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Hier wird man sehen, wie wunderbar sich manches in der Welt trifft.
Es war eine jener seltsamen Fügungen, an welchen das Leben so reich ist.
Ich kam eben von der Besichtigung einer kleinen Wohnung im dritten Stock, die mir ausnehmend gut gefallen hatte, und eilte nach dem Hotel zurück, um sie meiner Annetta zu beschreiben, welche mich dort erwartete.
Aber ich will nicht so ohne Regel und Ordnung anfangen.
Was für eine Wohnung hatte ich besehen? Wer war Annetta? Wo trug das Begebnis sich zu? Annetta ist meine Frau, der Ort Mailand, die Wohnung sollte unser künftiges Nestchen sein.
Nun wirst du sehen, lieber Leser, mit welchem Recht ich von einer seltsamen Fügung sprach. Ich habe viel über Fügungen und über den Zufall nachgedacht.
Laß hören: Du gehörst doch nicht zu denen, welche den Zufall leugnen?
Nein? Das ist recht! Es gibt einen Zufall, und man muß allen Respekt vor ihm haben.
Aber was ist er? Ist er die Unordnung oder die Ordnung des Geschehenden? Du sagst die Unordnung, weil du ihn mit dem Unerwarteten verwechselst und ihn auf die beschränkte menschliche Einsicht beziehst: ich sage die Ordnung, weil ich ihn an sich auffasse und ihn auf eine Reihe von Thatsachen beziehe, über welche ich mir nicht Rechenschaft geben kann, deren wunderbares Zusammentreffen ich aber anstaunen muß. Ich will mich durch ein Beispiel deutlich machen: es lag ein Dachziegel auf einem Dache, er hat sich losgelöst und ist hinuntergefallen: ein Mensch ging gerade in dem Augenblick vorüber und bekam ihn auf den Schädel. – Da haben wir die Unordnung, da haben wir den Zufall, sagst du, denn du meinst, der Ziegel habe die Bestimmung, auf dem Dache zu bleiben. – Aber wer hat jenem Menschen eingegeben, gerade in der Minute das Haus zu verlassen, in solchem Schritt zu gehen, so lange und nicht länger vor einem Laden zu verweilen, und gerade unter der Falllinie des Ziegels vorbei zu gehen?
Und wer hat den Ziegel geheißen, nicht eher das Gleichgewicht (welches die Geduld der Dachziegel ist) zu verlieren, bis jener sich in der Ebene befände, auf welche seine Senkrechte trifft? In der bewundernswerten Genauigkeit all dieses Zusammentreffens sehe ich die Ordnung, und das ist der Zufall.
Du wirst schon bemerkt haben, lieber Leser, daß ich ein Mann der Ordnung bin, daß in mir das Zeug zu einem Mathematiker steckt; deshalb wirst du erstaunen, wenn ich dir sage, daß ich auch ein Maler bin – jawohl, Porträtmaler und Genremaler, wie es dir beliebt, und in den Mußestunden Philosoph.
Ich bin volle dreiunddreißig Jahr; ich verheiratete mich mit dreißig Jahren, wie es sich gehört; Kinder habe ich leider nicht. Mein Ideal wäre eine symmetrische Nachkommenschaft, ein Knäblein und ein Mägdlein, oder das Doppelte, oder das Dreifache, alles lieber als nichts. Annetta und ich wissen nicht was wir davon denken sollen; man wartet, wartet, wartet ... vergebens. – Es ist ein feindseliges Geschick – sagt sie; – ich kein Wort, denn ich mag nicht gegen Dinge murren, welche ich nicht begreife; aber wenn es auch noch nicht da ist – mich dünkt, ich sehe das erste Pärchen schon, so lebendig, daß ich's nach der Natur malen könnte.
Wenn ich dem Leser sagte, daß ich ein Ehrenmann bin, viel Talent und ein weites Herz besitze, so würde er mich mit vollem Recht auslachen und wenig darauf geben; berichte ich aber, daß ich eine lange Nase, graue Augen und widerspenstige mattblonde Haare habe, daß ich lang, dürr und gerade wie ein Pinselstock bin, so wird man hoffentlich keine Beweise fordern.
Und nun ich den Leser genügend mit mir bekannt gemacht habe, darf ich wohl meine kleine Erzählung beginnen und um geneigtes Zuhören bitten.
