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Zweiter Teil

IX.

Als an jenem Montagmorgen in der zweiten Hälfte des April, der dem Wochenende folgte, das Kilian Menke zu seiner Aufmunterung in Hamburg verbrachte, der Buchhalter Schwarz das Kontor der Firma Lengfeldt Söhne in Lüneburg betrat, fand er dortselbst ein Telegramm vor, das am Sonntagabend um 10 Uhr 15 Minuten in Winkel am Rhein aufgegeben war und das folgenden Wortlaut hatte: »Zu einer kleinen Erholungsreise erbitte Urlaub. Brief folgt. Menke.« Er rief zunächst die Inhaberin an und unterrichtete sie von dem Sachverhalt; diese meinte, daß man dem Prokuristen die Erholung wohl gönnen könne, und erkundigte sich nach der Lage der Geschäfte. Schwarz erwiderte, daß immer noch recht dringende Arbeiten vorlägen, daß aber der Hauptansturm vorüber zu sein scheine, jedenfalls diese lästige Buchprüfung im wesentlichen abgeschlossen sei. Merkwürdig sei, daß Menke von der Absicht, jetzt einen Teil seines Urlaubs zu nehmen, nie das mindeste habe verlauten lassen, und daß man rein geschäftlich sich einen bequemeren Zeitpunkt denken könne. Bisher habe Herr Menke auf die Lage der Geschäfte bei seinen Ferien immer ausschlaggebende Rücksicht genommen. Frau Lengfeldt erwiderte, daß er diesmal sicherlich ganz besonders abgespannt gewesen sei und in den letzten Wochen schon Spuren von Nervosität gezeigt habe, die man doch sonst gar nicht bei ihm gekannt habe. Genug, es bleibe ja ohnehin nichts übrig, als vorläufig den angekündigten Brief abzuwarten.

Dieser traf am nächsten, also Dienstag, Vormittag ein; er war am Montagmorgen um 10 Uhr 30 Minuten in Remagen abgestempelt und geschrieben auf dem bekannten Briefbogen Kilian Menkes, der in Steindruck in lateinischen Buchstaben links oben seinen Namen nebst Fernsprechnummer und Bankkonto und rechts oben die Aufschrift »Lüneburg, den ...« und darunter die Adresse »Feuerbachstraße 27« enthielt. Der Brief war in Maschinenschrift proper aufgesetzt und hatte folgenden Wortlaut:

»An Fa. Lengfeldt Söhne,
Lüneburg.

Sehr geehrter Herr Schwarz!

In Bestätigung meiner gestrigen Drahtung ›Zu einer kleinen Erholungsreise erbitte Urlaub. Brief folgt. Menke.‹ teile ich Ihnen mit, daß ich mich kurz entschlossen einigen Hamburger Freunden bei einer Autoreise an den schönen Rhein angeschlossen habe. Wir besichtigen hier ohne festes Quartier die herrliche Gegend und werden wohl an die zwei Wochen unterwegs sein. Ich bitte Frau Lengfeldt in Kenntnis zu setzen und darf ich mich Ihres Einverständnisses mit meiner Disposition sicher schätzen. Sobald ich eine feste Adresse angeben kann, gebe ich Nachricht. Mit besten Grüßen zeichne ich als Ihr

gez.: Menke.«

Frau Lengfeldt, der Schwarz diesen Brief bei seinem Besuch am Dienstagvormittag vorlegte, fand daran nichts Auffälliges, zumal die mit Tinte geschriebene Unterschrift den zügigen Duktus, den man bei Kilian Menke gewohnt war, aufwies. Der Buchhalter Schwarz aber hatte immer noch Bedenken:

»Komisch kommt mir vor, daß Herr Menke diesmal nicht wie sonst immer, wenn er vom Urlaub schreibt, irgend etwas über die Geschäfte sagt. Und noch zu jetzt, wo er sozusagen ohne Abschied und die geringsten Anordnungen im einzelnen sich aus dem Staube gemacht hat.«

