Kurt Faber
Mit dem Rucksack nach Indien
Kurt Faber

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Stillstand der Zeit

Unerwarteter Empfang – Herr Schmelzle aus Tiflis – Rucksackwanderer nichts Neues – Sogar die Perser haben von ihnen schon Deutsch gelernt – Weiter im Sandsturme – Seltsame Paßkontrolle – Im Ortsgefängnis – Ein schwieriger Fall – Schmelzle erscheint zur rechten Zeit – Souper à la persane – Die Finger als Gabel – Der Zug der Flüchtlinge – Hassan Bey hält eine Rede – Weiterritt als »Gast der Polizei« – Bewachung oder Überwachung, das war die Frage – Dörfer aus Mist – Ankunft in Choi – Das persische Rothenburg – Lebendiges Mittelalter – Die Zeit kein Wertobjekt – »Hotel Yok!« – Hans und Gretel in Persien – Postkutsche à la Pompadour – Täbris, ein Märchen!

»Wer da?«

Das sagte der Mann auf deutsch. Und doch schaute dazu ein dunkelbraungebranntes Gesicht unter der fremdartigen Gendarmeriemütze hervor. Und doch trug er einen mächtigen krummen Säbel an dem Gürtel, an dessen Schloß der Sonnenlöwe abgebildet war. Hätte jemand mich auf Chinesisch angesprochen, so hätte ich mich nicht im geringsten gewundert, angesichts dieser fremdartigen Umwelt. Aber Deutsch, – ganz ordinäres Deutsch, hier an der persischen Grenze, im Schatten des hohen Ararat – das warf mich mit einem Schlag aus dem Himmel aller meiner exotischen Illusionen.

Schon stand ich in der Amtsstube, wo noch etwa vier oder fünf weitere Gendarmen in den huschenden Schatten saßen, die um ein kümmerliches Holzkohlenfeuer spielten. Bei meinem Eintritt gab es ein großes Säbelrasseln. Alle standen auf und erkundigten sich nach dem Woher und Wohin. Da sie persisch sprachen, verstand ich kein Wort. Aber der Mann, der mich draußen zuerst angeredet hatte, machte den Dolmetscher. Er heiße Schmelzle – Heinrich Schmelzle, sagte er mit stark schwäbischem Tonfall. Und er komme aus Katharinenfeld.

Wo das wohl liege? Im Ober- oder im Unterland? fragte ich . . .

»Sechzig Werst hinter Tiflis«, antwortete Herr Schmelzle. Sein Vater habe dort ein Gut von fünfhundert Deßjatinen Acker und fünfzig Deßjatinen Weinberg gehabt. Aber dann seien die Bolschewiken gekommen und hätten alles kurz und klein geschlagen. Die Knechte hätten sich mit dem Vieh davon gemacht und der Volkskommissar habe den Wein getrunken. Schließlich, als nichts mehr zu stehlen übrig geblieben war, hätten sich die Towarischti auch noch aufs Morden verlegt, und dann – ja was willst mache? – Dann sei er eben in Persien unter die Soldaten geraten.

Und wo ich wohl herkäme?

»Von Deutschland«, antwortete ich.

»Ja«, meinte Herr Schmelzle mit grimmigem Streichen seines großen blonden Schnurrbarts, »das habe ich schon an deinem Rucksack gesehen. Immer von Zeit zu Zeit kommt so einer über die Grenze. Sogar die Perser auf der Wache haben von ihnen schon Deutsch gelernt.«

Während er so redete, hatte ein junger Soldat die Teegläser gefüllt und stand bereit, sie gleich wieder zu füllen. Eine Stunde lang hörte man nur noch das übliche Teeschlürfen orientalischer Visiten, während draußen die Vögel sangen. Gegen Abend warf Herr Schmelzle sein Gewehr über die Schulter und winkte mir zu folgen.

Auf einer schönen, sorgfältig angelegten Straße, die zwischen hohen Bergen bergab führte, marschierten wir weiter hinein nach Persien. Links und rechts standen kahle Berge, deren Spitzen in der Abendsonne glühten. Eine Zeitlang ging es vorbei an einem stillen See, dessen Wasserfläche wie flüssiges Silber zwischen den schwarzen Felsen lag. Viel konnte ich von alledem nicht sehen, denn Herr Schmelzle hatte lange Beine, mit denen ich kaum Schritt zu halten vermochte.

Die Sonne war schon am Untergehen, als wir tief unten im Tale die erste persische »Stadt« gewahrten. Hals über Kopf ging es bergab über eine steile Halde und dann durch einen reißenden Bach, und auf einmal stand man mitten im Orte, ohne es zu merken.

Awadschik heißt diese aufblühende Stadt.

Je nun, sie ist nicht anders als all die anderen »Städte«, die man dort so am Wegrande findet. Lehm und Mist und Sand und Sonne und räudige Hunde, die den Wanderer begrüßen. Aber an dem Tage, da ich dort anlangte, tat die Natur noch ein übriges zur Belebung des Bildes. Der Sturm heulte, wie er nur im Hochgebirge heulen kann. Der Wind, der eiskalt von den nahen Schneebergen kam, zerrte an den Zweigen der kümmerlichen, wirr zerzausten Bäume, der Staub hüllte alles in eine dicke, gelbe Wolke. Persien zeigte sich wirklich von der schlimmsten Seite. Und nicht anders die Perser. Trotz des scheußlichen Wetters, in dem man wahrlich keinen Hund vor die Tür schicken mochte, hatte sich schon wieder die übliche Masse von Neugierigen versammelt, die sich mir als unwillkommene Eskorte anschloß. Ein Beamter kam herbei mit der schicksalschweren Frage: »Haben Sie nichts zu verzollen?« So, wie er ging und stand, mitten im Unwetter, mitten auf der Straße fiel er über meinen Rucksack her und stülpte ihn um, so daß der Inhalt Stück für Stück in alle Winde geweht wurde. Ich versuchte, mein Temperament im Zaum zu halten, aber es fiel mir schwer. Immer dichter drängte sich die gaffende Menge heran, während die Schar der Beamten, die inzwischen auf sechs oder sieben angewachsen war, ein strenges Verhör anstellten. Freilich war es ein Verhör mit Hindernissen, da sie meist nur Persisch sprachen und ich also mit meinen wenigen in den letzten Wochen mühsam erworbenen türkischen Sprachkenntnissen auf dem Trockenen saß.

