Kurt Faber
Mit dem Rucksack nach Indien
Kurt Faber

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von Isfahan nach Schiras

Nächtliche Fahrt – Wo das Kamel über das Auto triumphiert – Kismet – Kum, die heilige Stadt – Eine willkommene Panne – Das persische Lourdes – Auf verbotenen Pfaden – Ich entgehe mit knapper Not einer Steinigung – Ungesunde Gegend – Isfahan, die Perle von Persien – Besuch im Bazar – Allerlei Kaufgeschäfte – Persische Studenten – Man kennt sie nicht von den Professoren – Nirgendwo eine Studentenbude – Ein empfehlenswertes Hotel – Abenteuer auf der Landstraße – Schiras, die Rosenstadt – Sie stellt sich als die Hauptstadt der Sandflöhe heraus – An Hafis' Grab.

Teheran war längst verschwunden unter dem schwarzen Mantel der lauen Nacht und immer noch brummte der Motor, immer noch ging es weiter auf der weißen Straße, wo nur ab und zu ein vorüberziehender Eseltrupp im Lichtkegel des Scheinwerfers auftauchte. Zwei oder dreimal wurden wir aufgehalten durch Kamelkarawanen, vor denen die moderne Technik die Waffen strecken mußte. Da half kein Fluchen. Die Nacht widerhallte von Verwünschungen, Bärte wurden verbrannt und Seelen zur ewigen Verdammnis verurteilt, aber es nützte nichts. Grollend mußte das schnelligkeitstolle Fahrzeug aus Frankistan den Motor abstellen und ruhig abwarten, bis die nächtliche Heerschar vorübergezogen war. So wenig wie einst der Berg zu Mohammed gegangen, so wenig kann man es auch fertig bringen, einem Lastkamel eine andere Gangart anzugewöhnen als die, die es von Kind an gewohnt, die ihm ererbt und überkommen ist von tausend Generationen anderer Kamele. Langsam schwanken sie vorüber, wie Gespenster der Nacht. Die Tiere brüllen, die Treiber fluchen, und überall hört man das Läuten der Glocken. Vielleicht sind sie nur ein Dutzend, vielleicht sind es mehrere hundert Tiere. Vielleicht ist die Karawane mehrere Kilometer lang. Aber es nützt kein Jammern über den Zeitverlust, wenn man nicht eine Panik gewärtigen will, in der das Teufelsding aus Frankistan unter den Kamelhufen verende. So rächt sich der Orient am Okzident. – Aber man jammert auch nicht.

Was ist die Zeit in diesem Lande?

Der Mullah schnarchte vernehmlich im Wagen. Franzl, der Chauffeur, zündete sich eine Pfeife an und schlief gleich ein. Und so standen wir immer noch auf der Straße, während die Glocken der weiterziehenden Karawane in der Ferne verhallten und wieder das klagende Lied der Schakale in der Wildnis einsetzte. Plötzlich brummte wieder der Motor, und weiter ging die Reise mit vierzig Kilometern in der Stunde.

Um Mitternacht hielten wir Rast in einer Karawanserei, dicht neben einer kleinen Moschee, wo wir ausgiebig Tee tranken. Dann ging es wieder hinein in die Nacht, bis der graue Tag über der grauen Steppe dämmerte. In der Ferne stand eine Stadt.

Wenn man sich in westlichen Ländern einer Stadt zu nähern beginnt, so merkt man es zunächst an den überhandnehmenden Reklameschildern. Dann kommen die Schuttabladeplätze, dann die Schornsteine und die Mietskasernen. In Persien aber hat man noch etwas von dem biblischen Gefühle der Ehrfurcht vor alten Mauern.

»Ziehe deine Schuhe aus, denn der Ort, worauf du stehest, ist heiliges Land.«

Und hier war es in der Tat eine heilige Stadt, deren Umrisse sich in der Ferne abzeichneten. Neben Kerbela und Mesched gibt es für einen Schiiten keine heiligere als diese: Kum, die Heilige, am Fuße der Grabmoschee des Imamen. Von weither leuchtete die goldene Kuppel in der Morgensonne. Beim Näherkommen sah man die vier mächtigen Minarette, deren Spitzen wie goldene Speere in der Sonne blitzten. Einen erhabeneren Anblick kann man sich nicht wohl vorstellen und man versteht es, daß gläubige Wallfahrer, die in ihrem Leben nie etwas anderes gekannt haben, als die graue Steppe und die schwarzen Zelte ihres ruhelosen Daseins, nach monatelanger Wanderung vor ihnen in den Staub sinken wie vor etwas Göttlichem.

Ich war dafür, daß wir ein wenig Station machen und uns dieses Wunder etwas näher ansehen wollten. Aber Franzl protestierte heftig. – Was es da wohl zu sehen gebe? Eine Moschee wie alle andern. Und gar noch die? Eine Grabmoschee? In der ein Imame liegt? »Nicht um alles in der Welt! Einmal bin ich so etwas zu nahe gekommen, drüben im Harat. Aber nie wieder!«

Er war noch nicht fertig mit seiner Rede, da knackte etwas im Motor und das Auto humpelte wie ein lahmer Vogel zur Reparatur in die nahe Karawanserei. Das war fatal. Franzl fluchte. Der Mullah steckte den Kopf heraus und murmelte etwas Unheiliges. Mir aber war der Unfall zur rechten Zeit gekommen. Zwei oder drei Stunden Aufenthalt genügten auch ohne Bädeker zur Besichtigung dieser seltsamen Stadt.

Ein breites, fast trockenes Flußbett, auf dem eben ein Eselmarkt abgehalten wird, trennt uns von dem Orte. Eine alte, in einer sehr merkwürdigen Architektur gehaltene Brücke führt in die Gassen dieses »Lourdes von Persien«, die von Mullahs nur so überquellen. Jeder dritte Mensch scheint hier ein Geistlicher zu sein. Sehr eng, dunkel und schmutzig sind die Gassen, aber um jede Wegbiegung blitzt die goldene Kuppel der Moschee, die einen magisch in ihren Bann zieht. Verführerisch wie ein Gift, denn Franzls Furcht vor diesen verbotenen Früchten war keineswegs so unbegründet. Schiiten sind sehr eifersüchtig und oftmals gewalttätig in der Behütung ihrer Gotteshäuser vor den Blicken der Ungläubigen. Erst zwei Jahre zuvor war in Teheran der amerikanische Konsul von der fanatischen Menge zu Tode gesteinigt worden, weil er gewagt hatte, ein solches Heiligtum zu photographieren.

