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Vierzehntes Kapitel

Mariechen Mau stand gerade am Plättbrett, als Anton wiederkam. Ihre Mutter war auf Nachbarschaft, und sie mußte ihn allein empfangen. Er drückte ihr ein mächtiges Rosenbukett in die Hand und ließ sich von ihr ins Zimmer nötigen. Sie folgte ihm, wie sie war, gab einen flüchtigen Versuch, die Ärmel schnell herunterzustreichen auf und entschuldigte sich mit ein paar Worten, daß sie ihn so bei der Arbeit empfangen müsse.

Aber das mache ihm gar nichts aus, durchaus nicht, versicherte er und ließ sich auf das Sofa nötigen.

Sie setzte sich ihm gegenüber auf einen Stuhl und fing verschiedene Dinge an zu fragen und zu erzählen, nachdem sie noch einmal die schönen Rosen bewundert hatte. Es war natürlich zuerst von Christians Beerdigung die Rede. Und sie kam wieder darauf zurück, wie oft der Verstorbene auf seinem Krankenbett nach Anton Krautsch gefragt hatte.

»Sie haben wohl auch recht viel von ihm gehalten,« fragte er zurück.

»Er war so n netten stillen Menschen. Er tat mir immer so leid. Aber Sie müssen mich nur nicht so genau ankucken.«

Sie versuchte wieder die Ärmel herunterzustreifen, und diesmal gelang es.

Er bedauerte das.

Was hat sie für hübsche Arme, so fein und zart bei all der Arbeit.

»Sie kucken mich ja auch immer so an,« sagte er. »Wenn Sie mir n Knopf abkucken, müssen Sie ihn wieder annähen.«

»Das kann ich ja dann auch tun,« lachte sie, »ich komm für allen Schaden auf.«

»Wenn du das man wirklich tust, is ja alles gut,« dachte er, »du hast schon viel Schaden angerichtet.«

»Wie gehts Mutter?« fragte sie munter.

»O ja, danke, Mutter gehts immer gut. Sie is nur man bang, daß ich bald heiraten tu, und da muß sie sich doch mal in finden.«

Mariechen sah ihn schnell an, wurde ein wenig rot und lachte sonderbar.

»Wollen Sie denn bald heiraten?«

»Da hör'n immer zwei dazu, Fräulein.«

»Na, der zweite wird sich schon finden. Das ist allemal nicht schwer. Wenn der erste man erst da ist. Aber der läßt manchmal lang auf sich warten. Aber ich muß schnell mal nach meinem Eisen sehen. Einen Augenblick. Ich komm gleich wieder.«

Hinaus war sie.

Anton wartete, und als sie nicht bald kam, ging er ihr nach.

»Ihnen wird wohl all die Zeit lang. Einen Augenblick man, ich will man diese Schürze fertigmachen.«

»Lassen Sie sich man nicht stören, sonst darf ich am Ende gar nicht wiederkommen.«

Er zog sich einen Stuhl heran und sah ihr zu.

»Das dürfen Sie doch, so oft Sie wollen,« sagte sie. »Dann kriegen Sie auch n Plätteisen und können mir helfen. Können Sie auch waschen?«

»Will ich meinen. n Seemann kann alles.«

»Sie sind aber doch gar kein Seemann, wenigstens kein richtiger. Ich möcht auch keinen Seemann haben. Ich bedaure immer die armen Frauen.«

»Aber so n halben nehmen Sie doch?«

»Das kommt auf den Halben an.«

»Na, so wie mich, zum Beispiel.«

Sie legte gerade einen weißen Unterrock zusammen und hielt ihn in ausgestreckten Armen, so daß ihr Gesicht dahinter versteckt war.

»Das möchten Sie wohl wissen,« lachte sie hinter diesem frisch geplätteten Rock hervor.

»Ja das möchte ich gern wissen, Fräulein Mau.«

Sie konnte den Rock nicht ewig so halten, sie legte ihn behutsam weg, wobei sie sich tiefer und länger als nötig über den Rock bückte, so daß ihr das Blut ins Gesicht schoß. Als sie sich nun wieder aufrichtete, trafen sich ihre Blicke, und jeder sah, wie es um den andern stand. Sie lehnte sich leicht, die Ellbogen aufgestützt, mit dem Rücken gegen das Plättbrett und sah auf ihre Füße. Er stand dicht vor ihr. Ihr junger schlanker Leib bog sich ihm so geschmeidig entgegen. Da packte er zu. Seine große Hand legte sich um ihre Schultern, und ganz langsam zog er die etwas Widerstrebende an sich, bis er sie fest in den Armen hielt.

