Kurt Faber
Mit dem Rucksack nach Indien
Kurt Faber

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

An der Piratenküste

Ein Wilder unter Wilden – »so you are a globe-trotter?« – Die Missis betrachtet sich das Meerwunder – Bender Abbas – Vor der arabischen Küste – Maskat, die Piratenstadt – Malerische Polizei – Ein Bummel durch die Stadt – Würdige Kaffeevisite – Seine Majestät, der Sultan – Er ist verreist nach Bombay – Der allmächtige britische Konsul – Zeitgemäße Gedanken über das Selbstbestimmungsrecht der kleinen Nationen – Endlich in Indien.

Kaum hatte der letzte Passagier seinen Fuß an Bord gesetzt, als auch schon der Anker rasselnd hochkam und die Reise weiterging, in der Richtung nach Indien. Aber so schnell kam keine Ordnung in den aufgescheuchten Bienenschwarm. Denn wenn Orientalen reisen, so nehmen sie immer gleich ihren ganzen Haushalt mit. Jeder für sich ist das freilich kaum der Mühe wert, aber wenn ihrer viele beisammen sind, so reicht es doch aus zu einem Hexensabbath. Es dauerte lange, bis die Matrosen einigermaßen Ordnung geschaffen hatten in diesem Durcheinander von Betten, Vogelkäfigen, kleinen Kindern, Opiumpfeifen und sonstigen Haushaltungsgegenständen. Es wurde geflucht und gewettert, wieder wurden Bärte verbrannt, der Name Allahs mißbraucht, Seelen zur ewigen Verdammnis gesandt und Mütter und Väter und Vorfahren bis ins dritte und vierte Glied ob ihres Lebenswandels geschmäht mit der ganzen Glut orientalischer Phantasie, bis bald darauf der Kismet wieder zu seinem angestammten Rechte kam und nur noch das Gurgeln der Wasserpfeifen und das Geräusch vom geschlürften Kaffee die friedliche Stille unter dem Sonnensegel unterbrach.

Nachdem das Wetter sich endlich soweit gelegt hatte, kam der Kapitän selbst nach vorne, um sich den weißen Passagier anzusehen, der da so unvermutet an Bord gekommen war, inmitten des dunkelhäutigen Gewimmels. Woher ich käme? fragte er nicht eben übertrieben höflich.

»Von Schiras«, antwortete ich.

»Und gerade nur so?«

Dies mit einem geringschätzigen Seitenblick auf meinen Rucksack.

»Gerade nur so«, antwortete ich.

»Und wie kamen Sie denn dorthin?«

»Über Isfahan, Teheran, Täbris, Trapezunt, Konstantinopel –«.

»So you 're a globe-trotter?«

»So etwas Ähnliches.«

Über dem waren auch der erste und der zweite Offizier herbeigekommen und mit ihnen eine sehr lange und dürre Missis, die mich durch eine Hornbrille betrachtete.

»Indeed!« sagte sie. Dann drehte sie sich auf ihren hohen Absätzen und verschwand in der Kajüte.

»Sie können nach achtern kommen, in die erste Klasse«, sagte der Kapitän, »und das Ding (damit meinte er meinen Rucksack) können Sie auch mitnehmen.«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich wusch mir noch einmal Gesicht und Hände und machte Toilette, so gut das möglich, oder vielmehr unmöglich war unter den Umständen. Dann brachte ich das »Ding« nach achtern und lebte einmal wieder als angehender Gentleman.

Indes ging die Reise gemächlich weiter.

