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XVIII.

Dieser hier wiedergegebene Sachverhalt ergab sich für Dr. Roller und Herrn Jarmer aus dem Studium der Akten der Kripo in Essen. Mit dem Sachbearbeiter konnten sie zu ihrem Bedauern selbst nicht sprechen, da dieser seit einer Woche mit der Aufklärung eines sich über die ganze Provinz hinziehenden Bandendiebstahls betraut und fast ständig dieserhalb unterwegs war. Die erforderlichen Erläuterungen erhielten sie wieder von Inspektor Kluth, der ihnen nach bestem Vermögen jede erwünschte mündliche Auskunft erteilte. Da sie erst in den späten Abendstunden des Dienstag mit ihren Erkundigungen fertig waren, konnten sie erst am nächsten Morgen früh um neun Uhr persönlich mit Herrn Schlünz und seinen Angestellten in Verbindung treten. Die Unterhaltung fand in der Parkvilla im Herrenzimmer statt; Herr Schlünz, ein imponierender Mann um Mitte der Fünfzig von bestimmtem Auftreten, aber gewinnenden Umgangsformen, zog seinen Privatsekretär hinzu und gab den beiden Kriminalisten Gelegenheit, mit dem Hauswart und dem Dienstmädchen zu sprechen. Die drei Angestellten bestätigten nochmals, daß nach ihrer Überzeugung niemand anderes als Herr Baskow an jenem Sonnabend in der Parkvilla bei den Sammlungen gewesen sei; der Privatsekretär fügte ergänzend hinzu, daß er selbst – Herr Schlünz denke da etwas anders – sich immer noch nicht damit abgefunden habe, daß Baskow nicht als Täter in Frage kommen solle; denn es sei ja ganz unwahrscheinlich, daß jemand, der nicht an Ort und Stelle in die Bedienung zweier so komplizierter Sicherheitsmechanismen, wie es die beiden Tresortüren seien, eingeweiht sei, lediglich an Hand der Stichwörter und mit den Schlüsseln die eisernen Portale sollte öffnen können, ohne die geringsten Beschädigungen anzurichten; ebenso schwierig sei aber auch der ordnungsgemäße Verschluß.

»Mein Herr, Ihnen sind die Dortmunder Protokolle unbekannt«, entgegnete ihm Jarmer. »Nach diesen Aussagen bleibt aber kein Zweifel übrig, daß Baskow zur Zeit der Tat in Dortmund gewesen ist. Wenn er aber dort war, kann er unmöglich hier gewesen sein.«

»In der Tat, solche Verdoppelungen wären ein Novum«, bemerkte Schlünz, »ich habe mich daher mit dem Gedanken abgefunden, daß Baskow an dem Diebstahl nicht beteiligt ist. Können Sie, meine Herrschaften, etwas zur Klärung des Mysteriums beitragen?«

»Vielleicht und hoffentlich«, antwortete Dr. Roller, »gestatten Sie mir zunächst einige Fragen.«

»Bitte, Herr Doktor, uns ist zwar schon alles irgend Erdenkliche abgefragt, wenn es noch was Weiteres zu fragen geben sollte, wir stehen zur Verfügung.«

»Haben Sie eine Photographie von Herrn Baskow?«

»Nein, wie kommen Sie darauf?«

»Dann sehen Sie sich bitte mal dieses Bild an. Kennen Sie den Mann? Wer ist es?«

»Aber das ist doch Baskow«, sagte Schlünz und reichte das Bild seinem Sekretär, der bestätigte:

»Ganz unverkennbar Baskow. Wie kommen Sie zu dem Bild?«

»So, Sie meinen das auch? Ist dieses die Person, die an jenem Sonnabend hier gewesen ist?«

»Selbstredend, diese Person, nämlich Baskow, war damals hier.«

»Wollen Sie sich bitte mal die Photographie sorgfältig und ganz genau betrachten. Fällt Ihnen irgend etwas auf?«

»Was soll mir auffallen?« sagte der Sekretär, indem er die Photographie musterte. »Der Anzug, der Schlips sind natürlich anders, als Baskow sie zuletzt trug, das Bild ist ja wohl ein wenig älter. Sonst? Baskow sah nicht immer so gutmütig aus, wie im Augenblick der Aufnahme hier, aber manchmal konnte er so dreinschaun. Zuletzt trug er seine Haare etwas länger; mehr wüßte ich nicht zu sagen.« Schlünz, der sich gleichzeitig das Bild genau besah, fügte hinzu:

