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Die Hacienda del Venado war – wie alle Wohnungen dieser Art an der indianischen Grenze, die den Einfällen umherschweifender Horden in diesen Steppen ausgesetzt sind – ebensowohl eine Art Festung als ein Landhaus. Aus Backsteinen und Werkstücken erbaut, von einer mit Schießscharten versehenen Terrasse umgeben, durch massive Tore verschlossen, konnte sie eine Belagerung durch Feinde aushalten, die erfahrener in der Kriegskunst waren als die benachbarten Stämme der Apachen.
An einer Ecke erhob sich ein ebenfalls aus Werkstücken erbauter Turm, über drei Stockwerke hoch, der die an die Hacienda stoßende Kapelle überragte. Dieser Turm konnte noch, falls der Hauptteil der Wohnung erobert war, ein fast uneinnehmbarer Zufluchtsort sein.
Endlich umgab noch starkes Pfahlwerk aus Palmenholz das Gebäude ganz und gar ebenso wie die Gesindewohnungen, die für die Leute und die Diener der Hacienda, für die Vaqueros und die gewöhnlichen Gäste bestimmt waren, die auf ihrer Vorbeireise von Zeit zu Zeit kamen und um gastliche Aufnahme baten. Außerhalb dieser bevorzugten Umwallung bildeten etwa dreißig Hütten eine Art kleines Dorf, bewohnt durch die Peones und ihre der Hacienda einverleibten Familien, die in Tagen der Gefahr Schutz und Zuflucht in der Festung suchen konnten und dann zugleich die gewöhnliche Besatzung verstärkten.
Das war die Hacienda, in die wir vor den Reisenden, die wir auf dem Weg gelassen haben, eintreten wollen.
Der Eigentümer, Don Agustin Peña, war ein reicher Mann. Außer einer reichen Goldmine, die er gar nicht weit von hier ausbeutete, besaß er noch zahllose Herden großen und kleinen Viehs, Pferde, Maultiere und Stiere, die frei umherliefen, sprangen und brüllten mitten in den ungeheuren Savannen oder den tiefen Wäldern, die die zwanzig Quadratmeilen Land, die zur Hacienda gehörten, bedeckten. Eine gleich ausgedehnte ländliche Besitzung ist nicht selten in einem Land, wo viele Besitzungen so groß sind wie ein Departement in Frankreich.
Indes sprach man von Guaymas bis an diese Grenzen nur vom Reichtum Don Agustins und von der unermeßlichen Mitgift, die seine Tochter Doña Rosaria, die liebliche Rosarita, demjenigen zubringen würde, den sie zum Gatten wählte. Das junge Mädchen war auch das Ziel gar manchen Ehrgeizes. Übrigens hätte schon seine Schönheit – auch ohne das Vermögen, das es nach dem Tod des Vaters bekommen mußte – vollkommen genügt, um all diese Ansprüche zu rechtfertigen.
In diesen entfernten Provinzen hat sich gewöhnlich der andalusische Typus schwächer ausgeprägt; aber er hatte bei Rosarita nichts von seiner Charakteristik verloren, und durch einen glücklichen Gegensatz vereinigte sich die Reinheit der Züge mit der Frische der Mädchen des Nordens. Die rosigen Wangen der Tochter Don Agustins gaben ihren schwarzen Augen und dem Kranz schwarzer Haare, der ihr Haupt schmückte, nur noch mehr Glanz; die glühende Sonne hatte ihren weißen Teint nicht berührt. Mit einem Wort, ihre Hände, ihre Füße, ihre Taille und jene Haltung, die, nach dem andalusischen Ausdruck »Derrama sal y perdona vidas«,Eine wörtlich nicht zu übersetzende Redeweise: »Streut Salz aus und spart das Leben.« Es kommt vom Wort »Salero«, das dazu dient, die stolze Haltung der Andalusierinnen beim Gehen auszudrücken. »Salz und Leben ausstreut«, verbanden sich bei ihr mit den Vorzügen des europäischen Blutes. Nach solcher Lobrede würde jede Beschreibung überflüssig sein. Sie war also inmitten dieser Einöden wie die Kaktusblume, die nach einer Sage aufblüht und stirbt von elf Uhr bis Mitternacht, unter den Augen Gottes allein, ohne daß es irgendeinem menschlichen Auge gegeben wäre, ihre Farbenpracht zu bewundern, ohne daß jemand an ihrem Duft sich hätte ergötzen können.
