Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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70 Ein neuer Freund und ein früherer Feind

Der Fluß brauste noch über die Stelle, wo die beiden Feinde eben verschwunden waren, und die beiden Jäger warfen erstaunte und unruhige Blicke um sich her, ohne sich von den Ereignissen, die sich so plötzlich zugetragen hatten, Rechenschaft geben zu können. Sie wußten nicht, ob sie von Freunden oder Feinden umgeben seien, als plötzlich auf mehreren Punkten des Ufers ein halbes Dutzend schwarzer Körper fast zu gleicher Zeit in den Fluß tauchten.

Dies war ein neuer Gegenstand der Überraschung für Pepe und den Kanadier, vor deren Augen die Finsternis bis jetzt diese Krieger verborgen hatte; aber es war eine schmerzliche Überraschung, denn sie fürchteten, daß es Feinde ihres jungen Verbündeten sein möchten, und sie wagten ihre Büchsen in diesem blutigen Kampf nicht mitsprechen zu lassen, aus Furcht, vielleicht Freunde zu treffen.

Der Kampf war jetzt vom festen Land in den Schoß des Flusses verlegt worden. Eine unglaubliche Masse halb untergegangener Bäume, die noch zu viele Zweige hatten, um durch die schmale Öffnung dieses unheilbringenden Passes dringen zu können, wurden langsam von der Flut stromab geführt und trieben, einer nach dem anderen, an die engen, steilen Ufer. Zwischen diesen Bäumen kamen die Taucher bald wieder an die Oberfläche. Die beiden Jäger folgten, die Büchse in der Hand, das Herz von tausend verschiedenen Gefühlen aufgeregt, mit glühenden Augen den schwarzen, schweigenden Schatten der Schwimmer. Die einen suchten das Netz von Zweigen, das ihre Bewegungen hemmte, zu beseitigen; die anderen erreichten mit kräftigen Stößen eine Stelle im Fluß, wo zwei in verzweifeltem Ringen verschlungene Körper auf der finsteren Oberfläche des Red River bald erschienen, bald verschwanden.

Die Überraschung der beiden Jäger wurde bald noch größer durch den Anblick einer neuen Person – aber dies war eine freudige Überraschung. Ein Weißer wie sie eilte plötzlich aus einem Versteck herbei, wo er bis zu diesem Augenblick verborgen gewesen war, und rief in gutem Spanisch: »Mut, Kinder, hier ist er! Seht, dort kommt er wieder an die Oberfläche!« Und er bezeichnete mit der Spitze eines langen Degens, den er in der Hand hielt, den Ort im Fluß, wo die beiden Krieger, für die er sich interessierte, nachdem sie vom brausenden Wasser verschlungen worden waren, immer noch ringend wieder auf der Oberfläche erschienen.

»Ah, demonio! Das ist doch Pedro Diaz!« rief Pepe lebhaft.

»Gott sei gelobt! Wir sind in Freundesland«, fügte der Kanadier mit einem tiefen Atemzug aus seinen gewaltigen Lungen hinzu.

»Wer ruft mich?« erwiderte Pedro Diaz – denn er war es wirklich –, ohne sich umzuwenden, und zeigte fortwährend mit der Spitze seines Degens auf die beiden zusammen schwimmenden Körper.

Niemand antwortete; die Aufmerksamkeit der beiden Jäger war durch das Schauspiel, das sich unter ihren Augen zutrug, ganz in Anspruch genommen.

Drei Schwimmer hatten endlich die beiden wütenden Kämpfer ergriffen, und drei Messer tauchten zu gleicher Zeit in den Körper des einen von ihnen. Dieser öffnete die Arme und verschwand unter dem Wasser, während der andere einen erstickten Schrei ausstieß und ebenso unbeweglich wie der Feind, der eben leblos im Fluß untergegangen war, an das Ufer gezogen wurde.