»Mähändis«, sagte ich voll Verzweiflung.

Aber diesmal versagte das Zauberwort. Unter militärischer Bedeckung brachten sie mich nach dem Amtsgebäude, wo mir ein Offizier den Paß abnahm und untersuchte. Es war offensichtlich, daß er in seinem Leben noch nie einen deutschen Reichspaß gesehen hatte. Umständlich zündete er sich eine Zigarette an. Dann setzte er sich mit verkreuzten Beinen auf den Tisch vor den Telefonapparat, nahm den großen, krummen Säbel auf den Schoß und fing an den Staub aus dem Apparat herauszublasen, damit die Verbindung zustande käme, die Verbindung mit Teheran, denn der Fall war schwierig. Eine Stunde verging. Die anderen Beamten und Gendarmen im Zimmer waren längst wieder eingeschlafen, aber der Apparat versagte immer noch den Dienst. Mit allem Nachdruck zeigte ich auf das Visum des persischen Konsuls in Wien. Groß und breit stand es da zu lesen: »Bon pour se rendre en Perse.«

Er schüttelte den Kopf mit überlegener Amtsmiene. Ich verlor die Geduld und wandte mich zum Gehen. Ein halbes Dutzend Gewehre machten sich schußfertig. Die Szene ward zum Tribunal. Ich war aufs Schlimmste gefaßt, als plötzlich Schmelzle, den ich gleich bei unserer Ankunft aus den Augen verloren hatte, wieder auf der Bildfläche erschien in Begleitung eines stattlichen Herrn, der sich als ein kürzlich über die Grenze geflohener Kurdenscheich entpuppte.

»Mit dem kannscht Deutsch schwätze«, sagte Schmelzle.

»Major Hassan Bey«, stellte sich der fremde Herr mit allem Anstand vor. »Kaiserlich osmanischer Offizier. – Und Sie kommen eben aus Erserum?«

»Jawohl.«

»Und so haben Sie nichts Näheres darüber gehört?« fuhr er atemlos fort.

»Von was?«

»Von der Revolution. Er ist ermordet!«

»Ermordet?«

»Mustafa Kemal natürlich!«

Darauf wußte ich keine Antwort zu geben. Mehr als einmal hatte man mir Ähnliches ins Ohr geflüstert auf dem langen Wege von Trapezunt bis hierher, wobei der Wunsch wohl der Vater des Gedankens war. Ich meinte, daß man da wohl erst die Bestätigung dieser erfreulichen Nachricht abwarten müsse, aber Hassan Bey wußte alles aus sicherer Quelle und wartete nur noch auf den passenden Augenblick, um an der Spitze von zehntausend Vertriebenen in die Berge zu marschieren.

Während wir noch so redeten, war der Wali, der Gouverneur, in eigener Person erschienen. Hassan Bey, der in der Tat sehr gut Deutsch gelernt hatte auf der Konstantinopeler Kriegsschule, machte den Dolmetscher und so studierten sie dann gemeinschaftlich in meinem Passe jenes furchtbar schwere Wort, über das schon so manche orientalische Zunge gestolpert war in diesen Wochen: »Berliner Lokalanzeiger«. Die Miene des Wali fing an sich aufzuhellen.

»Doktor – ah, de la presse?« – Ob ich nicht eine Tasse Tee in seiner Wohnung nehmen wollte?

Natürlich wollte ich das.

Wir gingen nach der Wohnung, die an spartanischer Einfachheit nichts zu wünschen übrig ließ. Als einziges Mobiliar enthielt sie einen Perserteppich, der allerdings in Deutschland für gewöhnliche Sterbliche unerschwinglich wäre. Auf diesem ließen wir uns nieder und aßen ein »Souper à la persane«. Und das war wieder eine neue Erfahrung für mich. Der Perser kennt weder Messer noch Gabel auf seinem Tisch. Auch die Vornehmsten essen nach alter Urväter Art mit den Händen. Mit den Händen greifen sie in den Reis, mit den Händen zerpflücken sie das Huhn. Das wirkt auf den ersten Blick überraschend für uns an solche Tischsitten nicht mehr gewöhnte Mitteleuropäer. Aber man findet sich schnell damit ab, und man mag wohl die Frage aufwerfen, ob diese Art des Essens, bei der man stets eine saubere Glas- oder Kristallschale voll Wasser zum Waschen der Hände neben sich stehen hat, nicht doch hygienischer sei als das Speisen mit Messern und Gabeln, die vorher weiß Gott wer im Mund gehabt hat.

Nachts legten wir uns schlafen auf den Teppich, aber es war nur eine sehr problematische Nachtruhe, denn der Wind heulte um das Haus und der Staub flog durch die undichten Fenster. Gegen Morgen ließ der Sturm plötzlich nach, aber dann war es wieder etwas anderes, das einen nicht zur Ruhe kommen ließ. Draußen auf der Gasse war ein Geschrei und ein Getrippel von vielen Füßen. Wieder war eine Schar vertriebener Kurden über die Berge gekommen. Es war eine traurige Prozession, die da im frostigen Schein der Sterne vorüberzog. Zerlumpte, halbverhungerte Gestalten, die kaum mit dem Notdürftigsten bekleidet waren. Und doch waren sie noch vom Glück begünstigt gegenüber ihren Leidensgenossen, die als Opfer dieser eisigen Sturmnacht tot in den Bergen zurückgeblieben waren. Man redete von hundert, von zweihundert Frauen und Kindern als Opfer dieser einzigen Nacht!