Die unermeßliche Ebene, in deren Mitte die Hacienda del Venado lag, bot einen doppelten Anblick dar: Derjenige Teil, der an der Vorderseite des Gebäudes lag, zeigte allein Spuren einer hohen Kultur. Unübersehbare Maisfelder und weitläufige Olivenpflanzungen offenbarten die Gegenwart und die Arbeiten des Menschen. Hinter der Hacienda, aber nur einige hundert Schritt von der Ringmauer, hörte der urbar gemachte Boden auf, und noch jungfräuliche Wälder dehnten sich von da in ihrer düsteren und ursprünglichen Majestät aus. Der angebaute Teil war bewässert durch einen ziemlich breiten Bach. Während der trockenen Jahreszeit floß er langsam dahin und schäumte gegen die runden Steine, die sein Bett verstopften. Aber in der Regenzeit verwandelte sich dieser kleine Bach in einen ungestümen Waldstrom, der diese ungeheuren Steine vor sich herrollte, wie die Sturzsee die Strandsteine auf das flache Ufer rollt, auch zuweilen die Ebene überschwemmte und jedes Jahr die steilen Ufer erweiterte, die ihn einengten.
In dem Augenblick, als der Zug, der sich auf dem Weg nach der Hacienda befand, noch eine ziemliche Strecke davon entfernt war – das heißt, eine Stunde vor Sonnenuntergang –, bot die Ebene in ihren Umgebungen ein prächtiges Schauspiel, besonders für das Auge des Reisenden, der es müde ist, dürre Einöden zu durchziehen.
Ein Lichtglanz, goldig wie derjenige, der die Wellen des Ozeans liebkost, wenn die Sonne in seine Fluten taucht, spielte auf den wellenförmigen Bewegungen, in die der Abendwind die grünen, biegsamen Halme der Maisfelder versetzte. Die weißen Blüten der Olivenbäume, sanft von diesem erfrischenden Windhauch geschüttelt, fielen wie Schneeflocken auf den Rasen, der sich gleich einem Teppich unter ihnen ausbreitete. Die Arbeiter suchten nach einem mühevollen Tagewerk ihre Hütten; die einen mit den Werkzeugen des Ackerbaus beladen, andere mit einem langen, spitzen Stab bewaffnet, um damit die lässigen Ochsen anzutreiben.
An den Rand des Baches, der sanft die langen Halme der Pflanzen umrieselte, die von seinem klaren Wasser Nahrung empfingen, kamen Tausende von Tieren, um nacheinander ihren Durst zu löschen. Bald waren es lange Reihen von Stieren und Färsen, die beim Anblick ihrer Tränke brüllten. Bald waren es lange Züge frei umherlaufender Pferde, die wiehernd in großen Sätzen nach dem Fluß liefen oder auf der Ebene einander verfolgten. Der Boden zitterte unter dem Galopp dieser edlen Tiere, die, wenn auch schon vertraut mit dem Anblick des Menschen, doch noch den scheuen Stolz und die prächtige Haltung der wilden Pferde bewahrten und eine Flut von Köpfen mit blitzenden Augen, weit geöffneten Nüstern und flatterndem Mähnenhaar zeigten. Je nachdem ihr Durst befriedigt war, eilten unzählbare Züge mit der Schnelligkeit des Blitzes hinweg, wie toll hinter sich ausschlagend, schüttelten stolz den stattlichen Busch ihres Schweifes und verloren sich bald inmitten des Staubes, der unter ihren Hufen emporwirbelte.
Der mächtigste arabische Chef, der reichste Patriarch der alten Zeit zählte niemals herrlichere und zahlreichere Herden als Don Agustin Peña auf seinen unermeßlichen Weideplätzen.