»Da um die Augen mag ein etwas ungewohnter Zug sein; mir ist, als wäre Baskows Blick eine Nuance weniger offen gewesen, nicht unfreundlicher grade, aber fremder, weniger zugetan, wie soll ich sagen? Doch es handelt sich da um Abweichungen, die bei jedem Lichtbild vorkommen; an der Identität Baskows scheint mir ein Zweifel unmöglich.«

»Vielen Dank, das genügt. Und nun hören Sie: dieses Bildnis stellt den Kaufmann Kilian Menke aus Lüneburg dar, der seit dreiundeinemhalben Monat spurlos verschwunden ist.«

»Nicht möglich! Ausgeschlossen!« riefen Schlünz und sein Sekretär wie aus einem Munde.

»Aber es steht dennoch unabänderlich fest«, bestätigte Jarmer. Mir selbst ist Herr Kilian Menke, also die hier abgebildete Person, seit etwa fünf Jahren bestens bekannt. Es ist ein gut getroffenes Bild von ihm, wie er vor vielleicht einem halben Jahr aussah.«

»Nun, dann war eben dieser Menke hier unter dem Pseudonym Baskow von Anfang bei mir in meinen Sammlungen tätig. Eine andere Erklärung scheint mir undenkbar.«

»Baskow hat doch aber schon im März angefangen, bei Ihnen zu arbeiten?«

»Gewiß, zuerst etwa um den 15. März herum.«

»Aber Herr Menke war bis nahezu einen Monat später ununterbrochen in Lüneburg, wo er als angesehener und stadtbekannter Kaufmann die Firma Lengfeldt Söhne leitete.«

»Dann ist diese Ähnlichkeit ja schlechthin frappant, das grenzt ja einfach ans Wunderbare!« meinte Schlünz.

»Allerdings, so scheint es«, bemerkte Dr. Roller, »es handelt sich anscheinend weniger um eine Ähnlichkeit, als geradezu um eine Kongruenz; auch Tonfall und Sprechweise der beiden Männer dürften ununterscheidbar sein.«

»Ein höchst seltsames Naturspiel!«

»Nun, daß bei Ihrem Millionendiebstahl das Phänomen einer erstaunlichen Ähnlichkeit eine entscheidende Rolle spielt, war ja schon bekannt. Wir wissen nun, wie die beiden sich so merkwürdig ähnlich sehenden Männer heißen; denn daß es noch einen Dritten, den man mit jedem von ihnen wiederum verwechseln könnte, geben sollte, dürfte ausgeschlossen sein. Der eine dieser beiden war am Sonnabend der Tat hier in Essen, der andere in Dortmund. Beide wurden für Baskow gehalten, aber der eine von ihnen war in Wahrheit Menke. Welcher war Baskow, welcher war Menke?«

»Na, selbstverständlich war Menke der Dieb, das scheint doch klar!« rief Herr Schlünz spontan aus.

»Wenn der Mann hier auf dem Bilde Menke ist und nicht Baskow, dann halte ich auch dafür, daß tatsächlich Baskow nicht hier gewesen ist«, fügte etwas unsicherer der Sekretär hinzu.

»Völlig ausgeschlossen«, erwiderte Jarmer, »Herr Menke kommt nach seiner ganzen Persönlichkeit als Dieb überhaupt nicht in Betracht.«

»Na, hören Sie mal«, wandte Schlünz ein, »wenn er nicht der Dieb war, so war er jedenfalls der Gehilfe des Diebes, da er dem Diebe durch Lug und Trug ein falsches Alibi verschaffte.«

»Meine Herren, lassen wir das Rätselraten«, besänftigte Dr. Roller, »die Dinge dürften wesentlich komplizierter liegen, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Feststeht für mich, daß es wesentlich mehr Beteiligte an diesem Raube gibt, als nur Baskow und – vielleicht – Menke. Wie denken Sie zum Beispiel über Herrn Brechert, Herr Schlünz, was halten Sie von diesem Herrn?«

»Brechert, wie kommen Sie auf den? Mit ihm habe ich die allerbesten Erfahrungen gemacht, ich halte große Stücke auf ihn.«