Ich hatte also jene Wohnung im dritten Stock eben verlassen, und während ich vor mich niederblickend die Straße entlang ging, verteilte ich aufs vorteilhafteste die Räume und die Möbel ... Atelier, Eßzimmer, Schlafstube, Küche, Mädchenkammer ... sehr schön ... die Staffelei dem Fenster gegenüber, die Modelle, die Gerätschaften des Kunstbetriebes rund umher aufgestellt, ein Tisch in der Mitte, ferner der philosophische Lehnstuhl für die müßigen Viertelstunden, darüber an der Wand die Pfeife, neben der Pfeife der Ständer mit den Streichhölzern ... Ich sah eins nach dem anderen sich vor mir auf dem Trottoir ordnen; die so mit unseren sämtlichen Möbeln ausgestattete Wohnung wanderte immer einen Schritt vor mir her ... Da brachte ein neuer Gedanke alle anderen, die Wohnung und mich zum Stehen. Ich wendete mich um. – Er ist es! war dieser Gedanke: und indem ich nun dem an mir Vorübergegangenen nachblickte, seine Gestalt, seine Bewegungen genauer prüfte, wiederholte ich mir: »Er ist es wirklich, Valens!« – Im Nu sah ich die Hallen Turins vor mir, die Universität, welche ich einst mit der Albertinaakademie vertauscht hatte, die Zeichenschule, die bärtigen und die berühmten weiblichen Modelle, jene Gertrud mit den schönen Armen, welche man der Venus von Milo hätte ansetzen können, die Marietta, welche die junonischen Schultern hatte, die Nina, deren einzige Schönheit ihre wunderkleinen Hände waren, die Bianca, die ... aber lassen wir die Bianca. Ich sah das alles hinter Valens herziehen, der ruhig seines Weges ging: und obwohl ich Turin erst seit zwei Tagen verlassen hatte, um mein Glück in Mailand zu suchen, so erklang es doch wie Freudengeläute in meinem Herzen. Mein Herz thut nämlich immer wie es ihm gefällt, ohne um Erlaubnis zu bitten – ich bemerke das, damit man nicht glauben möge, ich bereute es schon, Turin verlassen zu haben, samt den Schultern Mariettas, den Händchen Ninas, Gertruds Armen und den übrigen Schönheiten Biancas. – Nein, ich war jetzt im Gegenteil mehr als je mit meinem Entschluß zufrieden, und würde Valens nachgelaufen sein und ihn angehalten haben, um ihm zu sagen, daß ich eben eine schöne, mich ganz beglückende Wohnung gefunden, wenn er nicht eine Dame an seiner Seite gehabt hätte. Eine kleine, zierliche Dame, die lange Schritte machte, um mit ihm Takt zu halten, und den Kopf ein wenig gegen den Arm ihres Kavaliers neigte: ein elegantes und ohne Zweifel schönes Dämchen. Nun bin ich etwas blöde mit jungen, schönen Damen; es ist das keine beneidenswerte Seite meiner Natur, aber es ist nichts dagegen zu machen, ich bin nun einmal so.
Valens bog um die nächste Ecke, und ich setzte langsameren Schrittes meinen Weg nach dem Hotel fort; vergebens suchte ich mir einzureden, daß ich gut daran gethan hatte, Valens nicht einzuholen. Und als ich Annetten den Hergang erzählte und mich nun doch lebhaft wegen meiner Zaghaftigkeit tadelte, als sie mir im Gegenteil entschieden recht gab, daß ich weiter gegangen war ... denn man könne nie wissen ... selbst da war ich nicht besser mit mir zufrieden.
»Mache es mir also recht deutlich; die Küche steht in Verbindung mit dem Salon?«
»Steht in Verbindung damit,« antwortete ich; und dachte indessen: – »Wer kann nur jene Dame sein?«
»Und das Eßzimmer ist groß?«
»Recht groß. Valens hatte doch keine Schwestern! ...«
»Und das Schlafzimmer?«
»Es ist seine Frau!« sagte ich laut, und als ich das verwunderte Gesichtchen der Meinigen sah, setzte ich herzlich lachend hinzu: »Ja, die Schlafstube ist die Frau des Eßzimmers ...«
»Ebenso groß?«
»Nein, etwas kleiner, wie es ein Frauchen sein muß; wäre sie ebenso groß gewesen, so hätte ich ›Schwester‹ gesagt.«
Und ich lachte und gab ihr einen Kuß, der sie einzustimmen bewog.
»Laß uns die Wohnung sogleich besehen,« bat sie, und kaum gesagt, hatte sie auch schon den Umhang übergeworfen und sich an meinen Arm gehängt.
