Gustav Theodor Fechner
Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen
Gustav Theodor Fechner

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IV. Teleologische Gründe.

Ich stand einst an einem heißen Sommertage an einem Teiche und betrachtete eine Wasserlilie, die ihre Blätter glatt über das Wasser gebreitet hatte und mit offener Blüte sich im Lichte sonnte. Wie ausnehmend wohl müßte es dieser Blume sein, dachte ich, die oben in die Sonne, unten in das Wasser taucht, wenn sie von der Sonne und dem Bade etwas empfände. Und warum, fragte ich mich, sollte sie nicht? Es schien mir, daß die Natur wohl nicht ein Geschöpf für solche Verhältnisse so schön und sorgsam gebaut hätte, um es bloß als Gegenstand müßiger Betrachtung darzustellen, zumal da tausend Wasserlilien verblühen, ohne daß sie jemand betrachtet; viel mehr mutete mich der Gedanke an, sie habe die Wasserlilie deshalb so gebaut, um die vollste Lust, die sich aus dem Bade im Nassen und Lichten zugleich schöpfen läßt, auch einem Geschöpfe in vollstem Maße zugute kommen, von ihm recht rein durchempfinden zu lassen.

Wie lieblich erscheint unter solcher Voraussetzung das ganze Leben dieser BlumeLinné (Disquis. de sexu plantar. 1760) sagt folgendes darüber:
N. alba qnotidie mane ex aqua tollitur, floremque dilatat, adeo ut meridiano tempore tres omnino pollices pedunculo aquam superemineat. Sub vesperam penitus clausa et contecta demergitur. Circa horam enim quartam post meridiem contrahit florem, agitque sub aqua omnem noctem, quod nescio an cuiquam per bis mille annos notatum sit, id est inde a Theophrasti aevo, qui hoc obseryavit in Nymphaea Loto .... Scripsit autem Theophrastus, hist. plant. IV. 10., de Loto ea, quae sequentur: "In Euphrate caput floresque mergi referunt, atque descendere usque in medias noctes: tantumque abire in altem, ut ne demissa quidem manu capere sit: diluculo dein redire, et ad diem magis. Sole Oriente jam extra undas emergere, floremque patefacere: quo patefacto amplius insurgere, ut plane ab aqua absit alte. — Idem prorsus mos est noatrae Nymphaeae albae. (Decand. Phys. II. 86.)
. Hat sie Tages über die offene Blüte über das Wasser gehoben (zuweilen bis zu mehreren Zollen Höhe), so schließt sie dieselbe nachts, wenn sie nichts mehr im Lichte zu suchen hat, neigt sie nieder und, ist es richtig, was ich gelesen, geht sie gar damit unter das Wasser zurück, um morgens wieder aus dem feuchten Bette aufzutauchen. Die Lotosblume soll es ebenso machen, ja gar nachts so tief niedergehen, daß man sie mit dem eingetauchten Arme im Wasser nicht erreichen kann; des Morgens steht sie wieder auf, und wie die Sonne höher rückt, steigt sie höher mit dem Stengel aus dem Wasser. Wir glauben nicht mehr an Wassernixen, die im Grund des Wassers schlafen und des Morgens aufsteigen, sich im Lichte zu sonnen; aber die Dichtung selber hat damit doch anerkannt, ein solches Leben möchte seine Reize haben; die Natur hat das wohl auch gewußt, und aus der Dichtung eine Wirklichkeit gemacht. Freilich erheben und neigen sich nicht alle Blumen so im Wechsel, obwohl es noch manche andere tun; aber brauchen es denn alle zu tun? Finden sie nicht eben schon im Blüten- und Knospentriebe, im Genuß von Tau, Luft und Sonne Genüge, jede in ihrer besondern Weise?

So dachte ich nun weiter, die Natur habe auch wohl nur darum die Bergpflanze anders gebaut und an andern Ort gestellt, um ebenso die Frische und Reinheit der Bergluft und was sonst der Berg noch anders haben mag als der Teich, einem Wesen zu recht reinem, vollem Genuß zu bringen. Ist doch, sagte ich mir, die Wasserlilie wirklich so ganz eigen nur eben für das Wasser, die Bergpflanze für den Berg eingerichtet; oder wollten wir es umkehren, könnten wir es nicht auch, und sagen, das Wasser sei ganz für die Wasserlilie, der Berg ganz für die Bergpflanze eingerichtet? Es ist wahr, im Schmetterlinge, im Fische hat man schon Wesen, die ein Leben in Luft und Wasser genießen; man kann fragen, wozu noch andere? Aber wie anders gebaute, eingerichtete! Fliegen doch schon mehrerlei Schmetterlinge auf demselben Berge, schwimmen doch schon mehrerlei Fische in demselben Wasser! Macht einer die andern überflüssig? Jedes gewinnt doch nach seiner besonderen Einrichtung und besondern Verhalten andere Empfindungen und Triebe aus demselben Element. Nun verhält sich die Wasserpflanze noch ganz anders als alle Fische gegen das Wasser, die Bergpflanze noch ganz anders als alle Schmetterlinge gegen Luft und Licht; wie ganz andere Empfindungen und Triebe wird es also auch noch für sie geben können! Der Umstand selber, daß die Pflanze einen Schmetterling, der Schmetterling aber eine Pflanze sich gegenüber hat, stellt beide schon verschieden in der Natur und macht verschiedene Empfindungen für sie möglich; denn wenn der Schmetterling aus Blumen Nektar trinkt, kann er doch nicht dieselbe Empfindung davon tragen wie sie. Oder wird man auch sagen wollen, die Empfindung der Pflanze werde dadurch überflüssig und unwahrscheinlich, daß ja doch der Schmetterling schon Empfindung dabei hat? Es wäre ebenso gut, wie zu behaupten, daß im Verkehr des Liebenden und der Geliebten die Empfindung des einen die der andern überflüssig und unwahrscheinlich mache, da wir doch sehen, daß bei gleichem Anteile am lebendigen Wechselverhältnisse auch jedes eine Seite gleich lebendiger Empfindung davon trägt. Ist der letzteren Gegensatz enger als der von Schmetterling und Blume, kann dies doch nichts anderes mitführen, als für diese nun auch einen weiteren Gegensatz der Empfindung zu bedingen.

