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Armenisch
Eine Witwe hatte zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen. Die Witwe war arm, sie hatte weder Felder in der Sonne noch goldgefüllte Börsen in der Truhe; sie war das armseligste Wesen im Lande, und sie konnte ihre lieben Kleinen nur dadurch ernähren, daß sie zu den Reichen auf Arbeit ging und oft genug auf Wegen und an den Türen der Häuser die Hand aufhalten mußte.
Die arme Witwe war traurig, und ihr Sohn war es nicht weniger, denn er dachte immer nur an das Glück. Er wäre gerne reich geworden, um seiner guten Mutter zu helfen und seine geliebte kleine Schwester glücklich zu machen.
Eines Abends, als der Jüngling weinend schlafen gegangen war, so schwarz war das Elend in der armseligen Hütte, hatte er einen Traum.
Ein Mann in seltsamer Kleidung erschien vor seinem Lager.
»Warum bist du traurig?« sagte er.
»Ach, meine Mutter und meine Schwester sind im Elend, und ich bin arm! Es macht mir großen Kummer, meine arme kleine Mutter vor Müdigkeit erschöpft zu sehen und dennoch selbst nicht einmal meine vielgeliebte Schwester ernähren zu können.«
»Junger Mann, laß die Trauer, steh auf und geh ins Land; unter einem alten Nußbaum ist dein Glück verborgen.«
Nachdem er so gesprochen, verschwand der Unbekannte.
Der Knabe erwachte.
»Was bin ich unglücklich,« rief er, »dies ist nichts als ein Traum, als ein trügerischer Traum!«
Und von neuem ergab er sich seiner Trauer, und er fluchte seinem Unstern, dem es Spaß machte, ihn selbst noch im Schlaf zu quälen.
Als er wieder eingeschlafen war, sah er von neuem im Traume den Unbekannten.
»Warum grämst du dich noch? Geh hinaus ins Land, und du wirst das Glück finden.«
»Fremder, wer bist du?«
»Was besagt mein Name. – Steh auf!«
Der Knabe erwachte von neuem und begann von neuem zu weinen.
»Ach,« sagte er, »wie wahr ist doch das türkische Sprichwort: Ein hungriges Huhn sieht sich im Traum auf dem Gerstenspeicher! –Ich bin elend und arm, und natürlich träume ich von nichts anderem als von plötzlichem Glück!«
Und er schlief wieder ein.
Der Fremde zeigte sich zum dritten Male. Aber sein Gesicht war streng, und er rief mit befehlender Stimme:
»Unvernünftiger, siehst du nicht, daß ich dein guter Geist bin, er, der dich beschützte vom Tage, da du die Augen dem Sonnenlichte öffnetest! Steh auf, ich gebiete es dir! Draußen im Feld ist der alte Nußbaum, und unter den Zweigen dieses Baumes erwartet dich das Glück. Leb wohl, Knabe, denn du wirst mich nicht mehr wiedersehen!«
Der Sohn der Witwe erhob sich.
»Was mir auch widerfahren mag,« rief er aus, »ich werde gehen, wohin mein guter Geist mich schickt.«
Nachdem er sich mit seinen armseligen, alten Lumpen bekleidet hatte, weckte der Knabe die Mutter.
»Meine arme, liebe kleine Mutter,« sagte er, »laß mich deine Hand küssen und empfiehl mich der unendlichen Barmherzigkeit Gottes, denn ich werde von dir gehen.«
»Von mir gehen? Was sagst du da, mein lieber Kleiner?«
»Während ich schlief, ist mein guter Geist zu mir gekommen und hat mir dreimal befohlen aufzustehen und ins Feld zu gehen, um das Glück zu suchen, das mich unter einem Nußbaum erwartet.«
»Ach, mein Kind, glaube nicht diesem trügerischen Traum, bleib bei deiner armen Mutter! Wohl sind wir unglücklich, aber unsere Liebe stützt uns im Elend.«
»Nein, meine liebe kleine Mutter, ich will fort. Ich will das Glück suchen, und dann wirst du reich und glücklich werden und ein zufriedenes Alter haben.«
Dann weckte der Knabe seine Schwester. »Meine arme, liebe kleine Schwester,« sagte er, »laß mich dich auf Mund und Augen küssen. Ich gehe das Glück suchen, das mein guter Geist mir dreimal im Schlaf gezeigt hat. Vielleicht bin ich morgen noch nicht zurück, vielleicht sehe ich dich überhaupt nie mehr wieder. Lebe wohl, geliebte kleine Schwester l«
Der Bruder küßte die Schwester innig auf Mund und Augen; dann schritt er hinaus aus der armseligen Hütte.