Es war Zeit, denn der junge Komantsche, den man einige Augenblicke nachher auf das steile Ufer legte, gab kein anderes Lebenszeichen mehr von sich als ein schwaches Erbeben. Alle neigten sich auf ihn nieder und warteten begierig auf die Rückkehr des Atems. Rayon-Brûlant war viel weniger von seinem Feind als vom Wasser erstickt worden, und nach einiger Zeit kehrte das Leben allmählich in seine Brust zurück.

»Ah, Ihr seid es, Señor Bois-Rosé, und Ihr auch, Señor Pepe!« rief Pedro Diaz aus, als der Zustand des Komantschen ihm keine Sorge mehr machte. »Ihr seid also diesen Räubern entkommen? Und Ihr auch, Gayferos? Nun, das nenne ich einen glücklichen Tag! Aber«, fuhr der Mexikaner fort, »ich sehe bei Euch ...« Und Diaz schien mit den Augen jemand zu suchen, der bei diesem Zusammentreffen fehlte.

»Gott hat seine Hand über mich ausgestreckt«, sagte der alte Waldläufer; »er hat den Vater von seinem Sohn getrennt.«

»Er ist tot?« rief Diaz aus.

»Er ist Gefangener!« fügte Bois-Rosé schmerzlich hinzu.

»Aber Gott sei Dank, wir sind auf der Spur Don Fabians von Mediana«, fuhr der Grenzjäger lebhaft fort, »und wir haben die Schelme bei der Verfolgung so geschwächt, daß wir ihn ihren Klauen entreißen werden.«

Pepes Stimme und sein Vertrauen auf den glücklichen Ausgang ihres Unternehmens waren immer für den alten Gefährten seiner Abenteuer wie ein auf seine Wunden gegossener wohltuender Balsam, und Bois-Rosé gewann nach diesem Augenblick der Trauer bald wieder seine tatkräftige Zuversicht und seine stoische Ergebenheit in das Schicksal.

Mit Ausnahme einer langen, aber nicht sehr tiefen Schmarre auf der Brust war der junge Komantsche jetzt frisch und gesund, obwohl noch zu schwach, um seinen Marsch wieder beginnen zu können. Von zehn Kriegern, die er mitgebracht hatte, blieben ihm noch sieben und standen abermals vereinigt unter seinem Befehl. Der junge Häuptling mit seinen Kriegern und die vier Weißen bildeten sonach eine kriegerische, entschlossene Truppe von zwölf Streitern.

Nachdem man eine Stunde am Ufer des Flusses geschlafen hatte, fing der erste Schimmer der Morgendämmerung an, den Wald zu erleuchten. Rayon-Brûlant hatte sich vollständig erholt, und die Truppe beschloß, sich wieder auf den Weg zu machen. Da die Apachen trotz ihrer Flucht in der Umgegend verstreut liegen und einen Racheversuch machen konnten, war Bois-Rosé der Ansicht, daß man, anstatt die kleine Schar durch das Absenden einiger Mann zum Herbeischaffen des Kanus zu schwächen, den Fluß, ohne sich zu trennen, wieder hinaufgehen müsse, da man sonst leicht überfallen werden könnte.

Obgleich das Kanu zu klein war, um zwölf Männer zu tragen – es hätte kaum zehn zu tragen vermocht –, so war es doch immer noch die schnellste und bequemste Art, vorwärts zu kommen, da man einmal keine Pferde hatte. Um lange Strecken zurückzulegen, war es freilich weniger schnell als die Beine eines flüchtigen Fußgängers; aber es bot doch wenigstens den Vorteil, daß die Reisenden abwechselnd den so notwendigen Schlaf genießen konnten, ohne anzuhalten und kostbare Zeit zu verlieren.

Diesem unschätzbaren Vorteil verdankte es Bois-Rosé, daß er Tag und Nacht den Spuren Fabians folgen und so die Augenblicke wieder hereinbringen konnte, die verlorengegangen waren, ehe man die Verfolgung, die allem Anschein nach beim nächsten Sonnenuntergang ihr Ende erreicht haben mußte, angefangen hatte. Mit einer Mischung von inniger Freude und nicht weniger lebhafter Besorgnis sah daher der Kanadier die ersten Strahlen dieser Sonne durch den Wald brechen, die bei ihrem Untergang ohne Zweifel einen langen blutigen Kampf beleuchten mußte, dessen unschätzbarer Preis Fabians Leben sein sollte.