Darin besteht ja überhaupt die größte Kunst der Natur, aus demselben Borne jeden etwas Anderes schöpfen lassen zu können, indem der Trank sich mit dem Becher ändert. Jedes Wesen stellt gleichsam ein anders gestaltetes Sieb dar, das demgemäß andere Empfindungen aus der Natur aussiebt; und was eines übrig läßt, ist noch für unzählige andere. Mag also immerhin das Tierreich alles aus der Natur sich schon genommen haben, wofür es empfänglich ist, so bleibt wohl noch eine ebenso große Hälfte für das Pflanzenreich übrig.

Nun dünkt es mir auch gar nicht schwer, den Gesichtspunkt der Ergänzung zu erraten, der hierbei waltet.

Der Mensch, das Tier läuft hierhin, dorthin, zerstreut sich zwischen allerlei Genüssen, erfährt, betastet allerlei, was weit auseinander liegt. Das hat seine Vorteile. Aber sehen wir nur im Menschlichen selbst nach, so erkennen wir auch die Einseitigkeit dieser Vorteile. Neben dem Wandern und Reisen hat auch das häusliche Einleben seine Vorteile, die nicht verloren gehen dürfen; es gibt viele stille und stehende Wirkungskreise, die auch durchlebt und durchempfunden sein wollen; die Vorteile aber, die hieran hängen, können nicht mit jenen Vorteilen zugleich in gleichem Maße erlangt werden, und wer sich recht auf das eine einrichten will, kann es nicht zugleich auf das andere. Deswegen reist der eine, und der andere bleibt an der Scholle kleben. Wie im Menschenreiche, so im Naturreiche. Die Menschen und Tiere sind die reisenden, die Pflanzen die an die Scholle gehefteten Individuen der Welt; jene bestimmt, sich der fernen Bezüge der Natur empfindend und strebend zu bemächtigen; diese, den Kreis bestimmter Verhältnisse in gegebenem Umkreise empfindend und strebend zu erschöpfen; dann können sie ihn aber nicht durchlaufen, weil jedes Laufen über den festen Standpunkt hinausführt, sondern nur durchwachsen. Man lasse diese zweite Seite des Lebens weg, und man hat die Hälfte dessen weggelassen, was gebraucht wird, damit auch alles in der Natur gebraucht werde.

Sehen wir, wie die Natur kein Klümpchen Kot verloren gehen läßt; es zanken sich wohl drei vier Wesen darum, jeden Abfall und den Abfall des Abfalls benutzt sie, kurz, sucht die Nutzung aufs Äußerste zu treiben; — sollten wir ihr nicht auch zutrauen, daß sie zu den laufenden Bedingungen der Nutzung stehende wird hinzugefügt haben, weil doch die stehende Nutzung mit der laufenden zusammen erst die ganze Nutzung gibt? Ein Tier steckt nur einmal die Nase dahin, wo eine Pflanze immer fest steht, läuft oberflächlich über die Erde hin, in der die Pflanze tief eingewachsen ist, bricht nur sozusagen hier und da einmal in der Richtung einzelner Radien ein in den Kreis, den eine Pflanze ganz und stetig ausfüllt; in demselben Verhältnisse weniger wird es aber auch mit seiner Empfindung den Kreis dieser Verhältnisse erschöpfen können, welchen die Pflanze wohl zu erschöpfen suchen muß, weil sie einmal in ihn gebannt ist, und zu erschöpfen imstande ist, weil sie einmal auf ihn eingerichtet ist.

Ich sah neulich meine Frau eine Pflanze mit dem Erdballen aus dem Blumentopfe heben und bewunderte es, wie die Pflanze den Erdballen so vollständig bis ins Feinste durchwurzelt, jedes Fleckchen Erde auszukosten gesucht hatte; und wie unter der Erde, war es über der Erde. Erst war die Pflanze in Zweigen auseinander gefahren, und dann hatte sie die Zwischenräume mit Zweigelchen und Blättern gefüllt, daß kein bißchen Luft ungenossen durchkommen konnte; und an den Spitzen der Zweige hielt sie noch überdies die blauen Blümchen dem Lichte entgegen. So lobe ich es mir, Natur, wenn es nur auch der Pflanze wirklich zugute kommt; aber was für eitle Mühe und eitler Tand, wenn die Blumen und Bäume bloß wie taube Schnörkel wüchsen. Es wäre recht Arbeit um nichts; und das in so viel Wäldern und Feldern sich immer und immer wiederholend. Sollte es bloß für unsern Nutzen sein, wäre es ja besser gewesen, es wüchsen gleich Scheite und Bretter, Tische und Stühle statt der Bäume.

Nun gewinnt es auch erst die rechte Bedeutung für uns, daß die Pflanzen sich so eng im Raume drängen, indes die Tiere nur einzeln zwischen ihnen hin- und herfahren. Der Raum würde ja nicht ausgenutzt werden, wenn die stehenden Wirkungs- und Empfindungskreise leere Stellen zwischen sich lassen wollten; statt dessen verschränken sie sich sogar im Nebeneinander noch ineinander; er würde aber ebenso wenig recht genutzt werden, wenn das Bewegliche sich selbst den Platz zur Bewegung verkümmern wollte; so frißt sogar die eine Hälfte der Tiere die andere, um nur immer wieder aufzuräumen; und ist dies Aufräumen selbst mit Trieb und Empfindung in bezug gesetzt. In solcher Weise entwickelt und benutzt die Natur in möglichster Weise all ihren Reichtum, ihre Fülle. Ihr Hauptreichtum aber besteht wie der einer russischen Herrschaft in einem Reichtum vieler Seelen, die der Scholle zugehören.