Zweifelnd stand ich vor dem Eingang. Ich setzte mich ein wenig auf die marmorne Stufe, die hinauf in das Heiligtum führte und schaute ein wenig den würdigen, schwarzbärtigen Buchhändlern zu, die stets vor den Moscheen sitzen, und der Bücherwurm in mir wurde lebendig beim Anblick der kostbaren Miniaturen, die da wie Perlen in einem Schutthaufen lagen zwischen dem Wust von wertloser Druckerschwärze. Schön anzusehen, aber teuer und unverkäuflich für einen Ungläubigen. Ein Junge brachte eine Tasse Tee aus einer benachbarten Schenke. Ich schlürfte ihn bedächtig und schaute auf das ein- und ausgehende Gewimmel und schielte ein wenig durch das Portal, das über und über geziert war mit bunten Fliesen, die vielfach verschnörkelte Koranschriften darstellten. Einen Blick warf ich ins Innere des Hofes, der wie ein steinernes Gedicht herausleuchtete in diese Rumpelkammer einer verwahrlosten Stadt.

Und dann wurde plötzlich die Neugierde größer als alle Vorsicht. Schnell ging ich über die Steinfliesen, die ebenso viele Grabsteine waren und stand nun mitten in einem großen, viereckigen Hofe, der rings umrankt war von Säulengängen, während in der Mitte ein Brunnen stand. Hier war es wunderschön kühl, überall leuchtete von den Mauern eine Fülle von Farben. Gerade vor mir stand ein Portal, das schimmernd in einer Überfülle von blauen und weißen Mosaikverzierungen in maurischer Art in der Sonne funkelte. Darüber stand die gewaltige goldene Kuppel der Moschee, die Minarette mit ihren vergoldeten Spitzen, und über dem Eingang hing die Ampel wie etwas Unwirkliches. Weiter abseits, an der anderen Seite des Hofes, standen andere Minarette und dazwischen ein kleiner, spitzer Tempel mit einem goldenen Dach wie eine chinesische Pagode. In dem Hofe hockten ringsum die Menschen wie bunte Farbenklexe, und überall hörte man das leise Beten der weitgewanderten Pilger.

Lange hatte ich nicht Zeit zum Betrachten. Nur einen Augenblick stand ich da und trank mit gierigen Augen das Bild dieser seltsamen Schönheit. War das nun Täuschung? War es nur die Wirkung der verbotenen Frucht, die mich berauschte? Ich weiß es nicht. Vor wenigen Monaten erst war ich in der berühmten Hagia Sofia in Konstantinopel gewesen, aber die Erinnerung daran verblaßte vor der Schönheit, die hier vor mir stand. Ganz versunken war ich in das Bild und achtete es erst nicht, wie es von allen Seiten auf mich losgestürzt kam, wie der weite Hof lebendig wurde von schreienden Menschen und gestikulierenden Mullahs. Die Angst lief mir kalt den Rücken hinunter, als ich es gewahr wurde. Hier sieht es schlimm aus um den Neffen deiner Tante, dachte ich mir. Aber einmal wenigstens ließ mich die Kaltblütigkeit nicht im Stich. Ich tat das Beste, was ich unter den Umständen tun konnte: ich stellte mich dumm und taub. Langsam zog ich mich zum Tor zurück. Dort aber artete der Rückzug in Flucht aus. So schnell mich die Beine trugen, rannte ich hinein in den Irrgarten der engen Gassen. Hinter mir brüllte es wie eine aufgeregte Brandung, Steine flogen um den Kopf, bissige Hunde schnappten nach den Beinen. Glücklicherweise waren die Gassen so eng und winkelig, daß die Menge sich zwischen den hohen Mauern staute und mich dadurch vor einer unheiligen Steinigung rettete.

Noch ganz erfüllt von dem Abenteuer, beobachtete ich im Bazar noch ein wenig die Töpfer bei ihrem kunstvollen Handwerk und dabei gingen mir die Worte des alten Omar Khajam durch den Kopf:

»Dem Töpfer sah einst im Bazar ich zu,
Wie er den Lehm zerstampfte ohne Ruh.
Da hört' ich, wie der Lehm ihn leise bat:
Nur sachte, Bruder, einst war ich wie du!«

Und es lief mir noch einmal kalt über den Rücken, wenn ich daran dachte, wie leicht er es auch von mir hätte sagen können in dieser Stunde. –

Als ich wieder in der Karawanserei ankam, stand das Auto repariert und tatendurstig im Hofe. Heimlich, damit der Mullah nichts davon gewahr würde, erzählte ich dem Österreicher von dem Abenteuer, der der Ansicht war, daß es nun allerdings höchste Zeit zum Ausreißen sei, wenn wir nicht vor Nacht noch die ganze Geistlichkeit auf dem Halse haben wollten.

Wenige Minuten später fuhren wir davon in der Richtung Isfahan, dicht vorbei an der Moschee in ihrer funkelnden, unwahrscheinlichen Schönheit. Wir kamen vorbei an Gärten, aus denen blutrote Blumen über die Mauern schauten und dann wieder durch lange Friedhöfe, die kahl in der grellen Sonne lagen. Die Gegend rings um Kum ist wie die aller anderer Grabmoscheen schiitischer Imamen, uneben von lauter Gräbern gottesfürchtiger Perser, die nach ihrem letzten Willen in Sicht des Heiligtums bestattet wurden. Es war gerade Freitag, die schwarzgekleideten Frauen saßen mit Kindern und großen Wasserkrügen um die Gräber und lasen in den Koranbüchern oder taten doch so, als ob sie läsen.

Im Morgengrauen des nächsten Tages kamen wir in die Gegend von Isfahan. Franzl wurde unruhig.

»Das da hier«, sagte er, »das ist die ungesündeste Gegend im ganzen Lande. Schlimmer noch als Khorasan. Die Räuber sind hier Stammgäste. Wenn die Bachtiaren aus den Bergen kommen, ist's aus mit der Reise nach Schiras.«

»Und aus mit uns«, meinte ich.