»Weiter hast du ja gar nichts gewollt,« sagte sie, als er sie mit einem letzten Kuß freigab.

»Ne, hab ich auch nicht. Hast auch wohl gleich gemerkt, was?«

»Mit so n Bukett? Das ist ja verdächtig.«

Mariechen wurde ziemlich spät mit ihrer Plättarbeit fertig.

»Mutter kommt erst um zehn Uhr nach Hause. Morgen muß du gleich wiederkommen, hörst du, aber erst am Nachmittag, morgen Vormittag gibt's noch viel Arbeit.«

Sie vergewisserte sich, daß niemand auf dem Korridor war und schob ihn dann schnell hinaus.

*

»Is nich wahr Anton!«

Das war das erste, was Mutter Krautsch sagte, als Anton mit seiner Überraschung herauskam.

»Das mußt du mich noch mal erzählen. Allens. Wie ist das bloß gekommen?«

Als er seine Erzählung wiederholt hatte, fing sie aber an zu jammern:

»Anton, Anton, da kann ich mich nich zu freuen. Warum besprichst du dich nich mit dein Mutter.«

»Ich bin doch alt genug, Mutter und so ne Sache, das weißt du woll, das macht man lieber allein ab.«

»Harrst mi dat doch man seggt, Anton.«

Anton glaubte zuerst, seine Mutter könnte sich nicht in den Gedanken fügen, daß er heiraten wolle. Das begriff er. Er war ihr Einziger. Die Mütter trennen sich immer schwer von den Söhnen. Aber nun wurde er doch hellhörig, da schien noch etwas anderes zu sein.

»Hast du was gegen ihr?« fragte er.

»Ne Anton, ne. Ich hab nichts gegen ihr. Sie is n klein nettes Mädchen, soviel ich ihr kenn. Ach Gott, ich kann dich ja alles gar nich so sagen. Ich muß mich da erst einfinden.«

»Wenn du nichts gegen ihr hast, dann mußt du dich auch nicht so haben, Mutter.«

»Laß uns nu nich mehr darüber sprechen, Anton. Morgen.«

»Warum morgen?«

»Nein Anton, sei vernünftig. Büst ja ümmer mein guter Anton gewesen. Laß deiner alten Mutter Zeit.«

»Meinetwegen. Aber das kommt mich närrisch vor.«

»Sag auch Lene nichts, hörst du?«

»Die kriegt das alles früh genug zu wissen, da sei man nich bang.«

Anton verstand seine Mutter nicht, ebensowenig wie Mariechen die ihre. Frau Mau nahm die Eröffnung von dieser schnellen Verlobung am Plättbrett ebenso erschrocken auf, wie Mutter Krautsch.

»Kind, Kind. Wär ich doch man zu Hause geblieben.«

»Ich versteh dich nicht Mutter, was hast du denn?«

Frau Mau strich ihrer Tochter liebkosend über den Scheitel.

»Ich will dich ja so gern recht glücklich sehen, aber das kommt mir so plötzlich und fällt so schwer auf mich.«

»Kannst ihn denn nicht leiden,« platzte Mariechen heraus.

Da sah die alte Frau sie so eigen an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Kind, das ist eine schwere Prüfung für mich und eine Versuchung. Wenn ich jetzt schweige und soll es dann allein mein Leben lang bei mir behalten, ich bin bang, das kann ich nicht.«

»Was ist das Mutter, sags, quäl dich nicht,« drängte Mariechen.

»Es ist auch wohl besser. Ich dacht, es wär nie nötig. Aber jetzt ist es doch nötig.«

Mariechen hatte sich zu ihr gesetzt und sie umgefaßt.

»Denkst du noch manchmal an deinen Bruder,« fragte Frau Mau.

»An Willi?«

»Du warst ja noch so klein.«

»Ja, als Willi starb.«

»Er ist da schuld dran.«

»Wer? Woran?«

Mariechen starrte die Mutter verständnislos an.

»Er hat es ja nicht gewollt. Er hat unsern süßen kleinen Willi mit einem Stein geworfen.«

»Tot geschmissen,« rief Mariechen. »Weiß er das? Hat er das gewußt?«

»Er weiß es wohl nicht. Aber er muß es ja doch einmal erfahren, wenn Ihr Euch kriegt, und dann ist es immer zwischen Euch. Und wenn er es auch nicht erfährt, ich weiß es doch, und so ein Geheimnis tut nicht gut.«

Mariechen war so glücklich gewesen, so ausgelassen glücklich, als sie ihrer Mutter nach und nach mit aller Schelmerei ihr Verlöbnis mit Anton anvertraute. Und jetzt dieses!