Wie spärlich würde überhaupt nach Wegfall der Pflanzen aus dem Reiche der Seelen die Empfindung in der Natur verstreut sein, wie vereinzelt dann nur als Reh durch die Wälder streifen, als Käfer um die Blumen fliegen; und sollten wir der Natur wirklich zutrauen, daß sie eine solche Wüstenei ist, sie, durch die Gottes lebendiger Odem weht? Wie anders dies, wenn die Pflanzen Seele haben und empfinden; nicht mehr wie blinde Augen, taube Ohren in der Natur dastehen, in ihr, die sich so vielmal selbst erblickt und empfindet, als Seelen in ihr sind, die sie empfinden; wie anders für Gott selbst, der die Empfindungen aller seiner Geschöpfe gewiß in einem Zusammenspiel und Zusammenklang vernimmt, wenn die Instrumente dazu nicht mehr in weiten Zwischenräumen voneinander stehen? Wo erlebt man das bei einem Konzerte der armen Menschen; nun will man es bei dem reichen Gott so finden? Ist es nicht schöner, größer und herrlicher, zu denken, daß die lebendigen Bäume des Waldes selber wie Seelenfackeln gegen den Himmel leuchten, als daß sie bloß im Tode in unseren Ofen Helle geben? Und darum sollten sie erst so prangend in die Höhe wachsen? Die Sonne selber kann die Welt nicht hell machen, ohne Seelen, die ihr Leuchten spüren. Wie seelendämmerig würde es also im sonnenbeschienensten Walde sein, wenn die Sonne nicht auch Seelen der Bäume zu scheinen vermag. Vermag sie es aber, so ist ein Wald wie ein lebendiger Brand vor Gott, der ihm seine Natur erhellen hilft. Und wird der Baum dereinst wirklich verbrannt, entweicht nur gleichsam zuletzt noch in äußerlich sichtbarer Flamme, was solange innerlich für Gott und für sich selber glühte.

Freilich können wir uns das nur so denken; wir sehen doch unmittelbar nichts von jenen Seelenflammen der Natur; aber da wir’s denken können, warum wollten wir es nicht? Es zwingt uns auch niemand, unser äußeres Auge vor äußeren Lichtern aufzutun, uns an äußeren Flammen zu wärmen. Warum tun wir’s doch? Weil’s uns so viel besser gefällt, als im Dunkeln und Kalten zu sitzen. Nun wohl, in einer dunkeln und kalten Natur sitzen wir auch, wenn wir nicht das innere Auge des Geistes auftun wollen vor den inneren Flammen der Natur. Gefällt es freilich jemand besser es nicht zu tun, wer kann es wehren? Und doch wie vieles ist, was es uns wehren sollte!

Überblicken wir einmal im Zusammenhange den ganzen Lebenskreis der Pflanze: wie die Säfte in ihr so regsam quellen; wie es sie drängt, Augen und Zweige zu treiben und rastlos an sich selber zu gestalten; wie sie mit der Krone gen Himmel und mit der Wurzel in die Tiefe trachtet, selbstmächtig, ohne daß sie jemand dorthin zöge oder den Weg ihr dahin wiese; wie sie den Frühling mit jungen Blättern, den Herbst mit reifen Früchten grüßt; einen langen Winter schläft, und dann von Frischem zu schaffen beginnt; im Trocknen die Blätter hängt und in der Frische sie aufrichtet; sich am Taue erquickt; als Schlingpflanze umherkriecht, die Stütze zu suchen; — wie die Blume erst in der Knospe still verborgen ruht und dann ein Tag kommt, wo sie sich dem Lichte öffnet; wie sie Düfte auszuströmen beginnt und in Wechselverkehr mit Schmetterlingen, Bienen und Käfern tritt; wie das Geschlecht in ihr rege wird; sie morgens sich auftut; des Abends oder vor dem Regen schließt; dem Lichte zuwendet; — und es deucht mich, daß es uns doch schwer fallen sollte, diesen ganzen schwellenden und quellenden, an innerem und äußerem Wechsel so reichen Lebenskreis vergeblich, öde, leer für die Empfindung zu denken.

Freilich sind es nicht Zeichen der Empfindung eines Menschen, einer Katze, eines Sperlings, eines Fisches, eines Frosches, eines Wurmes, was wir hier erblicken; es sind Zeichen der Empfindung einer Tanne, einer Weide, einer Lilie, einer Nelke, eines Mooses. Aber das Seelenleben der Pflanzen soll ja das der Tiere nicht wiederholen, sondern ergänzen. Und ist nicht doch genug Analogie in jenen Lebenszeichen sogar mit unseren eignen, um die Pflanzen noch als unsere Seelenverwandten anzusehen? Wären wir nur nicht so übermäßig stolz auf unsere Beine, mit denen wir über sie hinlaufen und sie darniedertreten, als reichte es schon hin, Beine zu haben, um auch einer Seele den Vorrang abzulaufen. Ja könnten die Pflanzen laufen und schreien wie wir, niemand spräche ihnen Seele ab; alle jene mannigfaltigen und zarten und stillen Zeichen von Seele, die sie von sich geben, wiegen uns nicht so viel, wie jene groben, die wir an ihnen vermissen; und doch sind die Pflanzen wahrscheinlich bloß stumm für uns, weil wir taub für sie sind. Doch sagen wir selber von einer Pflanze, die in der Dürre steht, sie sehe traurig aus, sie lechze, schmachte. Sollten denn aber wir mehr von dem Trauern, dem Lechzen, Schmachten jener Pflanze fühlen als sie selber, die wir vielleicht ganz vergnügt dabei aussehen, während sie die Blätter hängt und im Begriff ist zu vergehen? Es scheint ihr doch nach allen Zeichen näher zu gehen als uns. Und warum sagen wir nie ebenso von einer künstlichen Blume, daß sie uns anlache wie eine lebendige, sei sie auch noch so ähnlich der lebendigen? Warum anders, als weil wir nur in dieser, nicht in jener eine wirklich lachende Seele ahnen? Christus schalt die Juden, welche Zeichen und Wunder verlangten, um zu glauben; sind wir nicht schlimmer als die Juden, die wir die Zeichen und Wunder einer lebendigen Seele wirklich sehen, und dennoch nicht an sie glauben wollen? Was wollen wir denn sonst noch sehen, um zu glauben?

Führen wir uns nun einmal von allen Momenten jenes Lebenskreises einen näher vor Augen und Gemüt, den, wo sich die Blütenknospe eben auftut.