»Nein«, tröstete der Österreicher, »die Sorte ist nicht so schlimm. Die nimmt nur das Geld und meistens wird man auch noch verprügelt. Schlimmer sind schon die Gouverneure.«

»Die Gouverneure –?«

»Wer denn sonst? Die sind die Schlimmsten. In den meisten Dörfern haben sie Wachtposten stehen, damit die Leute beizeit ausreißen können in die Berge, wenn er seinen Mirza schickt um die Steuern einzuziehen.«

Inzwischen fuhren wir mit voller Kraft durch eine Gegend, die einen das Gruseln lehren konnte; so recht ein Land, das nach Räubern ausschaute. Überall war der Boden hart wie eine Dreschtenne, und nach allen Seiten durchzogen von meterbreiten Rissen. Die kahlen Berge standen wie Backöfen in der glühenden Sonne. Ab und zu kam ein Sandsturm wie ein kleiner Weltuntergang und hüllte alles in Nacht am hellen Tage. Zuweilen schimmerte ein Salzsee in der Ferne. Zuweilen kam man vorbei an einem verfallenen Brunnen, an einer Karawanserei, die kahl in der Wüste lag. Sand und Sonne war die ganze Gegend. Aber auf der Straße wurde es zusehends lebendiger mit all den Gestalten, die in Persien stets das Herannahen einer Stadt verkünden. Die Wüste, die bisher unsere Begleiterin war, hatte plötzlich ein Ende. Von einer Minute zur anderen kamen wir in eine Gegend von strotzender Fruchtbarkeit, mit üppigen Gärten, mit wogenden Getreidefeldern, mit leuchtend blühenden Mohnfeldern, die das hier allgemein beliebte Opium liefern. Durch enge Gassen, die erfüllt waren von dem üblichen Lärm orientalischer Städte, kamen wir schließlich zum Postgebäude, das mitten in einem Blumengarten liegt, der würdig wäre, von einem neuen Saadi besungen zu werden. Dann machten wir uns daran, die Wunder dieser Stadt zu schauen, die so seltsam verborgen liegen unter den Trümmern des Verfalls.

Denn Isfahan ist nur noch ein Schatten von dem, was es einmal gewesen. Vor noch nicht allzulanger Zeit – im achtzehnten Jahrhundert – zählte die Stadt einige 600 000 Einwohner. In jener Zeit, als Schah Abbas seine Paläste baute, rivalisierte sie mit Stambul, mit Kairo und selbst mit Bagdad, der alles überstrahlenden Hauptstadt des Kalifen. Die langen Platanenalleen, die heute noch stolz ausschauen, waren damals umsäumt von schimmernden Palästen, draußen am Zend-a-Rud führten mächtige Granittreppen hinab zu einem künstlichen See, wo fremde Potentaten in lauen Nächten ihre Feste feierten. Isfahan – das war der Traum aller Muselmänner, die Quelle der Weisheit, zu der die Jugend herbeigeströmt kam, von Stambul bis nach Indien. Damals –.

Aber dazwischen liegen Erdbeben und Anarchie und Bürgerkrieg und fremder Überfall. Wo einmal Glanz und Freude herrschten, sieht man heute eine zwölf Kilometer lange Strecke von zerstörten Häusern, zerfallenen Bazaren, verwilderten Alleen, wo kaum noch einige verlassene Hunde marodieren.

Und dennoch ist Isfahan noch heute die Perle von Persien.

Woran liegt es? Ist es die Schönheit der Gärten? Ist es das Blau des reinen Himmels, das Jahrhunderte des Unglücks nicht zu trüben vermochten? Ist es die verschlissene Pracht der alten Paläste, die da und dort noch stehen?

Diese seltsame Stadt hat etwas von der verschossenen Eleganz eines heruntergekommenen Grandseigneurs. Und doch – und doch! Wie viele Perlen liegen hier noch unter dem Schutt! Wieviel Reichtum versteckt sich hier noch in den stillen Gassen!

Es kostet nicht viel, sich davon zu überzeugen. Man braucht nur einmal durch den Bazar zu gehen. Er ist der größte nicht unter den orientalischen Bazaren. Man vermißt hier das ameisenhafte Leben des Bazars von Täbris. Man sieht nicht wie dort die königlichen Kaufleute, die auf den Teppichen thronen. Aber das Staunen beginnt erst, wenn man in das Viertel kommt, wo der Lärm der Hämmer die Arbeit der Kupfer- und Silberschmiede verkündet. Die Waren, die man bei uns Damaszenerklingen nennt, werden in Isfahan angefertigt und auch im ganzen Orient als solche bezeichnet. Die Schwertschmiede haben freilich ihre beste Zeit gehabt, die Kupferschmiede haben sich im wesentlichen auf die Herstellung von Samowaren geworfen, aber das edle Handwerk der Silber- und Goldschmiede hat anscheinend heute noch einen goldenen Boden, auch in Isfahan. Wenn man durch diese Bazarstraßen geht und seine Blicke schweifen läßt auf die Schätze, die hier aufgetürmt liegen, auf die Gold- und Silbermünzen aller Herren Länder, die einem hier entgegenfunkeln, so erfaßt es einen wie ein Rausch, und mehr noch ist man verblüfft, wenn man näher zusieht und die kunstvolle Handschmiedearbeit bewundert, die diese Ornamente geschaffen, mit ihren Blumenmustern, mit schlanken Gazellen, gravitätischen Kranichen, behäbigen Haschischrauchern, mit wilden Drachen und bösen Frauen. Es ist die alte, schöne, zur Kunst emporgearbeitete Handwerktechnik, die bei uns verschwunden ist mit den letzten Kupferstechern. In Isfahan haben sie heute noch ihren Merian. Es lohnt sich, ihn zu betrachten, ehe ihn morgen die Maschine zermalmt. Und immer weiter gehen wir durch die Gassen, immer neue Wunder tun sich vor uns auf. Zuckerdosen zum Verlieben, Teekannen von berauschender Schönheit. Man möchte tausend Toman haben, um hier zu kaufen, kaufen. Vor einem göttlichen Teeservice stand ich lange in tiefes Nachdenken gehüllt. – Konnte man sich das leisten? Ich zählte die Groschen. Zwanzig Toman war viel Geld, das man anderwärts nötiger gebrauchen würde. Und dann – es lief mir kalt den Rücken hinunter, wenn ich an die vielen Zollgrenzen dachte, durch die ich es hindurchschmuggeln mußte. Aber die Lust war größer als alle Vorsicht. Ich zahlte die zwanzig Toman. Nun brachte noch einer ein Tablett mit einem eingravierten Haschischraucher, das er wohlgefällig vor meinen Augen funkeln ließ. Das konnte ich nicht aushalten und kaufte auch das. Inzwischen hatte sich blitzartig die Kunde von dem leicht zu bearbeitenden Franken im Bazar herumgesprochen, und sogleich war ich umringt von funkelnden Augen und Teekannen. Ich machte mich aus dem Staube. Ich rannte aus dem Bazar, aber alles stürzte Hals über Kopf hinter dem zahlungsfähigen Sahib her. Zu Hause steckte ich meinen Schatz in die tiefsten Tiefen meines Rucksacks. Ich hütete ihn fortan wie einen Augapfel, ich schmuggelte ihn durch alle Grenzen und heute, da ich dieses schreibe, steht er neben mir als ein Bote aus fernen Sonnenländern.

