Kurt Faber
Mit dem Rucksack nach Indien
Kurt Faber

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Perlenland

Das Teufelsding aus Frankistan – Ein Gespräch über die Seelenwanderung – Umgang mit Ungeziefer – Seltsame Bettgenossen – Die Hauptstadt der Skorpione – Eine Geduldsprobe – Auch ein Stempel – Aufbruch der Karawane – In den persischen Abruzzen – Gendarm oder Räuber? – Allerlei Kochkünste – Tempel des Wassers – Der zehnte Muharrem – Eine seltsame Prozession – Lingah, die Perlenstadt – Ein Bärenführer – Othello als Friseur – Eine nützliche Bekanntschaft – Politik in der Opiumhöhle – Abfahrt nach Indien.

In meiner Jugend habe ich die Zeppelinbegeisterung miterlebt. Nun ja, sie war nicht größer als jene, die unseren guten, alten Ja Ali umbrandete, als er seinen Einzug in Lar hielt. In einer Karawanserei, die etwas außerhalb des Ortes lag, wurde er untergestellt im weiten Hofe, wo ihn die Esel und Kamele mit scheelen Augen betrachteten. Im Nu hatte es sich in der Stadt herumgesprochen, und sogleich setzte eine Völkerwanderung ein, die dem modernen Wundertier ihre Aufwartung machen wollte. Von der lieben Jugend bis zum ältesten, weißbärtigen Mullah war alles vertreten, was noch zwei Beine hatte in der Stadt. Nie war einem Ford solche Ehrung zuteil geworden. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend umlagerten sie das Teufelsding aus Frankistan. Immer aufdringlicher drängten sie herbei, bis der Chauffeur sich nicht mehr zu helfen wußte und den Motor brummen ließ, worauf alle wenigstens auf einige Augenblicke in wilder Panik auseinanderstoben. Am anderen Tage kamen die hohen Würdenträger aus der Stadt, zumeist indische Kaufleute mit mächtigen seidenen Turbanen, und luden sich zu einer Vergnügungsfahrt in die Umgebung ein, die sie mit halb ängstlicher, halb heroischer Miene antraten, ganz so wie etwa ein Kommerzienrat bei uns zu Hause bei einem Rundflug. Es war wahrlich ein Anblick für die Götter, wenn das Auto durch den Torweg fuhr, gefolgt von einer Meute von fliegenden Abbas und leuchtenden Turbanen, die kilometerweit mit unglaublicher Schnelligkeit im aufgewirbelten Staub hinter den Rädern herjagten. Bald gaben sie die Jagd auf und kehrten zur Karawanserei zurück, wo alsdann der zugereiste Franke immer noch eine zweitklassige Attraktion darstellte, wie ein Mohr in der Zirkusbude, wenngleich es nicht ganz so schlimm war wie in Jahrun. Tagsüber war es freilich so heiß, daß kein Mensch sich unnötig auf die Straße begab. Bei Sonnenuntergang aber, wenn allenthalben das ächzende Lied der Brunnen eingesetzt hatte, saß die halbe Stadtbevölkerung auf dem Boden oder auf den Bänken vor der Karawanserei und besprach erregt das unerhörte Ereignis. Ein dandyhaft aufgeputzter indischer Kaufmann verwickelte mich in ein tiefsinniges Gespräch über die Seelenwanderung. Da er nur wenige Worte Englisch sprach, verstand ich fast nichts von seinen Reden. Glücklicherweise kamen noch andere herbei, von denen jeder noch ein paar weitere Worte wußte, und so kam doch eine leidliche Unterhaltung zustande, zumal sie sich alle meisterhaft darauf verstanden, durch lebhaftes Mienenspiel das Gesagte zu ergänzen. Am zudringlichsten von allen war ein spindeldürres, opiumrauchendes Subjekt mit tiefliegenden Augen und einem knochigen Totenkopf, das überhaupt nur UrduUrdu, die indische Volkssprache. sprach und mich täglich viele Stunden lang unterhielt über die Vorzüge des mohammedanischen Glaubens, über die Qualitäten seines neu gekauften Esels, über die horrenden Preise des Haschisch und dergleichen Dinge. Wenn es gar zu arg wurde mit seiner Beredsamkeit, flüchtete ich mich ins Freie und machte einen Spaziergang in die Stadt.

Wie alle persischen Städte ist auch Lar eine uralte Siedlung, die überall die Spuren vergangener besserer Zeiten aufweist. Die einzige Sehenswürdigkeit ist der Meidan (Markt), ein wirklich schöner Stadtplatz, der ringsum von Torbogen umgeben ist, an denen man jetzt nur noch stellenweise das bunte Mosaik sehen kann, das einmal, in vergangenen besseren Zeiten, diese heute so nüchternen Hauswände wie Feenpaläste in der Sonne leuchten ließ. Der umgebende Bazar ist nur ärmlich, im Vergleich zu andern Städten, aber auf dem Meidan selbst ist ein ununterbrochenes Handeln und Feilschen, ein ständiges Kommen und Gehen von persischen und indischen Gestalten. Mehr und mehr verschwindet hier schon die Kulla, die unvermeidliche Lammfellmütze der Bewohner des iranischen Hochlandes, und an ihrer Stelle leuchten schwellende Turbane in der Sonne. In einer Ecke des Marktes hat ein Schlangenbeschwörer Platz genommen inmitten einer schaulustigen Menge, die atemlos den Verrenkungen zusieht, die das unheimliche Tier zu den monotonen Klängen des Dudelsackes aufführt. Mehr als hundertmal habe ich solche Possenreißer gesehen in persischen und indischen Städten, ohne je das Publikum dabei begreifen zu können. Nicht müde werden sie beim Schauen. Immer wieder können sie gespannt den Zauber mitansehen, obwohl es für jeden Europäer ein recht einförmiges Schauspiel ist, das man einmal, aber nicht wieder sehen möchte. –