Die Nacht war noch ganz schwarz; kaum daß hie und da neben dicken Wolken ein paar Sterne blitzten. Der Wind heulte; aber der Jüngling, das Herz voll Hoffnung, durchschritt das Dorf, nahm bald diesen Fußsteig, bald jenen und wanderte hin durchs Feld zu dem Nußbaume, den sein guter Geist ihm bezeichnet hatte.
Nachdem er lange Zeit gegangen war, kam er zu Füßen des Baumes an. Der Mond stand am Himmel und beleuchtete das Tal; unter dem alten Nußbaume war nichts und niemand zu sehen.
Der Knabe setzte sich und weinte.
»Warum,« rief er, »warum habe ich nicht auf meine gute kleine Mutter gehört? warum nicht ihre weisen Ratschläge befolgt? Dann wäre ich jetzt bei ihr, um sie in ihrem Elend zu trösten, während ich nun einsam und verlassen in der großen Wüste bin. Wie bin ich unglücklich!«
Ermattet von der Enttäuschung und dem Kummer schlief der Knabe ein.
Er hatte einen neuen Traum.
Ein vollständig bewaffneter Ritter auf einem feurigen, grauen Pferd erschien plötzlich an seiner Seite. Eine Wolke von Rauch entfuhr den Nüstern des Pferdes, und von seinem Leibe troff der Schweiß, als hätte es einen langen Lauf getan.
»Knabe,« rief der Ritter, »steig zu mir in den Sattel auf das graue Pferd!«
Der Knabe zögerte.
»Steig auf, sag' ich dir, oder dieser Dolch wird dir das Herz durchbohren!«
Erschrocken gehorchte der Jüngling und schwang sich auf das graue Pferd.
Der Tag begann zu dämmern.
»Vorwärts,« sagte der Unbekannte, »vorwärts, mein gutes Pferd! Wir müssen noch galoppieren, wenn wir vor Sonnenuntergang ankommen wollen.«
Und das graue Pferd schwang sich wie ein Pfeil über Busch und Hecken, über Wiesen und Täler, über Hügel und Berge. Ach, wie es vorwärts eilte, und wie unter seinen Hufschlägen der Staub flog und Feuerblitze aufflammten!
Plötzlich hielt das graue Pferd an. Man war auf einer grasbewachsenen und blumendurchblühten Hochebene; ein murmelnder Bach bewässerte diesen wundersamen, wonnigen Ort, und Scharen von Vögeln in Purpur- und Goldgefieder sangen um die Wette in den vollen Büschen.
»Steig ab!« befahl der Ritter.
Der Knabe ließ sich auf den Rasen gleiten, und der Fremde fuhr fort:
»Also höre! Dein Glück befindet sich hier.« Und er gab ihm Bogen und Pfeile und einen Feuerbrand. »Siehst du den großen Vogel auf dem Strauch dort? Der wird heute deine Nahrung sein. Schick ihm deine Pfeile!«
Der Knabe spannte den Bogen, zielte auf den Vogel und schoß ab. Ach, er hatte nicht gut gezielt, und als er sich umwandte, war der Ritter verschwunden.
Verzweifelter als je wanderte der Sohn der armen Witwe den ganzen Tag, durchlief die Hochebene nach allen Richtungen, sah tausend und tausend Vögel und konnte doch nicht einen töten. Endlich gegen Sonnenuntergang sah er einen kleinen gelben Vogel, schoß seine Pfeile auf ihn ab und tötete ihn.
Der Knabe kehrte auf den Platz zurück, wo er sein Feuer angemacht hatte, und nachdem er seine Beute gerupft, briet er sie, aß sie und gedachte nun zu schlafen. Er mußte sich unter freiem Sternenhimmel niederlegen und hatte nur ein Taschentuch, um sich das Gesicht gegen den Nachtfrost zu schützen.
Am Morgen des zweiten Tages nahm der Knabe wieder seine Pfeile und begab sich auf die Jagd. Bei Sonnenuntergang kam er mit zwei Vögeln zurück, die er getötet hatte.
