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Worin der Unbekannte meine Neugier zu stacheln beginnt.
Meine Gegenwart erleichterte die Unterhaltung und gab ihr bald eine gewisse vertrauliche Wendung. – Dem guten Signor Bini war eine schwach aber beständig tröpfelnde ironische Ader eigen, und während nach psychologischen Gesetzen eigentlich er einigermaßen befangen sein mußte, waren wir vielmehr seinetwegen in Aufregung; er ließ sich auf das Sofa nieder, wir hielten uns kerzengerade auf dem Stuhlrand und sahen ihn mit weitgeöffneten Augen an. Das einzige Zeichen seiner Erregtheit war eine dreiste, anmaßende Neugier, mit der er alles um sich her lange und genau betrachtete, ohne deshalb den Zusammenhang des eingefädelten Satzes zu verlieren; seine Zunge ging langsam, aber ohne Anstoß, wie die Bewegung eines Uhrwerks. – »Wenn wir's ihm glauben wollten, so war er nur ... gekommen ... weil er die Venus ... des Signor Nebuli gesehen ... und trotz seiner Jahre ... deren nicht wenige waren ... sich in sie ... verliebt hatte.«
Wieviel Jahre zählte er denn?
Ich fragte ihn danach, denn ich dachte, wenn ich es jetzt nicht thäte, so würde ich nie einen geeigneteren Augenblick finden, und er antwortete, daß er volle sechzig Jahre sei, und spann seine Rede ganz behaglich weiter.
Valens und ich sagten uns durch einen verstohlenen Blick, daß die Rechnung sehr gut stimme.
Freund Nebuli gab die schon so vielen gewordene Antwort – »Seine Venus sei nicht verkäuflich«, – und der alte Herr begnügte sich, lächelnd zu erwidern: Er hätte keine Eile, er würde warten ...; in der Hoffnung ... man weiß nie ... daß Nebuli sich anders besinnen werde ... beabsichtigte er wiederzukommen, um ihn und den trefflichen Signor Ferdinando zu sehen.
Der Signor Ferdinando war ich, wie der Leser weiß, und ich versichere, daß ich mich gar nicht darüber verwunderte, obgleich ich ihm meinen Namen eigentlich nicht gesagt hatte. Was den »trefflichen« anbetraf, wie konnte er davon etwas wissen? ich lehnte die Bezeichnung höflich ab und beteuerte, daß er »zu gütig sei«.
Noch einiges müßige Geplauder, viele umher geworfene Blicke, dann entwickelte Signor Bini wieder seine ganze Länge, drückte uns die Hände, wiederholte, daß er ... wenn er nicht störe ... wiederkommen werde.
Während er mit bewundernswerter Langsamkeit die Zimmer durchschritt, schien er mir verstohlen das Inventar der Ausstattung aufzunehmen.
Von Signora Chiarina war gar nicht die Rede gewesen; Valens gestand mir nachher, er sei immer auf dem Punkt gewesen sie zu rufen, habe aber keinen Vorwand dazu gefunden.
Signora Chiarina – ja das wäre das erforderliche wichtige Experiment gewesen! Nun aber, welchen Schluß sollten wir ziehen, um doch irgend etwas aus diesem Zusammensein zu entnehmen?
War »er« es? War »er« es nicht?
»Findest du nicht, daß er ihr gleicht?« fragte mein Freund.
Aufrichtig gesagt, ich fand es nicht; aber ich hatte ihn nur im ganzen betrachtet; vielleicht mußte man das einzelne prüfen, wie Valens gethan, der bei der Nase verweilt und davon wichtige Aufklärungen erwartet hatte.
Aber als ich mich zum zweitenmal dem alten Herrn gegenüber sah und seine Nase lange und gründlich zwischen meine beiden Sehstrahlen faßte, und ungern von ihr abließ, weil ich mir selbst nicht glauben wollte, mußte ich doch der Ueberzeugung Raum geben, daß Nebulis Herz, oder Nervensystem, oder eine optische Täuschung ihn betrogen habe. Es war eine so gerade und so feine Nase, wie die Signora Chiarinas, aber die Nasen können auf hundert Arten gerade und fein sein, ohne sich im geringsten zu gleichen.
Eher durfte man die Aehnlichkeit anderswo suchen: Wenn man die Runzeln glättete, ein gutes Teil Bleiweiß darüber strich ... so schien es mir ...
Während ich darüber grübelnd die Augen nicht von dem alten Mann verwendete, nur dann und wann zustimmend nickte, lächelte, wenn ich ihn lächeln sah, ohne ein Wort von dem, was er sprach, gehört zu haben, weckte mich plötzlich ein Wort aus meinem Sinnen.
»Die ›Ordnung‹«, sagte Signor Bini.
Was sprach er von der »Ordnung«? Nur Gutes; er erhob sie hoch, weit über alle theologischen Kardinaltugenden, fand sie in sich selbst, in mir, in Freund Valens, auf der Erde, im Himmel, in den Blumen, den Sternen, und erhitzte sich ungewöhnlich dabei, als ob er sie der Welt geschenkt hätte und sein eigenes Geschöpf verteidigte.
Valens sah mich lächelnd an.