»Nun, er hat doch immerhin diesen Baskow, der an dem Raube auf alle Fälle irgendwie beteiligt sein muß, bei Ihnen eingeführt.«

»Aber Brechert haben wir doch allein die Aufdeckung des ganzen Schwindels zu verdanken. Er hat alle meine Versuche, der Täter habhaft zu werden, lebhaft unterstützt, er ist mir heute noch mit großem Eifer behilflich.«

»Was denn? Heute noch? Ist er denn noch da?«

»Gewiß doch, er wohnt nach wie vor Münzstraße 17 in Dortmund. Soll ich ihn gleich mal anrufen?«

»Um des Himmels willen, nein! Nur das nicht! Wenn er noch greifbar ist, müssen wir ihn sofort aufsuchen. Ich meinte verstanden zu haben, daß er schon seit mehreren Wochen auf und davon sei.«

»Keine Rede, ich stehe in täglicher Fühlung mit ihm; wann hatten wir noch unsere letzte Konferenz?«

»Vor drei Tagen, am Sonntag, Herr Schlünz«, erwiderte der Sekretär. »Telephoniert habe ich noch gestern mit ihm.«

»Also, Kollege Jarmer, los, wir müssen sofort, ehe es zu spät ist, zurück nach Dortmund zu Brechert.«

»Aber, Herr Doktor, ich begreife gar nicht, was Sie von Brechert wollen. Haben Sie irgendwelche Beweise gegen ihn? Verheimlichen Sie mir etwas?«

»Nehmen Sie mir es nicht übel, Herr Schlünz, wenn ich genauere Erklärungen auf später verschiebe, dazu ist heute keine Zeit mehr. Ich sehe eben, der Zug geht in einer halben Stunde, können Sie uns wohl freundlichst ein Auto zur Bahn zur Verfügung stellen?«

»Aber selbstverständlich. Bitte, sagen Sie dem Chauffeur Bescheid. Bis der Wagen vorfährt, geben Sie mir vielleicht noch eine kurze Erklärung.«

»Eine lange Erklärung wäre möglich, eine kurze ist unendlich schwierig. Als Kriminalist muß man sich bei jedem Verbrechen, nachdem man die erforschbaren Tatsachen gesammelt und gesichtet hat, ein Bild von den Vorgängen machen. Dieses Bild in mir führt mich zu der vorläufig unbewiesenen Überzeugung, daß jedermann, verstehen Sie: Jedermann, der um die gleiche Zeit wie Baskow in Dortmund aufgetaucht ist und mit ihm in engem Verkehr gestanden hat, der Teilnahme an dem Verbrechen dringendst verdächtig ist. Wenn ich dafür logische Beweise in der Hand hätte, würde ich ihn nicht aufsuchen, sondern die Kriminalpolizei um seine Verhaftung bitten. Wenn ich ihr aber im Augenblick damit käme, würde man mich auslachen, denn dazu reicht das Material bei weitem nicht aus.« Der Sekretär meldete, der Wagen sei vorgefahren. »Also dann dürfen wir uns verabschieden. Ich bitte zum Schluß nochmals, Brechert unseren bevorstehenden Besuch unter keinen Umständen anzukündigen und ihm auch, falls er anrufen sollte, nichts von unseren Besprechungen zu sagen.«

»Das wird selbstverständlich unterbleiben. Ich wünsche Ihnen den besten Erfolg.«

Bald nach zwei Uhr mittags trafen Dr. Roller und Jarmer im Hause Münzstraße 17 in Dortmund ein. Brechert hatte dort eine wohlausgestattete Drei-Zimmer-Wohnung in einer modernen kleinen Villa gemietet. Die dort auch wohnende Vermieterin, die seine Bedienung versah, sagte den Besuchern, daß er noch nicht zu Hause sei; er esse regelmäßig außerhalb und werde, da er nichts anderes hinterlassen habe, wohl auch heute gegen einhalbdrei Uhr zurückkommen. Auf ihren Wunsch wurde den beiden gestattet, im Wohnzimmer zu warten, da sie angaben, den Mann in einer unaufschiebbaren geschäftlichen Angelegenheit sprechen zu müssen.