Die persische Regierung hat die Ausfuhr dieser Schätze verboten, und das aus guten Gründen. Das ganze Geschäftsgebaren ist hier noch mehr als anderwärts eingestellt auf den Betrug des Vater Fiskus, das ganze Leben ein einziges fortgesetztes Attentat auf den Geldbeutel des blamierten Europäers. In Persien herrscht die Silberwährung. Aus diesem Grunde ist die Ausfuhr dieses Metalls verboten. Was wäre nun näherliegend, als eine Ausfuhr von Talmikunstwerken? Und glaube keiner, daß persische Kaufleute nicht Augen hätten, um so etwas zu sehen. Gerade diese! Abgesehen von den Chinesen hat sie noch keiner übertroffen. Kein Geschäft ist ihnen fremd, kein Gewinn ist ihnen zu groß oder zu klein, keine Kunst ist ihnen verborgen, vom Schwitzen der Goldmünzen bis zum Spekulieren mit den Noten der »Imperial Bank of Persia«.

Denn es gibt keinen besseren Kaufmann als den asiatischen. Gierig, geizig, auf den kleinsten Profit bedacht, und dennoch groß in seiner Art, in seiner Geduld und Schmiegsamkeit, unbegreiflich für uns europäische Menschen. Er rafft das Geld und gebraucht es nicht. Er kleidet sich einfach, er reitet auf seinem Esel, er geht bescheiden über die Straße, mit der Miene eines Heiligen. – Ist es Geiz? Nicht doch! Ist es Bedürfnislosigkeit? Ist es das Kismet, das der Prophet gepredigt? Wer kann es wissen? Wer weiß überhaupt etwas von diesem Lande? Es ist nur das Spiegelbild der tiefen, unergründlichen Asiatenseele, die sich duckt und kuscht und immer wartet, die in diesem letzten traurigen Jahrzehnt die europäischen Kassen von ihren Goldstücken geplündert und sie aufgespeichert hat im Bazar von Isfahan.

Was soll man noch von Isfahan erzählen? Auch ohne eine Avenue Lalezar ist diese Stadt die Perle von Persien mit ihren grünen Gärten und dem klaren Hochlandhimmel, der sich darüber wölbt. Am meisten zu schätzen weiß der von der Trockenheit iranischer Landstraßen gemarterte Reisende den lustigen Gebirgsfluß, den Send-i-Rud. Denn in Persien ist man dankbar um jedes bißchen Feuchtigkeit. Halbe Tage lang saß ich am Rand des Wassers, das gurgelnd und rauschend vorübereilte. Eine seltsame, wie für die Ewigkeit gebaute Brücke mit 34 Spitzbogen, zu der man gewiß in der ganzen Welt kein Gegenstück findet, führt hinüber zu der Armenierstadt Dschulfa. Sie ist eigentlich das Letzte, was noch übriggeblieben ist als Zeuge jener längst vergangenen großen Zeiten, als Isfahan beinahe die Hauptstadt der Erde war und Gesandtschaften aus aller Herren Länder sich hier in den duftenden Gärten ergingen. Noch Gobineau, der vor siebzig Jahren diese Stadt besuchte, berichtet begeistert von den Palästen, die in langer Reihe die vom Flußufer in die Stadt führende Platanenallee umsäumten und von denen heute kaum mehr die Ruinen zu sehen sind. Nur die Moschee zeigt noch einiges Leben in dieser zu einem Dornröschenschlaf erstarrten Welt. Noch heute ist Isfahan die große Mädrässe, die Hochschule der islamischen Theologie. Es ist äußerst interessant, hier am Ausgang – denn ein Besuch des Innern ist den Ungläubigen verwehrt – das Kommen und Gehen der Studenten und Professoren zu beachten.

»Student sein, wenn die Veilchen blühen – –.«

Keinen größeren Unterschied kann man sich denken, als zwischen einem flotten deutschen Bruder Studio und seinen Kommilitonen auf der Mädrässe in Isfahan. Für einen Europäer ist es immer schwierig, orientalische Menschen auseinanderzuhalten. Das Dekorum liegt diesen Leuten nicht. Der reichste Kaufmann kleidet sich nicht anders als der letzte Mirza. Studenten und Professoren sind nicht voneinander zu unterscheiden in ihrer farblosen Abba, zumal ihre schwarzen Bärte auch das Alter nicht so ohne weiteres taxieren lassen. Aber Student und Professor – alle scheinen gleichermaßen erfaßt zu sein von einer uns Europäern gerade unbegreiflichen Bedürfnislosigkeit. Unter dem Torbogen des Eingangs haben Händler ihre Buden aufgeschlagen. Von diesen ersteht der Student – oder ist es der Professor? – einen oder zwei Brotfladen und eine Wassermelone oder eine Handvoll kleiner Maulbeerfrüchte, mit denen er sich nach einer der vielen Teebuden begibt, wo er ein Glas ums andere schlürft für zwei Schahi das Glas und ab und zu an der Wasserpfeife saugt. Nach Sonnenuntergang geht er an den Fluß, wo er bis spät in die Nacht aufs Wasser schaut und die Zeit mit wenig Gedanken verbringt. Wo sie schlafen, habe ich nicht herausgebracht; jedenfalls sah ich mich in ganz Isfahan vergeblich um nach dem, was man auch bei größter Nachsicht noch als eine Studentenbude ansprechen konnte.