Bei Tagesanbruch war der weite Platz vor der Karawanserei lebendig von fremdartigen Gestalten, die verfroren um die kümmerlichen Feuer saßen. Wie helle Farbenklexe kauerten die Weiber in ihren bunt gewebten Tüchern. Die alten Männer mit langen Bärten und unbeweglichen Gesichtern saßen mit unterschlagenen Beinen in großem Kreise um Hassan Bey, der eine lange Rede an sie richtete. Es ging alles ruhig und gemessen zu. Kein lautes Wort fiel. Kein Beifall, keine Mißbilligung, keine Erregung. Und doch waren es Fragen von Leben und Tod, die sie erörterten. Und doch redeten sie von Raub und Plünderung, von Revolution und englischen Subsidien. Wenn ich dagegen an unsere hirnlosen Volksversammlungen denke, in denen geschäftige Bonzen mit großen Mäulern kleine Nichtigkeiten zu Haupt- und Staatsaktionen aufblasen und tollgeredete Menschen einander die Schädel einschlagen für nichts und wieder nichts! Man würde wahrlich etwas geben um nur ein Atom dieser erhabenen orientalischen Nüchternheit.

Eine Atmosphäre tiefer Traurigkeit lag über diesem Bilde. Und doch war der Himmel so blau wie je und die fernen Berge standen blauverdämmernd in einem weichen, warmen Licht, als hätten sie nie ein Menschenleben auf dem Gewissen gehabt, als wäre niemals Krieg und Mord gewesen in dieser friedlosen Welt. –

Gegen Mittag ging die Reise weiter »an Bord eines Pferdes«, wie die Seeleute sagen. Das Pferd hatte der Gouverneur zur Verfügung gestellt und desgleichen zwei berittene Gendarmen, die mich begleiten sollten auf meinen weiteren Wanderungen. Oftmals habe ich darüber nachgedacht. War das nun eine Bewachung meiner wertvollen Person, oder eine Überwachung? Wollte man mir eine Ehreneskorte stellen, oder war man vielleicht doch nicht so ganz überzeugt von meiner Harmlosigkeit, so daß man eine Beobachtung für tunlich ansah an maßgebender Stelle und daß man so zwei Fliegen mit einer Klappe fing, indem man erstens den verdächtigen Fremdling nicht aus den Augen ließ und zweitens noch seinen Dank einsteckte für die liebenswürdige Eskorte?

Ah, tiefe, unergründliche Verschlagenheit orientalischer Seele!

Der Wali kam in eigener Person und verabschiedete sich voller Liebenswürdigkeit. Hassan Bey steckte mir einen Brief zu, der im Namen von fünftausend vertriebenen Kurden an die Teheraner Zeitung Sataré Irán gerichtet war. Ich nahm ihn mit nach Täbris und trug ihn auch nachher noch tagelang herum im Bewußtsein meiner Wichtigkeit. Aber noch ehe ich an Ort und Stelle angelangt war, zerriß ich ihn und streute die Fetzen auf die Landstraße. Was kümmerte mich dieser Streit um des Sultans Bart? Was verstand ich davon? Wer in einem Hause zu Gast ist, soll sich dort nicht zum Geschichtenträger hergeben. – –

Wenn Gouverneure sprechen, so hat das Wort Gewicht. Noch mehr will es bedeuten, wenn sie eine wohlwollende Bemerkung in den Paß schreiben, denn dann fühlt sich der nächste zu gleichem verpflichtet. Die Empfehlungen wachsen wie Lawinen auf dem Instanzenwege zu immer höheren Rangstufen. Und so kam es auch hier. Überall war ich der Gast der Polizei, und das war gut so, denn ein Hotel gab es im ganzen Lande nicht. In Kurdistan bauen sie ihre Höhlen unter, in Persien über der Erde. Der Inbegriff der Öde und Langweiligkeit ist so ein persisches Dorf. Die Gassen sind so eng, daß zur Not noch ein beladenes Kamel hindurch kann. Zu beiden Seiten der Gasse erheben sich hohe Lehmmauern, die die Häuser und Höfe wie Festungen umschließen. Es ist, als ob sich hier die Menschen voreinander fürchteten. Fast immer liegen diese Gassen ganz kahl und still in der grellen Sonne. Nur ab und zu sieht man eine verschleierte Frauengestalt, die dicht an der Mauer hinhuscht über den schmalen Schattenstreifen, den die hochstehende Sonne übrig läßt. Man hört nichts als das Klanken und Knarren der Ziehbrunnen, das Heulen der Schakale in der Ferne und ab und zu das Bimmeln einer vorüberziehenden Karawane. Neben Lehm und Sonne ist der Mist das beherrschende Element im Straßenbilde. Mist geht hier wahrlich über alle List. Er gibt das Brennmaterial für die Öfen, er liefert die Bausteine für die Häuser und dient als Wandverkleidung. Er bedeckt die Straßen mit einem Pflaster, auf dem man sanft wie auf einem Perserteppich geht. Das hat indes auch seine Nachteile. Wird man z. B. von Hunden angefallen – und es gibt in jenen Dörfern eine Sorte, die so groß ist wie ausgewachsene Kälber – so findet man in der weiten Runde nicht einen Stein, mit dem man sich ihrer erwehren könnte. Es ist ein Land, in dem man die Hunde losläßt und die Steine festbindet, in mehr als einer Hinsicht.

Und doch haben auch diese Ansammlungen von Lehm und Mist ihre Schönheiten. Wenngleich die Bewohner des Aserbeidschan noch Türkisch sprechen, so zeigt sich doch ihr ganz anders gearteter Charakter schon im Bilde der Landschaft. »Wo der Türk hintritt«, sagte ich bereits, »wächst kein Gras mehr«. Türken und Tartaren sind echte Steppenvölker, die den freien Blick lieben und deshalb die Bäume hassen. War der Siegeszug der Türken stets gekennzeichnet durch abgeholzte Wälder, so liebt der Perser hingegen Bäume und Wälder über alles.