Noch immer schaute ich hinüber nach den Mauern und »Türmen« jener seltsamen Stadt, die jetzt aus der Ferne wieder so stattlich aussahen. Langsam versanken sie ins Meer. Das letzte Stück, die letzte Küste dieses persischen Landes, in dem ich so viel Seltsames gesehen hatte in diesen Monaten. – Ah, manchmal, wenn es gar so langsam vorwärtsging mit der Eselkarawane, hatte ich diesen Augenblick herbeigesehnt! Nun war es so weit. Nun ging es auf einem schnelleren Wege nach einem anderen, wenn vielleicht nicht schöneren, so doch sicher komfortableren Lande, und doch – wenns nicht französisch wäre, so möchte ich sagen: »Partir, c'est mourir un peu.«

Weiter dampfte das Schiff durch die schwüle Nacht. Kein Lufthauch regte sich ringsum. Regungslos, wie schweres Öl, lag die See unter dem klaren Sternenhimmel. Unerträglich war die Hitze. Am anderen Morgen ankerten wir vor einer flachen, gelben Küste, die sich nur undeutlich in der Ferne abzeichnete. Dort lag der Hafen von Bender Abbas. Ein miserabler Platz, wie alle anderen an der Küste; mehrfach hat er in der großen Weltpolitik unserer Zeiten eine bedeutende Rolle gespielt. Einmal, im Glück und im Sommer des Panslawismus, hatte der Zar in Petersburg mit ihm geliebäugelt, als dem möglichen »Warmwasserhafen« Rußlands, dann wieder war er der unersättlichen Ländergier Britanniens als mögliche Marinestation erschienen. Inzwischen lebt er kümmerlich weiter als letzter Winkel des großen persischen Reiches. Eine gewisse Rolle spielt er als Durchgangshafen für die Produkte der Gegenden von Fars und Kirman. Aber auch damit ist es nicht weit her. Ein paar Wollballen kommen an Bord. Dann geht es weiter durch die Straße von Hormus, die den wenig beneidenswerten Ruhm besitzt, so ungefähr der Hitzepol der Welt zu sein. Dicht vorbei geht es an der gleichnamigen Insel, die, wie so manches andere in diesem Lande, einmal bessere Tage gesehen hat. Portugiesische Konquistadoren hatten hier vor Jahrhunderten eine Stadt erbaut, die als Umschlagplatz für den persisch-indischen Handel schnell zur Blüte gelangte und wegen ihres Reichtums und des dort entfalteten Luxus weithin berühmt war in allen Teilen des Orients. Man erzählte sich, daß hier die Straßen zum Schutze gegen die Hitze mit seidenen Tüchern überspannt waren. Jetzt ist das alles längst dahin und vergangen, als sei es nie gewesen. Aber es ist, als ob der Geist jener alten Abenteurer noch immer in diesen Meeren hause. Wohin man geht, sind die Küsten des Golfes und des südlichen Indien übersät mit den Ruinen alter Schlösser und Kirchen aus portugiesischer Zeit. Moderne Geschichtsschreiber haben sich daran gewöhnt, die koloniale Tätigkeit der Spanier und Portugiesen gering einzuschätzen und ihnen die Fähigkeit des Staatengründens abzusprechen.

Wie falsch ist das! Wo gibt es in der Geschichte eine Heldenepoche, die größer und schöner gewesen wäre als die jener portugiesischen Abenteurer, die mit schwachen, schlechtausgerüsteten Schiffen hinaus ins Unbekannte segelten, »por mares nunca de antee navegados«!

Und in all der Zeit hungerte das Mutterland und sie selbst, die seinen Ruhm in die fernsten Meere trugen, besaßen kaum jemals mehr als Schwert und Mantel, nach Art der alten Ritter.

»L'épeé au roi
Mon coeur aux dames
L'honneur pour moi.«

Aber auch noch nie hat die Geschichte von einem Volke zu berichten gewußt, dessen ganze Kraft sich erschöpft hat in einer einzigen Generation, von einer Heldenepoche, die wie ein prasselndes Feuerwerk vergangen ist ohne Spur in der Geschichte und sich überlebte in ihren eigenen Zeitgenossen, wie Camoëns, dem Sänger der Lusiaden, der arm und verlassen an seinem Lebensende die bitteren Worte in der Dachstube schrieb:

»Was könnt' ich hoffen noch, worauf vertrau'n,
Woran sich einst mein liebend Herz ergötzt,
Neid war es und Verdruß und Tod zuletzt,
Das ist das Ende, darauf kann ich bau'n!«

Am anderen Tage tauchte im frühen Morgenlichte die Küste von Arabien auf. Es ist der Teil des Landes, den man die Piratenküste nennt. Und ganz so sah er auch aus mit den schwarzen Felsenklippen, die immer höher aus dem Meere herauswuchsen. Wir kamen ganz dicht heran. Vorsichtig fühlte der Dampfer seinen Weg zwischen Klippen, die noch drohender aussahen als selbst die des Golfes von Suez. Mit einer scharfen Wendung nach Süden kamen wir unvermutet in eine schöne, fast landumschlossene Bai, deren Anblick etwas Unwirkliches, Märchenhaftes an sich hatte. Ganz still, wie ein grüner Smaragd, lag die Bai in der finsteren Umfassung von Felsenklippen, die schwarz und drohend aus dem Wasser wuchsen. Ganz im Hintergrund sah man die weißen Häuser einer Stadt, die aussah, als ob sie eben ins Wasser rutschen wolle. Links und rechts von der Stadt standen auf verwegenen Felsvorsprüngen zwei stolze, mit Zinnen gekrönte Burgen, von deren Türmen die mächtigen roten Fahnen Seiner Majestät des Sultans von Oman wehten. Ein Kanonenschuß, der in den Felsen ein vielfaches Echo weckte, hallte von der Burg herüber, und sogleich erschien auch die hohe Polizei, die freilich mehr malerisch als kriegerisch ausschaute mit ihren roten Schärpen über den Lendentüchern. Auch was sonst so aus dem Motorboot heraufstieg, war reichlich operettenhaft und phantastisch, wie man das billigerweise auch erwarten konnte in diesem interessantesten und exotischsten aller Fürstentümer. Da war einer – er mußte wohl so eine Art Minister gewesen sein –, der trotz der tropischen Hitze eine Art Zylinderhut aufhatte, während die breiten Füße barfuß über das Verdeck liefen. Ein anderer – ich habe nachher herausgefunden, daß es der Polizeipräfekt war – hatte einen ganz fashionablen Strohhut auf, während seine Lenden mit einem Schwerte umgürtet waren, das ein gutes Stück hinter ihm herpolterte.

Zugleich mit diesen hohen Würdenträgern kam noch eine Wolke von Stadtbewohnern, die mit ihren langen, spitzen Booten das Schiff umlagerten. Auf ein Signal, des Polizeikommandanten schossen sie dicht heran und kletterten an Bord mit affenartiger Gewandtheit. Die besseren unter ihnen waren mit Hemd und Turban, bekleidet. Die meisten hatten nicht viel mehr als einen Lendenschurz an, und manche gingen barfuß bis zum Halse. Das Verdeck leuchtete auf von bunten Tüchern, braunen Araberrücken und farbenfreudigen Turbanen. Es war ein Anblick, der es einem heiß zum Bewußtsein brachte, daß wir hier an der Piratenküste waren und daß jene aus dem Grunde der Bai hervorschauende Stadt im letzten Jahrhundert gerade die Seeräuber- und Sklavenhändlerstadt par excellence gewesen war. Allerlei Schätze wurden mit viel Geschrei aus den Booten heraufgeschafft: Bananen, Fische, Erdnüsse, Ananas und solche in Liverpool und Chemnitz hergestellte landesübliche Kurios, mit denen in der ganzen Welt die Touristen angeschmiert werden. Da nun aber auf dem ganzen Schiff kein Mensch war, der wie ich einen bedingten Anspruch auf solchen Titel erheben konnte, mußte ich die ganze Flut arabischer Beredsamkeit über mich ergehen lassen, bis endlich ein Cicerone sich meiner annahm und mich in seinem Boote verfrachtete, zum großen Erstaunen der ganzen Besatzung.

