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Sechstes Kapitel

Eines Morgens hoben die Leute in der Hafenstraße im Vorbeigehen die Köpfe, standen auch wohl still und sahen sich die bunte Freude an, die da aus Fahnen und Girlanden hell in den schönen Septembermorgen hinauslachte. Die Haustür von Schiffshändler Ohlsen war mit einem dicken Kranz von Astern und Herbstgrün umkleidet, aus dem Giebelfenster hing die Hamburger Flagge tief herab und schlug kaum eine Falte in der stillen Luft, und vor sämtlichen Fenstern des ersten Stockes prangte ein üppiger Blumenflor.

Auch der Torweg zu Ohlsens Gang war bekränzt. Knallrote Georginen umrahmten ein weißes Pappschild, auf dem mit großen schwarzen Buchstaben zu lesen war: »Wir gratulieren.« Kleine Papierfähnchen, kreuzweise befestigt, vollendeten an beiden Seiten des Tores den festlichen Schmuck. Transparent und Fähnchen hatte Hugo sich von seinem Freunde Christian aus der Buchbinderei besorgen lassen. Frau Winsemann, die ihre jetzige einträgliche Beschäftigung der Frau Ohlsen zu danken hatte, war besonders eifrig um eine würdige Feier des Tages besorgt gewesen, und der Einfall, den Torweg zu schmücken, war in ihrem Kopfe entstanden.

Schiffshändler Asmus Andreas Ohlsen feierte seinen fünfzigsten Geburtstag. Er war so ein Mann, der gerne den Rock weit offen trägt, damit man seine schwere goldene Uhrkette bewundern kann. Warum sollte Schiffshändler Ohlsen der Welt vorenthalten, daß er heute in Ehren sein erstes Halbjahrhundert hinter sich gebracht hatte? Mochte sie es doch wissen. Zwar hatte er getan, als gingen ihm alle diese festlichen und gar nicht sehr heimlichen Vorbereitungen gar nichts an, und Frau Melitta hatte seine Hilfe auch nicht beansprucht. Nur die Liste der Einzuladenden mußte er natürlich mit aufsetzen und das Menü beraten. Aber im übrigen konnte er umhergehen, als ginge ihm wirklich die ganze Geschichte nichts an.

»Ja, mein Gott, mal wird man auch fünfzig. Läßt sich nichts dabei machen. Aber daß das schon übermorgen ist – wenn meine Frau mich nicht daran erinnert hätte.« – So ungefähr tat er den Leuten gegenüber. Aber innerlich war er doch stolz auf diesen verfluchten Kerl, den Schiffshändler Ohlsen, der nun wirklich und wahrhaftig seinen fünfzigsten Geburtstag feiern und Flaggen aufstecken konnte: bitte, treten Sie näher meine Herrschaften. Sehen Sie sich das gern ein bißchen an. Hier feiert heute Schiffshändler Ohlsen, Asmus Andreas Ohlsen, derselbe, der früher sechs Jahre lang die »Ellida« zwischen Flensburg und Riga fuhr, seinen fünfzigsten Geburtstag. Sie sind gewiß von seiner Bedeutung und der Bedeutung dieses Tages durchdrungen. Wie sollten Sie auch nicht. Schiffshändler Ohlsen –

Alles das riefen die kleinen lustigen Flaggen und die schreienden Georginen in die Ohren der Vorübergehenden, bis auf einmal ein einzelner rascher Windstoß kam und ihnen das Wort vom Munde wegnahm. Schiffshändler Ohlsen! so rief der Windstoß, die Straße hinabfegend, und die Leute steckten, soweit der Wind wehte, die Köpfe zusammen und fragten sich: Schiffshändler Ohlsen? Was ist mit Schiffshändler Ohlsen?

»De hett n Kind kreegen,« sagte eine alte Frau.