Wie drängte vorher alles im Leben der Pflanze nach diesem Moment hin, und wie scheint es abgesehen auf eine mächtige, plötzliche, herrliche Überraschung derselben, wenn sie nun aufbrechend das, was sie erst bloß im Dunkel erstrebte, erarbeitete, ohne noch recht zu wissen, was es gelte, auf einmal im offenen Kelche als Geschenk von oben in vollem Gusse empfängt, ein Vorbild dessen, was wird einst für unsere Arbeit um das Höhere aus dem Höheren empfangen werden, wenn die Seele auch unsern Leib durchbrechen wird. Oder vergleichen wir es jetzt nur mit irdischem Geschehen! Tut sich wohl die Blume anders gegen das Licht auf als das, was auch am Menschenleibe wie eine bunte Blume erscheint, als das Auge sich zum ersten Male gegen das Licht öffnet? Faltet sie wohl ihre verschlossenen, in der Knospe zusammengepackten Blätter anders auseinander als der Schmetterling seine erst verschlossenen, in der Puppe zusammengepackten Flügel? Meint man, die Natur hat uns im aufbrechenden Auge und im ausbrechenden Schmetterlinge wirkliche Empfindung, in der auf- und ausbrechenden Blume bloß äußere Zeichen der Empfindung gegeben; wir seien es, die erst Empfindung dichtend dahinein legten? Als wenn die Natur nicht mächtiger und reicher und tiefer mit dichtender Kraft begabt wäre als wir, wir ihr etwas schenken könnten, was sie nicht schon viel herzinniger in sich trüge, nicht all unser Dichten selbst erst ein schwacher Abglanz von ihrem Fühlen wäre, worein freilich unseres selbst auch mit eingeht, aber doch nicht allein eingeht. So viel Gefühl, wie wir uns in der erblühenden Blume denken mögen, hat sie gewiß wenigstens, ja gewiß mehr; jeder, der nicht eine Empfindung heuchelt, hat sie ja tiefer und voller, als ein anderer sie ihm ansehen kann.

Dennoch meine ich nicht, es sei nur in der Blütezeit, daß die Empfindung der Pflanze erwache, was wohl manche die recht freigebig gegen sie zu sein glaubten, ihr zugestanden haben. Und noch überdies sei es ein recht dunkles Ding, das bißchen Empfindung, was da lebendig werde, wohl dunkler als unsere dunkelsten Traumvorstellungen. Aber die Stärke und Klarheit, für jetzt beiseite gesetzt, warum soll ich nicht glauben, daß, wenn die Pflanze in der Blüte empfindet, sie auch vor der Blüte empfindet, wenn ich nicht bezweifle, daß der Schmetterling, der als Schmetterling empfindet, auch schon als Raupe empfindet? Die Pflanze vor dem Blütezustande ist aber gewissermaßen in einem ähnlichen Verhältnisse gegen ihren künftigen Blütezustand. Es erwachen nur mit der Blüte neue Sinne und Lebenstriebe in ihr, welche alle bisherigen überwachsen, Säften und Kräften eine andere Richtung und Nutzung erteilen, womit dann freilich ihr ganzer Lebenszustand ein anderer wird.

Um eine kleine Abschweifung zu machen, sind Blumen und Insekten, insbesondere Schmetterlinge, überhaupt recht merkwürdige parallelen zugleich und wechselseitige Ergänzungen, nur daß die Blume ihre frühere Lebensstufe, indem sie dieselbe übersteigt, noch als Basis unter sich behält, während der Schmetterling seine frühere Lebensstufe gänzlich abgestreift, oder richtiger, mit sich und in sich aufgehoben hat. Die Pflanzenseele baut sich ihren Leib als eine Treppe, deren Gipfel die Blüte ist, die untern Stufen bleiben; der Schmetterling fliegt scheinbar über seine frühere Stufe empor, trägt sie aber im Grunde mit sich in die Lüfte und macht sie eben dadurch zu einer höhern, deswegen verschwindet sie als tiefere. Die Raupe lebt von dem Kraute, das ihr Bild ist, der Schmetterling von der Blüte, die sein Bild ist. So schließen beide, Schmetterling und Pflanze, erst zusammen ihren Lebenszirkel ab. Eine Erinnerung an das Jenseits mag sich wieder daran knüpfen. Die Raupe findet das, womit sie sich im niedern Zustande beschäftigt hat, auf höhere Stufe gehoben in einem höhern Lichtreiche wieder; so mag der Mensch den Lebenskreis, in dem er hier lebte, auch dereinst auf höhern Zustand gehoben wiederfinden; aber wie der Schmetterling dann über tausend andere Blumen schweifen darf, mag es dereinst mit uns sein. Der Pflanze mag es wehe tun, wenn die Raupe an ihren Blättern nagt. Sie denkt gewiß: die böse Raupe! Wenn dann aber der Schmetterling zur Blüte kommt, mag es ihr so süß tun, wie es ihm tut. Hätte nun aber die Pflanze die Raupe nicht früher mit Schmerzen genährt, könnte der Schmetterling dereinst ihr nicht Lust bringen. So können wir uns denken, daß das, was wir im jetzigen Leben mit Schmerzen andern opfern, uns einmal im künftigen Leben in Lust von Engeln zurückgebracht wird. Wenn wir uns aber dächten, die Blumen im Garten empfänden eben auch nicht mehr wie Papierblumen, so wäre es auch freilich nichts mit diesen und andern schönen Bildern; diese Bilder wären selbst Papierblumen.

Wie vieles in der Natur ungenossen bleiben möchte, wenn nicht der Pflanzenkelch der Kelch wäre, es zu schöpfen, können wir, die selbst nicht aus diesen Kelchen trinken, freilich schwerlich ahnen; aber manches liegt doch auch uns offen genug vor, es von unserem Standpunkte zu übersehen. Fassen wir von ihrem oben flüchtig gezeichneten Lebenskreise noch ein paar Punkte näher ins Auge.

Welch Tier macht sich aus einem Tautropfen etwas; es schüttelt ihn ab und verkriecht sich vor dem Regen. Auch wir schelten, müssen wir im Taue waten, pflanzen Regenschirme auf, uns vor dem Regen zu schützen; die Pflanzen dagegen sind wie Schirme aufgepflanzt, ihn aufzufangen; jedes Blatt breitet sich dazu aus, macht sich wohl gar hohl dazu; bloß die Blüte, mehr für ein Leben im Lichte bestimmt, ist geneigt, sich gegen den Regen zu schließen, um sich nachher desto schöner wieder zu öffnen; die ganze Pflanze gibt nach Tau und Regen die Zeichen der Erquickung. Aber all das gilt uns nichts. Was wir Erquickung der Pflanzen nennen, soll bloß ein verschönernder Ausdruck für das Aufschwellen eines schwammigen Zellgewebes sein; Regen und Tau bloß da sein, um eklig naß zu machen.