Nur wenige Schritte entfernt von der Universität liegt das einzige Hotel am Platze, oder was dort so unter dem Namen passiert. Die Perser haben ein sehr ausgeprägtes Gefühl für Verwandtschaften. Das ganze Land quillt über von Onkels und Tanten, so daß man auf Reisen, auch in den entlegensten Gegenden, immer irgendwie Vettern und Basen ausfindig macht, bei denen man unterschlüpfen kann. Die übrigen kampieren mit ihren Tieren in den Karawansereien, und Hotels in unserem Sinne sind landfremde Erscheinungen europäischer Degeneration. Dieses Isfahaner Hotel teilte freilich mit europäischen Einrichtungen dieser Art nicht viel mehr als den Namen. Der Wirt, der ganz leidlich Englisch sprach, begrüßte mich am Eingang mit einem feierlichen Salaam und führte mich durch einen großen Garten, vorbei an vielen Bänken, auf denen mit verkreuzten Beinen vornehme Herren saßen, die bei unserem Anblick samt und sonders aufstanden und sich verneigten wie vor dem Schah in eigener Person. Um ein großes Wasserbecken, in dem ringsum die zum Abkühlen hineingestellten Wasserpfeifen wie die Angelruten standen, kamen wir nach dem zu ebener Erde liegenden Zimmer, wo nicht weniger als fünf Bediente der Befehle des großen Sahib – das war ich – gewärtig waren. Der eine packte unaufgefordert meinen Rucksack, leerte ihn aus und legte jedes Stück sorgfältig auf den Tisch. Der andere zog mir die Schuhe aus, ein dritter holte Wasser, ein vierter brachte eine Tasse Tee und der fünfte fächelte mir derweilen Luft zu mit einem umfangreichen Fächer. Es war wirklich ein bißchen viel auf einmal für meine bürgerliche Ängstlichkeit, aber ich ließ es mir doch gefallen, bis nach Dunkelwerden einer mit einem Windlicht kam, das er wortlos auf den Teppich stellte, worauf sie dann alle verschwanden und mich allein zurückließen in dem großen Zimmer. Eine Weile noch lag ich wach und schaute auf die Wände, die mit bunten Gobelins mit wilden persischen Rittern behangen waren und hörte auf das Schlagen der Nachtigallen im Garten, und meine Meinung von Persien begann sichtlich zu steigen.

Nein, niemand wird ungestraft von fünf Dienern betreut! Die Diener selbst stellten keine Ansprüche. Um so mehr aber der Herr. Die Augen gingen mir über, als ich die Rechnung betrachtete. – Zwanzig Toman für drei Tage, wobei ich noch die Diener selber bezahlte.

Niemals!

Der Hotelsekretär lächelte nachsichtig.

Ich schimpfte, aber er verzog keine Miene, denn außer Persisch verstand er kein Wort.

Wo der Hotelier wäre?

Er zuckte mit den Schultern.

Ein anderer Angestellter, der etwas besser Bescheid wußte in fremden Sprachen, kam herbei und machte den Dolmetscher.

»Der Hotelier – er schläft!« sagte er mit flüsternder Stimme.

»Und sein Kompagnon?«

»Er schläft auch.«

Entrüstet packte ich meine Sachen zusammen. Ich hatte keine Zeit zu verlieren. Draußen wartete Franzl mit dem Auto, für die Weiterreise nach Schiras. Schon hatte ich meinen Rucksack auf dem Rücken. Da wurde es lebendig im Garten. Jetzt erst hatte ich Gelegenheit zu staunen über die Zahl der hier vertretenen Dienerschaft. Jeder Gast hatte deren mindestens zwei oder drei, und da mehrere hundert Gäste da waren und alle ihre dienstbaren Geister abgeordnet hatten zum Aufhalten des fremden Sahib, war im Nu eine Heerschar versammelt, die den Ausweg verbaute, ohne sich jedoch auf eine Erklärung mit mir einzulassen. Immer weiter wurde ich zurückgetrieben. Es war eine lächerliche Situation für jeden Zuschauer, aber nicht für mich. Draußen brummte das Auto. Franzl kam herbei und mit ihm der Hotelier mit der Abschrift der Rechnung, die ich soeben zerrissen hatte. Sie war inzwischen noch gesalzener geworden. Eine Weile redeten sie Persisch miteinander.

»Was willst machen?« meinte Franzl.

»Verklagen!« sagte ich wütend.

»Bei wem? Der Polizeichef hat jetzt Mittagsschlaf. – Zeig her! Zwanzig Toman? Da bist du billig weggekommen. Mich haben sie ganz anders geschröpft, wie ich zum erstenmal ins Land gekommen bin.«

Da griff ich in die Tasche und zahlte alles. Das Morgenland hatte wieder einmal über das Abendland gesiegt. Eine Minute später saß ich im Auto, und weiter ging es nach Schiras. – –

Über die große Brücke hinweg kamen wir bald in die Armenierstadt Dschulfa, die schon erheblich europäischer ausschaute als das eigentliche Isfahan mit seinen zerfallenden Palästen. Hinter diesem Ort ging es noch eine Weile durch ein Ruinenfeld, das mehrere Quadratmeilen im Umkreis maß und im Schutt und Verfall noch Zeugnis ablegte für die einstige Größe und den jetzigen Niedergang dieses Landes. Freilich sind Ruinen hier nicht so tragisch zu nehmen. Sie gehören mit zum Landschaftsbild des Orients. Eine morgenländische Stadt ohne Ruinen gibt es nicht. Selbst das stolze Bagdad zur Blütezeit der Kalifen war übersät mit Ruinen. Die Liebe zur Ordnung und Sauberkeit in europäischem Sinne ist bei den Orientalen nur wenig ausgebildet. Er wohnt ebenso komfortabel in einer Ruine wie in einem ordentlichen Hause. Leute der ärmeren Schichten oder auch des Mittelstandes hausen immer nur in kümmerlichen Konstruktionen aus Lehm, die der erste ordentliche Regenguß zu einem Morast macht. Dazu kommt noch die in schiitischen Ländern weitverbreitete Furcht vor den Geistern der Toten. Ist ein Mitglied der Familie gestorben, so macht der Aga zumeist kurzen Prozeß. Er steckt sein Geld in den Gürtel, setzt die Frau auf den Esel und sucht sich irgendwo eine neue Heimat. Platz ist ja genug in Persien. – –