Er saß vor dem Feuer, auf dem die beiden Tiere brieten, als man ihn anrief:
»Gegrüßt seist du, o Fremdling!«
Er wandte sich um und sah einen halbverhungerten, abgemagerten, fast sterbenden Fuchs, der sich kaum auf seinen schwankenden Beinen halten konnte.
»Sei willkommen, mein Bruder!« erwiderte der Knabe.
Der Fuchs näherte sich und ließ sich beim Feuer nieder.
»Sieh,« sagte er, »ich sterbe vor Hunger; seit acht Tagen habe ich nichts zu essen gefunden.«
»Du sollst mein Gast sein, mein lieber Bruder!«
Und als die Vögel gebraten waren, gab der junge Mann einen dem Fuchs und behielt den andern für sich.
Der arme Fuchs fraß das ihm von dem Fremden so großmütig gebotene Wildbret und erwachte wieder zum Leben.
»Sei recht bedankt, guter junger Mann!« sagte er, »wenn du es gerne willst, so will ich dein Gast und Hüter sein; ich werde während deines Schlafes für dich wachen.«
Der Knabe legte sich hin und schlief ein, und der Fuchs bewachte seinen Schlaf.
Als der Morgen gekommen war, begab sich der Sohn der armen Witwe auf die Jagd. Bei Sonnenuntergang kam er mit drei Vögeln zurück, die er geschossen hatte.
Der Fuchs saß vor dem Feuer, als ein halbverhungerter Wolf daherkam.
»Warum vorüberlaufen?« sagte der Fuchs. »Komm her zu mir; ich habe einen sehr guten und mitleidigen Herrn, der mich mit seinem Wildbret nährt und auch für dich sorgen wird.«
Da näherte sich der Wolf dem Knaben und sagte:
»Gegrüßt seist du, o Fremdling!«
»Sei willkommen, mein Bruder!« erwiderte der junge Mann.
»Sieh, ich sterbe vor Hunger; seit acht Tagen habe ich nichts zu essen gefunden.«
»So sei mein Gast, lieber Bruder!«
Und als die Vögel gebraten waren, verteilte sie der junge Mann; er gab einen dem Fuchs, einen andern dem Wolf, und den dritten behielt er für sich selbst.
Am vierten Tage tötete der Knabe vier Vögel und verteilte sie unter den Fuchs, den Wolf und den hungernden Bären, den sein Feuer angelockt hatte; das vierte Stück der Jagdbeute behielt er für sich selbst.
Am fünften Tage tötete der Knabe fünf Vögel und verteilte sie an den Fuchs, den Wolf, den Bären und den hungernden Affen, den sein Feuer angelockt hatte; das fünfte Stück der Jagdbeute behielt er für sich selbst.
Am sechsten Tage tötete der Knabe sechs Vögel, und er verteilte sie unter den Fuchs, den Wolf, den Bären, den Affen und den hungernden Schakal, den sein Feuer angelockt hatte; das sechste Stück der Jagdbeute behielt er für sich selbst.
Am siebenten Tage tötete der Knabe sieben Vögel, und er verteilte sie unter den Fuchs, den Wolf, den Bären, den Affen, den Schakal und den grauen Falken, der halbverhungert an sein Feuer gekommen war; das siebente Stück Wildbret behielt er für sich selbst.
Der Sohn der Witwe ging jeden Tag zur Jagd, und er schoß sieben Vögel, die ihm und seinen Gästen zur Nahrung dienten. Da sagten diese:
»Segen komme über unsern so gütigen, so barmherzigen und so großmütigen Herrn! Gott gebe ihm Glück und langes Leben!«
Eines Tages, als der junge Mann auf der Jagd war, versammelte der Fuchs die andern Vierfüßler und den grauen Falken um sich.
»Meine lieben Gefährten,« sagte er, »wir haben einen großmütigen Herrn, der uns mit unvergleichlicher Güte behandelt; ohne ihn wären wir Hungers gestorben und unser Leib hätte den Geiern als Speise gedient. Nur eines beschäftigt ihn: für uns zu sorgen; er arbeitet unermüdlich in dieser verlassenen Gegend, um die Vögel zu erbeuten, die uns Nahrung geben sollen. Was aber tun wir für ihn? Nichts. Er hat Mangel an allem; er schläft unter freiem Himmel, ohne Zelt und ohne Wolldecke, die ihn vor dem Nachtfrost schützen könnten; er hat zum Kochen weder Geschirr noch Butter, noch zerstoßenes Getreide, um Pilaw zu bereiten. Überall gönnt sich selbst der Ärmste einen Kaffee, ihm aber ist er versagt.«
»Das ist wahr!« stimmten die Vierfüßler bei.