Im Wohnzimmer saß Frau Mau und weinte still vor sich hin, und im Schlafzimmer lag Mariechen vor ihrem Bett auf den Knien und schluchzte.

Natürlich mußte es jetzt gerade klingeln, und gerade Frau Winsemann mußte es sein, die etwas Petroleum auf ihre Lampe entleihen wollte.

»Fehlt Ihnen was, Frau Mau?«

Frau Winsemann wußte ja von der alten Geschichte. Ihr konnte man ja sein Herz ausschütten.

»Anton Krautsch?«

Frau Winsemann schlug die Hände zusammen, aber Rat wußte sie auch nicht.

»Will sie ihn denn?«

Als Frau Mau das zweifelhaft ließ, kehrte sie noch mal in der Tür um, stellte die Petroleumlampe auf den Fußboden und meinte: »Frau Mau, wenn ich da was zu sagen soll, erlauben Sie es nicht. Sie können das Ihr Lebtag nicht vergessen. Er ist doch immer sozusagen der Mörder von ihrem –«

Frau Mau unterbrach sie mit einer Äußerung des Schreckens.

»Was n Wort, Frau Winsemann! Nein, n Mörder ist er nicht, sagen Sie doch so was um Gotteswillen nicht.«

»Ich mein es ja auch nicht so,« entschuldigte sich Frau Winsemann. »Ich meine man, die Sache ist ja doch nicht so leicht. Es ist ja doch immer Ihr Kind gewesen. So n kleines nüdliches Kind. Ich seh ihn noch immer vor mir. Er war immer so artig.«

So wühlte Frau Winsemann in dem wunden Herzen ihrer Nachbarin und Freundin.

*

»Er ist ja nun ein erwachsener Mensch,« dachte Frau Winsemann, »du kannst es ihm jetzt ja gern sagen.«

Und sie sagte es Hugo. Es sei ja bisher ein Geheimnis gewesen, aber jetzt müsse man ja darüber sprechen. Es sei ja auch zu schrecklich für Frau Mau. Und Mariechen sei ja so selbständig, so eigenwillig und täte, was sie wolle. Und was dann werden solle.

Hugo war ganz zerschmettert. Also doch nicht Christian. Doch kein freies Feld mehr. Und Anton? Anton Krautsch? Und schon so gut wie verlobt? Daher dieser Brief! Daher der Korb, den er bekommen!

Aber das war ja ganz ausgeschlossen, daß Mariechen den Mörder ihres Bruders heiraten konnte. Ja, den Mörder ihres Bruders. Was war er denn anders? Warum sollte man das beschönigen? Hugo beschönigte nichts. Er nannte alles beim rechten Namen. Soviel Mut muß man haben. Seine ideale Natur empörte sich gegen den Gedanken, daß Anton seine blutbefleckte Hand nach Mariechen ausstrecken könnte. Und doch, er würde es tun. Er war immer grob und roh und gewalttätig. Aber Mariechen würde ihn zurückstoßen, mit Abscheu: Hinweg Elender! Du bist der Mörder meines Bruders!

Welch ein Drama! Welch eine Tragödie! Wenn das Christian gewußt hätte, Christian mit seiner Schwärmerei für Anton; er hätte das nie begreifen können, diese feine stille, vornehme Seele. Ja, Christian zuliebe hätte er auf Mariechen verzichten können. Blutenden Herzens. Aber Anton Krautsch? Nie! Niemals würde er dem Mariechen gönnen.

Hugos Eifersucht wuchs bis zur Raserei. Er wollte es verhindern, um jeden Preis. Mariechen war verblendet, war töricht, eigensinnig genug, nicht von Anton zu lassen, angenommen, sie hinge wirklich an ihm. Aber es durfte gar nicht erst so weit kommen. Schon Frau Maus wegen nicht. Die arme Frau dürfte nicht unglücklich werden.

Aber wie das verhindern?

Hugo schlief die ganze Nacht nicht und wiegte die wahnsinnigsten Pläne im Kopf. Am Morgen war er zu einem Entschluß gekommen.

»Ich tus. Ich bin es Mariechen schuldig. Bin es ihrer Mutter schuldig, bin es mir selbst schuldig. Als Junge hab ich immer hinter ihm zurückgestanden. Was war er da für ein eingebildeter, lümmelhafter Bengel. Jetzt tu ich es nicht mehr!«

Die Eifersucht verzerrte ihm das Bild Antons. Vergessen war alle Kinderfreundschaft. Und aller Neid, der sich langsam in ihm angesammelt, Neid auf Antons körperliche Überlegenheit, auf sein besseres Auskommen, auf seine inneren Vorzüge, die er wohl empfand, jetzt spritzte auch der sein Gift gegen den Freund.


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