»Am grünbelaubten Baume ist für den Blick des Weisen
Ein jedes Blatt ein Buch, des Schöpfers Macht zu preisen«

hat einst Saadi gesungen. Und diese Liebe zu allem Grünen und Bunten ist seinen Landsleuten bis heute erhalten geblieben. An den unmöglichsten Stellen kann man Blumenbeete beobachten in jenem Lande. Der Polizeigewaltige hat zumeist sogar einen Blumenstrauß auf seinem Amtstisch stehen. Die Nähe eines Dorfes wird stets angekündigt durch ein frischgrünes Wäldchen, das sich seltsam üppig abhebt aus der sonst so kahlen Landschaft. Ehe man ins Dorf kommt, reitet man durch das Wäldchen, wo der Sonnenschein auf den weißen Stämmen und den hellgrünen Blättern tanzt. Von den nahen Bergen kommt in unzähligen kleinen Kanälen das murmelnde Wasser, das auf den Terrassen kleine Teiche bildet, denn hier muß jeder Baum besonders bewässert werden. Gegen Abend kommt zumeist der Bergwind und rauscht in den Wipfeln ein heimatlich anmutendes Lied. Die Kühle des Abends lockt die Menschen aus ihren Höhlen. Der Aphor arbeitet mit dem Spaten an seinem Bewässerungsgraben. Die Weiber hocken vermummt am Bachrande, und tiefes Schweigen legt sich über das Ganze, während oben auf der Galerie des halbverfallenen Minaretts der Muezzin das Abendgebet spricht. – – Fünf oder sechs Tage waren wir so schon durch das persische Land geritten, als endlich das Gebirge zurücktrat und der Weg steil bergab führte zu einer weiten, ganz in Grün gebetteten Ebene. In einer größeren Karawanserei tranken wir noch einmal Tee, und dann ging es weiter zwischen Reis- und Maisfeldern und über grüne Wiesen, auf denen die Kühe mit bockbeinigen Sprüngen davon jagten. Immer breiter und immer belebter wurde die Straße. Zwischen zahlreichen Fußgängern, die mit Bündeln auf dem Rücken in der heißen Sonne gingen, trippelten Esel mit vornehmen Herren, deren lange blaue Rockschöße fast bis zum Boden herunterhingen. Gerade voraus sah man eine mächtige, mittelalterlich anmutende Stadtmauer, die reich mit Türmen und Zinnen versehen war. Vor der Mauer war ein Festungsgraben, und eine Zugbrücke führte ganz wie in einer alten Burg durch das Festungstor. Ich mußte mir die Augen reiben, um mich zu vergewissern, daß ich nicht träumte. – Waren wir hier wirklich im zwanzigsten Jahrhundert, im Zeitalter der Eisenbahnen und Automobile, der Maschinengewehre und der schwerkalibrigen Geschütze? Oder hatte ein Zaubermantel uns hinweggeführt in längst vergangene Jahrhunderte? Möglich war ja alles hierzulande.

Persisches Rothenburg. – Ja, aber hier war das weniger Kulisse, Museum, Überbleibsel für die Fremden. Es hatte alles noch Wesen und Inhalt, und die Menschen paßten zu den Dingen. Hier stand man in der Tat ein halbes Jahrtausend zurück in der Weltgeschichte. Das wurde mir gleich klar, als ich durch die engen Gassen ritt, gefolgt von einer Herde Neugieriger, die mich wie ein Neuntagewunder anstarrten.

So wie hier – sagte ich mir – muß es bei uns auch einmal ausgesehen haben vor vielen hundert Jahren. Hier gab es noch Zünfte und Gilden, wie zu Ururgroßvaters Zeiten. Hier hallten die Gassen noch wider von dem Hämmern des Handwerks. Hier sah man Menschen, die noch mit den Händen die Wolle klöppelten, die noch mit der Hand spannen und webten. Man kam durch Gassen, wo sie Nägel schmiedeten für die Hufschmiede und nagelneue handgemachte Kupferpfannen in der Sonne leuchteten. Und vor allem war zu bemerken, daß jedermann viel Zeit übrig hatte. Ich kam über einen Holzhof, wo die Bretter noch mit der Hand gesägt wurden und einige hornbebrillte, halb europäisch gekleidete Herren in einer Gruppe zusammenstanden und von Geschäften sprachen. Als sie meiner ansichtig wurden, kamen sie auf mich zu und begrüßten mich feierlich. Denn ein Fremdling aus Frankistan war auch hier ein seltener Anblick und ein Gesprächsthema für die ganze Stadt. Der Besitzer des Handsägewerkes, der sehr gut Französisch sprach, fragte mich, wo ich hingehen wollte.

»Nach dem Hotel«, antwortete ich.

Da schüttelte er verwundert den Kopf. Und die anderen schüttelten ebenfalls den Kopf, als sie von meinem seltsamen Vorhaben gehört hatten.

»Ein Hotel«, meinte er, »das gibt es hier nicht.«

Und wo man dann als Fremder wohl wohnen sollte? fragte ich.

»Allah ist groß und barmherzig«, fuhr er gemessen fort, »die Häuser der Gläubigen sind besser als ein Hotel.«

Nun wandte er sich wieder an die anderen, die sich eifrig auf Persisch unterhielten, währenddessen sich eine Gesellschaft von mehr als hundert großen und kleinen Gassenbuben um uns versammelt hatte. Offenbar stritten sie sich darüber, wer wohl die Ehre haben würde, den zugereisten Efendi zu bewirten. Schließlich fiel die Wahl auf keinen Geringeren als den Chef der Geheimpolizei, der mich sogleich unter seine Fittiche nahm und nach seiner Behausung entführte. Er war ein sehr gebildeter Herr, der über europäische Verhältnisse erstaunlich gut Bescheid wußte und auch perfekt Französisch und Englisch sprach, obwohl er niemals über die Provinz Aserbeidschan, geschweige denn über Persien hinausgekommen war. Wir ritten durch den Bazar, in dem die neugierige Menge respektvoll zurückwich beim Anblick des Polizeigewaltigen und waren bald wieder in den stillen Gassen mit den hohen Lehmmauern, zwischen denen man das Fürchten lernen kann. Vor einer dieser Mauern, die fast noch höher und düsterer war als die anderen, blieben wir stehen. Der Efendi klopfte an die Tür, die sich öffnete; ein Diener erschien.