Die kleine Schar folgte dem Lauf des Flusses, dessen Wellen im hellen Licht des Tages glänzten, und brauchte nicht mehr als eine halbe Stunde dazu, um denselben Weg wieder zurückzulegen, den sie in der vergangenen Nacht mit allen durch die Vorsicht gebotenen Umwegen gemacht und der sie beinahe zwei Stunden gekostet hatte.

Das Kanu lag noch unberührt im Schutz der Gesträuche, denen man es anvertraut hatte; man brachte es wieder ins Wasser. Zwei Indianer gingen als Späher an jedem Ufer des Flusses voraus, und die acht Krieger setzten sich in das Kanu aus Büffelhaut. Pepe und der Kanadier ergriffen die Ruder, und der Nachen glitt abermals den Fluß hinunter; einige Minuten jedoch vor der Stelle, wo er den Engpaß bildete, mußte man das Kanu noch einmal aus dem Wasser ziehen. Die von den Indianern in den Fluß geworfenen Bäume wurden hier von den abschüssigen Ufern zusammengedrängt und verstopften wie ein schwimmender Wald den ganzen Strom, dessen Gewässer das plötzliche Hindernis, dem sie begegneten, umbrausten.

Bei ihrer Ankunft am Engpaß konnten sie die Größe der Gefahr übersehen, der sie durch den Scharfsinn des alten Waldläufers entgangen waren. Das Kanu aus Büffelhäuten wäre im Rücken durch den schwimmenden Wald, der schweigend der Strömung des Flusses folgte, eingeschlossen worden und hätte unmöglich zurückweichen oder vorwärts dringen können; eine feste Barrikade aus anderen Baumstämmen war mitten durch den Engpaß gebaut, so daß man nicht hindurchfahren konnte. Die auf den beiden Seiten des zerrissenen Bogens und auf beiden Ufern versteckten Indianer hatten das Leben aller, die im Kanu fuhren, in den Händen und hätten sie bis zum letzten Mann mit Pfeil- und Büchsenschüssen aufgerieben, ohne daß diese dem Hinterhalt, in den sie gefallen waren, hätten entfliehen können.

»Siehst du«, sagte Bois-Rosé zu Pepe, indem er einen raschen Blick auf das Netz von Zweigen und Baumstämmen warf, das den Paß versperrte, »die Indianer haben das vorgestrige Ungewitter benützt und alle durch die Gewalt des Sturms entwurzelten Bäume in den Strom geworfen. Sie brauchten sie nur herbeizuschleppen und in den Fluß zu stürzen. Wir müssen ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, der Streich war gut ausgedacht.«

Es blieb nur noch zu wissen übrig, wie Rayon-Brûlant seine Krieger wiedergefunden hatte und wie die Apachen selbst in die Schlinge, die sie gelegt hatten, gefallen waren. Während die Schiffer, nachdem sie das Kanu auf ihren Schultern hundert Schritt über den Engpaß hinausgetragen hatten, den Red River hinunterfuhren und die Ruder tüchtig gebrauchten, um die Red Fork zu erreichen, wo sie die beiden Piraten der Prärien zu überfallen und ihnen ihren Gefangenen lebendig zu entreißen gedenken, wollen wir eine kurze Erzählung der Ereignisse geben.

Nachdem Rayon-Brûlant die Spuren seiner Kriegerschar wiedergefunden und sich von den drei Jägern, seinen Verbündeten, getrennt hatte, war er diesen Spuren gefolgt. Je weiter er vordrang, um so frischer und deutlicher wurden diese Spuren, deren Datum die Indianer wie die Waldläufer mit weißer Haut mit wunderbarer Genauigkeit bestimmen können. Als der junge Komantsche nicht weit von der Stelle anlangte, wo die Apachen im Hinterhalt lagen, hatte er trockene Blätter gefunden, die sozusagen noch unter dem Gewicht des Fußes, der sie niedergetreten hatte, zitterten.

