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Jede Pflanze erscheint uns jeder andern gegenüber im Lichte einer individuellen lebendigen Charakter-Verschiedenheit, die sich freilich besser im unmittelbaren Eindruck selbst zeichnet, als mit Worten zeichnen läßt. Man betrachte Aurikel und Primel; sie sind von einem Geschlecht, und jede macht doch ein ganz ander Gesicht. Efeu und Wein erscheinen verwandt, und doch welch verschiedener Charakter! Nun gar Fernstehendes: eine Rose, eine Lilie, eine Tulpe, ein Veilchen; — eine Eiche, eine Weide, eine Birke, eine Tanne; — wie scheidet sich das alles so bestimmt. Und dabei ist doch jedes so ganz einig im Charakter mit sich, so ganz aus einem Gusse. In einer Pflanze alles zart und fein; in einer andern alles üppig voll; in einer alles streng und steif; in einer andern alles weich und biegsam; die eine sich spaltend und wieder spaltend und immer spaltend und spältend von neuem; die andere sich grad’ und einfach streckend; in mancher zwar Gegensätze vorhanden, doch diese wieder zu einem allgemeinen Eindruck gut gebunden. Alle Worte aber erreichen’s zuletzt nicht; und wie viele Pflanzen gibt’s, für deren Charakter uns gar kein Wort recht treffend zu Gebote stehen will, indes er sich doch aufs Bestimmteste bei der Anschauung für unser Gefühl ausprägt.
Es liegt hierin etwas ganz Ähnliches wie im Charakterausdruck verschiedener Menschen, so daß sogar ganz von selbst die Neigung zu wechselseitiger Vergleichung entsteht. So wird die Rose mit dem blühenden Mädchen, und das blühende Mädchen mit der Rose verglichen; die Lilie steht wie ein weißer Engel unter den Blumen, und das reine engelgleiche Mädchen vergleichen wir gern wieder mit der Lilie; so erinnern die eitle Dame und die Tulpe, ein bescheidenes Kind und ein Veilchen, ein starker Mann und eine Eiche leicht und gern aneinander. (Man denke an Freiligraths Gedicht: die Rache der Blumen.) Umsonst freilich würde es sein, alle Pflanzen-Charaktere in menschlichen Charakteren oder umgekehrt wiederfinden zu wollen; Blumen, Bäume sind eben keine Menschen; nur hier und da fällt uns ein vorwaltender Bezug ein, der doch das Eigentümliche im andern weder vollständig ausdrückt noch deckt; aber darauf kommt es auch nicht an, sondern daß überhaupt Charakter-Zeichnungen der Pflanzen und Menschen sich so ebenbürtig im ganzen und mit so lebendigen Bezugspunkten im einzelnen gegenübertreten.
Nun ist der Charakterausdruck im Menschen nichts Anderes als der äußere Ausdruck seines inneren Seelenwesens. Die Einheit und individuelle Eigentümlichkeit der Menschenseele faßt sich in diesem Ausdruck zusammen, tritt an die Oberfläche, spiegelt sich in eine andere Seele hinein. Wie kommen wir dazu, in den Pflanzen einen analogen Ausdruck ohne etwas Analoges, was sich ausdrücke, anzunehmen; die Einheit und individuelle Eigentümlichkeit von Nichts hier ausgedrückt zu finden; ein Spiegelbild, wo nichts dahinter, hier zu sehen?
Man sagt, es ist der Ausdruck, das Spiegelbild einer göttlichen Idee, was hier erscheint. Nun ja, aber eben einer göttlichen Idee, wo nichts dahinter. Gerade daß nicht bloß ein im Allgemeingeiste Aufgehendes, daß ein Selbst da ist, muß durch den selbstlebendig sich entfaltenden, gestaltenden, darstellenden Charakter der Pflanze ausgesprochen gehalten werden.
In der Tat ganz anders verhält es sich in dieser Hinsicht mit den Pflanzen als mit unsern Kunstwerken und Geräten. Auch an diesen, sollten sie selbst nichts als Lebloses darstellen, kann man freilich etwas individuell Charakteristisches finden und was sie aus einem Gusse erscheinen läßt; etwas Feines, Zierliches, Schwerfälliges, Kühnes, Edles, Gemeines, was an ein Geistiges oder Psychisches von gleichem Charakter erinnert. Aber wir wissen, es hat sich aus den Händen des Menschen dahin übergepflanzt; es trägt des Menschen Charakter, weil es von seinem Charakter ausgegangen ist. Aber die Pflanze hat sich selbst gemacht oder ist von Gott gemacht worden, wie der Mensch; ihr Charakterausdruck kann sich also nicht auf eine fremde, sondern nur auf eine eigne Seele beziehen, weil Gott der Schöpfer eigner Seelen ist.