Der Landmann freut sich freilich auch über den Regen, weil er sonst um seine Ernte kommt, und wir, weil uns der Regen den Staub löscht und der Natur ein frisches Ansehen gibt; aber das ist doch nur mittelbare Freude; erspart uns noch nicht die Frage nach Wesen, die sich auch unmittelbar an Tau und Regen freuen. Nun paßt aber beides aufs Schönste zusammen. Der Landmann freut sich, weil der Regen das Gedeihen seiner Saaten befördert und so ein fernes Mittel seiner Lust wird; nun wohl, die Saaten werden sich eben ihres eigenen Gedeihens unmittelbar dabei freuen. Wir freuen uns, wenn der Staub von Wegen und Feldern weggewaschen wird; es ist wieder ein fernes Mittel, unsere Lust zu fördern; was an diesen Wegen und auf diesen Feldern wächst, wird sich unmittelbar, freuen, daß der Staub von ihm selbst weggewaschen wird.

Nichts hindert, sich zu denken, wenn es einmal keiner Nerven zur Empfindung bedarf, daß, wenn das Tautröpfchen morgens auf der Pflanze liegt, sie es wie einen Strahlpunkt der Kühlung fühle, und wenn dann die Sonne aufsteigt, sie das Sonnenbildchen darin wie einen Strahlpunkt der Wärme fühle, und dann fühle, wie es den Tau allmählich wegleckt. Ein niedliches Spiel von Empfindung, was auf einem Tierpelz eben nicht stattfinden kann; deshalb schüttelt eben dieser Pelz den Tautropfen ab; deshalb macht die Pflanze ihre Hände hohl dagegen. Der Glanz und die Pracht, welche die beperlte Wiese äußerlich für uns hat, ist, denke ich, bloß ein äußerlicher Abglanz von der Seelenfreude, welche sie innerlich hat. Es ist so viel schöner, sich zu denken, daß es so sei, nun aber finde ich auch nicht das geringste Hindernis zu denken, daß es so wahr sei. Und warum sollten wir es vorziehen, einen Seelentrank für bloßes Wasser zu erklären, wenn es uns frei steht, aus Wasser einen Seelentrank zu machen?

Wie mit Tau und Regen, mag es mit dem Winde sein. Es würde viel mehr davon umsonst verwehen, wenn die Pflanzen nicht mehr von seinem Wehen als wir vernähmen. Darum schützen sie sich durch keine Häuser, keine Mäntel, keine Schlupfwinkel dagegen, sondern stehen frei draußen, beugen sich und neigen sich, schwanken und zittern im Winde. Daß sie in die Erde festgewachsen sind, gibt demselben noch einen ganz andern stärkern Angriff auf sie als auf uns; bis in die Wurzeln reicht die Erschütterung und jedes Blatt bebt und rauscht. Ich meine, daß die Pflanze hierbei wohl noch ein stärkeres Gefühl davontragen mag, als wenn der Wind uns durch die Haare fährt. Unsere Haare sind tote Teile unserer selbst; die Blätter der Pflanzen aber lebendige; unsere weichen, mit Gelenken gegliederten Teile sind nicht so geeignet, die Erschütterung aufzunehmen und durch sich fortzupflanzen, wie ihr steifer Stamm oder Stengel. Wir haben nur ein kleines Trommelfell in uns, das fest ausgespannt ist und von den Luftwellen erzittert. Die Pflanze ist durch und durch ein solches Trommelfell, auf das der Wind trommelt; und hören wir die Töne äußerlich im Sausen des Windes durch das Laub der Bäume, wie anders mag die Pflanze das innerlich empfinden. Man denke daran, daß es niemand außer uns hört, wenn wir eine harte Brotrinde kauen, während wir es innerlich sehr stark hören. Selbst bei scheinbar ruhiger Luft, wenn es schneit, sehen wir die Schneeflocken auf und ab, hin- und herfliegen. Was spüren wir von dieser Luftbewegung? Wir haben keine Organe dazu. Die Pflanze ist wohl ganz Organ dazu; die kleinste Bewegung der Luft bringt doch eine leichte Erschütterung und Biegung an ihr hervor, die durch das Ganze wirkt; denn nicht bloß die Erschütterung, auch die Biegung tut’s. Wird hier ein Blättchen gebogen, so wird zugleich ein Weg zugeschnürt, und die Säfte müssen durch die ganze Pflanze, sei’s auch noch so wenig, anders gehen. Rauscht der Wind stärker durch den Wald, ergreift sogar uns selbst schon ganz unwillkürlich das Gefühl, der Geist der Natur rausche hindurch. Und in Wahrheit sind uns nun die Bäume und Blumen Saiten einer großen Seelenharfe geworden, die der Wind spielt. Jede Saite klingt anders daran, weil jede anders dazu gebaut ist, und Gott wird das allgemeine Spiel in sich vernehmen.

Denken wir weiter an den Duft. Wie süß erscheint er uns; aber soll aller Duft verloren sein, der nicht zufällig in eine unsrer Nasen kommt; diesen kleinen Teil von uns, indes die Blume ganz Weihrauchgefäß ist? Jeder fühlt wohl, es ist etwas unbeschreiblich Reizendes, Liebliches im Blumenduft; aber es bleibt doch für jeden eine unbeschreibliche Nebensache; wir kosten mehr von seiner Lieblichkeit, als wir sie zu genießen wissen, und nicht eine Minute lang mögen wir die Nase über eine Blume halten, so haben wir es satt und gehen weiter; indes duftet die Blume fort und fort, als hätte sie ein beständiges Geschäft zu erfüllen. Ist es ein Rauchopfer, Gott gebracht? Aber was kann Gott ein Opfer dienen, das ihm nicht von einer Seele gebracht wird? Unerklärlich, mehr als halb vergeblich alles, wenn das Duften der Blumen bloß um andrer, nicht auch um ihrer willen, ja nicht viel mehr um ihrer willen da ist; wenn das, was wir, die dem Blumenleben so äußerlich gegenüberstehen, von seiner Süßigkeit genießen, mehr als ein ferner Abklang dessen ist, was in dem Blumenleben selbst davon genossen wird. Wer hörte jemals ein süßes Lied singen, von welchem der, der es sang, nicht mehr fühlte als der, der es hörte, zumal wenn es nicht eine verwandte Seele ist? Werden wir nicht also auch meinen, daß die Blume das innerliche Erarbeiten und Ausströmen des süßen Duftes aus ihrem Innern mit größerer Innigkeit empfindet als wir sein äußerliches Zuströmen? Nun gießt ein Kelch noch überdies diesen Duft in tausend andre Kelche, und ein Kelch empfängt ihn wieder von tausend andern Kelchen. Als unsichtbarer Nebel zieht der Duft von Blume zu Blume, und der Wind weht ihn noch weit über Hecken und Feldmarken hinaus. Ist auch dies vergeblich? Wird nicht erst hiermit vollends erklärlich, warum die Blumen fort und fort duften, indes niemand im Garten geht? Sie selber gehen damit zueinander, indes sie fest zu stehen scheinen. Jede Blumenseele mag durch das, was von den andern Blumen an ihr Fenster rührt, eine Empfindung von dem empfangen, was in jeder andern Blumenseele vorgeht; wie die Worte, die wir hören, entsprechende Empfindungen in uns erzeugen, wie die sind, mit denen sie andre aussprechen. Auch Worte sind nur aus dem Innern begeistete sinnliche Boten, warum sollten es Düfte weniger sein? Worte für uns, Düfte für die Pflanzen; die nun freilich nicht so Verständiges werden zu übertragen wissen wie Worte; aber gibt es bloß ein Denken mit und in andrer Seelen hinein, nicht auch ein Empfinden? Zwar gibt es auch geruchlose Blumen, aber nicht auch stumme Tiere? Freilich sehen wir keine besondere Nase an der Blume zum Riechen; aber wie sie ganz als Kelch gebaut ist, Duft auszuströmen, erscheint sie auch ganz dazu gebaut, ihn wieder zu empfangen, so frei und weit und offen und einfach breitet sie sich dazu aus. Bedenken wir nur, daß wir ja nicht im Geringsten wissen, was unsere eigene innere Nasenfläche befähigt, zu riechen, warum sollte nicht die innere Blumenfläche eben so gut dazu befähigt sein?