Meine Annetta kann nichts verbergen, jede Freude, jede Befriedigung, jede Mißstimmung, welche sie fühlt, findet gleich in ihren Augen, Worten und Gebärden den vollen Ausdruck. Wenn ihr etwas gefällt, so kann man sicher sein, daß sie es mit Nachdruck »schön« nennt, auch wo die Klugheit zu schweigen rät. So war jetzt das Schlafzimmer, der Salon, das Atelier, die Küche – jedes einzeln »wunderschön«; und da der uns begleitende Portier kein Fenster, keine Thür öffnete, ohne uns darauf aufmerksam zu machen, wie herrlich sie schlössen, wie fein sie gestrichen wären, und uns sogar überreden wollte, daß die abscheulichen Blumen, welche eine Zimmerdecke verunzierten, wie frisch vom Stengel geschnitten aussähen – so fing ich an zu fürchten, daß so vielen Superlativen der Bewunderung gegenüber ein schöner Plan mißlingen möchte, der darin bestand, fünfzig Lire vom Mietpreis abzuhandeln.
Ohne daher dem Portier Zeit zu lassen, mit dem Hausherrn unter vier Augen zusammen zu kommen, wünschte ich denselben sofort zu sprechen; der Portier führte uns, wir folgten. Noch jetzt äußerte ich, als ob ich meiner Frau antwortete, die aber nicht den Mund aufgethan hatte: »Ja, ja, es ist nicht übel: nur ein bißchen klein!« Doch meine Gattin, die, wenn sie über etwas entzückt ist, nichts weiter sieht und hört, erwiderte, ohne auf meine Winke zu achten: »Für Leute wie wir ist noch zu viel Raum!« Ich hätte Lust gehabt, ihr einen kleinen Rippenstoß zu geben, wäre sie nicht meine gute Annetta gewesen.
Wir stiegen zwei Treppen hinunter und machten im ersten Stock Halt vor einer Thürmatte, auf welcher das Wort » Salve« stand. Diese freundliche Anrede, welche gleich an der Thür die Honneurs des Hauses machte, gefiel mir. Vorausgesetzt, daß der Hausherr nicht einer von denen ist, welche es der Schwelle überlassen, dem Nächsten ein » Salve« zuzurufen, und sich dann berechtigt glauben, seine Stellung und seinen Geldbeutel zu messen und ihren ganzen Hochmut gegen die geringen Leute und die mageren Beutel auszulassen! Während ich so dachte, blickte ich aus das Namenschild, welches an der Thür glänzte, und las darauf »Nebuli«.
»Das ist seltsam!«
»Was denn?«
Aber ehe ich meiner Annetta antworten konnte, öffnete sich die Thür, und wir wurden förmlich aus der Fassung gebracht durch die Feierlichkeit des gewaltigen Dieners in Livree, durch den Luxus der Möbel und Teppiche, welchen wir in einer endlosen Reihe von Zimmern vor uns sahen. Ich gebe es auf zu schildern, wie bedrückend diese Pracht wirkte; genug, daß ich. nachdem ich auf einem Atlassessel Platz genommen (denn so wollte es der Herr Diener) und mich wie darauf angenagelt fühlte, nicht länger daran dachte, fünfzig Lire von den sechshundert des Mietpreises abzuhandeln: ja, hätte der Eigentümer die Schlauheit gehabt, mir durch seinen imponierenden Bedienten tausend Lire abzufordern, ich würde diese Summe sofort für eine Kleinigkeit erklärt haben, und hätte ich mich auch nie wieder sehen lassen, um den Kontrakt zu unterzeichnen.
Ein Herr trat ein; wir fuhren von unseren Sitzen auf; ich verbeugte mich feierlich, dann sah ich ihn an; er sah mich an ... »Ferdinando!« rief er aus, und ich sagte: »Valens!« Und der Teppiche nicht achtend, stürzte ich auf ihn zu, und er auf mich, und wir umarmten uns innig.
Meine Annetta blickte uns heiter an. Und da war's, wo ich dachte – wie auch der Leser gewiß – daß es sonderbare Fügungen im Leben gibt.
»Bist du's wirklich?« fragte ich Valens, indem ich ihn mit den Augen maß und einen flüchtigen Blick auf die Möbel, die Vergoldungen warf. »Bist du wirklich Valens Nebuli, der berühmte ›Maler der Fernsichten‹?«
Das Lachen, womit er mir antwortete, fand in dem weiten Salon einen Widerhall, den Versuch eines Echos, welchen die Polstermöbel, die Tapeten, die Teppiche als eine Impertinenz erstickten.