Hiermit hängt zusammen, daß das Interesse, was wir an den Blumen im Leben und in der Poesie nehmen, ein viel lebendigeres, gemütlicheres ist, als was wir an einer Statue, einem Gemälde nehmen, welche dafür immerhin ein höheres geistigeres Interesse beanspruchen mögen. Mit welcher Sorgfalt und Liebe zieht manches Mädchen ihr Blümchen im Töpfchen am Fenster, und begießt es, und wäscht ihm den Staub ab, und dreht es nach dem Lichte, und fragt den Gärtner aus, wie es recht damit zu machen; eine Aurikel- oder Pelargonienzucht macht manchem eine ähnliche Freude wie einem andern eine Taubenzucht. Statuen, Gemälde können unser Zimmer wohl zieren, unsern Geist bilden; aber selbst nicht so mit uns leben. Man sagt: die Ähnlichkeit mit dem eigentlich Lebendigen verführt uns; Pflanzen wachsen und treiben; das sieht wie Leben aus; Bilder und Statuen tun’s nicht. Und in der Tat das erklärt, aber macht zugleich den Unterschied; verführt uns nicht, sondern führt uns. Eben weil die Pflanze lebendig aus sich wächst und treibt, das Gemälde, die Statue nicht, die bloß von fremder Hand erwachsen, kann man’s auch in betreff der Seele voraussetzen; die Seele, die in der Statue liegt, ist bloß eine fremde; die in der Blume liegt, eine eigene. Die Natur hat eben das voraus vor dem Menschen, daß ihre Kunstwerke, d. s. die Tiere, Pflanzen, selbstlebendige sind.
Jeder gibt gern zu, daß, wenn das Kind nicht eben so lebendig und gefühlsbegabt als die Mutter wäre, die Mutter auch keine lebendige Liebe und Freude daran haben könnte. Und so scheint es mir in derselben Verknüpfung zu liegen, daß wir uns nicht mit so viel Seele für die Blumen interessieren könnten, wie wir es tun, wenn sie nicht selbst so viel Seele hätten; unstreitig aber haben sie noch bei weitem mehr, als unser Interesse für sie verrät; weil doch die Blumen uns nur zu ferne verwandt sind, als daß wir den Ausdruck ihrer Seele so leicht verstehen könnten wie die Mutter den des Kindes. Aber es ist doch noch so viel davon da, um den Schluß für das Mehrere auch anknüpfen zu können.
Will der Verstand auf alles das nicht eingehen? Wohlan, so beweisen wir ihm, daß er es unwillkürlich doch tut. Selbst Philosophen haben, ganz ohne den Gedanken an eine wirkliche Seele der Pflanzen unterzulegen, das in seiner Art selbständige charaktervolle Treiben des menschlichen Gemüts durch das analoge der Pflanzen erläutert, also doch den Ausdruck des einen im andern wiedergefunden. "So wie die Pflanze," sagt Lotze in seiner Abhandlung über die Bedingungen der Kunstschönheit (S. 55.), "aus ihrem Keime alle Teile ihrer Gestalt mit eigner inwohnender Triebkraft entwickelt, und Wolken und Winde sie nie zu etwas anderm machen, als ihre Bestimmung war, so ruht auch jedes einzelne Gemüt völlig auf sich selbst, ein aus dem Ganzen gegossenes Ganze, das zwar äußere Einflüsse in ihren Strudel reißen können, aber nicht in seinem wesentlichen Kerne verändern." — Nun wohlan, sage ich, wenn das Gemüt so in und aus sich treibt wie eine Pflanze, warum kann nicht eben ein Gemüt das Treibende der Pflanze sein?
Und ebenda (S. 38) heißt es: "Mit derselben Neigung ihres gestaltenden Triebes, dem die einfachen Formen der Blätter entsprangen, nur auf einem überhaupt höher gelegenen Boden ihres Wirkens, entfaltet die Pflanze die geistigeren Gestalten der Blüte und selbst die zusammengeschlossenen Umrisse der Frucht; so wird auch jede Entwickelung überhaupt als eine allmähliche Bereicherung und Vertiefung eines ursprünglichen Gedankens in sich selbst betrachtet werden müssen."