Ich bekenne eine Schwäche, welche ich nicht zu erklären vermag; die lebhafte Befriedigung, meinen eigenen Ansichten bei einem anderen zu begegnen, war von einem kleinen Verdruß begleitet. Ich versuchte, den alten Herrn zu überholen, ihm mit meinen Behauptungen zuvorzukommen; er ließ mich reden, bis er sich mit einem neuen Schwung fortschnellte, und ich von neuem hinterdrein eilte. Die Ordnung bewirkte dies – (so hatte ja auch ich behauptet) – sie that jenes (auch das hatte ich gesagt, und berief mich dafür auf Valens) – aber schließlich vollbrachte die Ordnung Dinge, welche ich ihr nie zugetraut hätte, und nun gab ich's auf und erwiderte nur Freund Valens' spöttisches Lächeln.
Eine Eigentümlichkeit Signor Binis war es, daß er sich niemals für überwunden erklärte.
Ich versuchte einmal, »nein« zu sagen, als er »ja« sagte, er wiederholte »ja«, ich »nein« ... – ja – nein ... ja – ich schwieg; ein andermal sagte er »nein«, ich »ja« – nein – ja – nein – ich schwieg wieder.
Da ich meinte, dies gehöre auch zu seiner Ordnungsmanie, so nahm ich mir vor, ihn stets reden zu lassen, ohne ihm zu widersprechen. Aber diese stumme Beistimmung schien ihn nicht zu befriedigen; wenn er seinen Ideen einen paradoxen Anstrich gegeben hatte und ihm niemand entgegentrat, so blickte er mit Mißbehagen um sich und berichtigte seinen Ausspruch selbst.
Einmal hatte er erklärt: – »Es gibt keine Unordnung.«
Valens lachte laut – ich blieb still.
– »Die Unordnung existiert gar nicht.«
Wäre der Widerspruch, »sie existiert doch«, vernichtend gewesen (wohlverstanden für die Unordnung, nicht für Signor Bini), ich hätte ihn dennoch nicht ausgesprochen.
Und nachdem der alte Herr mich vergeblich in Versuchung geführt hatte, lächelte er und verbesserte sich so: »Es gibt keine Unordnung, außer als Bethätigung der Ordnung.«
»Bravo!« rief ich aus.
Ich las in den Augen des trefflichen Herrn eine brennende Lust, mir ein »Es ist aber nicht wahr« – zurückzuschleudern, doch er überwand sich und sagte es nicht.
In diesem Augenblick trat die Signora Chiarina ein.
Wir sprangen alle drei auf.
»Signor Bini!« stotterte Valens – »meine Signora.«
Der alte Herr machte eine Verbeugung. Signora Chiarina setzte sich, plauderte ein paar anmutige Worte, ihr Milchgesichtchen rötete sich ein paarmal wie eine Erdbeere – sie lächelte – und bezauberte den Alten, wie sie jeden anderen, meine Annetta und mich selbst einbegriffen, bezaubert hatte.
Wie mußte Signor Binis Herz schlagen!
Für mich, der ich mich einigen Scharfblickes rühme, gingen keine seiner Blicke verloren – nicht die zärtlich auf dem Engelsgesicht haftenden, noch die langsam im Salon umherschweifenden, noch die, welche Valens flüchtig streiften. Ich sagte mir: »Jetzt denkt er, in welchem Verhältnis die beiden wohl zu einander stehen mögen, und jetzt, daß sie sich lieben, und weiß nicht ... der Aermste! ... und ach, jetzt denkt er vielleicht, daß ihm nicht vergönnt ist, sie anders als im geheimen zu lieben!« –
Dann wurde er zerstreut, und ich benutzte das, um die Gesichter des jungen Wesens und des alten Mannes vergleichend gegeneinander zu halten ... die Ähnlichkeit war vielleicht da, einem uneingeweihten Auge nicht sichtbar, aber vielleicht war sie vorhanden! – Und als ich Valens ansah, fand ich seinen Blick auf meinen gerichtet, und er sagte mir, und ich sagte ihm, daß eine Ähnlichkeit bestehe ... vielleicht.
Signor Bini ließ übrigens nichts von seinem Geheimnis durchblicken; er war so unbefangen wie möglich, so neugierig wie erlaubt, und vielleicht ein wenig mehr; endlich erhob er sich, drückte Signora Chiarinas weiche Hand in seinem Sehnennetz und verbeugte sich tief.
Als er fort war, fragte die Signora: »Wer ist der alte Herr?«
Valens zögerte mit der Antwort, ich sagte bewegt: »Signor Bini.«
Und sobald Valens einen Augenblick mit mir allein war, fragte er mich: »Gleicht er ihr?«
»Es ist möglich, daß er ihr gleicht,« erwiderte ich, »aber die Nase ist es sicherlich nicht.
»Die Nase nicht,« wiederholte Valens; »etwa ...«
»Warte einen Augenblick,« unterbrach ich ihn ... – zog ein Taschenbuch heraus und schrieb ein paar Zeilen auf – »also, worin gleicht er ihr?«
»Im Munde, scheint mir, der bei ihm sehr klein ist; in den Lippen, die, wenn sie sich nicht spöttisch verziehen, Chiarinas gutes Lächeln haben ...« – So sprach Valens.
Und darauf las ich verzagt, was ich eben in das Notizbuch geschrieben hatte.
»Wenn man die Runzeln glättet, die von der Zeit abgemähten Haare hinzudenkt, eine gehörige Lage Bleiweiß auf die Stirn streicht, so ist diese vollkommen ähnlich.«
Signora Chiarina trat wieder ein.