»Das ist wahr!« sagte der graue Falke.
»Nun also!« fuhr der Fuchs fort, »helfen wir unserem lieben kleinen Wirt; versehen wir ihn mit allem, was er braucht, um ein angenehmes Dasein zu führen. Gerade jetzt ist die Zeit, da die Nomaden ihre Wanderungen antreten; rauben wir ihnen ihre Zelte, ihre Kochgeräte, die Butter und das zerstoßene Getreide!«
»Das ist nur gerecht!« stimmten die Vierfüßler bei.
»Das ist nur gerecht!« sagte der graue Falke.
»Zunächst aber,« sprach der Fuchs weiter, »müssen wir uns einen Herrn erwählen, der uns leitet. Wir müssen einen König ernennen.«
»Du sollst unser König sein!« riefen wie aus einem Munde die Vierfühler und der graue Falke. »Bist du nicht schon darum unser Herr, weil du der erste von uns hier warst, hier am Feuer des jungen Mannes?«
Der Fuchs wurde also zum König der Tiere ernannt.
In der Nähe gewahrte er einen spitzen Baumpfahl.
»Dies soll mein Thron sein,« sagte er. »Du, Bär mit den scharfen Krallen, nimm diesen Pfahl und befestige ihn mit Hilfe des Wolfs in der Erde!«
Der Bär schleppte das spitze Holz herbei und scharrte die Erde auf; dann errichtete er mit Hilfe des Wolfs den Thron, auf dem der Fuchs sich niederließ.
»Auf diese Weise,« dachte der König, »bin ich aus dem Bereich der Klauen meiner Untertanen!«
Dann wendete er sich an den Wolf, den Bären, den Affen, den Schakal und den grauen Falken und sagte:
»Setzt euch im Kreis um den Thron und laßt uns Rat halten.«
Die Tiere gehorchten.
»Meine lieben Untertanen,« fuhr der Fuchs fort, »wie ich euch schon gesagt habe, ist jetzt die Wanderzeit der Nomaden. Ziehen wir unsern Vorteil daraus. Du, grauer Falke, erhebst dich in den Himmel und erspähst die Ankunft der Turkomanen; wenn du sie erblickst, so benachrichtigst du uns. Ich, der Fuchs, gehe als erster los, um die Aufmerksamkeit der Frauen, die die Kamele führen, auf mich zu lenken; sie werden sehr erfreut sein, mich zu sehen, und werden sich an meine Verfolgung machen; ich werde langsam gehen, um sie von weitem anzulocken. Du, Wolf, folgst mir in einiger Entfernung; wenn die Turkomanen sich an meine Verfolgung machen, so wirst du wilde Schreie ausstoßen; sie werden erschreckt sein und nach allen Seiten auseinanderlaufen. Du, Schakal, kletterst auf die Kamele, die die Zelte tragen, die Butter und das zerstoßene Korn, und du führst diese Tiere aus der Reihe, indem du ihre Zügel durchbeißest. Du, Bär, und du, Affe mit dem Menschengesicht, ihr führt die Kamele bis hierher, wo wir jetzt unsere Versammlung abhalten.«
»Gut gesagt!« riefen die Vierfüßler.
»Gut gesagt!« fügte der graue Falke hinzu.
Als diese Befehle gegeben waren, sagte der Fuchs:
»Grauer Falke, die Stunde ist da, daß du dich in den Himmel erhebst.«
»Haou! haou! haou!« machte der graue Falke.
Und wie ein von sicherer Hand gesendeter Pfeil stieg er auf und auf und auf und war bald nur ein schwarzer Punkt im All.
Eine Stunde später ließ er sich wieder herab.
»Fuchs, König, ich habe gesehen!« sagte er.
»Vogel, was hast du gesehen?«
»Ich habe die Karawane der Turkomanen gesehen, die durch die Wüste zieht; an der Spitze gehen die Frauen, und sie singen Liebeslieder.«
»So führe uns, grauer Falke!« Der König Fuchs und der Wolf und der Bär und der Affe und der Schakal zogen einer hinter dem andern hinter dem Falken her, bis man nahe an die Karawane herangekommen war.