Es möchte leicht sein, in andern philosophischen Schriften Parallelstellen zu den vorigen zu finden, die sich mir nur eben ungesucht bei jetziger Lektüre darboten. Daß sie von einem Schriftsteller herrühren, der überhaupt verständige und sinnige Betrachtung zu scharfem Ergebnisse zu verknüpfen gewohnt ist, mag uns übrigens mit dafür sprechen, daß auch hier Verstand und Sinn sich in mehr als zufälliger Weise begegnen.
Bei Mensch und Tier hängt an der charakteristischen Physiognomie, die ihnen zukommt, auch ein charakteristisch verschiedener innerer Bau, eine charakteristische Ordnung und Weise der Lebensprozesse. Eine verschiedene Seelenwirtschaft bedarf überhaupt einer verschiedenen Körperwirtschaft zum Ausdruck oder Träger, und der allgemeine Zug der Gestalt deutet nur äußerlich die eigentümlich zusammenhaltende und abschließende Einheit dieser inneren Wirtschaft dem Auge an. Und ganz so wie mit Mensch und Tier ist’s auch mit der Pflanze. Ein menschlicher Zeichner zwar führt wohl alle seine Gestalten, wie charakteristisch verschieden sie sein mögen, mit Schraffierungen in derselben Manier aus; jede verschiedene Pflanzenform aber, wie jede Tierform, ist innerlich anders mit Zellen, Fasern, Röhren ausschraffiert; anders auch laufen die Säfte; anders wirken die Kräfte. Und nicht bloß zwischen verschiedenen Arten, wie Eiche, Weide, Tulpe, Nelke, finden solche Verschiedenheiten statt, sondern selbst zwischen verschiedenen Individuen derselben Art; weniger deutlich, als zwischen den Arten, wie aber auch Neger von Neger, Maus von Maus sich minder deutlich scheidet als Neger vom weißen, Maus von Ratte oder Löwen.
Hat nun der Pflanzenleib so ganz alles, was die Seele braucht, sich einheitlich und verschiedentlich zugleich darzustellen; warum sollte es an der Seele selber darin fehlen?
Von Interesse scheinen mir in betreff der Charakterverschiedenheit von Pflanzen-Individuen derselben Art u. a. folgende Bemerkungen Decandolle’s (Physiol. II. S. 21):
"Unabhängig von den durch die Arten-Natur bedingten Ursachen, die Blütezeit zu verändern, gibt es noch andere, welche von den Individuen selbst abzuhängen scheinen; ungefähr auf gleiche Weise, wie man im Tierreiche bedeutende Verschiedenheiten zwischen den Individuen der gleichen Art wahrnimmt, welche scheinbar den gleichen Einwirkungen unterworfen sind. In der Tabelle AdansonsDie Berechnung der Wärmegrade ist darin auf eine eigentümliche Weise geführt (Decand. II. 16), welche es nicht nötig ist, hier zu erörtern wo es bloß um eine Vergleichung im Allg. zu tun. sehen wir, daß bestimmte Fliedersträuche (Syr. vulg.) blühten, wenn die Summe der Wärmegrade 620 betrug, und daß andere 830 Grad brauchten; daß ferner bestimmte Esparsettestauden (Hedys. onob. L.) nach 1100 Wärmegraden blühten und andere erst nach 1400. Unstreitig rühren diese Unterschiede häufig von Verschiedenheiten im Standorte der Gewächse her; wie z. B. von einer vor Nordwinden geschützten oder überhaupt günstigen Lage, von einer an den Wurzeln vorbeifließenden Wasserader usw.; in einigen Fällen scheinen diese Erklärungsweisen aber durchaus unzulässig. So ist es z. B. selten, daß man in einem mit Roßkastanienbäumen besetzten Spazierwege, wo alle Bäume die gleiche Lage zu haben scheinen, nicht sollte bestimmte Individuen bemerken, welche sich jährlich früher oder später als die übrigen belauben und früher oder später blühen. Zu meiner Zeit standen im botanischen Garten zu Montpellier zwei Roßkastanienbäume dicht nebeneinander und folglich in möglichst gleichen Verhältnissen, dennoch blühte der eine dieser Bäume vor allen übrigen des Ganges und der andere ganz zuletzt. Ich kenne einen Roßkastanienbaum in der Nähe von Genf (bei Plainpalais), welcher sich alle Jahre einen Monat früher belaubt und um eben so viel