Aber was gibt es sonst noch von Lar zu berichten? Dasselbe Lied, das von allen anderen Plätzen in diesem Lande gilt. Von Hitze und Staub, von knarrenden Brunnen und – und ja, und von kleinen und kleinsten Tieren, die einem das Leben zur Hölle machen. Der Himmel allein weiß, wieviel davon auf iranischer Erde herumkrabbeln! Der Perser ist sehr nachsichtig im Umgang mit solchen Quälgeistern. Hat nicht der Koran das Töten eines lebenden Wesens verboten? Also handelt man danach. Er würde kaltlächelnd einem Wanderer die Gurgel abschneiden auf der Landstraße; aber etwas anderes ist es, einem Floh das Lebenslicht auszublasen. Oft habe ich sie mit Staunen beobachtet, wie sie die lieben Tierchen zu Hunderten fein säuberlich von ihren Hemden ablasen und sorgfältig neben sich hinsetzten, worauf diese dann froh und munter wieder hinaufkrabbelten. Andere Länder, anderes Ungeziefer. Wenn Schiras die Hauptstadt der Sandflöhe ist, so ist Lar die der Skorpionen. Unfaßbar groß ist die Zahl der dort umhermarschierenden Blutsauger, und wenn man bedenkt, daß jeder einzelne von diesen imstande ist, einen Menschen zu erledigen mit seinem Stachel, so muß man sich wundern, daß es noch lebende Wesen in Lar gibt. Überall sind sie die zudringlichsten aller Hausgenossen, die auch nicht vor den größten Intimitäten zurückschrecken. Gleich die erste Nacht in der Karawanserei brachte mir da eine seltsame Überraschung. Ein eigentümlich krabbelndes Gefühl weckte mich aus dem Schlafe. Ich drehte mich auf die andere Seite und nach ein paar Minuten merkte ich es wieder. So ging das Spiel wohl eine halbe Stunde lang, bis ich die Geduld verlor und beim Scheine der Laterne meine Schlafdecke untersuchte. Eine Gänsehaut lief mir über den Rücken, als ich den Bettgenossen erkannte: es war ein mächtiger, wohl drei Zentimeter langer Skorpion!

Nach solchen Erfahrungen war der Wunsch nach baldiger Abreise nur allzu begreiflich. Ich durchstöberte Bazar und Meidan nach einem Karawanenführer, der mich mitnehmen wollte gen Bender Abbas und fand auch endlich einen, der zwischen seinen Eseln am Brunnen auf dem Meidan seine Pfeife rauchte.

»Fardo – morgen, inschallah«, sagte er seelenruhig.

Niemand war froher als ich.

Aber am nächsten Tage rauchte er immer noch seine Pfeife am selben Platze und sagte Fardo.

Am folgenden Tage war es wieder Fardo. Und so ging es weiter durch fünf Tage. Denn wisse: Karawanen reisen immer morgen. Du liegst und bratest in der Sonne zwischen den hohen Lehmmauern, die sie dort Dörfer nennen und erkundigst dich nach dem Abreisedatum der Karawane.

»Fardo – morgen«, antwortet der beturbante Herr. Am nächsten Tage ist es dann wieder Fardo – »Fardo, inschallah.« Und so geht es weiter durch lange Tage und Nächte, die an den vom Geschwindigkeitsteufel besessenen europäischen Nerven zerren.

Morgen, so Gott will! Es ist nur ein Jammer, daß er niemals will.

Fern sei es von mir, das Volk der Perser zu lästern, aber soviel muß ich mitteilen, als gewissenhafter Chronist: ich habe keinen angetroffen, der nicht ein vollendeter Lügner war. Sie lügen alle. Sie müssen lügen. Der Mann auf der Straße, der Kaufmann im Bazar, der Schah auf dem Throne.

Der Begriff von Treu und Glauben ist ihnen etwas völlig Unfaßbares. Du bestellst dir einen Anzug und möchtest ihn fertig haben bis übermorgen. Beim Barte des Propheten schwört dir's der Schneider. Nach acht Tagen kommst du wieder und er hat noch nicht angefangen.

»Fardo, inschallah.«

Du triffst einen Wanderer auf der Straße und fragst ihn nach der Entfernung bis zur nächsten Wasserstelle. »Eine Farsange« wird er dir sagen und dazu noch einige Segenswünsche: daß dein Haus ein Glückshaus sein möge und Allah deinen Schatten niemals kürzer werden lasse.

Ja, und dann waren es am Ende doch noch sechs oder sieben Farsangen. Er wußte das so gut wie du, aber er wollte dir etwas Schönes sagen und lieber eine gute Lüge als eine böse Wahrheit, sagt ein persisches Sprichwort.

Lügen – auch das ist eine Kunst, und wo verstünden sie besser als hier zu lügen mit Grazie. Göttliche Gabe der Phantasie! Der Himmel wäre hier nicht halb so blau, wenn sie bei der Wahrheit blieben.

Allah, was wäre der Orient ohne Lügen.

Fünf Tage dauerte das Frage- und Antwortspiel auf dem Meidan. Dann wurde es endlich ernst mit dem Aufbruch der Karawane. Die Kaufleute standen aufgeregt gestikulierend im Bazar. Der Meidan glich einem Magazin von Warenballen, und die ganze Stadt widerhallte von dem Glockengeläute der aufbrechenden Tiere. Aber gerade in dem Moment bekam der Baschi Gewissensbisse wegen der Mitnahme eines Ungläubigen. Drei Toman hatte ich ihm bezahlt als Reisegeld. Die gab er mir nun zurück mit den Fingerspitzen, wie etwas Unreines. Dann verabschiedete er sich mit einem feierlichen Salaam. Ich war ganz bestürzt. Ich setzte mich auf einen umherliegenden Warenballen und wenn es mir je um's Weinen war, so war es damals. Denn was nun? Die Gegend hinterwärts von Lar gehört zu den verrufensten in Persien. Es sind die persischen Abruzzen, in deren Gebirgsschluchten Mensch und Tier gleich wild sind und selbst diese auf der Landstraße aufgewachsenen Wüstensöhne sich nur mit einer großen Karawane unter Bedeckung einer bewaffneten Garde hineinwagen. – Und ich nun mit meinem Rucksack!