»Dumm Tüg. He hett sülbern Hochtied.«

*

Frau Melitta hatte alle Räume festlich hergerichtet zum Empfang der Gäste. Ohlsen lief unruhig durch alle Räume und präparierte sich auf eine kleine Rede. Pastor Brügge würde natürlich den Toast auf ihn sprechen. Da mußte er doch antworten. Es war noch eine besondere Veranlassung, weshalb man gerade auch Pastor Brügge gebeten hatte. Pastor Brügge würde schon reden.

Ohlsen ging auch in den Weinkeller hinunter und tauschte eine gewählte Marke für eine bessere um. Heute wollte er sich nicht lumpen lassen. Ja, seine Gedanken verstiegen sich sogar soweit, es könne am andern Tag etwas in den Blättern stehen.

Die Gäste stellten sich pünktlich ein. Es fehlte keiner der Geladenen. Man saß schon bei Tisch, als noch unerwarteter Besuch kam. Das war Peter Witt, der Käsehändler vom Meßberg.

»Allabonnör. Da komm ich dscha woll grad recht,« sagte der kleine lebhafte Mann mit einer lauten, krähenden Stimme. »Ich denk, geh man nochmal rauf. Paßt es nich, gehst du wieder weg. Und wenn es paßt, denn paßt es dscha woll.«

»Bitte, lieber Herr Witt, sehr liebenswürdig von Ihnen,« sagte Frau Melitta süßsauer.

Die ganze Gesellschaft hörte lächelnd diesem Gespräch zu, die Herren neben ihren Stühlen stehend.

»Bitte, setzen Sie sich aber man, meine Herrschaften,« lachte Peter Witt. »Ich nehm mich auch n Stuhl. Das heißt, wenn einer über ist.«

»Bitte, aber natürlich,« komplimentierte Schiffshändler Ohlsen. »Nicht wahr, lieber Timm, Sie rücken ein wenig. Herr Witt ist uns allen sehr willkommen.«

»Wir sind grad bei der Suppe,« sagte Frau Melitta.

»Wenn s Nötigen kein Ende nimmt,« sagte Peter Witt. »Was kann da sein. Nur keine Umstände. Ich weiß mir schon zu behelfen.«

Und er klemmte sich neben Kapitän Timm noch mit an den Tisch.

»Wer ist das?« fragte Emma Kiekebusch ihren Nachbar.

»Das ist Herr Witt.«

»Herr Witt? Was ist er?«

»Käsehändler.«

»Käsehändler? Igitt!«

Oberlehrer Liesegang, ein Vetter Frau Melittens, lächelte über das Igitt seiner lieblichen Tischdame. Emmi Kiekebusch, die älteste Tochter vom Oberzollkontrolleur Kiekebusch, war ein hübsches Mädchen von neunzehn Jahren mit dunklen Augen und einem schweren, schwarzen Zopf, der wie eine Krone auf ihrem kleinen feinen Kopf lag. Oberlehrer Liesegang schielte fast beständig mit dem rechten Auge, so schwer wurde es ihm, sie nicht immer anzusehn. Warum muß sie Kiekebusch heißen, dachte er.

»Die reine Hammonia mit ihrer Mauerkrone.«

Es war ein ältliches Fräulein aus dem Frauenverein, das diese spöttische Bemerkung machte,, eine besondere Vertraute Frau Melittens; fromm, säuerlich und unnachsichtlich gegen die Schwächen der Jugend unter vierzig Jahren.

Pastor Brügge erhob sich bald, um das Wohl des Geburtstagskindes auszubringen. Er sprach mit pastoraler Salbung, als Freund des Hauses, mit weicher, angenehmer Stimme.

»Sie werden alle erraten, weshalb ich mich erhebe. Und so könnte ich's kurz machen und mich mit dem gewohnten Schluß begnügen: Er lebe hoch!«

Peter Witt winkte dem Geburtstagskind verständnisvoll mit der Hand zu.

