Gustav Falke
Gedichte
Gustav Falke

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Das Opferkind

                Bei Heiligenstedten, der Stördeich wars,
Der Deich wollte nicht halten.
Ein Loch klaffte, man kriegt es nicht zu,
Die Flut weiß zu spülen, zu spalten.
So viel man auch stopft mit Erde und Stein,
Das Meer stößt ein neues Loch hinein.

Da war Not. Wich der Deich,
Das Land mußte ersaufen.
Eine alte Frau wußte Rat,
Man könnt es dem Teufel abkaufen:
Freiwillig muß ein Kind da hinab,
Das hilft, freiwillig hinein da ins Grab.

Ein Kind! Einer Mutter Kind!
Hält jede ihrs fester am Herzen.
Und wenn die ganze Marsch ersäuft,
Kann eine ihr Kind verschmerzen?
Da war Not. Das Loch muß zu.
He, Tatersch, hör mal, bettelst du?

Hier, tausend Taler! Klimperts nicht gut?
Der Zigeunerin funkeln die Augen.
Tausend Taler? Nehmt den Balg!
Kann doch nur zum Bettel taugen.
So Schilling für Schilling erscharrt sichs schlecht.
Gebt her! Wer ist gern Hungers Knecht.

Sie legen ein Brett über das Loch
Und ein weißes Brot in die Mitte.
Der hungrige Knabe schwankt daher,
Kleine, hastige Schritte.
Jetzt langt er nach dem Brot. Weh! Das Brett
Schlägt über und wirft ihn ins nasse Bett.

Kein Schrei. Alles stiert
Stumm aufs Quirlen und Quellen.
Da taucht es auf, ein blaß Gesicht,
Aus den lehmigen Wellen,
Taucht auf und spricht ein Wörtchen bloß:
»Ist nichts so weich als Mutters Schoß.«

Und taucht zum zweitenmal auf und spricht:
»Ist nichts so süß, als Mutters Liebe.«
Wie das Wort alle packt und brennt.
Wenn doch das Kind endlich unten bliebe!
Doch kommt es zum dritten und spricht aufs neu:
»Ist nichts so fest als Mutters Treu.«

Dann sinkt es weg. – Sie atmen auf,
Nun muß das Werk geraten!
Die Gäule keuchen, die Karren knarrn,
Es ächzen und knirschen die Spaten.
Erde und Stein hinein ins Loch!
Ein teurer Deich, aber jetzt hält er doch.

 


 


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