Schon war die Spitze der Karawane durch das Tor marschiert, als der Offizier, der mit uns von Jahrun gekommen war, über den Meidan geritten kam.

»Vorwärts!« winkte er mir zu, »auf was warten Sie noch?«

»Der Baschi –« sagte ich mit trostloser Miene.

»Ich werde ihm gleich den Baschi zeigen!«

Er riß das Pferd herum und sprengte der Karawane nach. Nach kaum fünf Minuten kam er wieder. Hinter ihm der Baschi auf seinem Esel. Beide stiegen ab, und der Offizier malte Buchstaben auf ein Papier, das er in der hohlen Hand hielt. Als er damit fertig war, befahl er dem Baschi, daß er seinen Daumen lecke. Dann beschmierte er diesen mit einem Tintenstift und drückte ihn auf das Papier. Fertig war das Siegel, fertig der Kontrakt. Ich habe ihn aufbewahrt, und er liegt vor mir, indem ich dieses schreibe: ein vergilbtes Blättchen Papier mit seltsamen Hieroglyphen und der Daumenmarke darunter, der man es heute noch ansehen kann, mit wieviel Widerwillen sie gemacht wurde. Jedenfalls bewirkte sie, daß der Baschi von da an auf's gewissenhafteste seinen Verpflichtungen nachkam. Wir gingen über den Markt und erstanden eine Portion Datteln und Wassermelonen für die Reise. Dann kam er selbst zur Karawanserei mit einem schönen, großen Maskatesel, auf den ich meine Siebensachen packte, worauf wir in schnellem Trab der längst schon im Staub verschwundenen Karawane nacheilten.

Aber die Reise ging nicht nach Bender Abbas, sondern nach der direkt südlich von Lar gelegenen Hafenstadt Lingah am Persischen Golf, von deren Existenz ich bisher – zu meiner Schande sei es gesagt – keine Ahnung gehabt hatte. –

An diese Reise nach Lingah werde ich immer denken. Immer, und wenn ich hundert Jahre alt würde, werde ich sie vor mir sehen, die steinige Landstraße zwischen den schwarzen Bergen, die Turbane, die in der Sonne leuchteten, die Flintenläufe, die im Mondschein funkelten. Denn in jener Gegend ist, wie gesagt, das Gesetz nicht länger als ein Flintenlauf, nicht schärfer als die Klinge eines guten Messers. Da es weder Polizei noch Gendarmerie gibt, hat der Verkehr sich selbst geholfen durch Aufstellung einer Art Volkswehr, die gegen ein geringes Entgelt die Karawanen durch die Berge geleitet. Es sind unternehmend ausschauende Burschen mit hohen Lammfellmützen, die man gut und gern selbst für Räuber halten könnte, und ich war auch nie so ganz sicher, ob sie es mit ihren Pflichten so genau nehmen würden, wenn zufällig die andere Seite ihnen mehr bezahlte. Außer diesen trägt aber auch jeder einzelne Mann, vom Karawanenführer bis zum letzten Eseltreiber, irgendeine Art Schießprügel auf dem Rücken, so daß wir tatsächlich den Eindruck eines vormarschierenden Heerhaufens machten, in dem die Waffen in der untergehenden Sonne blitzten, während links und rechts die ausgeschwärmten Volkswehrmänner die Felsen nach den Räubern absuchten.

Bald war es ganz dunkel. Nur ein matter Mond leuchtete uns auf dem Wege. Steil ging die Straße bergauf in ein wildes, zerrissenes Bergland, wo das vorher so flotte Tempo nachließ und bald ganz zum Stocken kam. Die Straße, die bisher nach Herzenslust über die ganze Gegend gelaufen war, wurde zu einem engen, zu einem Paß hinaufführenden Saumpfad, der gerade noch so breit war, daß ein Esel nach dem anderen mit viel Prügel hindurchgezwängt werden konnte. Da diese Prozedur bei jedem einzelnen unserer fünf- bis sechshundert Tiere wiederholt werden mußte, hatte man einige Stunden Zeit, um dieses phantastische Bild ganz auf sich wirken zu lassen. Und das lohnte wahrlich die Mühe. Auf den Kämmen zu beiden Seiten des Passes tauchten die Gestalten der Wachtposten auf, die uns anriefen. Unten im Tale tönte das Glockengeläute der wartenden Tiere. Aus dem engen Hohlweg des Passes kam das Schimpfen und Fluchen der Treiber, das heisere Schreien der strauchelnden Esel. Wer unversehens dieses Bild vor Augen bekommen und nicht gewußt hätte, daß es sich hier um den Nachtmarsch einer Karawane im hintersten Persien handelte, der mochte wohl an einen Höllenspuk aus anderen Dimensionen glauben.

Um Mitternacht hatten wir endlich die Paßhöhe überwunden und marschierten nun noch zwei oder drei Stunden lang weiter durch einen Talgrund, der flach wie ein Exerzierplatz war. Dann kampierten wir in der offenen Steppe. Die Gepäckstücke wurden achtlos in den Sand geworfen, und jeder streckte die Glieder aus, wo er gerade ging und stand. Es gab an diesem Platze weder Wasser noch Futter für die Tiere, und als bald darauf die Sonne aufging, merkten wir, daß es auch keinen Schatten gab in dieser Wüste, die kahl wie eine Dreschtenne zwischen den feuersprühenden Bergen lag. Wir knabberten ein wenig an dem mitgeführten Vorrat von Datteln. Eine große, herrliche Wassermelone löschte nur halb den Durst, und von Schlaf war überhaupt keine Rede, bis bei Sonnenuntergang die Tiere bepackt wurden und wir weiter zogen auf der traurigen Straße.

