegen applizirt sich und bricht durch alle Schranken der Essenz, ehe wir errathen dürfen, daß er die geringste Oppression auf uns gemacht hat.«
Joseph, der von allem dem kein Wort verstand, antwortete: »Ja Mademoiselle.« –
»Ja Mademoiselle!« wiederholte Mistreß Slipslop mit einiger Wärme; »wollen Sie etwa meine Liebe resultiren? Ist's nicht genug, Undankbarer, gegen alle die Gefälligkeiten, die ich Ihnen insinuirt habe, unempfindlich zu bleiben, und wollen Sie mich noch obendrein ironiren? Grausames Ungeheuer! womit habe ich's verdient, daß meine Zärtlichkeit resultirt und ironirt werden soll?« –
»Mamsell,« entgegnete Joseph, »ich verstehe von Ihren ausländischen Worten nichts, eben so viel ist sicher, daß Sie nicht Ursache haben, mich undankbar zu nennen, denn ich hatte nie etwas Schlimmes gegen Sie im Sinne, sondern im Gegentheil, ich bin Ihnen immer so gut gewesen, als wären Sie meine leibliche Mutter.« –
»Wie,« schrie Mistreß Slipslop voll Wuth, »Ihre leibliche Mutter? Wollen Sie damit asimciren, ich wäre alt genug, um Ihre Mutter sein zu können? Ich weiß nicht, was solch ein gelbschnäblichtes Bürschchen denken mag, aber ich glaube, ein erwachsener Mann würde mich noch immer dem ersten besten einfältigen jungen Gänschen vorziehen. Doch ich sollte Sie eher verachten, als böse darüber sein, daß Sie den Umgang mit solchen halben Kindern den mit einem vernünftigen Frauenzimmer referiren.« –
»Mamsell,« versetzte Joseph, »ich habe gewiß immer die Ehre geschätzt, daß Sie mich Ihres Umgangs würdigten, denn ich weiß wohl, wie viel Gelehrsamkeit Sie besitzen.« –
»Ja, aber Joseph,« erwiederte sie, etwas besänftigt durch dieses Compliment über ihre Gelehrsamkeit, »wenn Ihnen wirklich an meinem Umgang gelegen wäre, so würden Sie wohl Mittel und Wege gefunden haben, mir's zu beweisen, denn ich bin dissuadirt, Sie müssen wohl einsehen, wie viel ich auf Sie halte. Ja Joseph, meine Augen, ich mag wollen oder nicht, müssen schon erklärt haben, was ich nicht repressiren kann. – O Joseph!« –
Wie eine hungrige Tigerin, die lange die Wälder vergebens nach Raub durchstreifte, wenn sie plötzlich vor ihren Krallen ein Lamm erblickt, und im Begriff steht, darauf zuzustürzen, oder wie ein gefräßiger Hecht von Riesengröße durch das feuchte Element einen Schmerl oder einen Gründling gewahrt, der seinem Rachen nicht entgehen kann, ihn weit öffnet, um das arme Fischchen zu verschlingen; also rüstete sich Mistreß Slipslop, gewaltthätige Hände an den armen Joseph zu legen, aber glücklicherweise schallte jetzt die Klingel ihrer Gebieterin, und rettete den zum Märtyrer ihrer heftigen Leidenschaft Erkornen aus ihren Krallen. Sie mußte schnell von ihm ablassen, und die Ausführung ihres Vorhabens auf eine andere Zeit verschieben. Wir wollen jetzt zur Lady Borby zurückkehren, und dem Leser deren Benehmen schildern, nachdem sie von Joseph in einer nicht viel bessern Stimmung, als die verschmähte Slipslop, verlassen worden war.