früher blüht als alle übrigen, ohne daß doch irgend eine Eigentümlichkeit seines Standortes diese frühere Entwickelung erklären könnte. Eine ähnliche Beobachtung finde ich in einem Buche niedergelegt, welches man nicht für gewöhnlich unter den wissenschaftlichen Werken anführt. Ein geistreicher Unbekannter sagt in seinen Souvenirs (den Mémoires de Constant beigedruckt, Band VI. S. 222): "Ich würde es mir zeitlebens vorwerfen, wenn ich diese Gelegenheit nicht benutzte, um eine Beobachtung mitzuteilen, welche ich jährlich wiederhole, wenn ich mich zu Frühlingsanfang in Paris befinde. Unter den Roßkastanienbäumen der Tuilerien, welche sich kuppelförmig über den Bildsäulen des Hippomenes und der Atalanta erheben, befindet sich einer, dessen Laub sich vor demjenigen aller übrigen Bäume in Paris entwickelt. Auf diesen Baum achte ich nun schon wenigstens 25 Jahre lang, und niemals ertappe ich ihn auf einer Nachlässigkeit. Ja, was noch mehr sagen will, wie ich eines Tages vor einigen Personen von diesem Baume sprach, so zeigte mir eine derselben die nämliche Beobachtung in den Handschriften ihres Großvaters niedergeschrieben; an der Bezeichnung des Standortes sah man, daß durchaus der nämliche Baum gemeint war, den ich beobachtet hatte."
Auch gehört hierher folgende Bemerkung von Fritsch in seiner Abhandlung über die periodischen Erscheinungen im Pflanzenreiche S. 62: "Man sieht nicht selten aus zwei Keimen einer und derselben Pflanzenart, welche dem äußern Anschein nach sich gleichen, zwei Organismen sich entwickeln, von denen der eine schwach und hinfällig, nach kurzer Zeit kraftlos dahin schwindet, während der andere stark und kräftig sich entwickelt und den äußern Einflüssen widersteht, ungeachtet beide Keime unter gleichen örtlichen und klimatischen Verhältnissen sich entwickelten und einer gleichen Pflege aus der Hand der Natur oder der Menschen teilhaftig waren. Tief verborgen liegen die Ursachen dieser Erscheinungen, und ihre Erforschung hängt mit der Frage, worin das Leben der Pflanzen bestehe, so innig zusammen, daß noch lange ihr Einfluß auf die Entwickelung der Pflanzen unerkannt bleiben dürfte."
Was ich bisher ausgeführt, ging mir erst nur in flüchtigen Zügen durch die Seele, als ich am Wasser stehend die Blume betrachtete, die zu diesen ganzen Betrachtungen den ersten Anlaß gab. Und es war mir, als sähe ich die Seele der Blume selbst in leisem Nebel aus der Blume emporsteigen, und immer mehr lichtete sich der Nebel, wie sich die Betrachtung bestimmter gestaltete, und endlich stand die feine Gestalt der Seele klar, ja verklärt, über der Blume. Sie wollte wohl einmal auf das Dach ihres blühenden Hauses steigen, der Sonne besser als im Hause zu genießen; da ward die ungesehen sich Glaubende von einem Menschenkinde überrascht.
In Wahrheit aber schien mir in all dem, was ich hier dargelegt; so viel Anstalt, so viel Forderung, und endlich noch so viel Zeichen und Symbol von Seele und Empfindung für die Pflanze zu liegen, daß ich mich ernstlich zu fragen anfing, wo denn nun die Gründe seien, nach denen man sie ihr absprechen könne; und ich erstaunte, sie im Ganzen doch so schwach zu finden. Wohl stellte sich ein Einwand nach dem andern ein; die gewohnte Vorstellung wollte immer wieder zu Recht kommen; alles doch so anders in der Blume als in Mensch und Tier! Es war, wie wenn schlimme Käfer sich um die Blume drängten, und auf die fremd darüber erschienende Gestalt, die ihnen den gewohnten Platz zu verkümmern drohte, einen Angriff machten, und diese zog sich manchmal scheu davor zurück. Nun freilich, Seele, drinnen ist eigentlich dein Platz! Laß alles draußen dein Haus umschwirren, unwissend der Bewohnerin; drinnen kann dir niemand etwas anhaben. Aber so lange ich hier stehe, will ich dir die Feinde abhalten.