Sie sahen sich in dem gemütlich modernen Gemach mit seinen niedrigen Möbeln um; auf dem Schreibtisch und Regalen lagen Zeitschriften, Broschüren und Nachschlagebücher herum, die sich auf Schmucksachen und Juwelen bezogen; die Briefsachen auf dem Schreibtisch befaßten sich mit dem Handel mit Edelsteinen. Überzeugt davon, daß in dieser bürgerlichen Wohnung irgend etwas Verdächtiges nicht aufbewahrt werde, sahen sie davon ab, irgendwelche Behältnisse zu öffnen, um auf keinen Fall die Aufmerksamkeit der Wirtin zu erregen. Sie nahmen auf zwei bequemen Sesseln Platz, um im Flüsterton ihren Feldzugplan noch einmal durchzugehen. Dr. Roller hatte sich bei den Unterhaltungen auf der Reise von Jarmer davon überzeugen lassen, daß als wahrscheinlich allein in Betracht komme, daß an jenem Sonnabend Kilian Menke unter der Maske Baskows in Dortmund gewesen sei; bei Schlünz hätte er sich ja allein drei Stunden aufgehalten, ohne unter dem Einfluß irgendwelcher Einwirkungen zu stehen. Es sei schlechthin undenkbar, daß er durch irgend etwas hätte veranlaßt werden können, sich im Hause des Millionärs während dieser drei Stunden nicht zu erkennen zu geben, daß er sogar unmittelbar zum Dieb an einem Millionenvermögen geworden sei. Dr. Roller mußte ihm beipflichten, da ja nach der von ihm selbst aufgestellten Theorie Kilian Menke gegen seinen Willen geraubt war und es unter diesen Umständen doch recht zweifelhaft erschien, daß er durch Versprechungen oder Drohungen sich habe dazu bringen lassen sollen, ohne unmittelbaren Zwang zum Verbrecher zu werden. Sie wollten also bei ihren weiteren Schritten von der Annahme ausgehen, daß Kilian Menke in Dortmund als Baskow aufgetreten sei, es vorläufig dahingestellt sein lassend, wieso er sich hierzu hergegeben hatte, und daß Baskow selbst den Diebstahl verübt habe.

Kurz vor drei Uhr kam Brechert. Mit fragend überraschten Mienen begrüßte er die beiden fremden Besucher, die sich ihm mit ihren Nachnamen vorstellten. Dr. Roller begann die Unterhaltung:

»Wir kommen zu Ihnen in einer sehr heiklen Angelegenheit, Herr Brechert, mit der Sie und andere vergeblich seit Wochen und Monaten befaßt sind. Es handelt sich um den Raub des Schlünzschen Schatzes.«

»Ja, bitte, hat sich etwas Neues ergeben? Womit kann ich den Herren dienen?«

»Wir möchten uns zunächst ganz allgemein mit Ihnen über diese Dinge unterhalten und Ihre Auffassung über den Fall kennenlernen.«

»Da gestatten Sie mir wohl vorweg die Frage, in welcher Eigenschaft und in wessen Auftrag Sie mit mir sprechen.«

»Gewiß doch, darauf haben Sie Anspruch. Dies hier ist Kriminaloberinspektor Jarmer, ich bin Kriminalkommissar im Ruhestand, jetzt also Privatdetektiv; wir sind von den Geschädigten mit weiteren Nachforschungen in dieser höchst geheimnisvollen Affäre beauftragt.«

»Von den Geschädigten? Doch nicht von Herrn Schlünz?«

»Jawohl, gewissermaßen von Herrn Schlünz auch. Aber es gibt ja noch mehr Geschädigte in dieser Sache.«

»Noch mehr Geschädigte? Nicht daß ich wüßte.«

»Lassen wir das vorläufig auf sich beruhen. Mir ist es zunächst darum zu tun, Ihre Ansicht über die verborgenen Zusammenhänge zu hören, und zwar namentlich zu einem Punkt, den ich Ihnen kurz entwickeln darf.«

»Bitte sehr«, sagte Brechert, dem es in erster Linie darum zu tun war, Zeit zu gewinnen, um seine Gedanken zu sammeln.