Zur Stunde, von der wir sprechen, durchzogen zwei Männer die Ebene nach der Hacienda hin; der eine auf einem Pferd, der andere auf einer Mauleselin. Pferd und Maulesel gehörten gewiß, jedes in seiner Art, zu den schönsten Exemplaren ihrer Rasse. Das erstere mit seiner stolzen Haltung, seiner breiten Brust und seinem Schwanenhals war kaum schöner als der Maulesel, der an seiner Seite mit den feingebauten Füßen, den runden Weichen und dem glänzenden Rücken dahinschritt.
Der erste Reiter war der Herr der Hacienda; sein Anzug bestand in einem Guayaquilstrohhut, einem feinen und weißen Batisthemd ohne Weste und einem samtenen Beinkleid mit goldenen Knöpfen, das an den Hüften zusammengeschnürt war. Der andere auf der Mauleselin war der Kaplan der Hacienda, ein verehrungswürdiger Franziskanermönch in blauer Kutte, mit einem Gürtel von seidenen Schnüren; sein Oberkleid war kavaliersmäßig oberhalb der langen Reiterstiefel, die mit langen klirrenden Sporen bewaffnet waren, zurückgeschlagen. Ein breiter grüner Filzhut, der ziemlich keck auf einer Seite saß, gab dem Franziskaner ein mehr kriegerisches als mönchisches Aussehen.
Der Hacendero, der Herr der Hacienda, schien einen stolzen Blick auf die unermeßlichen Reichtümer zu werfen, die ihn umgaben und die nach seiner eigenen Meinung – die wir übrigens vollständig teilen – viel höher anzuschlagen waren als in der Geldkiste angehäufte Goldbarren.
Was den Mönch anlangt, so schien er durch einen zu mächtigen Gedankengang in Anspruch genommen, um auf das Schauspiel großartigen Reichtums zu achten, das sich in der Ebene vor ihm ausbreitete.
»Beim heiligen Julian, dem Schutzpatron der Reisenden«, sagte Don Agustin, »in den vierundzwanzig Stunden, da Ihr abwesend wart, fürchtete ich, ehrwürdiger Vater, daß ein Jaguar Euch zerrissen oder irgendein Sumpf Euch samt Eurem Maultier verschlungen hätte.«
»Der Mensch denkt und Gott lenkt«, antwortete der Mönch. »Es ist wahr – ich war auf einige Stunden abgereist, um dem armen Joaquin, dem ein Stier den Leib aufgerissen hatte, ein christliches Begräbnis zu geben, und hatte eben die Erde, wo er eingescharrt werden sollte, gesegnet, als ein junger Mann zu Pferd schnell wie der Blitz mit bestürzter Haltung und aufgeregtem Gesicht erschien, um mich zu bitten, nach seiner Wohnung zu kommen und die Beichte seiner sterbenden Mutter zu hören; ich mußte zehn Meilen wieder zurücklegen. Ich mochte dringende Geschäfte vorschützen, soviel ich wollte, um den jungen Mann loszuwerden – ich mußte doch endlich seinen inständigen Bitten weichen. Wißt Ihr, wer es war?«
»Wie sollte ich?« antwortete der Hacendero.