»Ja, mein lieber Schwarz, aber wir wollen ihm seinen Leichtsinn von Herzen gönnen und uns bemühen, ihn hier, so gut wie wir es können, zu vertreten.«

»Nun, für eine kurze Zeit wird es ohne ihn schon gehen.«

Erst nach fünf Tagen, am Sonnabend, traf das nächste Lebenszeichen Kilian Menkes ein, diesmal nur eine kurze Ansichtspostkarte aus Neuenahr, auf die offenbar in Weinlaune mit Bleistift folgendes geschrieben war: »Wir haben eine wunderschöne Reise. Das Wetter ist vorzüglich. Viele Grüße an Frau Lengfeldt und das ganze Kontor. Menke.«

Das war dürftiger, als man vermuten konnte, gab aber zu wirklichen Bedenken immer noch keine Veranlassung. Auffallender und beunruhigender war schon, daß man dann in den nächsten sechs Tagen wieder nichts hörte. Schwarz sprach bei seinen täglichen Besuchen bei der Inhaberin wiederholt über die unverständliche Tatsache, daß Herr Menke ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Gepflogenheiten sich noch nicht ein einziges Mal nach dem Gang der Geschäfte erkundigt habe, ja, indem er seine Adresse verschweige, es unmöglich mache, daß man über gewisse laufende Sachen seine Ansicht einhole. Frau Lengfeldt mußte einräumen, daß das auch von ihr nicht erwartet sei, meinte aber, daß man diesen absonderlichen Zustand zwei Wochen wohl ertragen könne und daß dieser Ausflug Menkes ja längstens diese Zeit dauern könne. Es sei zwar recht lästig, daß man den von Menke noch in die Wege geleiteten großen Lieferungsvertrag mit den Helioswerken jetzt ohne ihn zum Abschluß bringen müsse, aber am Ende der zweiten Woche werde man ja weiter sehen. Am Freitag dieser zweiten Woche traf sodann wieder ein mit der Maschine auf eigenem Briefbogen geschriebener Brief Kilian Menkes ein, diesmal aus Königswinter, welcher besagte:

»Am schönen Rhein und seinen Nebenflüssen habe ich jetzt wundervolle Wochen verbracht und mich recht erholt. Wenn meine Freunde nicht zurückfahren müßten, bliebe ich am liebsten noch länger. So aber werde ich, bei Leben und Gesundheit, im Laufe der kommenden Woche wieder dort eintreffen. Den genauen Zeitpunkt teile ich noch per Karte mit. Mit besten Grüßen

gez. Menke.«

Als Schwarz diesen Brief Frau Lengfeldt zu lesen gab, sagte er:

»Äußerlich scheint alles in Ordnung, das ist das Briefpapier von Herrn Menke, und auch die Unterschrift ist mindestens unverdächtig. Aber sonst, wenn mit Herrn Menke nicht eine unbegreifliche Veränderung stattgefunden hat, kann ich mir nicht vorstellen, daß er nach so langer Zeit so etwas Nichtssagendes von sich geben würde. Er weiß doch genau, daß wir in diesen Tagen mit den Helioswerken zum Schluß kommen müssen; das kann er doch nicht vergessen haben!«

»Mittlerweile muß ich Ihnen auch rechtgeben, Schwarz, da stimmt irgendwas nicht! Ich werde einmal mit meinem Schwager sprechen.«