»Da hinüber?« meinte der Koch, ein dicker Irländer.

»Nicht um eine Zehnpfundnote!«

»Aber warum denn nicht?«

»Eben darum! Nach Maskat geht man nicht. Dort gibt es nichts zu sehen; höchstens ein Piratenmesser.«

Indessen hatte das Boot schon das große, braune Segel gehißt und flog vor einem günstigen Winde der Stadt entgegen, die immer höher aus dem Wasser herauswuchs. Der Bootsführer mit seinem Turban stand am Segel wie eine Gestalt aus Tausendundeiner Nacht. Und dieses Bild, und die weiße Stadt am kahlen Strande und die Burgen auf den Felsen und die Palmen am Strande und die rote Piratenflagge auf den Zinnen waren alle zusammen eine wohlgelungene Illustration zu einem Märchenbuch oder einem recht phantastischen Seeräuberroman.

Knirschend fuhr das Boot auf den Sand. Da waren wir in Maskat.

Am Strande wartete eine Schar von nackten Männern, von denen einer mich ohne weitere Umstände auf seine breiten Schultern lud und mit mir davon stampfte durch einen übelriechenden Tümpel, in dem es von Kröten und Quallen wimmelte. Am anderen Ende des Tümpels setzte er mich behutsam wieder ab vor einer Versammlung von Honoratioren mit würdigen schwarzen Bärten, die mich mit einem feierlichen Salaam begrüßten. Dann machten wir uns alle auf den Weg zur Besichtigung der Stadt.

Die Hitze war fast unerträglich. Der Schweiß rann mir aus allen Poren, während wir durch die engen Gassen stiegen. Aber der Besuch war lohnend. Orientalisch wie sie war, war diese doch eine andere Welt als jene, die auf der anderen Seite des Golfes lag. Die Bauart der Stadt ist weder arabisch noch persisch. Diese hohen, weißen Häuser könnten ebensogut in Südeuropa stehen. Und in der Tat sind sie auch von dorther übernommen. Maskat ist einer der ältesten Stützpunkte der portugiesischen Seeherrschaft gewesen und auch ein solcher geblieben bis nach der Eroberung des Mutterlandes durch die Spanier, wodurch die überseeischen Besitzungen zu selbständigen Republiken wurden und noch eine Weile als solche vegetierten, bis sie als reife Frucht die Beute neu erstehender Seemächte wurden. Mit am längsten hielt sich Maskat, das in seiner vergessenen und abgelegenen Lage nicht einmal dem unersättlichen Magen des länderfressenden John Bull imponieren konnte. Der einzige Feind, der das aus der Not geborene junge Staatswesen bedrohte, waren die Beduinenstämme in den Oasen des Innern, denen die Anwesenheit der Ungläubigen ein Dorn im Auge war, während zu gleicher Zeit ihr Blick begierig auf die mannigfaltigen Gegenstände einer bescheidenen Zivilisation fiel, die sich in den Augen dieser Wüstensöhne zu unerhörten Schätzen steigerten. Und an einem Fronleichnamstage kam das Ende. Während alle, selbst die Wächter auf den Wällen, andächtig der Prozession zuschauten, widerhallten plötzlich die Gassen von dem Schreien der Eroberer und der Sterbenden, und ehe noch die Nacht ihren Mantel über das grausame Schauspiel deckte, hatte die Stadt ihre Einwohnerschaft gewechselt.

