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Zehntes Kapitel.

Immer noch Signor Bini.

 

Valens hatte meiner Neugier zwei Fenster geöffnet; das eine ging auf die Vergangenheit, das andere ließ in die Zukunft schauen, und ich unterbrach oft meine Arbeit, um durch eines der beiden zu blicken. Meine Annetta umschlich mich dann auf den Zehen, weil sie mich in die Betrachtung einer einrahmungsfähigen Idee versunken glaubte, und da ich über die Angelegenheiten anderer ihr keine Mitteilung machen durfte, so lächelte ich ihr zu und gab ihr einen Kuß.

Inzwischen gingen die Tage dahin, und Signor Bini blieb unentzifferbar, wie die Hieroglyphen, als sie noch niemand erforscht hatte. Seine Kaltblütigkeit im Verkehr mit uns war bewundernswert, nur Signora Chiarina gegenüber schien zuweilen ein Zipfel seines Geheimnisses hervorzublicken, aber doch nie so weit, daß man ihn hätte erfassen, hervorziehen und ausrufen können: »Jetzt haben wir ihn, er ist es!«

Wenn er der Signora ein liebenswürdiges Wörtchen sagte, oder sie »meine Kleine« nannte, ihr lange in die Augen blickte, sie bei der Hand hielt, welche er losließ, sobald Chiarina errötete, wenn er dann laut auflachte und sich sterblich in sie verliebt erklärte, dann war er ein ganz anderer Mensch, den hingebende Zärtlichkeit aus seiner Hülle hervorzutreiben schien.

Uebrigens mißfiel mir, in der Nähe gesehen, auch seine gewöhnliche Hülle gar nicht; denn seine Herbigkeit war durch einen, wenn auch grillenhaften und spöttischen Humor, seine gemessene Haltung durch eine schalkhafte Freundlichkeit gemildert. Valens und ich waren übereinstimmend der Ansicht, daß Signor Binis Schale einen vortrefflichen Kern einschließe.

Nur wußte man gar nicht mehr, wie man ihn fern halten sollte, denn an jedem Tage, welchen Gott werden ließ, schenkte uns der Alte einen Besuch, und zwar einen reichlich gemessenen. Fremd in Mailand, sagte er, habe er täglich Zeit, mit der er nichts anzufangen wisse; er widmete sie uns und wünschte übrigens, daß wir alle Förmlichkeiten ihm gegenüber aufgeben möchten, worin er uns mit gutem Beispiel voranging – kurz, er war ein Muster von Ungeniertheit.

Kam er in meine Wohnung, so machte er sich's im Lehnstuhl bei der Staffelei bequem, oder ging im Atelier umher und steckte seine gerade und feine Nase in meine Kartons, die ordnen zu dürfen er mich bat.

»Thun Sie es nur, thun Sie es!« antwortete ich und staunte ihn wie ein Phänomen an.

Er that es, kam dann zu mir und sagte in väterlichem Tone; »Wie lange werden Sie die Entwürfe denn unausgeführt lassen? Wir wollen sie einmal durchsehen ... ach wie unordentlich sind Sie! Aber so sind die Künstler alle!«

Er hatte nicht ganz unrecht, denn seit ich einen gefunden hatte, welcher der Ordnung noch mehr als ich zugethan war, dünkte mich, daß ich sie weniger liebte; aber war der Titel eines Unordentlichen, zu welchem ich so billige gekommen war, nicht doch eine wunderliche Hyperbel? Ich mußte darüber lachen.

Seit einiger Zeit war von dem Prozeß Corvi contra Corvi nicht mehr die Rede gewesen. Einmal kam er mir plötzlich in den Sinn, während ich an der Staffelei stand und Signor Bini daneben saß.

»Je!« rief ich aus, »morgen muß ja der große Tag sein ...«

»Morgen ist es nicht,« unterbrach mich der alte Herr.

»Wissen Sie denn, welchen Tag ich meine?«

»Corvi contra Corvi.«

»Richtig ... aber was sagten Sie? ... freilich ist es morgen ...«

»Der Termin ist nicht morgen.«

Ich schwieg.

»Es ist ein Aufschub beantragt worden,« setzte der Alte hinzu, als er seinen Triumph genossen hatte.

»Woher wissen Sie das?« fragte ich mit dem Pinsel in der Luft.

