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Einundzwanzigstes Kapitel.

Nach dessen Beendigung ich die Feder niederlege, um zu meinen Pinseln zurückzukehren.

 

Heut ist etwas Ungewöhnliches in der Luft: durch das offene Fenster dringt der Märzhauch ein, um den Frühling zu verkünden, und unser Herz thut sich auf, wie um die Freude zu empfangen.

Heut morgen erwachte Annetta singend, erwachte ich mit einer brennenden Lust, das letzte Kapitel unserer Geschichte zu schreiben. Habe ich gut oder übel daran gethan, sie aufzuzeichnen? Ich beruhige mich damit, daß es geschehen mußte; denn wenn das Schicksal einen merkwürdigen heiteren Roman verfaßt, so behaupte ich, daß immer noch etwas dabei fehlt, nämlich jemand, der ihn wohl oder übel aufs Papier bringt.

Das gehört zur Ordnung der Dinge, und seit Signor Pasquali fern ist, finde ich mich wieder der Ordnung mehr zugethan, als er von mir behauptet.

Signor Pasquali ist seit zweieinhalb Monat in Paris, und Chiarina und Valens sind bei ihm. Sie reisten noch den folgenden Tag nach jener kleinen Aufführung in Via dei Bigli Nr. 19 ab, denn Signor Pasquali gab zu bedenken, daß man erfreuliche Dinge nie eilig genug ausführen könne, und Chiarina und Valens fanden diese Maxime sehr verständig.

Annetta stellte zwar die Behauptung auf, man dürfe auch die verständigsten Grundsätze nicht übertreiben; aber da jene doch einmal reisen mußten, überwand sie sich und sagte ihrer Chiarina ebenfalls: »Reise morgen, schreib mir und komm bald zurück!«

Sie reisten am 22. Dezember ab; am 23. erhielten wir den ersten Brief von Chiarina aus Turin; hier ist er:

 

»Liebste Annetta!

Es sind erst wenige Stunden, seit ich Dich nicht gesehen, und doch ist mir, als hätte ich Dir so viel zu sagen. Höre eines, was mir ganz aus dem Gedächtnis gekommen war, in zwei Tagen haben wir Weihnachten; der kleine Giovanni Battista wird erscheinen, um mir zu zeigen, daß er das ganze Alphabet kennt, und dafür den Silberskudo und die Jacke zu bekommen. Was wird er sagen, wenn er mich nicht findet? Er darf nicht schlecht von mir denken, und deshalb bitte ich Dich, meine Stelle zu vertreten. Da ich an dem Tage nicht bei euch sein kann, so wird es mich glücklich machen, in Gedanken Dich und Deinen Mann zu sehen, wie ihr meinen kleinen Freund examiniert. Nehmt euch in acht, daß ihr es ihm nicht zu lange macht, denn Giovanni ist kein Held. Es fehlen nur wenige Minuten bis zur Abfahrt; Signor Bini sagt mir, daß ich nur eben noch Zeit habe, einen Kuß für meine liebste Freundin und einen Händedruck für Signor Ferdinando beizufügen.

Chiarina.

P.S. Sollte Giovanni Battista noch nicht alle Buchstaben gut kennen, so bitte ich Dich, ein Auge zuzudrücken.«

 

Am Tage vor Weihnachten wurde mir der Auftrag, die Höschen und die Jacke von grobem grauem Tuch zu erstehen und einen neugeprägten Silberskudo zu beschaffen, glänzend wie ein Stern.

Wir hatten den Portier angewiesen, Giovanni Battista heraufzuschicken, und kaum erwacht, sagte Annetta am Weihnachtsmorgen zu mir: »Wer weiß, ob der Kleine kommt?«

»Ob!«

Wäre er ausgeblieben, es hätte mich betrübt; aber er kam, und hatte es sogar eilig, denn während wir ihn gegen Mittag erwarteten, stieg er schon um neun Uhr morgens die Treppe herauf. Das Dienstmädchen rief uns, weil es etwas Schönes zu sehen gebe; Annetta und ich stellten uns an das Guckfensterchen nach dem Flur und erblickten den kleinen Giovanni, der mächtige Sprünge nach dem Glockenzuge that, ohne ihn zu erreichen.

Endlich wurde ihm geöffnet, er trat ein. Ein neues Licht schien mir sein Gesicht zu verklären, das, wenn nicht gerade weiß, doch jedenfalls hellfarbiger, als das erste Mal war; aber nicht das Licht des Wissens oder der Civilisation war es, wie Annetta scherzend meinte, sondern Giovanni hatte sich das Gesicht, mit Verschonung des Halses und der Ohren, gewaschen.

Der arme Bursche lachte, um seine Angst zu verbergen; aber wie sehr er sich auch zusammennahm, ein Held war er nicht – durchaus nicht – und der Anblick eines großen B (das sein unversöhnlicher Feind sein mußte), genügte, um ihm bange zu machen, er habe das ganze Alphabet aus dem Kopfe verloren.

»Laß hören,« sprach ich, »es ist gar nicht schwer: Was für ein Buchstabe ist es? Warum willst du es mir nicht sagen?«

»Erre,« stotterte er.

»Nein,« sagte Annetta.