Frau Lengfeldt legte Herrn Landgerichtsrat Dr. Klotze den Sachverhalt dar. Dieser ließ sich zunächst die drei Postalien, die beiden Briefe und die Postkarte, aushändigen und übergab sie dem Schriftsachverständigen des Landgerichts, einem Dr. Most, zur Untersuchung. Dieser kam an Hand ihm zur Verfügung gestellten Vergleichsmaterials zu dem Ergebnis, daß an der Echtheit der verwandten Briefbögen kein Zweifel bestehe, daß es vollkommen ausgeschlossen sei, daß es sich hierbei um einen Nachdruck handele. Die beiden Unterschriften »Menke« wiesen zunächst die Eigentümlichkeit auf, daß in früheren Fällen der Schreiber in aller Regel, wenn auch nicht ohne jede Ausnahme, seine Briefe mit vollem Vor- und Nachnamen unterschrieben habe; das eine Wort Menke sei zu kurz, um daraus sichere Schlüsse ziehen zu können. Wenn es sich dabei um eine Fälschung handele, sei sie sehr geschickt verübt, da man nicht stümperhaft die Unterschrift nachgemalt, sondern sie in natürlichem Schwung unter Beachtung des Umstandes, daß sich auf diese Weise niemals mathematisch gleiche Schriftbilder ergeben könnten, hingesetzt habe. Was sodann den Text auf der Ansichtskarte anlange, so reiche das Material für eine wissenschaftliche Schriftvergleichung an sich aus; nur sei man im Falle einer Fälschung auch hier wiederum insofern äußerst geschickt vorgegangen, als man nicht die natürliche Schrift, sondern eine solche, wie sie unter dem Einfluß des Alkohols sich bilden könne, darzustellen unternommen habe. Wenn man das Unsicherheitsmoment, das sich hieraus ergäbe, in Betracht ziehe, könne man mit einiger Vorsicht zu dem Ergebnis kommen, daß wahrscheinlich eine Fälschung vorliege. Dr. Most erläuterte an Einzelheiten, wieso sich diese Meinung in ihm gebildet habe; zum Beispiel pflege Kilian Menke das große W und das große V sehr ähnlich zu bilden, nämlich beide Male unten spitz in Anlehnung an die Druckschrift. Bei »Wetter« sei es richtig getroffen. Bei dem V in »Viele« aber erscheine plötzlich das normalere Gepräge mit der runden Schleife am Fuß. Es sei nicht anzunehmen, daß der Alkoholgenuß solche Abweichungen typischer Art bedinge. Bemerkenswerte Typenunterschiede ergäben sich auch bei den beiden kleinen z in »vorzüglich« und »ganze«; das erstere entspreche der Menkeschen Schreibweise, bei dem zweiten mischten sich unverkennbar fremde Schriftelemente ein.

Dr. Klotze war es genug. In Verbindung mit all den übrigen Fragwürdigkeiten kam er zu dem Ergebnis, daß zum mindesten intern weitere Nachforschungen angezeigt seien. Er setzte sich deshalb mit der Kriminalpolizei in Verbindung und verhandelte eingehend mit Oberinspektor Jarmer. Die Kriminalpolizei erließ telegraphische Anfragen in Winkel, Remagen, Neuenahr und Königswinter, ob dort in den letzten zwei Wochen ein Kilian Menke als Fremder gemeldet gewesen sei. Das Ergebnis, das im Laufe des Sonntags in Lüneburg eintraf, war, daß allerdings in der Nacht vom ersten Sonntag zum Montag in Winkel am Rhein ein Kilian Menke vom »Hotel Rheinlust« als Fremder gemeldet worden sei; bei allen übrigen Ortschaften war der Name nicht vorgekommen. Oberinspektor Jarmer erließ nunmehr entsprechende Anfragen bei allen bekannten Sommerfrischen in der Gegend zwischen Köln und Koblenz und veranlaßte des weiteren, daß vom »Hotel Rheinlust« in Winkel eine möglichst genaue Personalbeschreibung jenes Kilian Menke eingezogen werde – soweit man sich seiner irgend noch entsinnen könne, Es währte bis Mittwoch der nächsten Woche, ehe die Antworten in Lüneburg eingingen. Bis dahin aber hatte sich bei den Beteiligten die Besorgnis, daß mit Kilian Menke irgendein Unglück passiert sei, zur bänglichen Gewißheit gesteigert; denn nicht nur, daß die angekündigte Anmeldung der Rückkehr nicht eingetroffen war, es war, wie Dr. Klotze es für das Wahrscheinliche gehalten hatte, überhaupt jegliches weitere Lebenszeichen ausgeblieben. Die Antworten aus den angefragten Fremdenorten gaben der Besorgnis neue Nahrung: nirgendwo war ein Kilian Menke zur Anmeldung gelangt. Dagegen konnte unverhoffterweise vom »Hotel Rheinlust« noch eine recht genaue Personalbeschreibung jenes Kilian Menke beigebracht werden. Alle Angaben, die ziemlich ins einzelne gingen, trafen auf Kilian Menke entschieden zu; das wurde übrigens eine Woche später vollauf bestätigt, da man eine Photographie des Vermißten den Auskunftspersonen vorlegte und diese mit aller Entschiedenheit in dem Bilde den Gast wiedererkannten.