»Aber wessen das Herz voll ist, des fließt der Mund über. Und aus übervollem Herzen, das kann ich wohl sagen, möchte ich der Freude Ausdruck geben, daß der Herr unseren lieben Freund, Herrn Asmus Andreas Ohlsen, so reich gesegnet hat. Ja, reich gesegnet hat ihn der Herr, meine lieben Freunde. Reich gesegnet. Fünfzig Jahre, es ist ein Menschenalter. Viel Not und Trübsal kann sich da ereignen, manche Träne fließen. Aber unser liebes Geburtstagkind hat die Gnade des Herrn sichtbar geleitet. Mag auch manche Träne im verborgenen geflossen sein, von der wir nichts wissen, im ganzen ist es doch Glück und Freude gewesen, was der große, grundgütige Gott unserem Freunde beschert hat. Und daß er ihm dankbar dafür gewesen ist, wissen wir. Auch von unserer lieben, hochverehrten Frau Ohlsen wissen wir das. Den Wegen Gottes nachzugehen, dem Herrn zu dienen, seinen Worten eine gläubige Tochter, seiner Liebe ein dankbares Kind zu sein, das war immer ihr Stolz. Ich erinnere nur an so manche fromme Stiftung, der unser liebes würdiges Paar seine christliche Nächstenliebe zuwandte. Und heute, um diesem seinen Ehrentage die rechte Weihe zu geben, hat unser lieber Freund wieder ein Werk echter christlicher Gesinnung getan. Er hat tausend Mark für Zwecke der inneren Mission gestiftet.«

»Bravo! Bravo!«

Pastor Brügge machte eine dankende Verbeugung gegen Ohlsen.

»Ja, meine lieben Freunde,« fuhr er nach leichtem Räuspern fort, »es ist ein gottgesegnetes Haus, in dem wir uns befinden, ein Haus, in dem echt christlicher Sinn das Seine mit Weisheit und Liebe verwaltet. An Gottes Segen ist ja alles gelegen. Und so dürfen wir wohl der Hoffnung sein, daß auch in Zukunft unser liebes Geburtstagkind einen guten und sicheren Weg geht, sich und den Seinen zum Glück und uns, seinen Freunden, zur Freude. Der Herr segne ihn auch fürderhin.«

Der Herr Pastor schwieg gerührt, stieß erst mit seiner Nachbarin Frau Melitta an, indem er einen verständnisvollen Blick, als ihr Bruder in Christo, mit ihr wechselte, und näherte dann sein Glas über den Tisch hinüber dem Geburtstagkinde.

»Hoch soll er leben!« rief Peter Witt, und die Gläser klangen aneinander.

Ohlsen setzte sich wieder, schmunzelnd und den Kopf schüttelnd wie einer, dem man eine unverdiente Lobrede gehalten hat. Frau Melitta schien gerührt und fuhr sich mit der Serviette schnell über die Augen. Sie ärgerte sich über Peter Witt, der jetzt in seiner lauten breiten Weise sagte:

»Fünfzig is all n ganz nettes Alter. Ich bün fünfundfünfzig. Dschawoll, fünfundfünfzig. Ich weiß, was das heißt, n Geschäft hochbringen. Dschawoll.«

Pastor Brügge sah ihn mit einem Auge über die Brille weg besorgt an. Er hatte von Gottes Segen gesprochen, und nun sprach dieser kleine laute Mann da von »Geschäfthochbringen«. Asmus Andreas Ohlsen aber war zusammen gefahren, wie ein Schauspieler bei einem unverhofften Stichwort. Er rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und hätte am liebsten gleich seine Dankrede gehalten. Aber Frau Melitta ermahnte ihn mit Blicken, doch wenigstens einen Gang noch abzuwarten. Zwei Reden zwischen Fisch und Braten waren denn doch zu viel. Aber als es an der Zeit war, schnellte Schiffshändler Ohlsen von seinem Stuhl auf und schlug ans Glas.

»Aha! nun kommt's!« rief Peter Witt.