Das also war eines der Geheimnisse, die diese hohen Mauern einschlossen! Persische Gärten sind berühmt. Das Paradies hat von ihnen seinen Namen empfangen. Und dieser war in der Tat ein kleines Paradies. Aus dem grellen Grau und Gelb der Gassen kam man hier unvermittelt in eine Umwelt von tropischer Üppigkeit. Büsche mit breiten, fleischigen Blättern spiegelten sich in einem großen Wasserbecken. An den Mauern standen blühende Oleander. Der süße Duft des Jasmin lag schwer und berauschend in der Luft. Der Boden war getäfelt mit bunten Mosaikplatten, mit denen auch das Wasserbecken ausgemauert war. Ein Papagei saß schimpfend auf einer Stange. Ehe wir in das Haus gingen, zogen wir unsere Schuhe aus. Ein Diener wusch uns die Füße, ob wir wollten oder nicht. Dann zogen wir die Pantoffeln an und gingen in die Wohnung, die eine neue Offenbarung war.

Eigentlich bestand sie nur aus einem einzigen großen Teppich, der unter Brüdern – doch ich wage es nicht auszudenken, wieviel er unter Brüdern wert gewesen sein mochte in Deutschland. Außer diesem stand weit und breit nichts im Zimmer, außer den Wasserpfeifen, die ein Diener herbeibrachte. Auf dem Teppich hockend tranken wir Tee und dort wurde uns auch das große »souper à la persane« serviert, das im großen und ganzen genau so verlief wie damals beim Gouverneur und zwischendurch noch an verschiedenen anderen Plätzen, so daß ich schon einige Übung hatte. Nach dem Essen brachte der Efendi ein märchenhaft schönes Schachbrett mit eingelegtem Ebenholz und Elfenbeinfiguren, mit denen ich während des ganzen Abends beharrlich verlor. Es war ein so lauer und milder Abend, wie ich ihn schon lange nicht mehr erlebt hatte. Motten und Nachtfalter schwirrten um das Licht der Petroleumlampe, das weich auf dem Teppich lag. Draußen war alles still. Nur zuweilen hörte man das heisere Schreien eines Esels und das schlaftrunkene Plappern des Papageis im Hofe. Nachdem wir lange genug gespielt hatten, kam der Efendi auf die Besonderheiten seines Berufes zu sprechen und auf die seltsamen Menschen, die man zuweilen auf der Polizeiwache in Choi studieren könne. Seit einem halben Jahre – so meinte er – sei der Strom der Durchreisenden versiegt. Dies liege wohl an der türkischen Grenzsperre infolge des Kurdenaufstandes. Vorher sei es anders gewesen. Da sei kaum eine Woche vergangen, in der nicht eine mehr oder minder große Schar von armen Reisenden über die Grenze gekommen wäre. Fast immer seien es Deutsche gewesen, und mancher sonderbare Kauz fand sich darunter. »Aber keine so sonderbar wie diese – ja, nun sehen Sie mal!« – Er ging in ein anderes Zimmer und kam gleich wieder mit einer Postkartenphotographie, die allerdings geeignet war, einiges Aufsehen zu erregen in dieser Umwelt. Ein Pärchen deutscher Wandervögel, wie man sie zu Tausenden in unseren Wäldern sehen kann. Er, ein Bursch von etwa achtzehn oder neunzehn Jahren in vorschriftsmäßiger Kluft, sie ein gretchenhaftes Ding mit kurzem Rock und langem Zopf. Darunter stand es in allen Sprachen: »Zu Fuß um die Welt. – to foot around the world. – tour du monde à pied.«

»Ja«, sagte der Efendi, »das war eine gute Idee von den beiden! Ganz Choi ist zusammengelaufen. Karten haben sie verkauft wie frische Brote im Bazar. Wenn die nicht um die Welt kommen, bringt's niemand fertig.«

Aber sie sind nie um die Welt gekommen. Später, in Teheran, hörte ich wieder von dem weiteren Fortgang dieses Hans- und Gretelidylls auf persischen Landstraßen. Gretel geriet auf die schiefe Ebene und wurde auf Kosten des Konsulates wieder abgeschoben nach Deutschland. Hans erkrankte an Typhus in Teheran und lag wochenlang zwischen Tod und Leben im amerikanischen Spital. Dort paßte ihm die ganze Richtung nicht, und eines Tages machte er sich, noch am Stocke humpelnd, davon in der Richtung nach Indien. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört. –

Die Mitternacht war längst vorüber, als mein Gastgeber sich von mir verabschiedete.

Auch in jener Nacht schlief ich auf dem Teppich und zwar so gut, wie man nur auf einem Perserteppich schlafen kann. Und am anderen Morgen ging die Reise weiter in der Postkutsche.

Wo alles noch nach der Urgroßväter Mode geht, da darf auch die Postkutsche nicht fehlen. Die Kutschen, die von Choi nach Täbris fahren, müssen einmal – vor langen Zeiten – bessere Tage gesehen haben, bis sie ausgemustert wurden von den durch Eisenbahn und Automobil verödeten Straßen Europas und dann die lange Reise nach Persien antraten. In der unseren konnte vor Zeiten die Pompadour gesessen haben oder eine von jenen zierlichen Demoisellen, die wir aus Spitzwegbildern kennen. So stolz sah sie aus mit ihren runden Fenstern und mit den roten Plüschsesseln, die allerdings schon recht verschossen und verschlissen und so wenig appetitlich aussahen, daß ich mir eigentlich gratulieren konnte, daß man mir einen Sitz auf dem Bock reserviert hatte, während drinnen eine Gesellschaft von wohlbestallten und wohlbeleibten Kaufleuten gurgelnde Wasserpfeifen rauchten und dazu mit den Lammfellmützen nickten.