Von dieser Stunde an begann für die Stadt Maskat und das nunmehrige Sultanat Oman die große Romantik des Piratenstaates. Man muß die öden Felsen jenes trostlosen Landes gesehen haben, um es zu begreifen, daß seine Bewohner sich fortsehnen von seinen dürren Küsten und sich lieber dem Meere anvertrauen. »Navigare necesse est.« Es war für sie eine Frage von Tod und Leben. Wie schon so oft in der Geschichte, so war auch hier die Armut eines Landes der Grundstein zu seiner Größe. Und groß war das Sultanat Oman nach seiner Art. Mit ihren für unsere Begriffe doch etwas gebrechlich anmutenden »Dhaus« segelten seine Schiffer über ferne Meere, bis zur afrikanischen Küste, wo sie einen denkbar schlechten Ruf genossen als sklavenjagende Mordgesellen. Der Sultan hißte seine rote Fahne auf der Insel Sansibar, schickte seine Schiffe plündernd längs der ostafrikanischen Küste und dann wieder nach Hause, zum Sinken voll geladen mit Verbrechern und Sklaven und Gold. Reichtum über Reichtum begann sich zu häufen an der Sklavenküste. Ein Teil der jenseitigen Küste des Golfes mit dem Hafen Bender Abbas fiel in die Hände des Sultans, der zeitweilig sogar eine eigene Dampferlinie nach Bombay und von dort nach Europa im Gang hatte.

Und wo ist das nun alles geblieben? Es ist vorbei, wie so manche andere Romantik. –

Immer noch mit dem gleichen Geleit von würdigen Arabern wanderten wir durch die Stadt. Nach den Lehmmauern des persischen Landes tat es ordentlich wohl, einmal wieder richtige Häuser mit Türen und Fenstern zu sehen. Aber in den Türen lungerte das Elend, und die Armut schaute zu allen Fenstern heraus. Der Bazar war jämmerlich. Ein paar Datteln und Bananen und ein paar unappetitlich aussehende Trauben waren die einzigen feilgebotenen Landesprodukte. Sonst sah man noch einige Juden, die billige Kattunstoffe aus Manchester feilboten. Die ganze Sehenswürdigkeit konnte man in einer kleinen Stunde abtun. Dann stand man wieder draußen in der Wüste, zwischen den kahlen Felsen. In einer aus Palmblättern hergestellten Bude am Bazar setzte ich mich auf die dort ausgebreitete Matte und trank eine Tasse Kaffee, und meine ganze Gefolgschaft, die mich so getreulich durch alle Gassen geleitet hatte, tat desgleichen. Im Nu hatte sich eine Wolke von nackten Gassenbuben um mich versammelt, und bald kamen auch einige Kaufleute herbei, die inzwischen ihre Buden geschlossen hatten. Denn in Maskat hat man immer Zeit. Zwei oder drei unter ihnen, die sehr gut Englisch sprachen, nahmen mich sogleich ins Gebet. – Was ich wohl hier in Maskat wollte? Ausgerechnet in Maskat?

»Ich wollte mir eben die Stadt ansehen.«

»Allah! Hier gibt es nichts zu sehen. Und Geschäfte machen kann man hier auch nicht, und nicht leben und sterben, und die meisten Menschen sind nur da, weil sie nicht fortkönnen, weil sie niemals in ihrem Leben das Reisegeld nach Bombay verdienen können. Und nun kommt einer den ganzen Weg von Europa, um sich diesen Haufen Elend anzusehen!«

Alle schüttelten bedenklich die Köpfe, strichen die langen Bärte, schlürften den Kaffee mit mißbilligender Miene und wollten es immer noch einmal wissen.

Nachdem die Sonne etwas tiefer gesunken und der Sand in den Straßen wenigstens nicht mehr so heiß war, daß er den hohen Herren meines inzwischen noch mehr angeschwollenen Gefolges die Pantoffeln verbrannte, setzten wir unseren Umgang fort. Es war ein heißes Geschäft, das schon nach wenigen Minuten keinen trockenen Faden mehr an mir ließ. Aber es lohnte die Mühe, die man sich machte. Wir kamen vorbei an einem schönen, neugebauten Bungalow im angloindischen Stil, der in einem Garten stand, wo weißgekleidete Sahibs sich in Liegestühlen räkelten.

»Here, british consul«, sagten die Kaufleute mit Stimmen, die vor Ehrfurcht erschauerten.