Jetzt hatte er das Geschrei der Eule ausgestoßen, das die Verbündeten für den Vorläufer der Morgenröte hielten; es lag aber in diesem Geschrei des Nachtvogels eine gewisse Abweichung, die dem Ohr Bois-Rosés entging und die nur diejenigen allein verstanden, deren Aufmerksamkeit zu wecken sie bestimmt war.

Rayon-Brûlant hatte sich nicht in der Voraussetzung getäuscht, daß seine Krieger sich nicht weit von ihm befänden. Die Komantschen hatten die Spur der Apachen entdeckt und verfolgt, als jenes besondere Geschrei, das durch das Schweigen des Waldes zu ihnen drang, sie von der Ankunft ihres Häuptlings benachrichtigte. Die Antwort ließ nicht auf sich warten, und nach einigen Minuten hatten sich sechs Indianer bei ihrem Häuptling eingefunden. Dieser hatte seine Schar in drei Abteilungen geteilt.

Die erste Abteilung, aus zwei Mann bestehend, war zum Ufer des Flusses gegangen. Hier hatten sich die beiden hinter einen stromabwärts schwimmenden Baumstamm geduckt und ließen sich unerschrocken von der Strömung mitten unter ihre Feinde treiben, die sie angreifen wollten.

Während dieser Zeit setzte Rayon-Brûlant mit zwei anderen Kriegern jenseits des Engpasses über den Fluß und legte sich auf dem linken Ufer am Fuß eines hohen Abhangs in einen Hinterhalt, der dem von den beiden steilen Ufern zerrissenen Bogen gleichsam als Pfeiler diente.

Endlich nahmen auch die zwei anderen Komantschen eine ähnliche Stellung auf dem rechten Ufer ein.

Sobald der junge, tapfere Häuptling annehmen konnte, daß die beiden Indianer, die sich der Strömung anvertraut hatten, nicht mehr weit vom Paß entfernt oder schon wirklich bei diesem angelangt seien, hatte er zugleich mit seinen Kriegern auf der anderen Seite schweigend das steile Ufer erstiegen, auf dessen Gipfel die Apachen ohne Argwohn begierig auf die Ankunft des Kanus lauerten.

Einige Schüsse wurden nun in solcher Nähe abgefeuert, daß jeder einen Feind getötet oder verwundet hatte; das Geheul der Stürmenden schien aus dem Mund von zwanzig Kriegern hervorzubrechen, und Schrecken ergriff die Apachen. Die Mehrzahl war überrascht, erschreckt von diesem ebenso plötzlichen als wütenden Angriff und hatte die Flucht ergreifen wollen; da sie aber ihren Rückzug durch Feinde abgeschnitten fanden, deren geringe Anzahl sie in der Nacht nicht zählen konnten, so hatten sie sich in den Fluß gestürzt. Dort hatten die beiden Indianer auf ihrem gestrandeten Baumstamm zwei oder drei von ihnen niedergemacht und den nächtlichen Schrecken der Apachen bis zum höchsten Punkt gesteigert.

Rayon-Brûlant hatte allein, die Streitaxt in der Hand, das Ufer erstiegen, während seine Krieger sich unvorsichtig genug der Verfolgung der Flüchtlinge überlassen hatten. Ihm gegenüber war Antilope ganz allein von seinen Kriegern zurückgeblieben und hatte endlich die Feinde zählen können, mit denen sie zu tun hatten.

Der Apache beschloß, sich wenigstens an dem Renegaten seiner Nation zu rächen, dessen Feindschaft seinem Stamm schon so unheilbringend geworden war, und es wäre ihm, wie man gesehen hat, gelungen, wenn die Komantschen nicht ihre unnütze Verfolgung aufgegeben hätten und so rasch und zu rechter Zeit ihrem Häuptling zu Hilfe gekommen wären.