»Tiburcio, der Adoptivsohn des Gambusinos Marcos Arellanos, war es.«
»Wie? Seine Mutter ist tot? Das tut mir sehr leid; er ist ein braver junger Mann. Ich habe nicht vergessen, daß wir ohne ihn vielleicht vor Durst gestorben wären, meine Tochter, meine Leute und ich. Habt Ihr ihm auch gesagt, daß, wenn er ohne Hilfsquellen wäre, er willkommen sei auf der Hacienda del Venado?«
»Nein, denn dieser Bursche hegt eine unsinnige Leidenschaft für Eure Tochter, wenn man es Euch sagen darf!«
»Und was liegt daran, wenn meine Tochter ihn nicht wieder liebt?« antwortete Agustin. »Hätte sie ihn aber geliebt, so hätte ich mich für reich genug gehalten, um bei dem Mann, den sie ausgezeichnet hätte, nur die moralischen und physischen Eigenschaften zu suchen, die Tiburcio besitzt. Ich hatte mir zum Schwiegersohn nur einen Mann geträumt, schön, einsichtig und brav genug, um diese Grenzen gegen die indianischen Horden zu verteidigen, und ich würde alles bei ihm gefunden haben. Aber jetzt habe ich für Rosarita höhere Aussichten.«
»Und vielleicht würdet Ihr nicht unrecht gehabt haben«, erwiderte der Mönch ernst. »Was ich erraten ... was ich erfahren ... habe, könnte aus Tiburcio einen noch viel begehrenswerteren Schwiegersohn machen, als Ihr ahnt.«
»Es ist zu spät!« sagte der Hacendero. »Mein Wort ist gegeben, und ich werde es nicht wieder zurücknehmen.«
»Dennoch habe ich gerade von ihm mit Euch zu sprechen«, erwiderte der Mönch. »Und wie dem auch sein mag, vielleicht wird es Euch nicht leid tun, mich anzuhören.«
Die beiden Reiter waren gerade, nachdem sie durch den Palisadengürtel geritten waren, an den Fuß einer Treppe gelangt, die auf eine weite Halle und von da in den Salon der Hacienda führte. Es war dies ein weiter Saal, der durch eine Luftströmung, wie es in den heißen Ländern gewöhnlich ist, ständig kühl erhalten wurde. Feine chinesische, ausgezeichnet gearbeitete Matten bedeckten den Fußboden, der aus großen Werksteinen bestand, und andere, noch reicher gezeichnete Matten dienten als Vorhänge an den Fenstern. Die mit Kalk geweißten Mauern hoben sich durch einige seltene ausgemalte Kupferstiche in goldenen Rahmen ab; lederne Putacas, kleine Gesimse in den Ecken – auf denen in silbernen Braseros für die Raucher Kohlen, mit weißer Asche bedeckt, bereitlagen –, Sessel und ein Pfühl aus Palmrinde von englisch-amerikanischem Gepräge bildeten das ganze Hausgerät.
Auf einem Tisch aus geglättetem Balsaholz ließen poröse Krüge das frische Wasser durchschimmern, das sich in ihnen befand. Breite Melonenschnitten boten auf einer großen silbernen Platte ihr rötliches Fleisch dar, das ein schmackhafter Saft mit rosigen Tröpfchen überstreute; Pitallas zeigten den dunklen Purpur ihrer Kerne neben Melonen und halbgeöffneten Granatäpfeln. Endlich waren auch noch Orangen, Grenadillen und süße Limonen da, und alle Früchte der heißen Klimate, die den Durst reizen beziehungsweise löschen, zeugten von den gastfreundlichen Absichten Don Agustins.
»Erwartet Ihr denn Gäste?« fragte der Mönch beim Anblick dieser Vorbereitungen.
»Don Estévan de Arechiza hat mich von seiner Ankunft heute abend mit einem ziemlich zahlreichen Gefolge in Kenntnis gesetzt, und ich treffe meine Maßnahmen, um einen so ausgezeichneten Gast würdig zu empfangen. Doch laßt hören, Fray José-Maria, was Ihr mir zu sagen habt!«
Jeder setzte sich in einen Schaukelstuhl, von denen wir oben gesprochen haben, und während der Hacendero sich nachlässig, die Zigarre im Mund, darin wiegte, begann der Mönch zu erzählen.
»Ich fand die alte Frau auf einer Steinbank ruhend an der Tür ihrer Hütte; denn sie hatte sich bis dahin schleppen können, um meine Ankunft zu erwarten.
›Seid gesegnet, mein Vater!‹ sprach sie zu mir. ›Ihr kommt noch zur rechten Zeit, um meine letzte Beichte zu empfangen. Mit Eurer Erlaubnis aber sollt Ihr, während Ihr Euch ein wenig ausruht, das mit anhören, was ich jetzt demjenigen sagen will, den ich immer als meinen Sohn angesehen habe und dem ich eine Rache zu hinterlassen habe, wenn ich nicht mehr sein werde.‹«
»Wie denn, mein Vater?« unterbrach Don Agustin. »Ihr habt diesen Bruch des göttlichen Gesetzes erlaubt, das sagt: Die Rache ist mein, spricht der Herr!«
»Warum nicht?« fragte der Mönch. »Darf nicht in diesen Einöden, in denen wir keine Tribunale haben, ein jeder an deren Stelle treten?« Nach dieser kurzen Rechtfertigung fuhr der Mönch fort: »Ich setzte mich also und hörte.