Bald lagen die Ruinen hinter uns und weiter raste das Auto in der Richtung nach Schiras. Der Weg war noch weit und die Reise voller Abenteuer und absonderlicher Erlebnisse, die ich jedoch mit einem großen Sprunge übergehen muß, um nur bei einem zu verweilen, weil es so recht geeignet ist, die seltsame Seele des Morgenlandes zu kennzeichnen.

Das war schon ganz in der Nähe von Schiras. Wir rasteten an einem großen, schönen Fluß in der Nähe der Ruinen des alten Persepolis. Es war ein schöner, stiller Abend, in dem nichts zu hören war als das Rauschen des Wassers und das Singen der Vögel in den Büschen am Flußrand. Weit und breit war nichts Lebendiges zu sehen, außer einem schwerbepackten Esel, hinter dem ein fluchender Mann herschritt und das Hinterteil des bedauernswerten Grautieres gründlich bearbeitete mit seinem großen Stock. Je näher er kam, je lauter hörte man ihn fluchen. Mitten auf der Brücke wurde es dem Esel zu dumm. Keine Schläge, keine Fußtritte, keine noch so grausamen Flüche schienen mehr Eindruck zu machen. Störrisch streckte er alle Viere von sich und schien nicht übel Lust zu haben, sich mit einem Sprung in die Tiefe den Leiden und Verfolgungen in diesem irdischen Jammertale zu entziehen. Der Treiber verlegte sich aufs Bitten und Flehen, und als das nichts half, setzte er sich auf den Brückenrand und weinte.

»Was ist's, Aga?« fragte ihn der Österreicher.

Da faßte er sich wieder und erzählte uns eine seltsame Geschichte.

Sein Schwiegervater war vor einigen Wochen gestorben in Saidabad und in seiner Todesstunde hatte er bestimmt, daß er begraben liegen wollte zu Füßen des Imamen Ali, bei der Moschee zu Kerbela. Das war natürlich leichter gesagt als getan, denn Kerbela, das große schiitische Heiligtum, liegt unweit Bagdad, tausend Meilen von Schiras. So weit, so gut. Nun aber hatte der unglückliche Schwiegersohn einmal in seiner schwachen Stunde ein Gelübde abgelegt, daß er diese letzte Bitte erfüllen werde, und so half kein Zaudern. Die Leiche wurde einbalsamiert. Er legte sie auf den Esel und führte sie über Berge und Wüsten, durch tausend Gefahren und Abenteuer. Ob er allerdings hinkommen würde, das wußte nur Allah und der Esel, der noch immer keine Miene zum Aufstehen machte. Erst als der Österreicher einen Gummischlauch holte, kam er wieder auf die Beine. Der Aga setzte seinen Stock wieder in Bewegung und ging fluchend weiter. Fluchend verschwand er um eine Wegbiegung. Er fluchte von Saidabad bis Kerbela, aber er brachte seine Fracht zum Ziel, wie das Gesetz es befohlen. – –

Wir verbrachten die Nacht bei der Brücke und kamen morgens in aller Frühe nach Schiras.

Es gibt Städte, zu denen man mit vorgefaßten Meinungen kommt, von denen man schon ein festes Bild im Kopfe zu haben glaubt, längst ehe man sie gesehen.

Zu diesen gehört auch Schiras. Denn Schiras – das ist die Stadt der Dichter, die Stadt der funkelnden Weine, der paradiesischen Gärten, die Saadi besungen, der kühlen Bäche, an denen einst Hafis gesessen und seine unsterblichen Oden gedichtet. Schiras – ein Duft von Rosen schwebt um den Namen.

Doch was sind Namen?

Wenn man, von Isfahan kommend, zum erstenmal die Stadt vor sich liegen sieht, so erscheint sie in der Tat wie eine Illustration zu Saadis Gedichten. Der Weg führt über eine Reihe von kahlen Bergrücken, von denen der letzte steil abfällt zu einem weiten, gut angebauten Tal. In etwas ist man versucht, einen Vergleich zu ziehen mit den Vorbergen im Etschtal, dort wo sie zur Ebene abfallen. Natürlich ist im einzelnen alles ganz anders, aber dennoch ist so vieles im Gesamtbilde, das einen daran erinnert. Die Straße, die sich vielgewunden bergabwärts schlängelt, die Häuser mit den Säulenveranden, die so stattlich am Berghang stehen, die terrassenförmigen Gärten mit ihren Feigen- und Olivenbäumen, die Reben, die den steilen Abhang hinauf zu klettern scheinen, die Feigenbäume, die ihre breiten Äste mächtig über die Mauern recken.

Tief unten lag die Stadt in den ersten Lichtstrahlen der aufgehenden Sonne unter einem tiefblauen Himmel von fleckenloser Reinheit. Die flachen Dächer standen dicht zusammengedrängt. Da und dort ragten hohe Zypressen wie stumme, ernste Schildwachen über den Gräbern der Großen, die hier ihre Ruhe fanden.

O hätte man nie mehr als das von Schiras gesehen!

Während meine schönheitslüsternen Augen sich noch umsahen nach den Rosen von Schiras, fuhren wir durch eine breite Straße, die aussah wie eine Vorstadt von Chicago. Benzinkannen rollten im Winde auf der Straße. Autos schnaubten vorüber. Wohin man schaute, sah man Reklameschilder, die von den Hausdächern schrien:

O Schiras, o Saadi, o Traum vom persischen Weimar!