Die Umstände aber, warum man im »Hotel Rheinlust« sich nach zwei Wochen an diesen Gast noch so genau erinnern konnte, mußten bei allen guten Bekannten Kilian Menkes Kopfschütteln hervorrufen. Dies lag nämlich daran, daß er nach einer heiteren Zecherei mit einer Kellnerin des Lokals angebändelt hatte, daß er sie mit Liebesanträgen verfolgt, und in später Nacht noch eine längere Mondscheinpromenade am Rheinufer mit ihr unternommen hatte. Das sah Kilian Menke, wie man ihn wenigstens in Lüneburg kannte, außerordentlich wenig ähnlich! Er mußte ja ganz außer Rand und Band geraten sein, wenn er gleich am ersten Abend seiner Lustfahrt so sich umgekrempelt hatte. Im übrigen wurde aus Winkel gemeldet, daß in Begleitung Kilian Menkes zwei Herren gewesen seien, die sich als Hans Zeiner und Ulrich Götze eingetragen hatten, angeblich beide aus Hamburg, während bei Menke als Heimat Lüneburg angegeben war. Diese Begleiter wurden undeutlicher beschrieben, der eine als gute, gebildete Erscheinung, der andre als klein, aber sehnig, beides übrigens jüngere, lebenslustige Männer, die sich an der Zecherei mit Kilian Menke auf das fidelste beteiligt hätten.

»Das sind natürlich seine Freunde gewesen, von denen er mir gesprochen hat«, bemerkte Frau Sibylle Lengfeldt, »man muß diese beiden Herren in Hamburg ermitteln, damit wir Gewißheit über das Schicksal unseres armen Kilian Menke bekommen.«

Diese Nachforschungen in Hamburg ergaben, daß es dort einen Hans Zeiner und zwei Ulrich Götze tatsächlich gäbe; alle drei Personen aber hatten den Namen Kilian Menke noch niemals gehört, waren auch nachweisbar um die fragliche Zeit weder in Winkel noch sonst im Rheinland gewesen und kamen als Besucher des »Hotels Rheinlust« keinesfalls in Betracht. Des weiteren wurde in Hamburg festgestellt, daß Kilian Menke, wenn er einmal in Hamburg übernachtete, regelmäßig im »Hotel Windsor« abzusteigen pflegte, wo er gut bekannt war. Er war aber in der Nacht von jenem Sonnabend auf Sonntag weder in diesem Hotel noch sonst in einer Gaststätte Hamburgs und Umgebung als Gast gewesen. Das war nicht weiter auffallend, da ja immerhin die Reise in fröhlicher Stimmung schon am Sonnabend am späten Abend angetreten sein mochte, so daß man vielleicht überhaupt kein Quartier benötigt oder irgendwo zwischen Hamburg und dem Rheinland in einem kleinen Nest eingekehrt sein mochte.