Man warf ihm einen strafenden Blick zu. Asmus Andreas aber schlug nochmals ans Glas. Und dann bedankte er sich für die schönen und festlichen und erhebenden Worte, die unser allverehrter Herr Pastor soeben gesprochen hätte. Aber unser lieber Herr Witt hätte auch ein Wort gesagt, und an dieses Wort möchte er jetzt anknüpfen, »n Geschäft hochbringen,« hat er gesagt. Ja, n Geschäft hochbringen. Das waren seine Worte. Und darum, wenn ich mich so ausdrücken darf, was das Geschäft anbelangt, das ist nu auch schon so was n Reihe von Jahren alt. Ja, meine verehrten Anwesenden, ich meine, da unser lieber Herr Witt das so erwähnt hat, ich feiere nicht allein meinen Geburtstag heute, nein, heut vor zwanzig Jahren, wenn ich mich so ausdrücken darf, wurd auch mein Geschäft geboren. Eigentlich müssen es ja fünfundzwanzig Jahre sein, was so ein richtiges Jubiläum ist. Aber ich meine, meine verehrten Anwesenden, wo es sich so nett zusammentrifft, da werden Sie es mir wohl alle nachfühlen.«

»Nu süh mal an, und das sagen Sie jetzt erst?« unterbrach ihn Peter Witt. Und unter Lärm und Lachen, Gratulieren und Anstoßen nahm Schiffshändler Ohlsens Rede ein frühzeitiges Ende. Wieder war er der Gefeierte und war glücklich.

»Vor zwanzig Jahren. Süh mal an,« sagte Peter Witt laut und bedächtig. »Ich hab nu all bald die fünfundzwanzig zu fassen. Nächstes Jahr. Dschawoll. Auch n lange Zeit. Und mit nichts angefangen. Drei Mark hatt ich in der Tasche. Dschawoll. Mit der Karre bin ich angefangen.«

Frau Melitta warf einen giftigen Blick auf den Sprecher. Wenn er doch nur schwiege. Aber da mußte Emmi Kiekebusch auch noch sagen: »Gott, wie interessant! mit ner richtigen Karre?«

»Dschawoll Fräulein, mit ner richtigen Karre und so n richtigen Käs, wissen Sie; Pfund n Groschen.«

*

Auf der Straße hatte inzwischen ein feiner Sprühregen die welkenden Girlanden an der Haustür etwas aufgefrischt und die Papierfahnen am Torweg ein wenig eingeweicht. Aber dann war ein Wind gekommen und hatte alles wieder aufgetrocknet und mit Staub beworfen. Als daher die Kinder aus Ohlsens Gang den Tag in ihrer Weise ausklingen ließen und ein paar bengalische Flammen abbrannten und mit den Streichhölzchen nicht behutsam umgingen, fand ein abspringendes Fünkchen schnell Gegenliebe bei den Papierfähnchen, und die ganze Herrlichkeit ging in ein paar Minuten in Flammen auf.

Gefährlich war das nun weiter nicht, und die alte Cyriaks, die gerade von einem Besuch heimkam, hätte nicht nötig gehabt, mit der Hand nach dem ersten brennenden Fähnchen zu schlagen. Ohlsens Gang konnte diesen Flammen nicht zum Opfer fallen. Aber wo bleibt bei einem alten Fräulein die Überlegung, wenn es zwei Schritt von seiner Wohnung plötzlich Feuer sieht. Und nicht jeder hat so viel Mut und Besonnenheit, gleich drein zu fahren. Leider verbrannte sie sich die Finger dabei, und der Schmerz gab den Scheltworten, womit sie die Brandstifter überhäufte, mehr Kraft und Feuer.

»Herr du meine Güte! Wollt ihr denn das Haus in Brand stecken, ihr infamtigen Bengels!«

»Hätten s ja man brennen lassen können,« sagte Mariechen Mau, die dabei stand und zusah.

»So, hätt ich? Naseweis du! Und wenn allens aufbrennt?«

»Brennt schon nicht.«

»Reg di man nich op, Olsch!« rief ein kleiner Knirps. Der Cyrials schlugen ein paarmal die alten welken Kinnbacken zusammen, sie fand kein Wort auf diese Frechheit. Wütend entfernte sie sich. Als sie weg war, kam Hugo mit einer neuen Überraschung. Die Kleinen umringten den großen Jungen mit Halloh.