»Ja, wirklich ich!« sprach dann der Freund, »der ›Mann des Morgen‹, wie ihr mich getauft hattet, und du bist mein alter ›Ferdinands des Heut‹, oder vielmehr der Stunde, ja der Minute; der Schöpfer der philosophischen und mathematischen Malerei! Wie freue ich mich, dich wiederzusehen!«
Das waren keine auf der Thürmatte zur Schau gestellten Worte, die kamen so recht aus dem Herzen, man las sie auf seinem Gesicht, ehe er sie aussprach, und sie verblieben auch darauf.
Meine Annetta sah uns immer noch lächelnd an; sie vermochte nichts anderes zu thun, denn Valens war ihr fremd, da ich sie vor drei Jahren geheiratet hatte, als zehn Monate früher der Freund von der Akademie verschwunden war.
»Ich stelle dir meine Frau vor,« sagte ich, und wollte hinzusetzen: »stelle mich der deinigen vor,« aber ich weiß nicht, was mir den Mut benahm; vielleicht ein dickleibiger Porzellanchinese, der bedeutsam mit dem Kopf nickte.
Da mir in dem Augenblicke ein, wie mich dünkt, recht gescheiter Gedanke durch den Sinn fuhr, und der Porzellanchinese ihn erraten zu haben und mir seine Beistimmung zu bezeigen schien, so will ich ihn aussprechen. Ich dachte, daß wir oft mit Unrecht das Glück beschuldigen, es wandle uns die Freunde, während wir es sind, welche die vom Glück gesegneten Freunde, auch wenn sie bleiben wie sie waren, in unserer Meinung umwandeln. Ich kann's beschwören, daß Valens, wenn ich ihn in einer Dachkammer aufgesucht hätte, mich nicht herzlicher aufnehmen konnte; und doch, weil er mich in einem von Vergoldung schimmernden Salon empfing, so erhöhte und dehnte ich ihn mir unbewußt zu einem Koloß aus, welcher mich in Schatten stellte. Ich schätzte ihn jetzt, wo er reich zu sein schien, nicht höher als früher, nein wahrlich nicht, aber ich fühlte eine gewisse alberne Bewunderung für ihn; ich war ihm nicht weniger gut, aber ich empfand eine läppische Befriedigung in dem Gedanken, daß auch er mir immer gut gewesen war.
Ich sagte also nicht: »Stelle mich deiner Gattin vor,« was der kürzere Weg gewesen wäre, sondern nahm einen Umweg und fragte ihn, ob er es gewesen, den ich vor einer Stunde auf dem Korso mit einer jungen Dame am Arm gesehen.
Er war es gewesen, natürlich, aber wie sagte er es! Ich wartete schweigend auf eine Erklärung, die ausblieb; und als ich sah, daß das Schweigen ihn in Verlegenheit setzte, und er errötete, so begann ich schnell von der Wohnung im dritten Stock.
»Gefällt sie dir?« fragte er.
War er, oder war er nicht befangen? Ich weiß es nicht recht, denn zuerst glitt etwas wie ein Schatten über sein Gesicht, dann drückte er mir beide Hände und rief aus: »Wie freut es mich, daß sie dir zusagt!«
Aufrichtig gestanden, diesmal schienen mir seine Worte nicht viel mehr zu bedeuten, als so ein Wort auf der Thürmatte. Aber Valens ging in eine Aufzählung der Vorzüge ein, welche die Wohnung hatte, und auch derer, welche sie nicht hatte – z. B. der Wasserleitung in der Küche, während sie auf dem Treppenflur war (und darauf machte ich ihn aufmerksam), der Tapete des einen Zimmers, welches vielmehr nur gestrichen war (ich berichtigte auch diesen Irrtum) – und er wurde so eifrig und suchte mich mit so rückhaltslosem Enthusiasmus zu überzeugen, jene Wohnung sei wie für mich gemacht, daß ich, hätte ich ihn nicht als so wenig berechnend gekannt, seinen Eifer der Furcht zuschreiben durfte, nach dem verstrichenen Michaelistermin keinen Mieter zu finden.
»Und wieviel beträgt die Miete?« fragte ich höchst ernsthaft.
»Darüber reden wir später,« sagte er lachend.
»Nein,« widersprach ich, »dies ist der richtige Augenblick dazu.«
»Wir besprechen es nachher.«
»Nein,« beharrte ich, »dies ist der geeignetste Tag und Augenblick, um es abzumachen.«
»Nein, das kommt dir zu, bist du nicht der Eigentümer?«
»Aber du mußt wissen, daß die Wohnung im Winter recht kalt ist.«
»Im Winter sind alle Wohnungen kalt.«
»Ich meine, weil sie nicht die Mittagssonne hat; und dann hat sie doch die Wasserleitung nicht in der Küche, und ein Zimmer ist nicht tapeziert, und der Fußboden ... hast du es nicht bemerkt? ... ist sehr schlecht ...«
Ich begriff nicht recht, wo er hinaus wollte.