›Dein Vater ist nicht als ein Opfer der Indianer gefallen, wie wir es geglaubt haben‹, sagte die Kranke, sich an Tiburcio wendend; ›sein Begleiter hat ihn vielmehr erwürgt, um sich eines Geheimnisses zu bemächtigen, das ich dir sogleich sagen werde – aber nur dir allein!‹
›Gott allein, meine Mutter‹, erwiderte Tiburcio, ›könnte uns auch nur diesen Mann wiederfinden lassen, der uns unbekannt ist.‹
›Gott allein?‹ rief die Witwe mit verächtlicher Miene. ›Ist das die Sprache eines Mannes? Wenn die Indianer kommen, das Vieh des Vaqueros zu stehlen, sagt er dann: ›Gott allein kann mir zeigen, was daraus geworden ist?‹ Nein, er sucht, und sein Auge weiß die Spur zu finden. Von heute an, wenn ich deiner nicht mehr bedarf, wirst du es machen wie der Vaquero, und du wirst den Mörder wiederfinden. Das ist der letzte Wunsch der Frau, die deine Kindheit behütete, und du wirst ihn erfüllen!‹
›Ich werde gehorchen, Mutter‹, erwiderte der junge Mann.
›Höre, was ich dir noch zu sagen habe!‹ fuhr sie fort. ›Die Ermordung Arellanos' ist keine Vermutung – sie ist eine Wirklichkeit! Folgendes hat mir ein Vaquero gesagt, der aus der Gegend jenseits von Lubac zurückkehrte. Einige Tage zuvor war er zwei Reisenden begegnet; der eine war dein Vater, der andere war ihm nicht bekannt. Der Vaquero, der denselben Weg als sie zu verfolgen hatte, war durch Untersuchung ihrer Spuren zu der Überzeugung gekommen, die er mir mitteilte: Dicht an der Stelle, wo die beiden Reisenden übernachtet hatten, bewies das niedergetretene und mit Blut überschwemmte Gras, daß hier der Schauplatz eines schrecklichen Kampfes gewesen war. Die blutigen Spuren führten bis zu einem Fluß, in den wahrscheinlich das Opfer hineingestürzt war. Dieses Opfer war Marcos; denn weiterhin hatte der Vaquero die Richtung, die der Mörder eingeschlagen hatte, an der in den Sand gedrückten Hufspur seines Pferdes wiedererkannt; das Pferd nämlich, das dieser Mann ritt, strauchelte zuweilen auf dem linken Vorderfuß. Außerdem mußte in dem Kampf der Mörder am Fuß verwundet worden sein, denn der Eindruck des einen Fußes war viel tiefer als der des anderen und bewies offenbar, daß er seit kurzer Zeit hinke.‹«
Der Hacendero hörte aufmerksam auf diese Probe des Scharfsinns seiner Landsleute, von dem sich zu überzeugen er täglich so viele Gelegenheiten hatte.
Der Mönch fuhr in seiner Erzählung fort. »›Höre mich!‹ nahm die Sterbende wieder das Wort. ›Schwöre, Arellanos zu rächen, und du sollst reich genug sein, daß deine Wünsche selbst von dem stolzesten und reichsten Mädchen – wäre es auch von der Tochter Don Agustin Peñas, für die deine Neigung mir nicht entgangen ist – günstig aufgenommen werden würden. Heute kannst du ohne Torheit daran denken, denn du kannst ebenso reich sein als ihr Vater. Sage mir, ob du schwörst, überall den Mörder Arellanos' zu verfolgen.‹
›Ich schwöre es!‹ antwortete Tiburcio.