Neben dem Konsulat stand ein weiteres stattliches Gebäude. Das war das Britische Telegrafenamt.

Dann kam das Britische Postamt, das Britische Spital, der Britische Golfplatz, der Britische Tennisklub.

Britisch, britisch, britisch alles, wohin man schaute.

Schließlich standen wir vor einem mächtigen, burgartigen Gebäude, das direkt aus dem Meere herauswuchs, im übrigen aber ebenso verkommen aussah wie der Posten, der vor dem Tore stand. Nach der Landseite zu dehnte sich ein Platz mit einer Art öffentlichem Garten, in dem ein paar schwindsüchtige Palmen um das seit langem schon ausgetrocknete Bassin eines Springbrunnens standen.

»Him sultan's palace«, sagte der Führer, mit einer Stimme, die lange nicht so respektvoll klang, wie vorher beim englischen Konsulat.

Das also war der Palast der Sultane, deren Reichtum einst sprichwörtlich gewesen war im ganzen Orient, deren Piratenfahne einst der Schrecken war des Indischen Ozeans, deren Paläste und Schatzkammern überflossen von schwarzem und anderem Gold!

Und ob der Sultan eben zu Hause wäre? fragte ich.

»Der Sultan? him never at home.«

Der Lord läßt sich entschuldigen. Er ist verreist nach Bombay. Er kann es sich leisten. Die Staatsgeschäfte gehen von selbst, was noch zu tun übrigbleibt, tut der Resident seiner britisch-indischen Majestät, und ihm bleibt das glückliche Los eines subventionierten Maharadscha.

Das ist der Lauf der Welt! Schon standen wir wieder unten an der Landungsstelle der Boote. Die Kaufleute verabschiedeten sich mit einem umfangreichen Salaam. Der Cicerone, der mich vom Dampfer hergebracht hatte, packte mich wieder beim Kragen und trug mich über die Wasserpfütze, inmitten eines Schwarms von Gassenbuben, die mich mit funkelnden Augen bakschischheischend ansahen. Bald stand ich wieder an Bord, als eben der Anker hoch kam und die baskarischen Matrosen auf ein Machtwort des Kapitäns den fremdartigen Spuk von Talmiseeräubern in die Boote fegten. Langsam fuhren wir zur Bai hinaus. Die weiße Stadt war bald um eine Biegung verschwunden. Aber noch lange, während wir schon draußen auf offener See waren und der Monsumwind im Tauwerk rauschte, sah man in der Ferne die hohe Burg, fremd und unwirklich wie eine Gralsburg, über dem Wasser stehen. Man sah die rote Fahne des Sultans im Winde flattern, während das hohe Haus des allmächtigen Residenten sich hinter der schwarzen Küste versteckte.

Man sah das alles, und dabei kam ein Heer von Gedanken, die sich aufdrängten, ob man wollte oder nicht. – Da haben sie den Krieg für das Recht der kleinen Nationen geführt!

O Wilson! O vierzehn Punkte! O schöne Reden, o heilige Schwüre an Washingtons Grab!

Am nächsten Morgen tauchte im Norden die Küste von Belutschistan auf.

Belutschistan? Auch das war klein und Britannien groß, und also wanderte es sang- und klanglos in die unersättliche Tasche John Bulls. Nie war dessen Appetit größer als in den Zeiten, da er vom Rechte der kleinen Nationen sprach. Der Weg nach Indien, von Bagdad bis Karachi ist heute gepflastert mit den erschlagenen Resten kleiner Nationen, die keine andere Sünde begingen als die, daß sie auf dem Wege des meerbeherrschenden Britannien lagen.

Nach weiteren vierundzwanzig Stunden Fahrtzeit begann das grüne Meerwasser sich grau und schmutzig zu färben. Das Wasser des Indus, das ins Meer hinausdrängte. Und die flache gelbe Küste, die sich da in der Ferne unter dem blassen Himmel abzeichnete –

Das war Indien!

 


 << zurück weiter >>