»Deshalb vermietet sie sich schwer, obgleich ich wenig dafür fordere ... Vierhundert Lire!«
Ich verstand; aber ich beteuerte, es sei eine Beschwindelung, sich vierhundert Lire für eine solche Wohnung bezahlen zu lassen.
Er sah sich entlarvt und lachte, und ich bestand darauf, wenigstens fünfhundert zu zahlen, obgleich meine Frau, welche zu mir getreten war, mir einen kleinen Stoß mit dem Ellbogen gab ...
Eben als wir uns trennen wollten und noch plaudernd an der Thür weilten, hörte ich einen leichten Schritt, vom Rauschen seidener Gewänder begleitet, die Treppe heraufkommen und bemerkte, daß Valens eine instinktive Bewegung machte sich zurückzuziehen; jedoch er blieb.
»Da ist meine Chiarina!« sagte er.
Es war wirklich jene anmutige Dame, zart wie ein Hälmchen, schlank und doch wohlgerundet, rundlich und doch von eleganten Formen, eine griechische Venus in Dreiviertel Lebensgröße.
Während wir sie mit freudiger Bewunderung anblickten, war das zierliche Meisterwerk herzugetreten, und ich sah, daß Signora Chiarina, obgleich viel kleiner als wir alle, doch ebenso groß erschien. Sie lieferte mir den schönsten Beweis, welchen ich noch zur Bekräftigung der tiefen philosophischen Wahrheit gefunden habe: daß nämlich das Weltall keine Größen, sondern nur Harmonie kennt, und daß alles in seiner Weise groß sein kann in der allgemeinen Ordnung der Dinge.
Wenn der Leser auch davon überzeugt ist, so wollen wir fortfahren.
War die Signora Chiarina wirklich schön? Ach ja, schön in der That. Aber man frage mich nicht, was für eine Nase, was für einen Mund sie hatte, von welcher Farbe ihre Augen und ihre Haare waren; jetzt weiß ich es, aber an jenem Tage sah ich es nicht; ich bemerkte nur, und darum sei es hier erwähnt, daß ihr Gesichtchen von zarter Farbe war, und zwar fiel es mir auf, weil dies weiße Gesichtchen lebhaft errötete, als ich Valens fragte: »Deine Frau?«
»Mein Freund Ferdinands, von dem ich dir so oft erzählt habe, seine Gattin ...« sagte Valens mit eigentümlicher Unbefangenheit, die wie Verlegenheit aussah.
Signora Chiarinas Elfenfigürchen verneigte sich, sie schenkte uns ein Lächeln, ein liebliches Lächeln, dann verschwand sie durch die Thür und wir hörten sie im Vorzimmer lausen und lachen.
»Sie ist wie ein Kind!« sagte Valens.
Wir drückten uns herzlich die Hände, und »Adieu«, das heißt, »auf Wiedersehen«.
Als wir unten waren, stellte ich mich wie ein Pfahl vor der Hausthür auf, blickte die Straße entlang, die breit und fast schnurgerade, eine der aristokratischsten Mailands war, betrachtete die Front des dreistöckigen Hauses, an dessen Bauart nichts gespart war; betrachtete die Doppelfenster, die Tüllgardinen hinter den blitzenden Scheiben; aber als ich ein feines Gesichtchen hinter den Gardinen erblickte oder zu erblicken meinte, entfernte ich mich schnell.
»Gefällt sie dir?« fragte ich meine Annetta.
»So sehr! Sie hat mich bezaubert ... mir ist, als habe ich sie schon liebgewonnen.«
Ich glaubte, sie spräche von unserer Wohnung.
»Das Glück lächelt uns; du sollst sehen, ich werde diesen Winter Porträts und Genrebilder malen, und wir werden sie verkaufen. Und Freund Valens, welch Herz von Gold!«
Ich hätte gern hinzugesetzt: »Und welch schönes Frauchen, seine Gattin!« aber die Klugheit hieß mich schweigen.
»Und welch schönes Frauchen, seine Gattin!« sagte Annetta.
»Ja ... recht hübsch ... ein wenig klein.«
»Man höre ihn! Recht hübsch! Sag, daß sie wunderschön ist, ich bin nicht eifersüchtig auf sie, sie ist zu schön!«