Mit lustigem Schellengeläute ging es vierspännig hinaus in das weite Land, das sich weithin ausbreitete wie ein bunter Perserteppich in den lachenden, leuchtenden Farben des Frühlings. Die Sonne schien hell, die Lerchen jubilierten in der Luft, und alles in allem war es ganz so, wie es in den Gedichten steht. Aber in Persien ist die Natur zumeist nur Kunst. Überall dort, wo der Mensch nicht hinkommen kann mit seinen Bewässerungsgräben, sieht man tote Steppe und kahle Berghänge, die in der Sonne flimmern. In vieler Beziehung erinnert dieses Land an die vielgepriesenen Gegenden Südkaliforniens, wo ebenfalls die trostlose Wüste oft unvermittelt überzugehen pflegt in Landstriche, die sich ausnehmen wie ein einziger großer Garten. Hier wie dort sieht man üppige Weinberge und saubere Obstgärten, in denen die Olivenbäume in langen Reihen stehen. Überall breiten sich dunkelgrüne Kleefelder, und an den Straßenrändern stehen hohe Pappelbäume, deren grüne Blätter silbern aufblitzen, wenn der Wind durch das Laub fährt. Aber es fehlen hier die weißen Häuser, die freundlichen Zäune. Man sieht nur immer die hohen Lehmmauern, die selbst einem Reiter keinen Überblick in die Schönheiten der Gärten gestatten, die man nur ahnen kann an den mehr oder minder üppigen Baumkronen, von denen noch die letzte Spitze über die Mauer ragt, die Schönheit der Gärten so wenig wie der Frauen, die schwarzverhüllt, wie Wesen einer anderen Welt, über die Straße huschen, derweilen die Männer ernst und würdevoll vor der Tür sitzen und Tee trinken. Es ist hier ein Land ohne Lachen. Ist es auch ein Land ohne Tränen? Fast möchte man es glauben in der geruhsamen Atmosphäre dieser ausgeglichenen Welt.

In der Hitze des frühen Nachmittags taucht Täbris in der Ferne auf. Zwischen Schneebergen, die den Horizont begrenzen, erstreckt sich die einige dreihunderttausend Einwohner zählende Stadt weithin in die Ebene. Lange sieht man sie vor sich liegen, aber man muß dicht herankommen, um zu wissen, daß man eine Großstadt vor sich habe. Denn es gibt hier keine Türme, keine Minarette, keine Schornsteine, nichts Himmelstürmendes, was das Herannahen einer Stadt verrät. Die Mauern sind höher als die Häuser, man sieht nur graubraune Lehmwände zu beiden Seiten der Straße, und so muß man schon ein ganzes Stück weit in das Gewirr der Straßen vorgedrungen sein, ehe es einem zum Bewußtsein kommt, daß man sich wirklich zwischen den Häusern einer volkreichen Stadt befindet. Kilometerweit geht man durch diese engen Gassen, ohne etwas anderes zu sehen als die hohen Wände, die wie Gefängnismauern wirken.

Seltsame Stadt! Was immer man in Choi an Seltsamkeiten gewahrte, das sieht man hier in vergrößertem Maßstab wieder. Die vierjährige Russenherrschaft während des Krieges hat zwar modernisierend gewirkt. Die alten Stadtmauern sind gefallen, aber die Gassen haben sich darum nicht verbreitert. In vollem Galopp, als ob wir noch in der offenen Steppe wären, rasten wir durch den Irrgarten von Gassen und Gäßchen. Die vier nebeneinander gespannten Pferde füllten die Straße aus und trieben eine buntgewürfelte Schar von verschleierten Frauen, bärtigen Mullahs und fliehenden Eseltreibern vor sich her. Räudige Hunde rannten kläffend im aufgewirbelten Staube, eine Schar Lastkamele drückte sich knurrend und grunzend gegen die braune Lehmmauer. Ein Derwisch im Bazar erhob drohend seine Axt, und alles in allem war es so, wie wenn Ali Baba mit den vierzig Räubern seinen Einzug hielte. Durch ein breites Tor ging es, immer noch in ansehnlichem Tempo, hinein in eine weite, geräumige Karawanserei, wo wir mit einem Ruck zum Stillstand kamen und sogleich auch Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit waren.

Eine ganze Schar von würdigen Kaufleuten, die recht erhaben ausschauten in ihren langen, schwarzen Abbas, die sie lose wie Advokatenroben über die Schulter trugen, begrüßte mich feierlich, jeder mit einer tiefen Verbeugung.

»Salem Aleikum.«

»Aleikum Salaam«, antwortete ich.

Dann erkundigten sie sich ausgiebig nach dem Woher und Wohin, und ich gab ihnen Auskunft in meinem unmöglichen Türkisch. Bald kam ein sporenklirrender Offizier, der so stramm und wichtig salutierte, als ob er mir die Grüße des Schahs von Persien zu übermitteln hätte. Da er Persisch sprach, verstand ich kein Wort, ließ es mir aber ruhig gefallen, daß er mich in eine recht elegante, weiß gepolsterte Kutsche packte und mit mir und meinem Rucksack davon fuhr durch das Gewühl der lärmenden Straßen. Der betreßte Diener auf dem Bock war von magischer Wirkung. Alles flitzte auseinander bei unserem Erscheinen. Die Hamals (Gepäckträger, Tagelöhner) hörten einen Augenblick auf mit Fluchen. Die sonst so wenig schüchternen Eseltreiber drückten sich scheu zur Seite, die Kaufleute im Kahwe-Hane erhoben sich von ihrem Teppich und verneigten sich bis zur Erde. Vor dem Tor eines wappengeschmückten Gebäudes, das aussah wie eine Kaserne, kamen wir zum Stillstand. Durch eine Hecke von salutierenden Soldaten kamen wir in einen großen Hof, der eigentlich mehr ein Garten war.

Der Offizier verabschiedete sich mit viel Grandezza, nicht ohne vorher den Dienern seine Weisungen erteilt zu haben, die nun in ihren langen blauen Röcken geschäftig umherliefen. In der Halle, die zum Hause führte, breiteten sie einen Teppich aus, der tausend Toman wert gewesen sein mochte und stellten darauf die Wasserpfeife, mit der ich nichts anzufangen wußte. Dann zogen sie mir die Schuhe aus und reichten mir ein Täßchen Kaffee, so süß und würzig, wie man ihn nur im Schatten der Moscheen trinken kann. Es war wie ein Märchen.

Nach einer Weile kamen noch mehr Diener und brachten in einem großen Bündel das Essen, das sie kunstvoll vor mir auf dem Teppich aufbauten. Brotfladen, so groß wie ausgewachsene Pfannkuchen, ein gebratenes Huhn, Tauben, Nüsse, kindskopfgroße Melonen und natürlich auch das unvermeidliche Pilau.