Nachdem Bois-Rosé abermals dem jungen Komantschenhäuptling zu seinem Sieg Glück gewünscht hatte, war für ihn auf dieser Seite nichts mehr zu erfahren. Er fragte nun Pedro Diaz nach den Abenteuern, infolge derer er mit den Kriegern Rayon-Brûlants zusammengetroffen war. Diaz erzählte es ihm mit wenigen Worten.

Nachdem er den drei Jägern auf dem Gipfel ihrer Pyramide die unvollständige Warnung zugerufen hatte, wonach sie auf ihrer Hut sein sollten, war er fast aufs Geratewohl in der Richtung der Red Fork umhergeirrt. Seinen eigenen Hilfsmitteln überlassen, hatte der Abenteurer, der mehr ein unerschrockener Parteigänger als ein geschickter Jäger war, bald ebenfalls die Angriffe des Hungers gefühlt. Am Ende des zweiten Tagesmarsches hatte er die Kräfte seines Pferdes bei der Verfolgung von Büffeln und Hirschen fast erschöpft, ohne irgendeinen erreichen zu können.

Der Abenteurer war ein Raub der schmerzlichen Qualen des Hungers, als er am Abend des zweiten Tages nicht weit vom Red River ausruhte, dessen wirkliche Richtung er verloren hatte. Das Pferd war glücklicher als sein Reiter, der vergeblich einige wilde Früchte oder Wurzeln suchte, um seinen Hunger zu täuschen; es weidete ruhig in einiger Entfernung von Diaz, als dieser zwei oder drei Büchsenschüsse weit ein Tier erblickte, das er einen Augenblick seiner Größe nach für irgendeinen fern von seiner Herde verlaufenen Büffel hielt. Die Dunkelheit fing schon wieder an, sich über die Erde auszubreiten, und der Abenteurer dankte dem Himmel für den glücklichen Zufall, der ihm eines der bis jetzt so vergeblich verfolgten Tiere zuführte, als ein schreckliches Brummen ihn enttäuschte.

Plötzlich verwandelte sich der Büffel vor Diaz' erschreckten Augen in einen Grauen Bären von kolossaler Größe. Durch eine Veränderung, die nur die natürliche Folge war, war der Jäger plötzlich zum Wild geworden, das der schreckliche Bewohner der Steppe zu erreichen sich bemühte. Der Bär, der, so schwerfällig er auch zu sein schien, in Wirklichkeit nichtsdestoweniger sehr schnell war, ging auf Diaz los. Der Abenteurer zog sich zu seinem Pferd zurück, das er mit einer langen, starken Leine an einen Baum gebunden hatte. Das Tier war erschrockener als der Mensch und bemühte sich, die Leine zu zerreißen.

Der Mexikaner schoß, ehe er sich wieder in den Sattel schwang, seine Büchse auf den ganz nahe herangekommenen Bären ab. Die Kugel, die an seinem zottigen Pelz abprallte, brachte keine andere Wirkung auf ihn hervor als ein Sporenstoß in die Flanke des Pferdes, d. h. sie vermehrte nur die Wut des Bären, die Beute, nach der er begierig war, zu verfolgen. Diaz hatte nur noch Zeit, sich auf sein Pferd zu schwingen, nachdem er die Leine, mit der es angebunden war, durchschnitten hatte, und der Jäger wurde nun von dem wilden Tier gejagt.

Der Bär war durch diesen Triumph nicht befriedigt und folgte mit seinem anscheinend schwerfälligen, in Wirklichkeit aber schnellen Trab dem Pferd und dem Reiter auf den Fersen. Oft gewann der Reiter durch einen beschleunigten Galopp seines Pferdes einen solchen Vorsprung, daß er den Bären aus den Augen verlor, und wenn die Ermüdung ihn nötigte, langsamer zu reiten, so zeigte sich auch der Bär bald wieder, der immer seinen unablässigen, hartnäckigen Trab fortsetzte.