Hierauf«, schloß der Franziskaner, »händigte die alte Frau ihrem Sohn ein Papier ein, auf dem Arellanos bei seiner Abreise die Marschroute verzeichnet hatte, die er selbst zu verfolgen gedachte. ›Mit den Schätzen, die dieses Papier dich wird finden lassen‹, fuhr die Sterbende fort, ›kannst du, wenn du willst, die Tochter eines Vizekönigs bestechen. Jetzt, mein Kind, da ich deinen Eid habe, laß mich diesem heiligen Mann beichten; ein Sohn darf niemals die Beichte der Mutter hören!‹«
Der Mönch erzählte nun mit wenigen Worten den Tod der Witwe Arellanos'; darauf schloß er mit den Worten: »Seht, Don Agustin, das nahm mich ganz in Anspruch und bewog mich zu dem Wort, daß Tiburcio Arellanos, obwohl von unbekanntem Herkommen, nichtsdestoweniger ein sehr annehmbarer Vorschlag für die schöne Doña Rosarita sei.«
»Ich stimme bei«, sagte Don Agustin; »aber ich habe Euch schon gesagt, mein Wort ist an Don Estévan de Arechiza verpfändet!«
»Wie? Dieser Spanier«, fragte der Mönch, »sollte Euer Schwiegersohn werden?«
Der Hacendero lächelte mit geheimnisvoller Miene. »Er? Nein«, sagte er, »aber ein anderer! Don Estévan würde diese Verbindung nicht eingehen.«
»Pest!« rief der Mönch. »Er ist schwer zu befriedigen!«
»Vielleicht hat er ein Recht dazu«, erwiderte Don Agustin, mit derselben Miene lächelnd.
»Aber wer ist denn dieser Mann?« fragte der erstaunte Mönch abermals.
In dem Augenblick, als Don Agustin antworten wollte, kam ein Diener in das Zimmer, in dem diese Unterredung stattfand. »Don Agustin«, sagte er, »es sind zwei Reisende an der Eingangspforte, die Eure Gastfreundschaft für diese Nacht in Anspruch nehmen. Der eine von ihnen behauptet, mit Euch bekannt zu sein.«
»Sie sind willkommen«, sagte der Hacendero; »laßt sie eintreten! Zwei Gäste mehr – bekannt oder unbekannt – werden hier nicht zuviel sein.«
Einige Sekunden später kamen zwei Reiter an die Treppe, an deren oberem Ende sie der Besitzer der Hacienda erwartete. Der eine war ein Mann von etwa dreißig Jahren, dessen offenes Gesicht und hohe Stirn von ebensoviel Kühnheit als Verstand zeugten. Er war gewandt, schön gewachsen und mit Eleganz, wenn auch einfach, gekleidet.
»Ach, Ihr seid es, Pedro Diaz!« rief Don Agustin. »Gibt es etwa einige Indianer nicht weit von hier zu töten, daß Ihr Euch in unseren Einöden befindet?«
Pedro Diaz war in der Tat bekannt durch seinen Haß gegen die Indianer, durch seine Kühnheit im Kampf mit ihnen und durch seine Geschicklichkeit, sich aus der schlimmsten Lage zu ziehen. »Bevor ich Euch antworte«, sagte er, »erlaubt mir, Euch den König der Gambusinos und den Prinz der Musiker vorzustellen: Don Diego Oroche, der das Gold wittert wie ein Hund das Wild und die Mandoline spielt wie nur er allein.«
Die unter dem Namen Oroche vorgestellte Person grüßte den Hacendero ernst.
Es war indes wahrscheinlich schon lange her, daß das feine Gefühl, von dem Pedro Diaz sprach, Gelegenheit gehabt hatte, sich zu üben, oder die Karten waren dem Señor Oroche sehr ungünstig gefallen, denn sein Äußeres war nichts weniger als einnehmend. Um mit der Hand an seinen Hut zu fassen, brauchte er nicht die Falten seines Mantels in Unordnung zu bringen, in den er sich kunstvoll gehüllt hatte. Es war hinreichend, unter den Löchern dieses Mantels eines zu wählen, um nach Belieben seine mit harten und spitzen Nägeln bewaffnete Hand auszustrecken, deren wunderbare Länge ihn als einen Mandolinenspieler ankündigte. Wirklich trug er eine solche quer über dem Rücken. Während er sich höflich vor dem reichen Besitzer verneigte, fielen lange Büsche ungekämmten Haares auf sein Gesicht, straff und starr wie das Schilf, mit dem die Mythologie den Kopf der Flußgötter bekränzt.