In Täbris ist das Stadtbild schon ziemlich verrußt, hier ist es verengländert, oder genauer gesagt verangloindianisiert. Wer etwas auf sich hält, schreibt englisch über seine Ladentür, wenn er es auch selbst nicht lesen kann. Noch mehr als anderwärts fühlt sich hier der Engländer zu Hause. Südpersien ist in seinen Augen nichts anderes als eine Allonge von Indien, und auch dem Nichtengländer kommt das so vor, wenn er die hochgewachsenen, schwarzbärtigen Sikhs der britischen Konsulatswache im Schatten ihrer mächtigen Turbane durch die Straßen schreiten sieht. In Persien gibt es keine Stadt von einiger Bedeutung, die nicht mit einem englischen Konsul – und zwar einem Berufskonsul bedacht wäre, obwohl die Zahl der dort ansässigen berufstätigen Engländer nur winzig klein ist. Desto größer ist das Heer der britischen Spione und Agenten, die das Land überschwemmen. In manchen Landstrichen Südpersiens hat man den Eindruck, als ob jeder dritte Mensch, dem man begegnet, im Solde der englischen Gesandtschaft stehe. Im Norden des Landes rollt der Rubel, überall sonst verneigt sich jeder vor den Pfunden. Fein und dicht wie Spinngewebe haben die Fangnetze des britischen Imperialismus das Land durchzogen. Eine seiner wichtigsten Zwingburgen ist die »Imperial Bank of Persia«, die in Wirklichkeit nichts anderes ist als ein Ableger der Kaiserlich Indischen Notenbank, die den Geldverkehr beherrscht. Nicht minder wichtig ist das von England ausgeübte Nachrichtenmonopol, da sämtliche Telegrafenlinien in Händen der Anglo-indischen Telegrafengesellschaft liegen. Nimmt man dazu noch die Beherrschung des Persischen Golfes und des angrenzenden Belutschistan, die Besetzung des Irak, die auch noch den letzten Schlüssel des südlichen Tors zum persischen Hause britannischer Willkür auslieferten, und endlich die neugebaute strategische Eisenbahn, die sich längs der Südgrenze von Afghanistan wie eine Faust bis auf persischen Boden vorstreckt, so kann man sich unschwer einen Begriff machen von dem wackeligen Pfauenthrone, der, bedrängt vom russischen Bär und dem britischen Walfisch, eine fragwürdige Größe darstellt zwischen dem Teufel und der tiefen See.

Von Pahlavi hofft ja der heutige Perser eine durchgreifende Änderung in dieser Lage. Sein gestürzter Vorgänger, der Französling Achmed Schah, hat die Boulevards von Paris dem Pfauenthrone vorgezogen, und das kann man ihm nicht einmal sehr verdenken. Wird Pahlavi mehr ausrichten? Bisher spricht der Erfolg für ihn. Aber seiner Feinde im eigenen Lager sind Legionen. Zunächst einmal die in ihrer bisherigen Selbstherrlichkeit gekränkten Mullahs, das ganze Schwergewicht der Kirche, die in jenen Ländern noch eine ganz andere, alle Lebensverhältnisse durchdringende Macht darstellt, als in Europa. Ferner die auf jahrtausendalte Tradition sich stützende Partei der Höflinge, der ungezählten Prinzen des Kaiserlichen Hauses, die mit Verachtung auf den Emporkömmling herabsehen, wie einst ein waschechter Bourbone auf den »petit corporal« aus Korsika. Gegen alle diese Mächte hatte er bisher nichts einzusetzen als das Schwert des ihm, dem Landsknechtführer, treu ergebenen Heeres. Es ist eine Situation, die einem unwillkürlich jene tragikomische Episode einer portugiesischen Revolution in die Erinnerung bringt:

»Sire«, sagte der abgesetzte republikanische Präsident zum siegreichen Revolutionsgeneral, »Sie vermögen nichts gegen die Macht des Volkes, denn sie ruht auf drei Säulen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.« »Sehr wohl«, meinte der General, »meine Macht ruht ebenfalls auf drei Säulen: Infanterie, Artillerie, Kavallerie.«

Nach allem was man sehen kann, scheint indes auch diese Säule schon reichlich geborsten. Fast täglich hatte ich Gelegenheit, mich davon zu überzeugen. Kaum hatte es sich herumgesprochen, daß ein Franke, und dazu noch einer aus Deutschland, im »Hotel« logierte, als, einer nach dem anderen, junge Offiziere herbeikamen, die mit ihrer Meinung über das derzeitige Regime in Persien keineswegs hinter dem Berge hielten. Einer von ihnen – er war ein höherer Offizier – machte noch weniger als die anderen aus seinem Herzen eine Mördergrube.

»Fünfmal am Tage –« so sagte er mit knirschenden Zähnen, »fünfmal am Tage bete ich für seinen Untergang.«

»Wieso –?« fragte ich erstaunt.

»Wieso? Weil er eine Kreatur des Vizekönigs in Simla ist. Was könnte er anders sein? Wie könnte er anders handeln, als die, die ihn bezahlen? – Früher – ja, da hat es noch eine Freiheitsbewegung gegeben. Vor zehn Jahren, als General Waßmuß noch in Buschin war.«

Das Wort gab dem Gespräch eine andere Wendung, und fortan erzählten sie nur noch von General Waßmuß und seinen Taten. Es war das erste Mal, daß ich den Namen gehört hatte, aber nicht das letzte Mal, und nie habe ich seither einen Perser anders als mit schmunzelnder Miene und mit leuchtenden Augen von dem kleinen deutschen Buchhalter erzählen hören, den das Geschick des Krieges zum General, zum Engländerschreck und persischen Nationalhelden emporgehoben hat.

Von meinem »Hotel« sprach ich soeben. Mit Fug und Recht habe ich es zwischen Anführungszeichen gesetzt. Es war nicht viel besser als eine ordinäre Karawanserei mit einer Garküche, in der die zweifelhaftesten Kavaliere ihr Currie und Reis vertilgten. Nachts lag man auf einer harten Bettstelle in einem kahlen Raume, der von einem Windlicht spärlich erhellt war. Und dann kamen die Sandflöhe. Denn was man immer von den Rosen von Schiras denken mag –, jedenfalls ist diese Stadt die Hauptstadt der Sandflöhe.