Der König Fuchs näherte sich den Kamelen. Die Frauen gingen spinnend daher und sangen sanfte Liebeslieder.
Als sie den Fuchs gewahrten, riefen die jungen Mädchen:
»Ein Fuchs, ein Fuchs! Ihm nach, ihm nach!«
Auf diese Schreie erwiderten die alten Frauen:
»Ein Fuchs, ein Fuchs! Ihm nach, ihm nach!«
Und ihre Spindeln zurücklassend, eilten sie den Kamelen voraus und verfolgten den König Fuchs.
Da kam der Wolf und heulte los.
»Der Wolf, der Wolf!« riefen die Frauen.
Und entsetzt entflohen sie, die einen nach rechts, die andern nach links, um sich zu retten.
Der Schakal lauerte. Im Augenblick hatte er die Zügel der Kamele durchbissen, der Bär und der Affe liefen herbei, ergriffen die lang herabhängenden Zügel und zogen die Tiere mit sich zur Hochebene, wo der Sohn der armen Witwe sein Feuer entzündet hatte.
Die Männer der Karawane, die hinter den Frauen zurückgeblieben waren, kamen zu spät; es blieben ihnen nur die paar Kamele, die die Frauen am Zügel zurückgehalten hatten.
»Verfluchter Wolf!« schimpften die Alten. »Verfluchter Wolf, dem wir es verdanken, daß der Fuchs uns entkommen ist; verflucht seien auch der Bär und der Affe, die uns die Kamele entführten!«
Aber ihr Jammern war nutzlos.
Als die Tiere mit ihrer Beute auf dem Felde angekommen waren, sagte der König Fuchs:
»Grauer Falke, steige zum Himmel auf und sei unser Späher! Die Turkomanen verfolgen uns vielleicht.«
Der graue Falke erhob sich zum Himmel.
»Jetzt laßt uns die Kamele abladen!« sagte der Fuchs.
Der Affe hing sich an die Tragriemen der Kamele und zog mit allen Kräften; der Bär machte den Schrei der Kameltreiber nach: »Ih! ih! ih!«
Die Kamele knieten nieder, und der Schakal nahm ihnen die Last ab und löste die Bänder.
Dann errichtete man ein prächtiges Zelt und in dem Zelt ein Bett für den jungen Mann.
Es nahm der Fuchs das Wort:
»Die Turkomanen werden sich an unsere Verfolgung machen, sie werden unsere Spuren finden und uns unsere Beute wieder abjagen. Darum sollen der Bär und der Affe die Kamele beim Halfter nehmen und sie den Nomaden wieder zuführen. Die Turkomanen werden froh sein, ihre Lasttiere wiederzuhaben, und werden auf die Lasten, die wir ihnen abgenommen, verzichten und uns in Frieden lassen.«
»Du bist weise!« riefen die Tiere; »in deinem spitzen Kopf herrscht die Klugheit eines erfahrenen Mannes.«
Und der Affe und der Bär nahmen die Kamele beim Halfter und führten sie durch ein kleines Wäldchen den Turkomanen wieder zu, die sehr glücklich waren, sie wiederzufinden.
Gegen Abend ging der König Fuchs dem jungen Mann entgegen.
»Gegrüßt seist du!« sagte er.
Und er überhäufte ihn mit Zärtlichkeiten und schwenkte glückselig seinen langen, schleppenden Schwanz, den Besen der Felder.
Als der Sohn der armen Witwe auf der Ebene angekommen war, rieb er sich die Augen: ein kostbares Zelt war neben einem strahlenden Feuer errichtet, und im Kreise umher saßen die Tiere.
»Was ist das?« dachte er bei sich. »Sind es turkomanische Nomaden, die sich hier niederlassen wollen?«
Trotzdem trat er näher, und da er niemanden im Zelte sah, trat er ein. Der König Fuchs folgte ihm, streichelte ihn wieder mit seinem Schwanz, dem Besen der Felder, und sagte:
»Lieber Herr, dieses Zelt gehört dir!«
»Mir?«
»Ja, und auch dieses Bett, auf dem du deine müden Glieder strecken kannst.«
Der junge Jäger begriff nicht, woher dies Zelt und dieses Bett ihm kämen. »Was tut's!« sagte er sich; »es gehört mir, denn der Fuchs, mein Gast, hat es mir versichert.«
Und er verteilte seine Jagdbeute unter seine Gäste und behielt für sich selbst nur einen Vogel.