Am nächsten Tage, schon um sieben Uhr morgens – denn das ist in Persien die offizielle Besuchszeit – erschien wieder der Offizier in Begleitung von einem Dutzend hoher Würdenträger, die einander in tiefen Verbeugungen überboten. Und gerade hier muß ich ein Wort einlegen zum Lobe der persischen Polizei, die vielleicht nicht immer die tüchtigste, sicher aber die höflichste und aufmerksamste auf dieser Erde ist. Wer als zugereister Franke die persische Grenze überschreitet, der hat auch sofort das Empfinden, daß das Interesse der hohen Staatsautorität ihn auf allen seinen Wegen begleitet. Ob sie ihn mehr be- oder überwachen, bleibe dahingestellt. Jedenfalls sind sie stets die liebenswürdigsten aller Jünger der heiligen Hermandad. Einen Blumenstrauß findet man auf dem Tisch der düstersten Amtsstube, eine Zigarette, eine Tasse Tee wird einem immer angeboten. Und alle Tage wird man vor einen anderen hohen Würdenträger zitiert, bei dem man immer noch einmal Tee trinken und Zigaretten rauchen muß und zum tausendsten Male zu hören bekommt, daß man der willkommenste der Gäste in Persien wäre. Vielleicht – wahrscheinlich – denken sie das Gegenteil, aber es ist dennoch angenehm zu hören, und nirgends haben schließlich die Lügen längere Beine als in Persien.

Drei Tage lang ging es so von Amtsstube zu Amtsstube, bis endlich der letzte Khan mich mit einer umfangreichen Verbeugung in die Freiheit entließ.

Die Stadt Täbris ist ein Irrgarten von engen Gassen, die alle einander vollständig gleich sind, denn nirgendwo ist ein Haus zu sehen, das die Straße begrenzt. Nur überall die braunen Lehmmauern ohne Fenster und fast ohne Türen. Und Hunde und Kehrichthaufen und die nimmermüde Sonne am blauen Himmel. Nur ab und zu kommt ein Trupp Packesel, die hoch bepackt, wie wandelnde Warenbündel, auf kleinen Füßen durch Staub und Sonne trippeln. Verschleierte Frauengestalten huschen im Schatten der Mauern hin, wie schuldbeladene Wesen einer anderen Welt. Nun kommt in rasender Fahrt eine Droschke heran. »Abadar! Abadar!« schreit der Kutscher. Achtung! Schön und gut, aber wohin soll einer ausweichen in einer Gasse, die nur für Lastesel bestimmt ist, aber nicht für europäische Droschken, die mit ihren zwei Pferden den Durchgang von Mauer zu Mauer sperren?

In morgenländischen Städten führen indes alle Wege zum Bazar. So still und tot es in den Gassen ist, so lebhaft geht es dort zu. Der Bazar von Täbris ist der größte des Orients. Wer wäre ihm je in Wort oder Bild in seiner ganzen Farbenglut gerecht geworden? In seiner Länge und Breite nimmt er ein großes Stadtviertel ein, dessen Gänge – wie übrigens die aller größeren orientalischen Bazare – übermauert sind von kreuzgangartigen Bogen, unter denen alles in einem dämmernden Lichte liegt. In bestimmten Abständen fällt durch Löcher in der Decke ein Lichtstrahl herein. Während draußen die Sonnenglut wie ein Ungeheuer in den schattenlosen Straßen liegt, ist es im Bazar immer kühl, wenngleich die Luft so dick ist, daß man sie schneiden könnte; eine seltsam süßliche Luft, die reich geschwängert ist mit dem Duft von Kaffee, Wasserpfeifentabak, türkischen Lederpantoffeln, ranzigem Hammelfett und noch vielen anderen Dingen. Kurzum: ein morgenländischer Duft. Man muß ihn selbst gerochen haben, um zu wissen, was das ist, um ihn alsdann nie wieder zu vergessen. Links und rechts sieht man in den endlosen Reihen die Buden der Kaufleute, die klein wie Vogelkäfige sind, und dazwischen drängt sich eine nimmermüde Flut von Menschen vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Denn das Handeln und Verhandeln mit diesen Bazargestalten ist das große Vergnügen des Orients. Stundenlang kann man dabei im Feilschen um ein Paar Pantoffeln über das Wetter und die schlechten Zeiten reden und den Namen Allahs mißbrauchen. Es ist keine Grenze der Beredsamkeit. Zu einem königlichen Vergnügen aber wird das alles, wenn man in die Halle kommt, wo die Teppiche feilgeboten werden.

Hier ist es still und feierlich, fast wie in einer Kirche. Viel höher als über der Gasse wölben sich hier die Kreuzbogen, von deren Deckfenstern das Licht herunterfällt, das in flüssigen Ringeln auf den Teppichen tanzt, die überall zu hohen Stapeln aufgeschichtet sind. In den Nischen des Raumes sitzen auf kostbaren Teppichen die Kaufleute – ah, die königlichen Kaufleute, die noch viel längere Bärte haben und noch viel schönere Turbane als die anderen in den Buden an der Gasse. Vor sich die gurgelnde Wasserpfeife und neben sich die Rechenmaschine. Und natürlich die Teetasse. Du gehst auf einen zu, und er begrüßt dich mit einladender Handbewegung. Du nimmst Platz auf dem Teppich mit verkreuzten Beinen, so gut du es verstehst, und schon hat ein Junge von einer nahen Schenke neuen Tee gebracht. Zuerst einmal großes Schweigen. Dann beginnt eine gemächliche Unterhaltung über deine Gesundheit und die deines Gastgebers, über deine letzte Reise und über die neuesten Bazargerüchte. Dazwischen werden viele Tassen Tee getrunken, die Bärte werden oftmals gestrichen, die Namen Allahs und des Propheten werden oftmals gebraucht und mißbraucht, jedesmal mit einem schmückenden Beiwort, einem gläubigen Senken des Kopfes und einer Handbewegung nach der Brust. Und so langsam kommt man dann auf die Geschäfte zu sprechen. Du wirst ihm ein Preisangebot machen, und er wird es annehmen oder ablehnen. – Aber nein, solche Schnelligkeit wäre gegen das Gesetz und die Propheten. Zunächst wird er seine Wasserpfeife anstecken, die inzwischen ausgegangen war. Dann wird er einen Diener rufen, der den Teppich im gedämpften Sonnenlichte ausbreitet, derweilen er selbst mit sanfter, melodischer Stimme seine Vorzüge preist. Aus Khorasan sei das Stück, ein wahres Wunderwerk der Kunst, gut genug zu einem Gebetsteppich für einen Imamen. Der Prophet selbst – der Herr segne seinen Schatten! – könnte ihn gebrauchen und für zweihundert Toman wäre er so gut wie ein Gastgeschenk.