So war es an diesem und noch vielen anderen Reisetagen, Immer wird es mir unbegreiflich erscheinen, wie die alten Perser – ausgerechnet gerade diese – zu Feueranbetern wurden, denn in diesem Lande wird jedermann ganz von selbst ein Vergötterer des Wassers. Es ist der Pol, um den sich alles dreht bei solchen Wanderungen. Die bange Frage nach ihm ist es, die fast wie eine Frage nach Leben und Tod um jeden Lagerplatz hängt. Bäche und Quellen sind in jenen Gegenden, wenigstens zur trockenen Jahreszeit, so gut wie unbekannt. Wasser findet der Wanderer nur in Zisternen, die wohltätige Menschen auf Grund frommer Gelübde am Wegrand errichtet haben. Zuweilen sind sie groß wie Schwimmbäder, und stets sind sie mit einem spitzen Tempel zum Schutze gegen Sonnenstrahlen und Sandverwehungen geschützt. Unter diesen Tempeln ist das Wasser stets wunderbar kühl, und obgleich es eine Brutstätte von Fröschen, Eidechsen und sonstigem Getier ist, überläuft es mich heute noch mit einem angenehmen Gefühl, wenn ich an die Genüsse denke, die es mir bereitet hat.

In den ersten Reisetagen war das Wasser so rar, daß wir gezwungen waren, es in Schläuchen mitzuführen, die aus Ziegenhaut bestanden, und ich weiß nicht – war es nun wirklich so, oder kam es nur daher, daß der Durst der beste Mundschenk ist, jedenfalls bin ich noch heute der Ansicht, daß nirgendwo das Wasser sich so herrlich frisch und kühl hält, als in dem Fell einer abgehäuteten Ziege.

Je weiter wir aber in die Berge hineinkamen, je vegetationsreicher wurde die Gegend. Stellenweise waren die Hänge mit Buschwald bestanden, stellenweise wieder mit hohem, gelbem Gras, aus dem bei unserem Herannahen flüchtige Gazellen und flinke Perlhühner auf schnellen Füßen davon eilten. Ab und zu kam man an ein Dorf, oder doch das, was dort so unter diesem Namen passiert. Hier ist man sogar erhaben über den kümmerlichen Komfort einer Lehmhütte, wie man sie sonst überall in Persien sieht. Die menschlichen Behausungen bestehen zumeist nur aus einer Art Nest aus Palmblättern, wie es sich schließlich auch jeder Gorilla im Walde zurechtmacht. Nur selten findet man einen Genießer, der sich in seinem häuslichen Luxus bis zu einem auf vier Pfählen ruhenden Dach aus Palmblättern aufschwingt. Bekleidet sind diese Naturmenschen im besten Falle nur mit einem Hemd und einem Turban. So sitzen sie den lieben langen Tag im Schatten der Dattelpalmen, auf denen die reifenden Früchte in großen, roten Klumpen hängen. Hier und da sieht man wohl auch einige Hühner herumlaufen, aber nach allen Erfahrungen, die man macht, muß man mit Fug und Recht bezweifeln, ob sie sich überhaupt im klaren sind über die Nützlichkeit dieser Vögel. Da ich selbst noch nicht Wüstenbewohner genug war, um eine reine Freude an der einförmigen Dattelkost zu empfinden, hielt ich fleißig Umschau nach Eiern, wann immer wir eine menschliche Ansiedelung antrafen. Meist standen sie sprachlos vor solchem Ansinnen. Und wenn sie je einmal eines herbeischafften, so war es ganz gewiß faul. Einmal traf ich eine alte Hexe, mit der ich ein größeres Geschäft zu machen gedachte. Sie saß im Schatten einer Dattelpalme, umgeben von einer ansehnlichen Hühnerschar.

Ob sie mir eines davon kochen wollte?

»Ewet Efendim.«

Schnell, ehe sie sich eines anderen besinnen konnte, packte ich eines der Hühner und drehte ihm den Hals um. Aus einem Loche, das mit Palmblättern zugedeckt war, holte sie einen kümmerlichen Begriff von einem Kochtopf hervor, und im Fortgehen sah ich noch, wie sie anfing das Tier zu rupfen. Es war mehr der Kochkunst, als ich ihr zugetraut hatte. Nach etwa einer Stunde kam ich wieder und freute mich schon auf die Hühnersuppe. Aber die Enttäuschung war groß. Das Huhn war zwar gerupft und gekocht. Aber das Ausnehmen hatte sie vergessen. Von Salz und solchen Dingen hatte sie offenbar noch nie etwas gehört. Ein wenig nur hatte sie das Ding im Wasser liegen lassen; dann warf sie es in den Sand, als Fraß für den Ungläubigen. Das verleidete mir alle weiteren kulinarischen Experimente und ich begnügte mich mit Datteln für den Rest der Reise. –

In dieser Nacht überschritten wir den letzten, wohl dreitausend Meter hohen Gebirgskamm, der uns noch vom Persischen Golfe trennte. Wir rasteten auf der Paßhöhe, auf der ein kühler Wind wehte und wo man zum erstenmal seit langer Zeit wieder schlafen konnte. An der anderen Seite des Passes sollten wir eine größere Stadt mit Namen Bastak antreffen, und ich freute mich schon auf die frischen Brote, auf die süße Milch und auf die Wassermelonen, die man dort bekommen könnte. Aber es war ein Platz, der noch ärmlicher war als die anderen, und überdies waren es nur noch einige Tage bis zum zehnten Muharrem. Man muß in Persien gewesen sein, um zu wissen, was das bedeutet. Der Muharrem ist der erste Monat des Mondjahres, und der zehnte Tag dieses Monats ist der Jahrestag der Schlacht von Kerbela, in der der Enkel Mohammeds, Hussein, der Sohn Alis, im Kampfe fiel und damit die ihm als direktem Nachkommen zustehende Kalifenwürde den Omajiden zufiel. Das ist die Lehre der in Persien ansässigen Schiiten, die in diesem zehnten Muharrem nicht nur einen religiösen, sondern mehr im Unterbewußtsein auch einen nationalen Trauertag sehen, der die Unterwerfung ihrer eigenen stolzen Kultur unter die Araber versinnbildlicht. Kein anderer Trauertag wird mit solcher Inbrunst gefeiert wie der Muharrem in Persien. In den größeren Städten werden unter dem Namen »Tazie« bekannte Dramen und Mysterienspiele aufgeführt, die die Vorgänge von Kerbela und die tragischen Schicksale der Familie Ali oft so plastisch darstellen, daß die beschwingte orientalische Phantasie der Zuschauer ins Kochen gerät und Lynchjustiz an den gegnerischen Darstellern übt. In kleineren Orten wird der Tag weniger pompös, aber mit ebensoviel Gefühl gefeiert; in solchen Orten wie Bastak natürlich am meisten, weil sie die einzigen Glanzpunkte in der Leere des Daseins sind.