Ihre Mahlzeiten waren jetzt immer köstlich, da der junge Mann Butter und gemahlenes Getreide besaß und Kochgeschirr, um den Pilaw darin zu bereiten. Jeden Tag ging er auf die Jagd, und jeden Abend brachte er sieben Beutestücke heim: fünf für die vierfüßigen Tiere, eines für den grauen Falken und eines für sich selbst. Wenn der Abend sank, kam ihm der Fuchs entgegen und liebkoste ihn wie einen Freund mit seinem langen, schleppenden Schwanz, dem Besen der Felder.
Eines Tages hielt der König Fuchs wieder eine Versammlung. Er setzte sich auf den Thron, den spitzen Pfahl, und sagte zu seinen Untertanen:
»Gedenken wir der Wohltaten, mit denen unser lieber kleiner Herr uns überhäuft hat!«
»Ja, gedenken wir ihrer!« sagten die Vierfüßler und der graue Falke.
»Wir haben,« fuhr der König Fuchs fort, »ein Zelt für unsern Herrn gefunden, und auch ein Bett, Kochtöpfe und gestoßenes Korn, was alles wir den Turkomanen raubten. Unser lieber kleiner Herr hat alles, was er braucht, um angenehm zu leben; dennoch fehlt etwas an seinem Glück.«
»Was ist das?« fragten die Tiere und der graue Falke.
»Hört zu, meine treuen Untertanen! Unser Herr arbeitet, um uns zu ernähren; und uns ernähren, das heißt uns Freude machen.«
»Das ist wahr!« rief der Bär und klopfte sich auf den Bauch.
»Darum wäre es richtig, daß auch wir für unsern Gastgeber arbeiten. Wir müssen ihm eine Gefährtin, eine Gattin suchen. Dieses Weib muß göttlich schön sein.«
»Ja, suchen wir ihm ein gutes, schönes Weib!«
»Möge jeder von uns die Frau vorschlagen, die ihm als die schönste auf Erden erscheint, das junge Mädchen, das unsere Königin und die Gefährtin unseres lieben kleinen Herrn sein könnte.«
Die Tiere sagten:
»König Fuchs, du hast recht. Sprich du als erster!«
Der Fuchs rieb sich die Stirn.
»Ich kenne,« sagte er, »eine junge Frau, die schöner ist als der Mond und schöner als die Sterne, die am blauen Himmel stehen. Diese Frau ist wie geschaffen zum Regieren. Unglücklicherweise ist sie einäugig, denn sie hat nur ein Auge, das groß ist wie eine Orange. Wenn ihr damit einverstanden seid, daß sie die Gefährtin unseres Herrn werde, so ginge ich in das Königreich ihres Vaters und würde sie rauben und hierher in unser Lager bringen.«
»Nein, nein!« riefen alle die Vierfüßler und der graue Falke einstimmig; »wir wollen keine einäugige Königin!«
Der König Fuchs, der listige Schleppenträger, log; er kannte keine einäugige junge Frau, aber er fürchtete, daß er beauftragt werden konnte, die wundersame, reizende Prinzessin herbeizubringen, die er hätte bezeichnen können.
Der graue Falke ergriff das Wort:
»König Fuchs und ihr, meine Gefährten, hört zu! Auf meinen Reisen habe ich eine herrlich schöne junge Frau gesehen, schöner als jedes andere Menschenweib. Es ist die einzige Tochter des Königs von Marokko.«
Die Versammlung sagte:
»Die Tochter des Königs von Marokko soll die Gattin unseres Herrn werden. Falke mit den grauen Federn, du, dessen Klauen machtvoll sind, geh, raube die Prinzessin und bring sie in unser Lager!«
Der graue Falke bereute, gesprochen zu haben, aber es war zu spät.
Er machte sich also auf den Weg, überflog Täler und Ebenen, Hügel und Berge, Flüsse und Meere und kam schließlich in das Königreich Marokko.
In dem Garten des Königs erging sich die schöne Prinzessin mit ihren Ehrendamen, hübschen Sklavinnen, die Befehl hatten, allen ihren Wünschen zu gehorchen. Sie war einfach weiß gekleidet, aber wie bezaubernd war sie!