Du denkst eine Weile nach und nennst etwa ein Viertel der Summe, worauf der Kaufmann den Kopf schüttelt mit mildem, verzeihendem Lächeln. Dann folgt eine lange Pause, während deren dein Auge ziellos wandert zu den Kupferschalen im Laden und zum gemauerten Dach der Halle. Du suchst ganz uninteressiert zu scheinen, aber ehe du dich versiehst, hängt dein brennendes Auge wieder an den Lichtern, die über dem Teppich geistern und du machst schon einige Konzessionen im Preise. – Nun wird wieder Tee getrunken, wieder Allah zum Zeugen angerufen und du steigst schließlich in deinem Angebot auf siebzig, achtzig, hundert Toman, die dein bärtiger Freund als die Ursache zu seinem sofortigen Bankrott bezeichnet, aber dennoch schmunzelnd annimmt. – Oder auch nicht. Dann ist das eben eine willkommene Gelegenheit, um morgen noch einmal Tee zu trinken und noch einmal in dem großen, schönen Genuß dieses königlichen Schachers zu schwelgen. –

Aber ist wirklich der Bazar nur ein Ort zum Handeln und Schachern? Es wäre eine üble Verkennung der Wirklichkeit, es wäre geradezu eine Beleidigung, wenn man das behaupten wollte. Denn es gibt auf dieser Erde keinen Ort, an dem man sich so gut unterhält und so andauernd amüsiert, wie auf einem persischen Bazar. Man hat dort sogar ein Wort für diesen besonderen Zustand: Basari. Man geht »basari« unter diesen Gewölben: man mischt sich unter die Menge, man freut sich seiner Mitmenschen und lauscht der »chronique scandaleuse«, die von Mund zu Mund fliegt, der Unterhaltung, die nie ein Ende nimmt. Da brüllt ein Geschichtenerzähler die Abenteuer seiner Helden aus vollem Halse, dort schreitet ein Derwisch in härenem Gewand, mit der Axt über der Schulter. Hier sitzt ein Mullah mit verkreuzten Beinen auf einem hohen Schemel und schildert einer entzückten Gemeinde die Leiden der Märtyrer, von denen sie niemals müde werden zu hören. Verschleierte Frauen trippeln vorüber auf ledernen Pantoffeln wie Gestalten aus einer Märchenwelt. Nun kommen Kamele stolz und unnahbar, überschreiten einen Eselstrupp und zermalmen fast einen spindeldürren Mirza, der schreiend über sein Tintenfaß stolpert. Man sieht Lammfellmützen und Turbane, so groß wie Storchennester. Hier ist man in der Straße der Schuhmacher, wo es nach Leder riecht und die Luft lebendig ist vom Takte der Hämmer. Und dort sind die Zimmerleute, bei denen die großen Zehen die Hobelbank ersetzen. Dort wieder leuchten rote Schmiedefeuer aus dem Halbdunkel. Und hier sitzt hinter einem mächtigen Tintenfaß ein Mirza, der mit seiner Gänsekielfeder in zierlichen Buchstaben die Liebesworte aufschreibt, die sanft errötend unter dem Schleier eine Klientin ihm zuflüstert. Und immer und immer ist es kein Ende des Schauens, wenn man an den Kaufläden vorbei kommt, wo von der Decke die Zuckerhüte hängen, die die Kamele über Berge und Wüsten von Gott weiß woher geschleppt haben, die Kamele und Esel, die hier in biblischer Beschaulichkeit verweilen.

Ja, und da ist die Straße, wo man fast sein eigenes Wort nicht mehr hört von dem Takte der Hämmer, dem Singen der Sägen und dem Kreischen der Feilen, die Straße der Sarafan und Goldschmiede, deren Buden überquellen von funkelndem Silber und leuchtendem Gold. Reichtum und Armut zugleich. Denn, wie gesagt, hier sind alle arm und reich. Unergründliche Seele des morgenländischen Menschen! Noch haben wir uns nicht satt gesehen an der so seltsamen Welt, aber schon ist die Sonne gesunken. Schon ruft der Muezzin das Abendgebet vom Minarett der nahen Moschee. Die Läden schließen. Alles trippelt nach Hause, wie eine Schar nachtblinder Hühner, und bald sieht man nur noch verspätete Bettler und verlassene Hunde durch die Hallen schleichen. Denn so will es das Gesetz, das hier alles regelt.

Wir folgen der Sitte und gehen langsam nach Hause. Still ist die Nacht. Die kühle Abendluft zieht durch die menschenleeren Gassen. Es ist, als ob sich alles zusammenkuschelt. Denn der Schlaf ist eine heilige Handlung im Orient. Nur von ferne hört man das Heulen eines Hundes oder das Schreien eines Esels. Dann hört auch dieses auf. Es ist, als ob die dumme Kreatur um das Tun der Götter wüßte.

Es ist die Stunde des Gebets.

Vom nahen Minarett fällt wieder die Stimme des Rufers wie ein Tropfen aus dem All.

»Allah hu akbar!«

Gott ist am größten!

»Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Gott und keinen Propheten außer Mohammed!«

Fünf Minuten lang ist die Nacht lebendig wie von Geisterstimmen, die sich fortpflanzen durch die Finsternis und fern verhallen in den entlegensten Stadtvierteln.

Kismet des Lebens! Stillstand der Zeit!

Durch die enge Gasse kommt schwankend eine trübe Laterne. Ein Diener in blauem Rock hält sie hoch über dem bärtigen Gesichte eines Mullah, der andächtig im Koran liest. Gläubiger Tor! Er hätte sich mit Fug und Recht auch eine andere Lektüre wählen können, denn wirklich: je länger man in diesem Lande lebt, je mehr kommt man zu der Erkenntnis, daß es hier kein Buch gibt, das so wahr, so treu und aufrichtig wäre wie dieses: Tausendundeine Nacht.

 


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