Harum al Raschid, oder wie er hieß, hatte versprochen, mich in zwölf Tagen nach Lingah zu bringen. Aber der Muharrem war stärker als alle seine Vorsätze. In Bastak schickte er seine Esel auf die Weide, logierte sich ein bei einem seiner vielen Bekannten und war fortan für nichts mehr zu sprechen.

Wenn ich je wie ein Hund auf der Straße lag, so war es hier. Kein Gläubiger nahm mich auf in sein Haus. Jeder Mensch ging um mich herum in großem Bogen, wie um etwas Unreines. Mir war, als ob selbst die Hunde mich verächtlich anschauten. Tagsüber saß ich im Schatten an einer Straßenecke und kaute Datteln, die ich mir in den Hainen auflas und nachts zog ich mich aus Furcht vor Unheil weit zurück nach irgendeinem Brunnen, wo knurrende Hunde um mich schlichen und große Bremsen mit giftigem Stachel mich aus dem Schlafe weckten. Und alle die Zeit kam es aus der Ferne wie der Klang dumpfer Trommeln, wenn die Männer im Takte mit den Fäusten auf die nackte Brust schlugen und dazu ein dumpfes, eintöniges Lied sangen, in dem immer wieder die Worte: Hussein, Hassan, Kerbela vorkamen.

So ging das ungefähr fünf bis sechs Tage lang, und dann kam der zehnte Muharrem und mit ihm die Prozession, deren Anblick ich mir nicht entgehen lassen wollte, trotz der haßerfüllten Blicke der fanatisierten Menge. Voran kam einer mit einer Trommel auf einem Kamel. Dann folgte ein langer Zug von Männern und Knaben, die mit den Fäusten die nackte Brust bearbeiteten und dabei immer noch die alte Leier brüllten, die ich schon so gut kannte:

»Hussein, Hassan, Kerbela!«

Und dann folgte etwas, was man selbst in Persien nicht für möglich gehalten hätte:

Eine Anzahl kräftiger Männer tanzte, etwa wie bei der Springprozession zu Echternach, über die heiße Straße, immer je zwei mit dem Gesicht gegeneinander gewendet. Bis auf große weiße Hosen waren sie ganz nackt und in den Händen trugen sie lange Schwerter, mit denen sie sich andauernd die entsetzlichsten Wunden im Gesicht und am Körper beibrachten. Bereits waren sie über und über mit Blut bedeckt, aber noch immer wilder und rücksichtsloser arbeiteten sie sich in diesen Rausch der Selbstkasteiung. Immer rasender wurde das Publikum. Wohin man schaute, sah man nackte Arme, die sich zum Himmel reckten, wilde Augen, wahnsinnverzerrte Gesichter, von Fanatismus toll gewordene Menschen, die im Takte die Brust mit den Fäusten bearbeiteten: »Hussein! Hassan! Kerbela!«

Es roch nach Schweiß. Der Blutgeruch stieg in den heißen Tag. Ich machte mich dünn und ließ mich während des ganzen Tages nicht mehr blicken. –

Und am anderen – am elften Muharrem – war die Welt wieder wie umgewandelt. Harum al Raschid kam selbst zu mir in Gesellschaft von einigen liebenswürdigen Herren mit langen Bärten. Wir aßen »Schirini« und andere orientalische Leckerbissen und am Ende noch einen sehr wohlschmeckenden Penir-i-Hormus, einen Dattelkäse, der aus dem Mark der Dattelpalme hergestellt wird. Bis in die Nacht hinein saßen wir dann noch zusammen und tranken Tee und rauchten aus den langen Wasserpfeifen.

Und am nächsten Tage ging die Reise weiter nach Lingah, wo wir einige Tage später wohlbehalten ankamen.

Der letzte Tag war der schwerste der Reise, denn das Wasser war in diesen dürren Küstenregionen noch rarer als anderwärts. Wieder und wieder sahen wir verheißungsvoll die kleinen Tempel über den Zisternen auftauchen, aber bei näherem Zusehen sah man nur ein trockenes Loch, umschwärmt von dicken, giftigen Wespen, oft auch ein Zufluchtsort der Schlangen. So mußten wir weiter marschieren mit trockenen Kehlen, denn unsere Wasserschläuche waren bald ebenso leer wie die Brunnen. Die Nacht über waren wir marschiert, und auch der Tag sah uns noch unterwegs, als die Sonne sich schon zum Untergehen neigte. Zuletzt ging es durch lose Sanddünen, in denen kaum ein Fortkommen war. Aber auf einmal, als ich dachte, das würde nie ein Ende nehmen, sah man es blau in der Ferne blitzen. Von irgendwo kam ein dumpfes Donnern und Brausen. Das war die Brandung. Das war das Meer!