Dem Tag war die Nacht gefolgt, und einen Augenblick lang war der erbitterte Verfolger des Abenteurers in der Dunkelheit verschwunden, als noch einmal auf dem weißlichen und kalkigen Boden der Ebene ein schwarzer, ungeheurer Körper erschien, dessen gleichmäßiger Gang und die rauhe Stimme dem Reiter nicht mehr zu zweifeln erlaubten. Dies war das letztemal, daß er ihn aus dem Blickfeld verlor.

Der Bär befand sich nun immer hinter dem Reiter gleich jenen glänzenden Gestirnen, die man immer an der gleichen Stelle des Himmels bemerkt, wie groß auch die Schnelligkeit ist, die man anwendet, um an ihnen vorbeizukommen. Unterdessen wurde der Raum, der sie trennte, immer kleiner; der Bär hatte seine Schnelligkeit nicht vermehrt, die des Pferdes aber nahm ab. Schaum bedeckte seine Flanken; der Atem drängte sich mühsamer aus seinen durch die Furcht erweiterten Nüstern; seine nervigen Fesseln wurden schwach unter ihm – aber der Gang des Bären wurde immer noch nicht langsamer.

Zwei Stunden vergingen so – zwei Stunden, in denen jede Minute selbst eine Stunde zu sein schien –, und schon seit Augenblicken mischte sich das lüsterne, furchtbare Schnüffeln des Bären in das ängstliche Schnauben des Pferdes, bis dieses, erschöpft von seiner Wunde und besonders vom Schrecken, nicht mehr weiter konnte und zusammenstürzte.

Diaz sah diesen Fall voraus und fiel auf seine Füße. Ein glücklicher Zufall wollte es, daß dies zwei Schritt von einem Ahornbaum geschah, auf den er eiligst – mehr aus Instinkt als aus Überlegung – hinaufkletterte. Seine Fersen befanden sich in einiger Entfernung vom Boden, als der Bär, der offenbar dem Menschen den Vorzug zu geben schien, sich auf seine Hinterfüße setzte und mit seinen furchtbaren Fangzähnen, die kaum weniger lang, aber weit härter als die Sporen des Reiters selbst waren, diese letzteren berührte.

Als Diaz mit heiler Haut diesem Angriff des ungeheuren Tieres entgangen war, erinnerte er sich plötzlich an die Gewandtheit der Bären, den Wipfel der Bäume zu erklettern, um den Honig der Bienen zu suchen, und er richtete sich darum so bequem wie möglich auf der Gabel eines Hauptastes ein. Gestiefelt und gespornt erwartete nun der Reiter in seiner so sonderbaren Stellung mit dem Degen in der Hand seinen Feind; er war nicht gerade erschreckt – denn der Abenteurer erschrak nicht mehr vor Tieren oder Menschen –, das Herz klopfte ihm jedoch mit ganz ungewöhnlicher Stärke.

Aber Diaz kannte eine Eigentümlichkeit in den Gewohnheiten des Grauen Bären der Prärien nicht. Der Graue Bär, der wegen der wunderbaren Länge seiner scharfen Krallen der letzte von jener gigantischen Rasse der vorsintflutlichen Höhlenbewohner, deren Geschlecht untergegangen ist, zu sein scheint, kann nicht wie die Tiere derselben Familie auf die Bäume klettern. Dieser hier begnügte sich damit, einen Blick auf den Reiter und dann auf das sterbende Pferd zu werfen. Um seine Mußezeit gut auszufüllen und die Geduld nicht zu verlieren, trug der Bär, bei dem die Bewegung den Appetit gesteigert hatte, das Pferd an den Fuß des Baumes und fing an, es zu verzehren.

Das hinderte jedoch den ungeheuren Tischgenossen nicht, die Augen von Zeit zu Zeit zu dem Abenteurer zu erheben, um diesem etwa zu verstehen zu geben, daß er das Pferd nur als eine Abschlagszahlung betrachte, von der der Mexikaner den Rest bilden sollte.