Alles dieses ergab sich als Resultat der ersten Nachforschungen innerhalb der ersten vier Wochen nach der Abreise Kilian Menkes. In wiederholten Konferenzen besprach Herr Dr. Klotze mit Oberinspektor Jarmer und dem aus Hamburg herbeigezogenen Kriminalrat Sack die Sachlage, die völlig undurchsichtig und verworren war. Die maßgebende Frage, die in erster Linie beantwortet sein wollte, war die, ob an Kilian Menke ein Verbrechen verübt oder ob umgekehrt er selbst Beteiligter an einem Verbrechen sei. Frau Lengfeldt beschwor ihren Schwager, die Möglichkeit, daß Kilian Menke sich freiwillig zu irgendwelchen unklaren Zwecken heimlich entfernt habe, doch überhaupt nicht in Betracht zu ziehen, sondern die volle Aufmerksamkeit auf die andere Alternative zu richten. Der gleichen Auffassung neigte sich Oberinspektor Jarmer zu, der Kilian Menke persönlich kannte und ihn hoch schätzte. Aber der Hamburger Kriminalist war andrer Meinung, und ihm pflichtete nach reiflichen Überlegungen Dr. Klotze bei. Er führte gegenüber seiner Schwägerin folgendes aus:

»Deine hohe Meinung von deinem Kilian Menke in Ehren, liebe Sibylle, aber wir dürfen nicht nur unserem Gefühl nachgehen, sondern müssen den klaren Verstand sprechen lassen und den Tatsachen unbestochen ins Auge sehen. Gewiß, als Leiter deines Geschäftes hat er sich als ehrlich und zuverlässig erwiesen, du hast ihm nicht das geringste vorzuwerfen. Aber es gibt außerhalb seiner Lüneburger Beziehungen vielleicht doch Möglichkeiten und dunkle Punkte, von denen wir keinen Schimmer haben. Feststeht, der Mann ist von einer Wochenendfahrt nach Hamburg nicht zurückgekehrt. Feststeht, er ist häufig nach Hamburg gefahren, angeblich zu Vergnügungszwecken, über die aber weder dir noch sonst jemandem hier das leiseste bekannt ist. Feststeht, er ist nach Winkel gereist, zusammen mit Leuten, die einen unrichtigen Namen ins Fremdenbuch schrieben. Feststeht, er hat sich da in einer von ihm uns sonst nicht bekannten. Weise als Lebemann aufgeführt. Feststeht ...«

»Hör auf mit deinem ewigen ›Feststeht‹. Ich weiß nicht, ob all das, was du da sagst, so einwandfrei feststeht, wie du glaubst. Ich weiß nur, daß ich für die Ehrenhaftigkeit Menkes meine beiden Hände ins Feuer legen kann.«

»Mein liebes Kind, wir können aber an den unbestreitbaren Tatsachen nicht vorbeigehen. Tatsache ist, daß er von seinem Ausflug aus auf seinem ganz persönlichen Briefpapier dir Nachrichten hat zukommen lassen. Tatsache ist, daß er in den Gegenden, woher er an dich diese Nachrichten gelangen ließ, sich offenbar höchstens einen Tag lang aufgehalten hat, und das in Begleitung recht fragwürdiger Individuen. Tatsache ist ...«

»Mein lieber Max, du machst mich nervös mit deinen vermeintlichen Tatsachen, denen ich nichts anderes als meine unerschütterliche Überzeugung entgegenzusetzen habe. Bedenke doch, alles, was mit dieser mysteriösen Reise in Zusammenhang steht, hat für mich nicht die geringste Beweiskraft. Wenn du mir sonst nichts nennen kannst ...«

»Das ist es ja gerade, es gibt auch sonst Unklarheiten. Erinnerst du dich unserer Tischunterhaltung, es muß vor Weihnachten gewesen sein, wo ich Menke berichtete, daß er von Inspektor Michels in Birkenbüttel gesehen worden sei?«