In der Ferne baute sich die langersehnte Hafenstadt so überaus stattlich auf, daß ich mir die Augen reiben mußte, um mich zu vergewissern, daß ich nicht träumte. – Waren es Wolkenkratzer, die da aus dem Sande der Wüste aufstiegen? Sie wuchsen immer höher, je näher wir kamen. Links und rechts der Straße standen schwarze Beduinenzelte, um die halbverhungerte Hunde, verzauste Ziegen und kleine Kinder in paradiesischer Nacktheit schwärmten. Irgendwo im kahlen Lande standen die hohen Masten einer drahtlosen Station. Dann lag sie dicht vor uns.

Lingah, die Perlenstadt.

Es geht ihr wie so vielen anderen orientalischen Städten. Von weitem sieht sie recht stattlich aus. Mit dem allergrößten Erstaunen gewahrt hier das Auge die mächtigen Mauern, die gewaltigen Türme, die in der brütenden Hitze des heißen Tages stehen. Je näher man kommt, desto schmutziger wird es ringsum, desto mehr kommt neben dem Auge auch die Nase auf ihre Rechnung. – Ach, aber es sind nicht die süßen Düfte von Tausendundeiner Nacht, die da zwischen den engen Mauern aufsteigen. Ehe man sich's versieht, ist man mitten in der Stadt, die in der Tat noch seltsamer aussieht als so viele andere seltsame Städte, die man in Persien zu Gesicht bekommt. Diese Stadt ist eine einzige große Barrikade gegen die Hitze, ein schreiender Protest der gequälten Menschen gegen die Sonne, die hier heißer brennt als in irgendeinem anderen Erdenwinkel, selbst mit Einschluß des berüchtigten Roten Meeres. Die Lehmmauern sind hier noch höher als anderswo. Sie erreichen die Höhe von vier bis fünf Metern, und da die Straßen nur eben gerade breit genug sind, um einem beladenen Esel Durchgang zu verschaffen, wandert man durch einen Irrgarten von dumpfen Kellergängen, zwischen denen man sich ohne stadtkundigen Führer alsbald hoffnungslos verliert. Jedermann betrachtet hier die Straße als Schuttabladeplatz für seine Abfälle, und da es keine Stadtverwaltung gibt, die so etwas wieder wegschaffen läßt, kann man sich ungefähr eine Vorstellung machen von den Genüssen einer Wanderung durch die heißen Straßen jener fernen und gefährlichen Stadt. Die hohen Türme, die einen beim ersten Anblick so sehr in Erstaunen versetzen, sind weiter nichts als Ventilatoren, dazu bestimmt, das bißchen Wind aufzufangen, das selbst in diesem Backofen von einem Lande noch vorhanden ist.

Wenn man durch orientalische Städte wandert, so fehlt es einem nicht an Bärenführern. Auch hier in Lingah bot einer seine Dienste an, um die großartige Summe von zwei Annas (zwei Annas = 3 Pfennig). Der Bursche war splitternackt, bis auf einen winzigen Lendenschurz. Seine Aufgabe aber löste er gut; er zeigte mir alles, was es irgendwie zu sehen gab in jener aufblühenden Stadt. Die lange Reise von Schiras hatte das Aussehen des wandernden Sahib nicht verschönert. Ein Barbier hätte sich darum Verdienste erwerben können. Der Wunsch war kaum ausgesprochen, als der diensteifrige Mentor verschwand und gleich wieder zurückkehrte mit dem erstaunlichsten Exemplar von einem Barbier, das ich jemals gesehen. Er war gute sechs Fuß lang und entsprechend breitschultrig gebaut. Schwarz war er wie das Gewissen eines Geldwechslers im Bazar, und auch sonst sah er aus wie Othello auf dem Theater. Freilich vermißte man die schönen Gewänder, abgesehen von einem ungeheuren seidenen Turban, der kühn um den Kopf geschlungen war. Aus den Falten dieses Turbans zog Othello ein Schlachtermesser hervor, das groß genug war, um den Teufel zu erschrecken. Sorgsam probierte er die scharfgeschliffene Kante. Dann machte er sich an die Arbeit, während einige fünfzig Zuschauer sich im Bazargang versammelt hatten, um der Hinrichtung des erschreckten Sahibs beizuwohnen. Aber Othello tat seine Arbeit gut und bedankte sich noch höflich für die drei Annas.

Nach dieser Episode nahm sich wieder der Bärenführer meiner an und wir gingen zusammen nach dem Bazar, dessen Läden meistens geschlossen waren aus Angst vor der Polizei. Risa Khan, der neue Herr, hatte endlich Ernst gemacht mit der Besetzung abgelegener Gebiete, die auf der Landkarte zum Persischen Reich gehören, und so wurde auch Lingah mit einer Garnison beehrt. Leider hatte man aber vergessen, zugleich das nötige Gehalt anzuweisen, so daß die Soldaten meuterten und Tee, Tabak, Opium und sonstige Dinge, die ein persisches Soldatenherz begehrt, mit ihren neuen Mausergewehren in den Kaufläden requirierten.

Schön ist der Bazar darum doch, wie ein Bild aus einem orientalischen Märchen. Dicht am Meeresstrand ziehen sich die Arkaden hin, bis fast in die See hinein, die ewig murmelnd an ihren Grundmauern zerschellt. In den schattigen Lauben haben sich Händler niedergelassen, die mächtige Fische von oft grotesker Gestalt feilbieten. Der Geruch dieser Fische, der Duft von Tang und Seegras, die salzige Luft, die durch die Gänge geht, sind eine unsagbare Wohltat für den von Dürre und Hitze geplagten Wüstenwanderer. – Und das Meer! So viel Wasser auf einmal! Es ist beinahe ein unfaßbarer Anblick für den, der durch lange, lustlose Wochen jeden Tropfen davon als einen kostbaren Schatz in Schläuchen mit sich führte. Noch von früheren besseren Zeiten her – denn heute würden sie sich in Lingah gewiß nicht mehr dazu aufschwingen – sieht man hier ein ziemlich umfangreiches gemauertes Hafenbassin, den Standort der Perlenfischer, die an den Inseln und Untiefen des Persischen Golfes ihrem gefährlichen und manchmal einträglichen Handwerk nachgehen. Wir sind gerade mitten in der Saison und die Vögel sind ausgeflogen. Aber da und dort liegt doch noch eine Dhau mit schlaffen Segeln in der hellen Sonne. Die Ebbe hat einen großen Teil des Strandes trockengelegt. Der Sand ist lebendig von Krabben und großen Muscheln, die zwischen Seegras wuchern. Ich setzte mich auf die Mauer und schaute auf das Glitzern der blauen See, die sich schäumend an den Felsen brach und merkte dabei gar nicht, wie mein nackter Bärenführer mich immer aufdringlicher am Rockärmel zupfte.