»Nach unserer Meinung besteht überhaupt kein Zweifel, daß der leider entflohene Baskow ...«

»Entflohen? Davon ist mir nichts bekannt. Er ist abgereist, jawohl, aber entflohen?«

»Nicht entflohen also! Ach bitte, dann wollen Sie uns doch bitte sofort seine Adresse aufgeben, damit wir ihn im Ausland festnehmen und zur Auslieferung bringen lassen können.«

»Die Adresse des Herrn Baskow ist mir leider nicht bekannt.«

»Gestatten Sie, daß ich mich darüber auf das Äußerste wundere! Sie waren doch mindestens geschäftlich mit Herrn Baskow engstens befreundet. Wie darf man sich erklären, daß Sie so plötzlich jede Fühlung mit ihm verloren haben?«

»Wir haben uns im Unfrieden getrennt.«

»Das erste, was ich höre. Und worin bestand Ihre Meinungsverschiedenheit?«

»Ich war der Ansicht, daß er nicht genug zur Aufdeckung des Diebstahls bei Schlünz täte.«

»Sehr interessant! Was hätte er nach Ihrer Meinung mehr tun können?«

»Ich stehe und stand auf dem Standpunkt, daß es schwer vorstellbar ist, daß der Täter sich in der geschehenen Weise hätte einschleichen und den Schmuck hätte entwenden können, ohne von Baskow nicht sowohl über die Einrichtung der Tresortüren wie auch die näheren Umstände seiner Arbeitsweise bei Schlünz ziemlich genau unterrichtet zu sein.«

»Ganz meine Meinung, nur halte ich das nicht nur für schwer, sondern für überhaupt nicht vorstellbar. Dann halten Sie also Baskow auch für einen Mittäter zum mindesten?«

»Nein, das keineswegs; dagegen spricht die Persönlichkeit und der gute Ruf Baskows.«

»So? Einen guten Ruf hatte er? Den muß er sich wohl im Ausland erworben haben; denn hier in Deutschland hielt er sich meines Wissens ja erst wenige Monate auf. Aber lassen wir den angeblichen guten Ruf beiseite. Wenn Sie ihn nicht für mitschuldig hielten, was hatten Sie ihm dann vorzuwerfen?«

»Ich argumentiere so: Baskow war seit März sehr häufig in Essen, wo er des öfteren übernachtete. Er hat dort viele Leute kennengelernt, mit ihnen wohl auch dann und wann eine Nacht gefeiert. Ich halte es für naheliegend, daß Baskow in unbedachten Momenten mal so einem flüchtigen Bekannten gegenüber von seiner Arbeit bei Schlünz gesprochen, insbesondere die hervorragenden Sicherungseinrichtungen bei den Sammlungen rühmend erwähnt hat. Ich habe Baskow dringend ans Herz gelegt, sein Gedächtnis anzustrengen und die Namen der Personen anzugeben, denen gegenüber er solche unbesonnenen Bemerkungen gemacht hat. Aber er ließ es dabei bewenden, nichtssagende Angaben zu machen, mit denen absolut nichts anzufangen war.«

»Ich verstehe. Sie meinen, Baskow hätte den Verdacht auf irgendeine Person in Essen lenken sollen, um der Untersuchung eine bestimmte Richtung zu geben?«

»Ihre Formulierung sagt mir nicht zu. ›Den Verdacht lenken‹, das klingt ja beinahe so, als hätte ich gewünscht, daß Baskow dem Verdacht eine unrichtige Richtung hätte geben sollen.«

»Ja, glauben Sie denn im Ernst, Herr Brechert, daß solch ein Verdacht auf einen unbekannten Essener richtig gewesen wäre?«

»Ich muß mir sehr höflich, aber ebenso energisch verbitten, daß ich hier etwas erörtern soll, was ich selbst nicht für richtig halte. Ich weiß nicht, wieso Sie sich für befugt halten, mir derartiges zu unterstellen.«

»Weil Sie ebensogut wie wir beide ganz genau wissen, daß die Tat von Ihrem Freunde Baskow und von niemandem anderen ausgeführt ist.«

»Meine Herren, ich breche diese Unterredung ab. Ich bin nicht gewillt, mir in meiner eigenen Wohnung solche ungeschminkten Beleidigungen an den Kopf werfen zu lassen!«