»Gewiß doch, einigermaßen, was ist damit?«

»Er bestritt auf das nachdrücklichste, dort gewesen zu sein. Aber es berührte mich doch sehr merkwürdig, daß Inspektor Michels, ein unbedingt zuverlässiger Mann, falls du ihn nicht kennen solltest, mir damals vertraulich, als ich ihn zur Rede stellte, bündig erklärte, für ihn bestünde überhaupt kein Zweifel daran, daß Menke löge. Das war ja, wenn es sich nur um die Verheimlichung einer harmlosen Ausschweifung handelte, nicht weiter von Belang. Ich muß aber sagen, jetzt im Zusammenhang mit den letzten Ereignissen, bekommt das doch eine ganz neue Beleuchtung.«

»Eher halte ich es für möglich, daß Inspektor Michels lügt.«

»Aber Sibylle, das ist doch einfach Halsstarrigkeit! Was für ein Interesse sollte er wohl daran haben, der Wahrheit zuwider zu behaupten, er habe Menke in Birkenbüttel getroffen? Selbst wenn er etwas gegen ihn hätte, mit solcher Behauptung tritt er ihm doch in keiner Weise zu nahe.«

»Und welches Interesse sollte Menke haben, seine dortige Anwesenheit in Abrede zu nehmen?«

»Ja, eben, welches? Wenn wir das herauskriegen könnten, wäre das Geheimnis entschleiert! Denn daß er aus seinem Besuch dort nicht deshalb einen Hehl macht, weil man ihm Vergnügungssucht vorwerfen könnte, liegt ja auf der Hand.«

»Dabei fällt mir übrigens das Erlebnis Menkes in der Feuerbachstraße vor einiger Zeit ein – ich meine, ich habe dir damals davon erzählt –, wie ein Unbekannter ihn angeredet hat und dann fortgelaufen ist.«

»Richtig, ich entsinne mich, das war ja auch eine höchst unklare Geschichte. Warum läuft man vor Kilian Menke weg? so frage ich.«

»So fragte damals aber Kilian Menke auch, und weil er sich daraus keinen Vers machen konnte, so suchte er sich bei mir Rat zu holen. Also diese Affäre läßt sich doch wohl schwerlich als Verdachtsmoment gegen ihn ins Feld führen.«

»Das bedürfte der Untersuchung. Mir ist es vorläufig nur darum zu tun, daß keineswegs allein mit dieser Reise Unklarheiten und Verworrenheiten verbunden sind, daß es vielmehr Anhaltspunkte gibt, wonach auch sonst der Aufklärung bedürftige Umstände vorliegen.«

»Gut also, das nimmst du an. Und was folgt für dich daraus?«

»Daß man im Vorleben unseres Kilian Menke Nachforschungen anstellen muß; denn es ist ja gewöhnlich so, daß wenn jemandem etwas Unerwartetes und auf den ersten Blick Rätselhaftes begegnet, irgendein den anderen unbekannter dunkler Punkt vorhanden ist, der den Schlüssel des Geheimnisses birgt.«

»Ach, ihr Juristen seid entsetzliche Leute, mit eurer Logik schlagt ihr alles Menschliche einfach tot. Mir ist ganz elend zumute.«

»Nicht doch, Sibylle, es ist ja keineswegs so, daß der sogenannte dunkle Punkt unbedingt ergeben muß, daß Kilian Menke schuldig ist; es kann ja ebenso gut so sein, daß dieser Punkt nur die Veranlassung ist, daß man ihn gegen seinen Willen verschwinden ließ. Denn daß auch in diesem Falle irgendeine unbekannte Voraussetzung geheimnisvoller Art gegeben sein muß, der es nachzuforschen gilt, liegt ja auf der Hand.«

»Ich verstehe nicht, wieso muß das auf der Hand liegen?«

»Weil schlechthin unbegreiflich ist, warum man Kilian Menke gegen seinen Willen sollte verborgen halten. Derartiges kommt vor, um Erpressungen zu begehen. Es hat sich aber kein Mensch gemeldet, der für Menke Lösegeld gefordert hat.«