»Was ist das? Zeig mal! n Kanonenschlag? Donnerwetter!«

»Platz da!«

»Famos! Wo hast das her?«

»Schaf, geh doch weg. Kannst nich kucken?«

»Selbst Schaf!«

So schwirrte es durcheinander. Und dann bildeten sie alle einen Kreis, und Hugo schickte sich an, sein Feuerwerk abzubrennen. Aber auf halbem Wege hielt er inne. Die Kleinen sahen ihn erwartungsvoll mit offenen Mäulern an. Aber Mariechen Mau durchschaute ihn.

»Büst bang?« lachte sie. »Zeig mal, laß mich man machen.«

Und »bum« wars geschehen.

Das war ein Krach. Alle fuhren auseinander. Nur Mariechen stand ruhig auf dem Fleck und wartete. Hugo ärgerte sich, über sich und über sie. Ihm das einfach so aus der Hand zu nehmen.

Lene Lerch, die das bengalische Spielwerk kalt und schweigsam mit angesehen hatte, auf der obersten Stufe der Kellertreppe sitzend, Lene Lerch war bei dem Kanonenschlag auch etwas zusammen gefahren. Mariechen Mau hatte es gesehen, und ein flüchtiges, amüsiertes Aufleuchten ihrer Augen hatte das verraten. Lene Lerch empfand das als Demütigung, als Beleidigung. »Dieser Grasaff!« Sie stand wütend auf und ging in den Keller hinunter.

»Die stecken noch das Haus in Brand,« sagte sie zu Anton. Er erhob sich, setzte sich aber wieder. Er schnitzte an einem Schiffsmodell.

»Wird so schlimm nicht sein.«

Lene zuckle die Achseln.

Anton ging dann doch hinaus, sah aber nichts mehr von dem ganzen Spiel. Nur Hugo und Mariechen standen im Torweg, im unruhigen Licht der flackernden Laterne, und steckten die Köpfe zusammen. Er sah sie einen Augenblick groß an, und da sie ihn nicht gewahr wurden, ging er wieder hinunter.

»Dummes Zeug,« sagte er und setzte sich wieder an seine Arbeit.

»Was die beiden da eifrig klönten,« dachte er. »Die hatten s ja wichtig.« Und er kam noch ein paarmal auf diesen Gedanken zurück.

*

Bum! Das war Mariechen Maus Kanonenschlag. Alles fuhr zusammen. Emmi Kiekebusch stieß einen leichten Kreischer aus, und Oberlehrer Liesegang, der sehr nervös war, verschüttete etwas von seinem Kaffee.

Peter Witt war in solchen Sachen erfahren. »De böllern,« sagte er gelassen. »Dat sünd de Jungs.«

Alle sahen zum Fenster hinaus, konnten aber nichts sehen. Schiffshändler Ohlsen schmunzelte geschmeichelt, obgleich er sich auch arg erschrocken hatte. Sie feierten da unten ja seinen Geburtstag. Oberlehrer Liesegang aber sagte unwillig: »Das ist Unfug!«

»Lassen Sie sie doch schießen, ich finde das reizend,« meinte Fräulein Kiekebusch.

Da sich die Kanonade mit dem einen Schuß erschöpft hatte, beruhigte man sich. Schiffshändler Ohlsen bot zum zweitenmal »einen kleinen seinen Chartreux« an, wofür Pastor Brügge zum zweitenmal dankte.

»Sagen Sie mal, lieber Ohlsen, was ich sagen wollte. Nun werden Sie ja wohl die kleinen Leute da bald ganz los.«

»Leider, Herr Pastor. Mal gehts ja los. Sie fangen ja schon an zu wühlen, daß es eine Art hat.«

»Nötig, mein Lieber, auch dringend nötig. Alle diese Gänge und Höfe – freilich, Ihre Wohnungen sind Musterwohnungen gegen so manche Brutstätten des Elends und des Lasters. Ja ja, das ist Ihnen ja bekannt. Aber die neue Zeit will Raum haben, Licht und Luft auch für die Ärmsten der Armen.«

»Ja, die neue Zeit, die neue Zeit,« sagte Herr Ohlsen wichtig.