»Bitte, Herr Brechert, behalten Sie Ihre Nerven im Zaum. Wir können die Unterredung leider noch nicht als beendigt ansehen, weil wir Ihnen noch einige Fragen vorzulegen haben, zum Beispiel die: Wo befindet sich Kilian Menke?« Bei Nennung dieses Namens standen Dr. Roller und Jarmer mit einem Ruck wie auf ein geheimes Zeichen auf und blickten mit bohrender Gespanntheit Brechert in die Augen. Dieser verfärbte sich nicht, aber man sah ihm an, daß er mit unerhörter Willenskraft seine Züge in der Gewalt behielt. Er blieb ruhig sitzen und sagte mit unpassend schneidender Stimme:

»Bitte, wie war der Name? Ich habe nicht recht verstanden?«

»Der Name war und ist Kilian Menke, Kaufmann aus Lüneburg, ich glaube, Herr Brechert, daß es an der Zeit ist, daß Sie nun endlich die Maske fallen lassen.«

»Meine Herren, ich bitte doch zunächst sich wieder zu setzen, diese Form der Unterhaltung hat für alle Beteiligten etwas sehr Quälendes«, sagte Brechert, der sich nun wieder ganz in der Gewalt hatte. »Ich sehe, hier liegen irgendwelche mir noch verborgenen Mißverständnisse vor, denen ja schließlich auf den Grund zu kommen sein muß. Können Sie mir zunächst nicht einmal in aller Ruhe erklären, wer und was dieser Kilian Menke ist?«

»Kilian Menke ist der Unglückliche, den Sie und Ihre Genossen wie Farchau und Wilster hier an dem Sonnabend, als Ihr Genosse Baskow bei Schlünz den Raub beging, in Dortmund herumgeführt und aller Welt als Baskow vorgezeigt haben.«

»Am Tage der Tat? Aber da war doch Baskow hier, das weiß doch ganz Dortmund, hätte ich beinahe gesagt.«

»Ganz Dortmund nahm das allerdings an. Nur Sie und Ihre Genossen wußten, daß es in Wirklichkeit gar nicht der Dieb Baskow, sondern sein Doppelgänger Menke war, den Sie geraubt und Gott weiß durch welche Schindereien dazu abgerichtet haben, für Sie hier die Rolle Ihres Baskow zu spielen.«

»Aber, mein Herr, das klingt ja wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht! Wer hat Ihnen denn diesen geradezu lächerlichen Bären aufgebunden?«

»Ich würde Ihnen empfehlen, Ihre Selbstsicherheit nicht allzu übertrieben zu spielen; halten Sie lieber eine mittlere Linie ein; denn zu viel ist ebenso schädlich wie zu wenig. Und tun Sie mir den Gefallen und halten Sie uns nicht für unmündige Kinder, die nicht mit diesen beiden Augen Ihr Entsetzen deutlich von Ihrem Gesicht abgelesen hätten, als Ihnen der Name Kilian Menke eben zum erstenmal vorgehalten wurde.«

»Ich weiß nicht, was Sie mit diesen Untersuchungskniffen bezwecken; denn für so borniert möchte ich Sie nicht halten, daß Sie glauben, daß auf solche Mätzchen hin ein Gericht mich auch nur im mindesten für verdächtig erklären wird. Da gelten nur Beweise, und mit Ihren Phantasien, die Sie aus irgendeinem Wolkenkuckucksheim herangeholt haben, werden Sie nur ausgelacht.«

»Meine Vermutung, daß Sie eine bedeutende gerichtliche Erfahrung hinter sich haben, finde ich auf das angenehmste bestätigt. Beweise? Nun, die werden wir Ihnen liefern, mehr als Sie für möglich halten. Da würde es zunächst Ihnen und Ihren Spießgesellen obliegen, uns einmal darzulegen, wo Sie vielleicht in der Nacht nach dem zweiten Sonnabend nach Ostern, also in der zweiten Hälfte April, gesteckt haben. Auch sagt man uns – es steht so in den Akten –, daß Ihr Freund Wilster, auch er ist übrigens längst entflohen, und leider werden Sie auch seinen Aufenthalt uns nicht angeben können, ich frage Sie gar nicht lange danach! –, daß also Ihr Freund Wilster des öfteren irgendwo in der Heide sich amüsiert haben soll. Für diesen Sitz in der Heide werden wir uns ausnehmend interessieren. Vielleicht können Sie uns ihn eben mal angeben.«