Bei uns und den Tieren liegt das Geruchsorgan versteckt; dafür haben wir in den gewundenen Nasenmuscheln besondere Vorrichtungen, die geruchsempfangende Oberfläche zu vergrößern; in den Pflanzen bedurfte es solcher Künsteleien nicht, eben weil die ganze Blume für das Aufnehmen der Gerüche offen liegt. Was mehr selbständig einen Hauptzweck erfüllt, kann es stets in einfacherer klarerer Form tun, als was sich als Nebenteil anderem unterordnen muß.

Der Geruch führt uns weiter zum Geschmack, und warum sollten wir den Pflanzen nicht auch diesen zutrauen in ihrer Weise, da so vieles ungeschmeckt bleiben würde in der Natur, wenn es nicht eben die Pflanzen schmeckten? Der Mensch, das Tier genießt selbst nur Pflanzen und andere Tiere; die Pflanze genießt alles, was Menschen und Tiere nicht mögen; ja am liebsten das, was diese am meisten verschmähen. So haben wir auch hier wieder ein sich Ergänzendes, wenn außer dem Tiere noch die Pflanze zu schmecken vermag, und nur ein Halbes, wenn sie es nicht vermag. Nun sehen wir noch überdies, daß jede Pflanze je nach ihrer Natur eine Auswahl trifft unter den Nahrungsstoffen. Aus demselben Boden nehmen verschiedene Pflanzen Verschiedenes auf; die Lehre vom Fruchtwechsel beweist es ins Große; Versuche der Naturforscher haben es im Kleinen bewiesen. Nicht jeder Pflanze schmeckt dasselbe, wie nicht jedem Tiere dasselbe schmeckt. Freilich hat die Pflanze wieder seine Zähne, keine Zunge; aber ist nicht jede Wurzelfaser, jedes Blatt, womit sie Nahrung kostet und aufleckt, eine Zunge? Denn man weiß, daß sie durch die Blätter sich so gut nährt wie durch die Wurzeln. Und wozu die Nahrung kauen, wenn sie solche ohne Zähne zu bewältigen weiß?

Sagt man etwa: daß die Pflanze sich von toten unorganischen Stoffen nährt, spricht doch nicht so dafür, daß sie eine lebendige Empfindung davonzutragen vermag wie das Tier, das schon organisch gewordene Stoffe genießt? Die Pflanzen bereiten bloß das Tote zum Übergange ins Leben vor; aber dieser Prozeß steht selbst noch auf der Zwischenstufe zwischen Leben und Tod. Ich frage dagegen: verrät es nicht mehr Lebenskraft, das Tote lebendig machen, als Lebendiges wandeln? Die Pflanze macht aus roher Erde, Wasser, Luft und faulen Stoffen herrliche Gestalt und Farbe; das Tier hat nur weniger noch zu tun, um den schon so dem Leben anheim gefallenen Stoff dann in sich zu wandeln. Überall aber sehen wir, daß je fremdartiger etwas zum Organismus tritt, je größere Lebensanstrengung also gebraucht wird, es zu bewältigen, um so geneigter ist es, Empfindung zu erwecken. So, meine ich, haben wir, die Gesetze unseres eignen Organismus betrachtend, nicht weniger, sondern eher mehr Empfindung in den Pflanzen bei Verähnlichung der Nahrungsstoffe zu suchen als in uns.

Fassen wir endlich das, was für die Pflanze das Höchste sein mag, das Licht, nochmals ins Auge. Auch unser Auge ist für das Licht empfänglich; dieses bleibt nicht ungenossen, wenn auch die Pflanze nichts davon genösse. Aber wie ganz anders mag es noch von der Pflanze genossen werden, deren ganzes Leben sich im Lichtleben gipfelt? Wer von uns mag mit geradem Blicke in die Sonne schauen? Nicht die Sonne, nur was sie ansieht, wagen wir anzusehen. Ja, wenn sie uns auf den Scheitel scheint, setzen wir Hut oder Mütze auf. Es ist im Ganzen ähnlich mit den Tieren. Selbst der Adler, indem er nach der Sonne fliegt, zieht seine Nickhaut über das Auge. Die Blume aber tut sich ganz und gar gegen das Licht auf, ja wird durch das Licht mit aufgetan; je mehr das Licht auf sie scheint, desto mehr tut sie sich auf, indes wir unser Auge um so mehr dagegen schließen; und sie gedeiht herrlich und freudig darin, wenn ihr nur nachher wieder die Labung des Regens und Taues wird. Aber wir lassen das alles wieder nicht für genossen gelten. Es soll bloß Wesen geben, die neben der Sonne weg sehen, sich in den Abfällen des Sonnenscheins sonnen dürfen. Ich meine aber vielmehr, wer nur neben der Sonne weg sehen mag, beweist eben damit, daß ihm ihr Glanz mehr Nebensache ist als dem, der gerade hinein sehen will.