»Auch vom moralischen Standpunkt aus.« – Pastor Brügge sprach jetzt mit erhobener Stimme. – »Auch vom moralischen Standpunkt aus. Ich kann ja wohl sagen, unser liebes Michaeliskirchspiel, es liegt mir doch sehr am Herzen. Diese zunehmende Gottlosigkeit, diese Verderbtheit der Sitten.« Der Herr Pastor sah sich hoheitsvoll im Kreise um. »Der Staat muß sich ermannen. Und diese Sanierung, sie ist ein erster Schritt. O, wenn ich mir unsere herrliche schöne Michaeliskirche denke, umgeben von lauter lichten Wohnungen des Friedens, der Liebe und eines in Gott fröhlichen Glückes.«

»Dschawoll, Fräulein, die Auswanderers,« ließ sich Peter Witts laute Stimme plötzlich vernehmen. Er sprach mit Fräulein Emmi Kiekebusch, die sich für ihn interessierte. Sie fand ihn so drollig und wartete darauf, daß er wieder ins Plattdeutsche fallen sollte. Aber Peter Witt sprach mit so »feine junge Damens« Hochdeutsch. »Dschawoll, die Auswanderers. Allens mußte bei meinem Laden vorbei, und muß es noch. Sehen Sie, denn geht so n Geschäft. Käs mögen sie alle. Kommt ihnen gar nicht darauf an, wie der aussieht. Dschawoll. Wenns man Käs ist.«

Und er lachte vergnügt und rieb sich die Hände.

»Ich finde es schrecklich, diese vielen Auswanderer,« sagte Fräulein Kiekebusch. »Die armen Menschen.«

»Nicht wahr? und mit all die kleinen Görns oft. Und wie sehen sie aus! Aber was sollen sie machen? Wenn sie zu Haus nichts mehr zu essen haben, müssen sie sich anderswo was suchen. Das ist wie mit die Ratten, die gehen auch aus n magern Keller in n fetten.«

»Haben Sie auch Ratten, Herr Witt?«

»n Keller? Dschawoll hab ich. Das Aaszeug ist überall.«

Oberlehrer Liesegang ärgerte sich, daß Fräulein Kiekebusch nicht von Herrn Witts Seite ging. Aaszeug sagt man doch nicht in Gegenwart einer jungen Dame. Wie kamen Ohlsens zu diesem Umgang. Geschäftliche Verbindung wahrscheinlich. Nun, dieser Herr Witt war ja auch nicht geladen gewesen und hatte sich hier eingedrängt, richtig eingedrängt. Solche Taktlosigkeit. Und dieses ganze Benehmen. Wie man nur Vergnügen daran finden konnte. Fräulein Kiekebusch machte sich gewiß innerlich über diesen famosen Peter Witt lustig.

Aber nein, nun ging sie wirklich und holte ihm eigenhändig Sahne zum Kaffee. Und dieser Mensch sagte wirklich ganz unverfroren: »Och nee, Fräulein, das stellen Sie man wieder hin. Ich trinke immer man schwarz. Sie haben das ja nicht mehr nötig. Aber ich möcht gern noch n büschen hübscher werden.«

»Danke, Herr Witt,« sagte Emmi Kiekebusch. »Sie sagen mir doch wenigstens noch mal was Angenehmes.«

»Herr Witt hat viel mehr Lebensart als Sie, Herr Doktor,« wandte sie sich neckend an Oberlehrer Liesegang, der eifersüchtig hinzutrat.

Er machte ein ironisches, fragendes Gesicht.

»Nein wirklich. Sie haben mich immer nur mit Kunst und Literatur und Nietzsche und was alles unterhalten. Herr Witt weiß doch, was man gerne hört.«

»Ja, ja, Herr Doktor, mit Damens ist schwer umgehen,« lachte Peter Witt. »Ohne so n büschen Süßholz kommt man da nich weit.«


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