»Und dieser?« fiel ich ein, und machte meiner Frau ein Zeichen »sieh ihn recht an.«

Giovanni war nicht einen Augenblick schwankend; es war da nichts zu zweifeln, ein V! man denke! Als er alle Buchstaben gelesen hatte, berichtigte ich freundlich seinen ersten Irrtum, machte ihn auf den tiefen Unterschied zwischen dem großen R und dem großen B aufmerksam und gab ihm sichere, leichte und unvergeßliche Kennzeichen an, mit denen er nie wieder ähnlichen Verwechselungen ausgesetzt sein könne.

O, wenn Signora Chiarina mich gehört und die Freude auf Giovannis grauschwärzlichem Gesichtchen gesehen hätte, als er die schöne Jacke, den blanken Skudo und die delikaten Weißbrötchen erhielt!

Als ich am Abend unter die täglichen Ausgaben auch das Geschenk für unseren kleinen Gelehrten aufzeichnete, hielt ich Annetta, die eben hinausging, mit der Frage zurück: »Wieviel hat uns also im ganzen dies gute Werk gekostet?«

»Achtzehn Lire und fünfzig Centesimi.«

»Und wieviel glaubst du, daß es wert ist?«

»Achtzehn Lire und fünfzig Centesimi.«

»Sehr richtig,« sagte ich; »aber diese achtzehn Lire fünfzig Centesimi haben einen gewaltigen Wert, sie haben den Wert einer großen Freude, einer ganzen vollen Glückseligkeit. Und beachte, was ich hier dazu schreibe ...«

Und ich machte bei den 18,50 ein Zeichen (1) und schrieb an den Rand: »(1) Das Geld ist so viel wert, wie die Freude, welche es bereitet, wie die Wohlthat, welche es gewährt; wer das Geld verachtet, zeigt, daß er es nicht zu verwenden versteht; und wer da glaubt, man lege zu viel Wert darauf, wenn man sparsam damit umgeht und die Centesimi zu Rat hält, der weiß es eben nicht richtig zu schätzen.«

»Und für wen schreibst du diesen schönen Ausspruch auf?«

»Für unsere einstigen Kinder; ich wünsche, daß sie in diesem Büchelchen der täglichen Ausgaben etwas von der Seele des Vaters finden, der sie so lieb hatte.«

»Unsere Kinder!« sagte Annetta vor sich hin und mußte unfreiwillig lächeln. »Ich habe das längst aufgegeben.«

»Ich nicht; wir sind erst drei Jahre verheiratet. Hatte nicht Signora Carolina ein reizendes Töchterchen, sieben Jahre nach der Hochzeit? Und deine Turiner Freundin Clotilde? Und die andere? ... wie hieß sie doch?«

Ein Sperling hat sich aufs Fensterbrett gesetzt, hat mit der Genauigkeit eines Veterans einen halben Bogen nach rechts und einen halben nach links gemacht, hat mir dann mit einem bedeutsamen Blick ein Wörtchen gesagt, das ich sehr gut verstand, und hierher schreiben möchte – Ende!

Aber ich traue der Sache noch nicht; ich könnte noch etwas vergessen haben.

Ach, richtig! ich habe noch nicht gesagt, daß eine wundervolle Ueberraschung für Valens und Chiarina im Werke ist. In ihrer Wohnung gab es, wie der Leser sich erinnert, einiges Ungeeignete zu verbessern; aus dem Atelier mußte ein Salon gemacht werden, aus zwei Schlafzimmern eins. Das alles ist besorgt.

Und ich habe noch nicht gesagt, daß Valens vor vierzehn Tagen mir in einem Briefe anvertraute, er sei von einer ungewohnten Leidenschaft erfaßt, nämlich: viel zu arbeiten. Und ich begriff, woher: weil seine Zukunft jetzt nicht länger unklar vor ihm liegt, nicht mehr im Streit mit der Gegenwart ist.

Endlich habe ich noch nicht gesagt, daß sie, nämlich Chiarina »Pasquali« und Valens Nebuli, seit acht Tagen wirklich Mann und Frau sind; und wenn meine Annetta sich von Zeit zu Zeit auf den Fußspitzen hinter mich schleicht, den Umhang umgethan und den Hut aufgesetzt hat, so thut sie das, weil nur noch vierzig Minuten an der Ankunft des Zuges fehlen, und vor Ungeduld verleumdet Annetta meine Uhr – eine bescheidene Genfer, aber auf den erforderlichen acht Rubinen laufend, und unfähig, einen längeren oder kürzeren Schritt, als nötig, zu thun.

Ungeduldig bin auch ich, aber ich weiß, daß wir nur fünfzehn Minuten bis zum Bahnhof gehen und daß ich nur den Paletot überzuziehen brauche, um fertig zu sein.

Und übrigens habe ich dem Leser noch nicht gesagt, wer mit dem elf Uhr fünfzig Minuten-Zuge ankommt, aber er hat es gewiß erraten.

Der prächtige Signor Pasquali kommt, es kommt mein bester Freund, es kommt das anbetungswürdigste Frauchen auf der Welt ... nach meiner Frau.

P.S. Anmerkung meiner Gattin: Heuchler!

 

Ende.

 


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