»Und an einen Unglücksfall denkst du überhaupt nicht?«

»Einen Unglücksfall? Nein du, ich glaube, das können wir beruhigt als unmöglich ausschließen. Einmal leben wir nicht in einer Prärie, sondern in einem geordneten Kulturstaat mit entwickeltem Nachrichtenwesen und einwandfreien öffentlichen Einrichtungen. Da kann man nicht aus Versehen spurlos verschwinden. Im übrigen aber ist hier ja von Spurlosigkeit überhaupt nicht die Rede; diese vier Postsachen bedeuten ja eine einwandfreie Spur, und zwar, wie ich zur Verdeutlichung hinzufügen möchte, eine falsche, nämlich eine solche, die künstlich geschaffen ist, um in die Irre zu führen. Das alles schließt einen Unglücksfall glattweg aus.«

»Da muß ich dir allerdings recht geben, jedenfalls dann, wenn es bewiesen ist, daß diese Briefe nicht von Menke stammen und er sich gar nicht im Rheinland längere Zeit aufgehalten hat. Der Unglücksfall könnte sich natürlich nur nach seinem letzten Brief ereignet haben, aber wenn der nicht mehr echt und einwandfrei war ...«

»Sei überzeugt, Sibylle, das ist er nicht. Bedenke doch nur, man schreibt doch nicht in Remagen oder in Königswinter auf seinen eigenen Privatbriefbögen Briefe, wenn man in diesen Orten nicht eine einzige Nacht zugebracht hat. Und dann dieser unwahrscheinliche Inhalt dieser Briefe! Nein, Sibylle, es unterliegt keinem Zweifel mehr: das sind absichtlich angelegte falsche Fährten.«

»Allerdings, das halte ich auch für wahrscheinlich. Aber was soll denn jetzt unternommen werden?«

»Wir müssen die Ermittlungen so führen, daß beide Möglichkeiten – Menke als Täter und Menke als Opfer –berücksichtigt werden. Der Vorschlag Jarmers, einen öffentlichen Aufruf zu erlassen, ist daher von Sack, dem die Führung der Untersuchung jetzt in erster Linie übertragen ist, abgelehnt. Dagegen soll im Vorleben Menkes herumgesucht werden. Ich habe mich erboten, da mitzuhelfen, ganz privatim natürlich, um möglichst unauffällig Erkundigungen einziehen zu können. Ich bin bereit, dies zu tun, unter der Voraussetzung, daß du damit einverstanden bist.«

»Aber selbstverständlich bin ich einverstanden, ich bin dir sogar dankbar dafür. Ich kann dir gar nicht sagen, wie nahe mir diese ganze Geschichte geht, natürlich auch geschäftlich – denn für die Firma ist der Ausfall Menkes ein schwerer Schlag –, aber fast mehr noch menschlich.«

»Mit dem menschlichen Empfinden empfehle ich doch zu warten, bis wir klarer sehen, es wäre ja immerhin möglich ...«

»Siehst du, schon daß du glaubst, daß bei euren Ermittlungen etwas für Menke Schimpfliches herauskommen könnte, macht mich ganz verzagt; er hat eine solche ungünstige Meinung bestimmt nicht verdient. Aber wenn es nun so ist, wie mir als einzig möglich erscheint, daß man ihm irgendwie böse mitgespielt hat, dann komme ich gänzlich von den Füßen. Ach, lieber Max, was für eine entsetzlich unheimliche Angelegenheit ist das!«

»Da hast du recht, und wir wollen hoffen, daß es bald gelingen möge, hinter das Geheimnis zu kommen, ehe du darüber noch kaputt gehst, liebe Sibylle. Also, ich habe, dein Einverständnis, ich mache mich an die Arbeit.«

»Vielen Dank für deine aufopferungsvolle Teilnahme, und Gott gebe dir baldigen Erfolg!«


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