»Alaman, Alaman«, sagte er immer wieder. Er sprach ein Gemisch von Persisch und Hindustanisch, von dem ich kaum ein Wort verstand. Da er aber etwas Dringendes auf dem Herzen zu haben schien, folgte ich ihm willig, und bald standen wir im Bazar vor einer Bude, wo ein langer, magerer Mann in einem weiten, bis zu den Zehen reichenden arabischen Hemde an einer Nähmaschine arbeitete. Zu meinem Erstaunen redete er mich in sehr gutem Deutsch an.

»Guten Tag, Landsmann.«

»Guten Tag. – Wo kommst du her?«

»Das sollte man dich wohl eher fragen! Ich bin hier zu Hause. – Hadsch Ali ist mein Name. Meine Mutter kam aus Berlin, mein Vater war ein Rifkabyle aus Tanger, und ich bin persischer Untertan.«

Mit grimmiger Miene wandte er sich an meinen Cicerone und sagte ihm etwas, das ihm Beine machte. Nach einer Minute kam dieser wieder und brachte auf einem Zinnteller zwei Tassen Kaffee. Er verneigte sich bis zur Erde, aber Hadsch Ali ließ sich davon nicht imponieren.

Er streckte die Hand aus mit der unnachahmlichen Geste des Orients.

Bakschisch!

Ich zog einen halben Toman aus der Tasche, aber Hadsch Ali winkte ab, holte aus seinem Gewande einen umfangreichen Geldbeutel hervor, löste umständlich den Schnürbendel und gab ihm drei Annas, sechs Pfennige, für seine Bemühungen. Der Cicerone machte ein süß-saures Gesicht, verneigte sich noch einmal mit einem feierlichen Salaam und verschwand.

In der Folgezeit saß ich noch manche Stunde zu Füßen Hadsch Alis in der Bude, während er auf der Nähmaschine klapperte. Es war wahrlich der Mühe wert ihm zuzuhören. Er war schon dreimal in Mekka gewesen, daher auch der Titel Hadschi, der die Vorübergehenden vor seiner Bude so feierlich salaamen ließ. Vor dem Kriege hatte er ein gutes Auskommen gehabt bei der Hamburger Firma Wenkaus, in deren Händen damals der ganze Perlmutterhandel lag. Die Augen gingen ihm jetzt noch über, wenn er zurückdachte an die großen Bierkisten, bei denen man damals selbst als frommer Hadschi ein Leben wie Gott in Frankreich führte. Aber dann kam der Krieg, und der war so recht etwas für die kriegerischen Instinkte eines Mannes, dessen Ahnen mit einem Fuß in Potsdam, mit dem anderen in den Bergen der Rifkabylen standen. Hinfort war er nicht mehr Hadsch Ali, sondern der »Scheidan Alaman«, der deutsche Teufel, der wie ein Feuerbrand landauf landab ging als Engländerschreck. Allerlei wußte er zu berichten von den seltsamen Ereignissen, die da, fernab von allen großen Kriegsschauplätzen, eine Welt der Abenteuer auftaten, wie man sie in diesem unromantischen Zeitalter kaum mehr für möglich gehalten hätte. »Back waters of the world's war« hat sie ein englischer Autor genannt. Es ist erstaunlich, daß man bei uns eigentlich nur wenig von diesen Vorgängen weiß, obwohl sie in ihren an Opfern und Abenteuern, an wilder Romantik so überreichen Geschichte sich wohl an die Seite stellen können mit den Vorgängen in Ostafrika und anderen abgelegenen Kriegsschauplätzen. Die Umstände machen oftmals die Männer. – War da in Buschir jener kleine Buchhalter einer deutschen Firma, der durch die Geschicke des Krieges über Nacht zum General und zu einer Art persischem Nationalhelden wurde. Ich will ihn nochmals nennen:

General Waßmuß.

Wie ein Unwetter ging er durch das Land und entfachte die Flamme des Aufruhrs, organisierte Banden aus den ewig unruhigen Elementen des südlichen Persien. Große, volkreiche Städte wie Schiras, Isfahan, Hamadan, Kirmanschah fielen zeitweise in seine Hand. Er stand vor den Toren Teherans. Der Aufruhr klopfte an die Pforten Indiens. Zum erstenmal seit beinahe tausend Jahren begann sich wieder einmal so etwas wie ein persisches Nationalgefühl zu regen.

Das war natürlich alles so recht etwas für die kriegerischen Instinkte Hadsch Alis, der immer mitten im Getümmel war, bis er schließlich in Gefangenschaft geriet und nach einem traurigen Platze in Hinterindien deportiert wurde, wo er die Leere der Tage mit Opiumrauchen ausfüllte.