»Wilster war sehr häufig – er ist ein wenig schwach auf der Brust – auf dem Wilseder Berg in der Lüneburger Heide. Bitte erkundigen Sie sich dort, er dürfte dort bekannt sein. Sonst weiß ich natürlich nichts Näheres von seinen Ausflügen in die Heide.«

»Es trifft sich für die Untersuchung und auch für Ihre Chancen schlecht, daß Sie in allen uns interessierenden Fragen leider gar keine oder nur höchst ungenaue Auskünfte zu erteilen in der Lage sind. Aber die Untersuchung wird deshalb doch vorankommen, da seien Sie unbesorgt, nur für Ihre Position bleibt leider um so weniger zu hoffen.«

Jarmer hatte dem Gespräch mit größter Wachsamkeit bisher zugehört, ohne sich in die dramatische Unterhaltung einzumischen. Nun schien es ihm an der Zeit, auch seinerseits das Wort zu nehmen:

»Ich muß schon sagen, Herr Brechert, Sie haben sich redlich bemüht, den Unbefangenen zu spielen. Aber wenn Sie glauben sollten, Sie hätten Ihr Benehmen so einrichten können, wie etwa ein wirklich Unschuldiger auf die Vorhalte Dr. Rollers reagiert hätte, so befinden Sie sich in einem verfänglichen Irrtum. Glauben Sie nun nicht, daß wir so ungeschickt sein werden, Ihnen alles Material, das uns auf die richtige Spur gebracht hat, vorzulegen. Sie können versichert sein, daß uns schlüssige Beweise zur Verfügung stehen. Das kann niemand besser als ich beurteilen, denn ich war von dem ersten Tage an mit der Untersuchung des an Kilian Menke begangenen Verbrechens betraut, und weiß daher, daß es ein Kinderspiel ist, die etwa für die gerichtliche Überführung noch fehlenden Glieder der Beweiskette ausfindig zu machen, ein Kinderspiel jedenfalls gegenüber der Arbeit, das schon vorliegende Beweismaterial, das uns auf Ihre Spur geführt hat, zusammenzutragen.«

»Meine Herren, ich glaube, Sie sind verrückt, oder Sie halten mich für verrückt. Es gibt doch nur zweierlei: Entweder bin ich unschuldig; in diesem Falle können Sie mit Menschen- und mit Engelszungen reden, ohne von mir ein Geständnis erwarten zu können. Oder ich bin schuldig; dann aber wäre ich, wie Sie einsehen müßten, ein recht gewitzigter Bursche. Daß Sie von einem solchen auf Grund Ihrer plumpen Beschwörungen kein Geständnis erhalten könnten, sollten Sie sich selber sagen können. In jedem Fall aber breche ich für meine Person diese amüsante Unterhaltung nunmehr ab und werde auf weitere Anzapfungen nicht mehr antworten. Ich verabschiede mich. Wenn Sie nicht gehen, dann werde ich mich in mein Schlafzimmer zurückziehen.«

»Wir gehen schon, Herr Brechert«, antwortete Dr. Roller, »aber seien Sie überzeugt, daß wir uns schneller als Ihnen lieb sein kann, wiedersehen werden.«

Dr. Roller und Jarmer begaben sich sofort zur Kripo, um dort Bericht zu erstatten. Ihre Anregung, sofort zur Verhaftung Brecherts zu schreiten, fiel auf keinen fruchtbaren Boden. Man bedeutete ihnen, daß gegen Brechert bisher noch von niemandem ein Verdacht geäußert sei, daß die Auffassungen der Herren zwar sehr interessant seien, aber schließlich von einem für einen Haftbefehl ausreichenden Beweis doch noch keineswegs die Rede sein könne. Dagegen sagte man ihnen zu, auf Brechert ein wachsames Auge zu richten und seinen Aufenthalt zu kontrollieren. Die beiden mußten sich nach Sachlage damit zufrieden geben.

Am nächsten Morgen erfuhren sie auf telephonische Anfrage bei der Kriminalpolizei, daß Brechert im Laufe der Nacht mit seinem gesamten Gepäck in seinem Austro-Daimler davongefahren sei, wohin wußte niemand. Gegen Brechert wurde ein Steckbrief erlassen.

Dr. Roller und Jarmer hatten ihre Mission in Westfalen beendet und fuhren nach dem Norden zurück.


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