Während eines Teils der Nacht hörte Diaz das entsetzliche Krachen der Knochen seines unglücklichen Pferdes; er sah, wie eine schwarze, ungeheure Masse sich behaglich am Fuß seines Baumes niederlegte, und fühlte, daß seine Augenlider vom Schlaf schwer wurden. Sooft er die Augen öffnete, hörte er dieselbe Musik, dasselbe Schauspiel traf seine Augen und seine Ohren, und endlich band sich der Abenteurer, von Ermüdung überwältigt, fest mit seinem Gürtel aus chinesischem Flor an den Baum, steckte sein Faustgelenk in die Quaste seines Degens und schlief endlich ein, trotz des Hungers und der Kühle der Nacht.

Er erwachte, als es kaum Tag war, und schaute zur Erde nieder; da lag immer noch die schwarze Masse, aber so undeutlich, daß der Abenteurer meinte, ein Bild der Phantasie statt der Wirklichkeit zu sehen. Der Bär war auch in der Tat ebenso wie das Pferd nebst Sattel und Zaum verschwunden und hatte letzteres – vielleicht zum Zeitvertreib – verschlungen oder wenigstens zu seiner Höhle geschleppt.

Ein schrecklicher Tag folgte dieser furchtbaren Nacht. Hunger und Durst, grauenhafte Erscheinungen von eingebildeten Bären hinter allen Gebüschen ließen dem Abenteurer keinen Augenblick Ruhe und Erholung; dann bemerkte er bei Sonnenuntergang den Rauch eines unsichtbaren Feuers. Sollte diese Rauchsäule von einem Mahl von Indianern herrühren, das nicht weniger zu fürchten war? Der verhungerte Mexikaner faßte den Entschluß, diese Richtung einzuschlagen.

Sechs Indianer saßen um ein Feuer, aber ohne daß scheinbar irgendeine Mahlzeit zu ihrer Verfügung stand. Diaz erschrak über das hungrige Aussehen des Feuers und wollte sich leise wieder davonschleichen; aber das Falkenauge der wilden Genossen hatte ihn bemerkt, und der Abenteurer war gezwungen, einer Aufforderung, näher heranzukommen, zu gehorchen – einer so drohenden Aufforderung, daß er sich darein ergeben mußte.

Es waren die sechs Komantschen Rayon-Brûlants. Für den Augenblick mit den Weißen verbündet, nahmen die indianischen Krieger ihren unfreiwilligen Gast friedlich auf, fragten in schlechtem Spanisch nach dem Ziel seiner Wanderung, und Diaz nannte den Büffelsee. Dahin wollten auch die Komantschen, und der Abenteurer setzte sich ans Feuer, wo er sich mit einer Pfeife Tabak, mit Sumachblättern vermischt, als einziger Mahlzeit begnügen mußte.

Indessen schien – war es nun ein Phantasiegebilde seines ausgehungerten Magens, oder war es etwas Wirkliches – ein Duft von gebratenem Fleisch die Atmosphäre um den Mexikaner balsamisch zu durchdringen. Nachdem er aufgehört hatte, zu rauchen, erhob sich einer von den Indianern, entfernte sich einige Schritte von der Gruppe und kniete an einer Stelle des Bodens nieder, die erst ganz kürzlich aufgegraben schien.

Diaz folgte seinen Bewegungen mit einem so außerordentlichen Interesse, daß er es selbst nicht recht begreifen konnte. Er sah nun, wie der Indianer die Erde mit seinem Messer aufgrub! Nun war es keine Einbildung mehr. Ein balsamischer Duft, lieblich und durchdringend zugleich, drang aus dem halbgeöffneten Boden hervor. Der Abenteurer stieß das Geheul eines hungrigen wilden Tieres in dem Augenblick aus, wo der Indianer aus der Erde eine schwarze Masse wie verkalktes Leder hervorzog und diese verkohlte Hülle aufmachte; er wurde beinahe ohnmächtig beim Anblick eines ganzen Berges von Fleisch, das so duftend, rosig und saftig war wie das rosenfarbige, saftige Fleisch der Wassermelone. Der wilde Küchenmeister legte es in seiner schwärzlichen Schale auf die Erde nieder.