Wenn es auf dieser Erde noch einen staubigeren Ort gibt als Schiras zur Sommerszeit, so möchte ich ihn nicht kennenlernen. Tag und Nacht ist die Luft erfüllt von den alles durchdringenden Staubwolken, auf deren Flügeln die Sandflöhe einherziehen. In den paar modernen Straßen mag dann das Leben noch angehen. Zur Hölle aber wird es in den Gassen der alten Stadt. Hier ist alles Staub und Hitze und kahle Lehmwände. Das ist nun freilich überall so in persischen Städten, aber in Schiras sind die Gassen noch enger, die Mauern noch höher, gefängnisartiger, die Menschen selbst anscheinend noch verwahrloster. Mit die größte Sehenswürdigkeit sind hier die selbst für dieses Land beinahe polizeiwidrig zerlumpten Bettler, die in kurzen Abständen voneinander auf der Straße liegen und ihre kupfernen Schalen emporhalten, während sie für die Ohren des vorübergehenden Sahib ihre Not in alle Winde schreien. Über dem Anschauen dieser wenig erfreulichen Bilder verirrt man sich in dem Gewirr der engen Gassen. Man verläuft sich in Hinterhöfe, in denen es nicht nach den Rosen von Schiras duftet. Man stößt auf Frauen, die entsetzt davoneilen, und stolpert bei seinem überstürzten Rückzug über einen toten Hund auf dem Wege.

Der Bazar ist jedoch eine Sehenswürdigkeit. Er wurde im 18. Jahrhundert erbaut, ist also verhältnismäßig neueren Datums. Das Leben fließt hier langsamer als in anderen persischen Bazaren. Viele Läden sind geschlossen aus Mangel an Käufern, weil hier das Vordringen europäischer Ramschwaren das alteingesessene Gewerbe ruiniert hat. Aber in seiner Konstruktion ist er sicherlich der schönste des Orients.

Die gedeckten Hallen mit ihren Spitzbogen sind von riesigem Umfang, so daß das Ganze einer großen Kirche gleicht. Hier ist Luft und Licht, und man merkt nichts von der stickigen Bazarluft. Wunderbar kühl ist es selbst an heißesten Sommertagen. Es läßt sich schön spazierengehen und das Leben beobachten: das Kommen und Gehen vor den Karawansereien, die verschleierten Frauen, die endlos mit den Stoffhändlern markten, die Apotheken, die ausschauen wie mittelalterliche Alchimistenbuden, die Derwische, die heulend ihre Weisheiten verkünden. Ganz Schiras ist dann im Bazar, und da tut es gut daran, denn er ist an solchen Tagen der einzige Platz, der keine Hölle ist.

Dicht neben dem Bazar beginnt das Judenviertel, und das ist auch eine Sehenswürdigkeit, in gewisser Hinsicht. Die Judenviertel sind nämlich stets die ärmsten der orientalischen Städte. In Isfahan macht das Judenviertel einen betrübenden Eindruck. In Schiras ist es schaurig. Ganz enge Gassen, in denen knapp zwei Esel nebeneinander gehen können. Hohe, fensterlose Mauern, die kaum einen Sonnenstrahl hindurchlassen. Auf der Gasse geht es bunt genug zu. Die Männer stehen herum und reden und reden. Die Frauen, die unverschleiert und wenig schüchtern sind, machen sich mit allerlei Gerümpel zu schaffen. Esel tappen über Körbe voll frisch gelegter Eier. Dazwischen wälzen sich kleine Kinder. Am schlimmsten ist der Geruch. Je weiter man eindringt in dieses Quartier, desto schlimmer wird er, bis man die Nase voll hat und sich mit Grausen zurückzieht aus solchem Rosengarten. –

Das also ist Schiras, die Stadt der Dichter! Auf diesem Boden stand Saadis Rosengarten, der einen Goethe begeistert und in dem andere in so reichlichem Maße gepflückt haben, daß Immermann sich zu den Spottversen veranlaßt sah:

»Von den Früchten, die sie aus dem Rosenhain von Schiras stehlen,
Essen sie zuviel, die Armen, und vomieren dann Ghaselen.«

Einige Meilen entfernt von der Stadt liegt Saadis Grab, umgeben von hohen Mauern und schlanken Zypressen, die wie schwarze Fackeln in der Sonne stehen. Hafis, der Odendichter, liegt inmitten des allgemeinen Friedhofes.

»Sei das Wort die Braut genannt,
Bräutigam der Geist;
Diese Hochzeit hat gekannt,
Wer den Hafis preist.«

Kein Geringerer als Goethe hat das gesagt. Uralte Bäume stehen rings um dieses Grab. Es ist einfacher als die anderen, aber wirkungsvoller, und wäre es nur um der seltsamen Grabschrift willen, die er sich selbst geschrieben und die ich teilweise hier wiedergebe in der Übersetzung von Georg Rosen:

»Wo bleibt die frohe Botschaft deines Nahns,
Die mich entrücken soll dem ird'schen Leben,
Daß wie ein heil'ger Vogel ich, befreit
Vom Netz der Welt, zur Höhe möge schweben.

Aus deiner Gnade Wolke sende mir
Den Regen deiner Gunst, neu zu beleben
Noch einmal mich, bevor von hier wie Staub
Auf dein Geheiß in Nichts ich muß entschweben.

Wenn dein ersehnter Fuß einst meinem Grab
Sich naht, bring Sänger mit und Duft der Reben.
Berauscht von deinem Dufte will ich dann
Aus Grabesnacht zum Tanze mich erheben.

O, du mein Götzenbild! Steh' auf und laß
Deiner Bewegung Anmut mich umschweben.
Wie Hafis' Seele steig' ich dann empor
Weit über diese Welt und dieses Leben.«

Eine Weile stand ich und schaute auf die Inschrift und sah, wie die Schatten sich immer dichter sammelten unter den Trauerweiden, und sah, wie die fernen Berge dunkelviolett im Abendrot standen, und mir war, als ob in den fallenden Schatten der sinkenden Nacht nun wirklich alle diese Geister noch einmal aus den Gräbern stiegen: Hafis, Saadi, Omar, der Zeltmacher, und die anderen. Denn sie sind Schiras. Sie werden es immer sein.

 


 << zurück weiter >>