Es ist wahr, die Pflanze hat wieder nicht ein Auge, gebaut wie unseres; nicht Vorrichtungen, daß ein Bild der Gegenstände in und auf ihr entstehe wie in unserm Auge. Aber wozu braucht sie es? Sie hat eben nicht nach den Gegenständen zu laufen, nicht danach zu langen wie wir. Dazu müssen wir uns freilich durch ein Bild der Gegenstände leiten lassen. Zu ihr kommt alles von selber, was sie braucht. Statt aber an den Gegenständen, die die Sonne bescheint, freut sie sich der bescheinenden Sonne selbst, und zugleich selbst der sonnenbeschienene Gegenstand zu sein. Statt ein buntes Bild der Gegenstände auf sich malen zu lassen, wie auf unsrer Netzhaut geschieht, malt sie sich selbst bunt im Sonnenstrahle verleiblicht diesen, sozusagen, in sich. Licht wird Pflanze; sie zwingt ihm Farbe ab; es kocht in ihr Nektar und Duft; es gärt, es schwillt alles in ihr; sie entbrennt in ihm zu einem erhöhten Gefühle ihres eignen durchleuchteten Daseins, und wird hierin zugleich der Wirkung eines Höchsten über sich in sich inne. Sie schaut, indem sie in die Sonne blickt, sozusagen, ihren Gott von Angesicht zu Angesicht in Fülle seines Glanzes, und die Sonne ist ja auch wirklich ein leuchtendes Auge Gottes, in das sie schaut und womit er sie wieder anschaut.

Schon Schelling sagte: hätte die Pflanze Bewußtsein, sie würde das Licht als ihren Gott verehren. Nun, hat sie auch kein gleich entwickeltes Bewußtsein, wie das unsre ist, mag sie doch im Strahl der Sonne ein Gefühl gewinnen, das sie ebenso über ihre früher gewohnte Sphäre erhebt wie uns die Aufnahme des Göttlichen in das Gemüt. — Folgende gar hübsche Bemerkung las ich in Hegels Naturphilosophie (S. 425):

"Abends, wenn man von der Morgenseite auf eine blumenreiche Wiese tritt, sieht man wenige, vielleicht keine Blumen, weil alle der Sonne zugewendet sind; von der Abendseite prangt dann alles voller Blüten. Auch am Morgen auf der Wiese, wenn es früh ist, sieht man von Morgen kommend, keine Blumen; erst wenn die Sonne wirft, kehren sie sich gegen Morgen." — Ist das nicht ganz, als wenn die Blumen der Wiese gemeinschaftlichen Abendgottesdienst hielten und dann, noch mit dem Gesichte gegen Gott gewendet, einschliefen? Aber Gott will sie nicht fortschlafen lassen; sie fallen immer wieder im Suchen seiner und im Mitgehen mit ihm ihre Freude finden. Darum geht er nachts heimlich hinter sie herum und weckt sie morgens mit einem allgemeinen Scheine und fragt: wo bin ich? Und jede dreht den Kopf, bis sie ihn gefunden, und geht nun Tagesüber mit ihm.

Es ist wahr, nicht alle Pflanzen blicken mit den Blumen geradeswegs in die Sonne; wie viele sind, die sich neigen; ja einige gibt es, die sie abends öffnen und des Morgens oder vor dem Morgen schließen. Man denke an die Königin der Nacht.Die Königin der Nacht, Cereus grandiflorus, öffnet Sich um 7 Uhr abends und schließt sich ungefähr um Mitternacht; mit dieser einmaligen Blüte ist es abgetan. Die Blüte des Mesembryanthemum noctiflorum dagegen öffnet sich mehrere Tage hintereinander abends um 7 Uhr und schließt sich gegen 6 oder 7 Uhr morgens wieder. Auch gibt es noch andere dergleichen Blumen. (Decand. Physiol. der Pflanzen II. S. 27. 28.)

Aber es ist auch nicht gesagt, daß jedes Individuum und jede Art im Blumenreiche es zum höchsten Gipfel des Lichtlebens bringe; das Höchste in ihrer Art erreichen auch der Menschen nur wenige. Wie wenige sind, die ihre Seele ganz zu Gott wenden, wie wenige werden verdienen, ihn dereinst ganz zu schauen. Es ist genug, daß doch im Blumenreiche die Gelegenheit geboten ist, zum größten und höchsten Vollgenuß des Lichtes zu gelangen, sonst aber nirgends. Manche Blumen mögen zu empfindlich gegen das Licht sein, wie manche Nachttiere; aber der Umstand selbst, daß jede Blume sich hierbei anders und eigentümlich verhält, wie jeder Mensch und jedes Tier sich eigentümlich verhält gegen ihre Empfindungsreize, spricht dafür, das Licht sei auch wirklich ein solcher Reiz für die Pflanzen.

Wie viel mehr Bedeutung das Licht für die Pflanzen haben mag als für uns, ergibt sich, außer der Richtung, die sie gegen dasselbe annehmen, namentlich daraus, daß es so viel mächtiger in ihren ganzen Lebensprozeß eingreift als den unseren. Wir wachsen nicht anders, wir atmen nicht anders im Lichte als außer dem Lichte. Spurlos und wirkungslos gleitet der Sonnenstrahl über unsere Haut hin; nur das Auge ist für feinen Reiz empfänglich. Aber die Pflanze spürt über ihre ganze Oberfläche den Reiz des Lichts, wie den Mangel dieses Reizes. Er ist es, der sie ergrünen, es ist es, der sie erblühen macht; denn ohne Licht bleibt alles Kraut fahl, will keine Blüte sich entwickeln. Ohne Licht stockt ihre Ausdünstung, das Kraut hört auf Lebensluft von sich zu geben, die Sprossen werden schmal und lang und bleich, statt kräftiger herber und bitterer Stoffe erzeugen sich nur fade und süßliche. Jeder andere Farbenstrahl hat anderen Einfluß auf den Lebensprozeß der Pflanzen. Dabei führt die Blüte ein ganz ander Leben im Lichte als das grüne Kraut; sie atmet anders darinDie Blüte verzehrt Sauerstoff im Lichte, während das Kraut solchen entwickelt. , färbt sich anders darin, entfaltet sich anders darin. Nun finden wir an uns selbst, daß, je wichtiger und notwendiger ein Reiz für Erhaltung und Gedeihen des Lebens ist, desto mehr hängt auch von seinem Mittelmaß, Mangel oder Überfluß das normale Lebensgefühl oder das Hervortreten besonderer Bedürfnisgefühle ab, welche mit dem Mangel oder Überfluß des Lebensreizes in Beziehung stehen; desto bestimmter wird überhaupt jede Abänderung des Reizes empfunden. Somit können wir auch voraussetzen, daß das Licht die wichtigste Bedeutung für die Empfindung der Pflanzen haben werde, und zwar eine anders geartete für die Blüte als die Blätter.