Es war ein Büffelrücken, den der Indianer eben aus dem unterirdischen Ofen herausnahm, wo zuerst seine Hautumhüllung, dann die Erde selbst dem Braten nichts von seiner Vollkommenheit und seinem Wohlgeruch entzogen hatten.Wir verweisen den Leser, der neugierig sein soll, die Zubereitung eines solchen Mahles im einzelnen kennenzulernen, auf das Werk »Voyage et aventures en Mexique 1847«.

Während Diaz mit Vergnügen ein so dringendes Bedürfnis befriedigte, unterrichteten ihn die Indianer von dem Ziel, das sie sich gesetzt hatten – nämlich Main-Rouge und Sang-Mêlé anzugreifen –, und seit diesem Augenblick blieb er bis zu dem Scharmützel bei ihnen, das eben stattgefunden hatte.

Wir beenden unsere Erzählung mit der Versicherung, daß Diaz nicht ohne Vergnügen die Möglichkeit als gewiß oder wenigstens als wahrscheinlich betrachtete, daß die ungeheure, rauhe, mit gewaltigen Krallen versehene Tatze, die er in einer Ecke des Kanus liegen sah, diejenige des Grauen Bären sei, der dem Abenteurer so furchtbare Gefühle eingeflößt hatte.

In dem Augenblick, wo Diaz seine Erzählung beendete, gab der Komantsche dem Kanadier und dem Spanier ein Zeichen, mit Reden einzuhalten, und deutete auf eine Rauchsäule vor dem Kanu, die sich mitten aus einem dichten Gebüsch erhob.

»Das ist nur ein Feuer«, sagte Bois-Rosé und ließ das Kanu sich in der Strömung wenden; »wir wollen jedoch so vorsichtig sein, Kundschafter vorauszuschicken, um Zahl und Beschaffenheit derer zu rekognoszieren, die an diesem Feuer lagern.«

Der junge Komantsche gab den beiden Indianern die dem Kanu auf dem rechten Ufer folgten, den Befehl zur Rekognoszierung vorauszugehen, und diese beeilten sich, ihn auszuführen. Unterdessen setzte jeder seine Waffen in Bereitschaft.

Kurz bevor man am hohen Ufer anlangte, wo die Rauchsäule sich über die Bäume erhob, wurde eine von den unsichtbaren Personen ohne Zweifel durch das Geräusch der Ruder unruhig, denn man hörte eine starke Stimme rufen: »Wilson!«

»Sir?« rief eine zweite Stimme, nicht weit von der ersten entfernt.

Dann fuhr die erste Stimme fort, während die drei Jäger sich erstaunt anblickten: »Es scheint, als ob Ihr glaubt, Ihr wärt bei mir in den Ruhestand versetzt! Hört Ihr nicht?«

»Ein Kanu? Ich sehe es schon seit fast einer halben Stunde.«

»Sehr gut! Nun beschäftige ich mich nicht mehr damit; das ist Eure Sache.«

Als der Engländer, den man ohne Zweifel wiedererkannt hat, diese Worte gesprochen hatte, kam das Kanu gerade an der kleinen Lichtung vorüber, in deren Mitte unsere seltsamen Personen, der Engländer und sein Leibgardist, phlegmatisch auf dem Boden lagen. Nicht weit von ihnen hing das Vorderteil eines Rehs an einem kleinen Baum, und an einem flammenden Feuer briet auf Kohlen unter leichtem Zischen die Keule des Tieres.

Ganz am Ende der Lichtung weideten drei Pferde in dem dichten Gras, das die Feuchtigkeit des Flusses wachsen ließ. Sir Frederick zeichnete ruhig, während der Amerikaner am Feuer bei dem Rehviertel aufpaßte. Mit Ausnahme eines prächtigen weißen Pferdes, dessen glänzendes Haar mit Blut besudelt und das fest an einen Baumstamm gebunden war und sich mit gefesselten Füßen in seinen Banden abarbeitete, war dieses Lager mitten in einem Land voll Gefahren friedlich wie die Kaminecke einer holländischen Hausfrau.


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