Als sie im Saal Platz genommen hatten, begann Diaz: »Wir haben davon gehört, daß in Arizpe eine Expedition nach dem Innern der Apacheria ausgerüstet würde, und dieser Kavalier und ich, wir haben uns unmittelbar auf den Weg gemacht, um daran teilzunehmen. Unser Weg hat uns nach Eurer Hacienda geführt, Don Agustin, und wir bitten Euch nun um Gastfreundschaft bis morgen. Mit Tagesanbruch werden wir uns auf den Weg nach Arizpe begeben.«
»Ihr braucht nicht so weit zu gehen«, antwortete der Hacendero; »die Expedition ist in der Nähe, und ich erwarte ihren Führer hier noch heute abend. Er wird Eure Dienste gern annehmen, dafür bürge ich, und Euch somit einige Tagereisen ersparen.«
»Das ist prächtig«, erwiderte Diaz, »und ich danke Gott für dieses glückliche Zusammentreffen.«
»Hat Euch denn der Durst nach Gold auch ergriffen?« fragte Don Agustin Pedro Diaz.
»Nimmermehr, Gott sei Dank; ich überlasse die Sorge, Gold zu suchen, einem so erfahrenen Gambusino wie Señor Oroche. Ich für mein Teil habe, wie Ihr wißt, keine andere Sorge, als Vergeltungsrecht an den Indianern zu üben für alles Unheil, das sie mir zugefügt haben, und darum habe ich auch mit Freuden die Gelegenheit ergriffen, Feuer und Schwert, die sie so oft unter uns gehandhabt haben, einmal auch tief in ihr Land zu tragen.«
»Das ist recht«, erwiderte der Hacendero, der, wie alle den Einfällen dieser unversöhnlichen Feinde der weißen Rasse ausgesetzten Grenzbewohner, in seinem Herzen einen gleichen Haß nährte wie Pedro Diaz. »Ich billige solche Gesinnung, und wenn Ihr erlaubt, so biete ich Euch als Pfand der meinigen eines meiner besten gesattelten Pferde an; der Indianer, den Ihr auf diesem edlen Tier verfolgt, muß auf den Flügeln des Windes reiten, um nicht von Euch erreicht zu werden, welchen Vorsprung er auch vor Euch haben mag.«
»Das soll mein Schlachtpferd sein«, erwiderte Diaz mit vor Freude leuchtenden Augen, »und ich will seine Mähne mit indianischen Skalplocken zieren zum Andenken an den, der es mir gegeben hat.«
Die Unterhaltung betraf nun Expeditionen von der Art derjenigen, die Don Estévan befehligte, sowie mehrere andere Gegenstände, die gewöhnlich die Unterhaltung der mexikanischen Pächter bilden; und da es schon finster wurde und der erwartete Gast noch nicht kam, gab Don Agustin zwei Dienern den Befehl, sich mit Fackeln zu versehen und ihm entgegenzureiten.
»Ich weiß nicht, welches Ereignis den Marsch Don Estévans verzögert haben kann«, sagte der Hacendero, als seine Befehle ausgeführt waren. »Wenn er, wie es doch wahrscheinlich ist, an der Poza übernachtet hat, so müßte er schon seit fast zwei Stunden hier sein.«
Man weiß, wie die beim Wiedereinfangen der flüchtigen Pferde verlorene Zeit den Aufbruch des Zugs verzögert hatte.
Don Agustin hatte eben gesprochen, als plötzlich eine anmutige Erscheinung den Saal betrat: es war die Tochter des Hacenderos, die schöne Rosarita. Als ob der Reiterzug nur ihr Erscheinen abgewartet hätte, so kündigten sogleich ein Lärm von Pferden innerhalb der Ringmauer der Hacienda und der Glanz von Fackeln, die in der Dunkelheit leuchteten, die Ankunft der Gäste an, die Don Agustin Peña erwartete.