Dieser Hadsch Ali war ein passionierter Opiumraucher, was man ihm auf den ersten Blick ansehen konnte an seinen dünnen, muskellosen Armen und dem knochigen, totenkopfartigen Gesicht, das er mit seinen Brüdern im Laster teilte. Nur wenige Stunden des Tages – gerade genug, um sich den Haschisch zu verdienen – brachte er hinter seiner Nähmaschine zu. Die ganze übrige Zeit verlebte er in der Opiumhöhle, die, wie alle Wohnräume in dieser Stadt, etwas unter der Erde lag, gerade unter einem der mächtigen Lehmtürme, die zum Auffangen des Windes dienen. Da es in der ganzen Stadt weder ein Hotel noch sonst eine öffentliche Herberge gab, blieb mir schon nichts anderes übrig, als mich selbst unter diese Haschischraucher zu mischen. Sie sahen wirklich alle wie Brüder aus, mit den kahlen Köpfen, den tiefliegenden Augen und den zum Skelett abgemagerten Gliedern. Der Haschisch machte alle gleich. Dicht nebeneinander saßen sie in großem Kreise um das Holzkohlenfeuer, das die vom Ventilator herunterkommende Zugluft immer von neuem entfachte. Ein glühender Holzspan ging von Hand zu Hand und ließ die Giftnudel am unteren Ende der Pfeife rot aufleuchten, während der Raucher gierig den Rauch in sich hineinfraß, der sich alsdann als bläuliche Wolke verbreitete, aus der nur da und dort ein scheckiger Turban herausschaute. Über allem lag ein süßer, erfrischender Mohngeruch, der einem angenehm die Nase kitzelte, auch wenn man selbst kein Haschischraucher war.

Im übrigen waren sie eine angenehme Gesellschaft und die meisten auch sehr beschlagene Politiker. Für die Deutschen schwärmten sie alle und vollends von Hindenburgs Heldentaten wußten sie die erstaunlichsten Dinge zu berichten. In der Schlacht bei Tannenberg – so erzählte Hadsch Ali, habe er einen englischen General niedergeboxt und sechshundert Franzosen eigenhändig erwischt und in einen Sumpf geworfen. Der Mann aber, der in ihrem Ansehen selbst noch über Hindenburg stand, war Abd el Krim. Vor wenigen Wochen erst hatte er sich den Franzosen ergeben, und mit der unerklärlichen Schnelligkeit, mit der Nachrichten im Orient reisen, war die Kunde auch schon bis nach Lingah gekommen, ohne jedoch allzugroßen Eindruck zu machen. »Der Sultan ist tot, es lebe der Sultan!« Hadsch Ali war schnell mit einer Erklärung bei der Hand. Abd el Krim, so erklärte er uns, sei von seinen eigenen Leuten ausgeliefert worden gegen ein schweres Lösegeld und mit den Worten, die wahrlich würdig waren eines Nachkommen des Propheten: »Hier bringen wir euch Abd el Krim zum Zeichen unserer Freundschaft. Seht zu, daß ihr euch nicht verkauft. Es gibt noch tausend andere Abd el Krims in unserem Lande.«

So plätscherte die Unterhaltung fort während des ganzen Tages, nur unterbrochen von gelegentlichen kleinen Pausen, die der Arbeit gewidmet waren. Sobald aber die Nacht sich auf die Stadt herabsenkte, wurde es leer in der Opiumhöhle. Es wurde leer in der ganzen Stadt. Wer irgendwie noch etwas Möbel oder sonstigen Hausrat zu hüten hatte, der legte sich auf das flache Dach seines Hauses, wo man wenigstens noch ein bißchen Luft schnappen konnte. Die übrigen – und das waren neunundneunzig Prozent der Einwohnerschaft – wanderten mit einer Decke oder einer Matte hinaus an den Strand, wo sie das bißchen Seebrise aus erster Quelle erhaschen konnten. Der Persische Golf ist das heißeste Wasser der Welt. Das Baden in seinen lauwarmen Fluten bringt keinerlei Erfrischung. Die heiße Luft, die bei Tag über der Landschaft zittert, macht sich bei Nacht fast noch drückender bemerkbar, als bei Tage. Auf dem Dach konnte ich es nicht mehr aushalten. So kletterte ich auf den Ventilationsturm hinauf und versuchte es mir dort mit einer Decke bequem zu machen. Es war eine seltsame Aussicht, die man von dort oben hatte. Kein Baum, kein Strauch war in der weiten Runde zu sehen. Die hohen Lehmtürme standen schwarz im weißen Licht des Mondes, der voll am klaren Himmel stand. Es roch nach Haschisch, nach ledernen Pantoffeln und abgestandenem Hammelfett. Zuweilen hörte man die Wächter im Bazar, die mit krächzender Stimme einander zuriefen. Zuweilen schrie ein übernächtiger Esel. Zuweilen heulte ein Hund, worauf dann eine Meute von hundert Hunden erwachte und mit einstimmte in den schaurigen Chor. Und plötzlich wurde es wieder ganz still und man hörte nichts als den dumpfen Donner der fernen Brandung und spürte nichts als die Hitze, die feindselig über dem Lande lag.

Nicht ein Auge voll Schlaf konnte ich finden in diesen langen Nächten, bis endlich nach zehn langen Tagen auf der Reede ein Dampfer erschien, der die Erlösung war. Ich rannte nach der Hafenkommandantur, wo man einen verschnörkelten Stempel zu den vielen andern in meinen Paß setzte und stand gleich am Kai unter dem Gewimmel von orientalischen Gestalten, die da in der Dhau verfrachtet wurden. Bald waren wir vom Lande klar. Das große Segel blähte sich. Die nackten Bootsleute legten sich in die Ruder mit einem eintönigen Singsang, indem sie Ali und die Imamen vielfach um Hilfe anriefen. Schon begann das Bild der Stadt in der flimmernden Hitze des heißen Tages zu zerrinnen. Ade, du Land Persien!

Nun lagen wir langseits der schwarzen Schiffsseite des Dampfers, von dessen Heck die britische Flagge wehte. Schon kletterten die neuen Passagiere mit viel Geschrei die Laufbrücke hinauf. Ich schaute ihnen zu und sah den qualmenden Schornstein und sah die Matrosen auf dem Verdeck und immer wieder fielen mir dabei die Verse ein, die sie auf Segelschiffen beim Heißen der Rahen und beim Ankerhiven zu singen pflegten, als ich noch Matrose war:

»Und segelte wieder vorbei an Uschant,
Bestimmt nach Indien.«

 


 << zurück weiter >>