Man könnte zwar meinen, der Umstand, daß die Blume sich so offen und gefahrlos dem Sonnenstrahle darbietet, spreche gerade am meisten gegen eine erhebliche Empfindlichkeit derselben für das Licht; denn daß wir unsere Augenlider geblendet gegen das Sonnenlicht schließen müssen, gilt uns eben als das deutlichste Zeichen einer großen Empfindlichkeit dafür. Aber sehen wir näher zu, so ist es statt einer größern Unempfindlichkeit nur eine größere Schonung der Empfindlichkeit, was wir bei den Pflanzen anzuerkennen haben. In der Tat hängt das leichtere Ertragen des Sonnenlichts von seiten der Pflanze nur davon ab, daß ihr bei ihrer allverbreiteten Reizbarkeit für das Licht nicht auch noch für eine einzelne Stelle ein solcher lichtkonzentrierender Apparat zugegeben ist wie uns in dem Linsenapparat des Auges. Indem dieser das Sonnenbild mit Macht auf unsere Netzhaut, die einzige bei uns für das Licht reizbare Stelle, konzentriert, spüren wir freilich eine gewaltige Blendung; die Pflanze bietet sich ohne solch Brennglas dem Lichte überall reizbar dar, ist aber eben deshalb der Überreizung einer einzelnen Stelle nicht so leicht unterworfen. Wir stehen so in gewisser Beziehung gegen sie gar sehr im Nachteil. Denn wir haben das Vermögen, Licht zu empfinden, unserem größern Teile nach verloren, sind nur noch zu einem Stückchen Auge; dem Stückchen mußte nun künstlich zu Hilfe gekommen werden, so erhielten wir die Brillengläser unserer Augen; diese Hilfe wird doch über wieder leicht zu viel, und dagegen brauchte es wieder künstlicher Abhilfen. Für den offenen einfachen freien Verkehr der Pflanze mit dem Lichte bedurfte es dagegen weder künstlicher Sammlungs-, noch ängstlicher Schutz- und Korrektionsmaßregeln. Freilich ist jenes Kunststück des Auges uns noch von anderm Werte als bloß das Licht zu sammeln, auch es zum Bilde zu ordnen; aber eben nur für uns ist es von diesem Werte, der für die Pflanzen keiner wäre.

Nach allem wird man sagen: aber wie, das Höchste, was zu beanspruchen, wäre doch wohl nur, der Pflanze, die doch jedenfalls tiefer stehen wird als wir, einen Anklang unserer Empfindung beizulegen; nun soll sie gar so vieles stärker und reicher empfinden als die Menschen und Tiere! So stünde sie ja vielmehr höher als wir; wir sollen es vielmehr sein, die nur diese und jene Anklänge von dem empfinden, was sie allseitig, voll empfindet.

Und in der Tat glaube ich, daß die Pflanze höher steht als wir, nur in einem niedern Reiche. Eben weil ihr ein höheres Seelenleben fehlt, mag das niedere, das Sinnesleben, bis zu einem Grade der Entwickelung bei ihr gediehen sein, der uns fehlt. Bei uns hat das Sinnesleben dem höheren Leben nur zu dienen, bei der Pflanze treibt es selbständig sein Geschäft. Man irrt, wenn man meint, daß die Natur ein Geschöpf schlechthin in jeder Beziehung tiefer stellt als ein andres. Tut sie’s im ganzen, ist’s doch nur, um die tiefere Stufe zu einem Gipfel für sich zu erheben. So überfliegt die Schildkröte doch in mancher Beziehung den Adler; sie riecht das Wasser, ohne es zu sehen; und der Holzwurm weiß und empfindet manches besser als der Mensch; er ist eben da, daß auch das Holz geschmeckt werde, wogegen des Menschen Zunge stumpf ist. Ich meine, die Pflanze lebt so recht beständig und unabgeschlossen mit Erde, Wasser, Luft und Licht, daß sie wohl auch für die Empfindung von allen Veränderungen darin ganz aufgeschlossen sein mag; rühren doch wirklich alle in ihren Lebensprozeß hinein. Aber wie sie mit all ihrem Tun nicht weit durch den Raum greift, mag sie auch mit ihrer Empfindung nicht weit durch die Zeit greifen, nicht vor-, noch nach-, noch um sich denken, nicht denken überhaupt, sondern dahin leben in der Gegenwart, sinnlich empfangend und gegenstrebend. Auch Vorstellungen in bestimmten Bildern mögen ihr abgehen. Ich deute diese Stellung der Pflanzen hier nur an; es wird sich später (XIV) noch mehr darüber und dafür sagen lassen. Gewiß ist, daß, wenn wir bloß ein paar Spuren Empfindung für die Pflanzen retten wollen, von den stärksten und schönsten Gründen für ihre Seele auch nur Spuren übrig bleiben; ja es nicht mehr der Mühe wert wäre, noch davon zu sprechen. Denn das sieht man ja wohl, daß diese stärksten und schönsten Gründe in der Schönheit und bindenden Kraft einer in sich zusammenhängenden reichen lebendigen Naturanschauung liegen, welche uns entsteht, wenn wir ein entfaltetes Seelenleben nach allen den Beziehungen, wo das Menschen- und Tierleben eine Lücke, Leere und Unvollendung läßt, ergänzend zu ihm hinzuzufügen wissen. Und wie groß wäre diese Lücke, wenn sie nicht das Pflanzenreich füllte. Hiermit erst wird die Natur zu einer vollen Blume; wir aber wollen ihr die ganze Fülle der Blätter entreißen und nur ein paar Staubfäden stehen lassen. Und sei’s sogar, daß wir vielleicht etwas zu viel in den Pflanzen suchten, so ist’s ja nur ein billiger Entgelt dafür, daß man so lange gewiß zu wenig in ihnen suchte.


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