»Der Prozeß Ihres Freundes liegt mir am Herzen; bevor er ihn nicht verloren hat, verkauft er mir seine Venus nicht, und ich will sie haben.«

»Valens wird den Prozeß nicht verlieren,« sagte ich, »die Gerichte haben ihm einmal recht gegeben ...«

»Die Gerichte haben einmal öfter als nötig eine Dummheit gemacht,« sagte Signor Bini, ohne sich zu ereifern; »man hat augenscheinliche Beweise von der Schwachsinnigkeit des alten Corvi.«

»Mir scheint der alte Corvi sehr verständig.«

»Sagen Sie nicht, er scheint Ihnen so.«

»Mir scheint es so, darum sage ich es.«

»Sagen Sie das nicht, Sie wünschen es, das ist's.«

»Nehmen wir an, es sei wie Sie sagen, was würde die Folge davon sein?«

»Es ist so, und es hat die Nichtigkeitserklärung der testamentarischen Verfügungen zur Folge; Ihr Freund wird verurteilt werden, ein Drittel der in Besitz genommenen Erbschaft herauszuzahlen.«

»Nur?«

»Ja, aber ein Drittel der auf den Onkel gefallenen Erbschaft, der lange genug lebte, um die Hälfte seines Vermögens zu verzehren, so daß das Drittel von damals zu zwei Dritteilen des heutigen Vermögens geworden ist.«

Gegen die Arithmetik ließ sich nichts sagen, sie war gewissenhaft angewendet. Signor Binis Wissen fing an mich zu erschrecken.

»Das andere Drittel,« fügte der gelehrte Herr hinzu, »wird für Prozeßkosten draufgehen.«

»Sind Sie dessen gewiß, was Sie da sagen?«

»Fragen Sie die Advokaten.«

»Und was wird Valens thun?« fragte ich.

»Er wird auf Kassation des Urteils antragen, und wird den ›Schaum des Meeres‹ verkaufen.«

»Und was wird ihm der Antrag auf Kassation nutzen?«

»Fragen Sie die Advokaten danach,« antwortete der Alte mit seinem boshaften Lächeln.

»Der Prozeß kann so noch ein paar Jährchen hingezogen werden ... scheint Ihnen das nicht genug?«

»Alles die Schuld ...«

»Alles die Schuld des alten Corvi ...« unterbrach mich Signor Bini.

»Aber wenn er doch schwachsinnig war?«

»Eben deshalb.«

»Sagen Sie vielmehr, die Schuld der beiden Freunde, denn Sie müssen wissen ... oder wissen Sie es etwa?«

»Erzählen Sie nur.«

»Sie müssen wissen, daß Pasquali und Nebuli innige Freunde waren, gerade wie Valens und ich, und wegen einer elenden Geldfrage ... wegen einer erbärmlichen Streitigkeit einander zuerst ihre Zuneigung, dann den freundschaftlichen Gruß, dann die Achtung versagten, dann sich gegenseitig den Frieden raubten ... bis der eine an der Befriedigung starb, den anderen halb tot vor Aerger zu sehen.«

Ich hatte meine Rede in Absätzen gesprochen, weil ich unterbrochen zu werden erwartete, er ließ mich jedoch ausreden.

»Man hat mir erzählt, daß die Geschichte so zugegangen ist.«

»Desto besser, dann war er ja von allem unterrichtet.«

»Und was wissen Sie über den Signor Pasquali?«

»Ich weiß, daß er eine Art Bär ist, ein mürrischer, wunderlicher Kauz.«

»Ganz richtig; er lebt in einer Villa am Comer See, die er nie verläßt, er hat keine Kinder ...«

»Es ist seine Schuld.«

»Jawohl, ganz und gar.«

»Nicht, daß er keine Kinder hat,« sagte ich lächelnd.

Und er wiederholte lächelnd: »Nicht, daß er keine Kinder hat.«

»Sondern der Prozeß.«

»Jawohl, der Prozeß.«

Ich sah ihn erstaunt an; es fiel ihm nicht mehr ein, mir zu widersprechen, er rieb sich die Hände und lächelte seiner Unbekannten oder einem ähnlich freundlichen Gedankenbilde zu.

Einige Augenblicke darauf erhob er sich und rief aus allen Thüren nach Annetta; als sie erschien und er ihr die Hand gedrückt hatte, stieg er die Treppe hinab.

Zu allen Seltsamkeiten noch eine neue: Er vergaß sein gewöhnliches Versprechen, wiederzukommen; und ich war es, der ihm nachrief: »Auf Wiedersehen!«


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