Während sie durch die Wiesen lief, gewahrte sie auf einem Rosenstock drei Rosenknospen, die kurz vor dem Aufbrechen waren, und alle drei auf einem Zweig. Sie ging weiter und sagte dann zu ihren Sklavinnen:
»Derjenigen unter euch, die auf ein und demselben Zweig drei Rosenknospen findet, die kurz vor dem Aufbrechen sind, und sie mir bringt, schenke ich die Freiheit und noch andere kostbare Dinge.«
Die Sklavinnen liefen eilends nach dem Rosenstrauch, um den Zweig mit den drei Knospen zu suchen. Die Tochter des Königs von Marokko blieb allein mitten im Garten zurück.
Der Falke mit den grauen Federn stieß vom Himmel herab. Die erschreckte Prinzessin schrie auf. Schon aber hatte sie der Vogel am Gürtel ergriffen und seinen Flug ins Weite begonnen.
Er flog und flog, über Meere und Flüsse, Täler und Höhen, und kam schließlich auf der Hochebene beim Zelte seines jungen Herrn an.
»Reizende Prinzessin,« sagten die Tiere, »habt keine Angst; dieses Zelt ist die Wohnung unseres Herrn, eines jungen Mannes von schönem Angesicht und unvergleichlich großmütigem Herzen.«
Diesen Abend ging der König Fuchs seinem Herrn entgegen und liebkoste ihn lange mit seinem langen, schleppenden Schwanz, dem Besen der Felder.
Als der junge Jäger sein Zelt betrat, war er sehr erstaunt und auch sehr entzückt, ein junges, wundersam schönes Mädchen zu sehen, die alle Dinge hübsch in Ordnung gebracht und ein köstliches Mahl bereitet hatte.
»Göttliches Mädchen,« sagte er, »wer du auch seist, sei willkommen in meinem Zelte! Willst du mein Weib werden?«
»Ich will es, denn du bist schön und hast ein großmütiges Herz!« erwiderte schlicht die Tochter des Königs von Marokko.
Der Jäger hatte acht Stück Wildbret heimgebracht, die man zum Hochzeitsmahl verzehrte. Und diesen Abend noch wurde die Prinzessin das Weib des jungen Mannes.
Doch lassen wir ein Weilchen die beiden jungen Eheleute und ihre Diener, die Tiere, und kehren wir zum Schloß des Königs von Marokko zurück.
Als die Sklavinnen gesehen hatten, wie der graue Falke auf die Prinzessin niederfuhr und sie dann himmelhoch emporhob, stießen sie herzzerreißende Schreie aus. Auf ihre Klagen lief der König herbei und erkundigte sich, was geschehen sei.
Der arme Vater liebte seine Tochter zärtlich; er weinte lange und war überzeugt, daß er sein angebetetes Kind nie wiedersehen werde. Dann versammelte er seinen Rat und beriet mit ihm.
Es wurde beschlossen, durch das ganze Königreich Marokko und alle benachbarten Länder öffentliche Ausrufer zu schicken, die die Hälfte des Königreichs Marokko demjenigen zusicherten, der die auf so merkwürdige Weise vom grauen Falken entführte Prinzessin lebendig zurückbrächte.
Die Ausrufer wanderten also nach allen Seiten fort, aber Tage vergingen und niemand zeigte sich, der das junge Mädchen zurückgebracht hätte.
Wie groß war der Kummer des armen Königs!
Endlich erschien im Palast ein elendes, armes Mütterchen, schmutzig und zerlumpt, und verlangte den König zu sprechen. Zuerst wies man sie ab, da sie aber hartnäckig auf ihrem Wunsch bestand, so führte man sie in den Thronsaal.
»König,« sagte sie, »du hast die Hälfte deines Reiches demjenigen versprochen, der dir deine geliebte Tochter zurückbrächte.«
»Ja,« erwiderte er.
»Also, ich übernehme es, die Prinzessin wiederzufinden und hierherzuführen. Als Entgelt – denn aus einem Königreich mache ich mir nichts – gibst du mir, was ich brauche, um mein ärmliches Dasein sorglos zu beschließen.«
Nachdem sie so gesprochen, verlangte sie einen großen Tontopf und einige kostbare Edelsteine, die sie auf den Boden des Topfes legte. Dann setzte sie sich wie ein Reiter auf den großen Topf, ringelte als Peitsche eine Schlange um ihre Hand, erhob sich in die Luft und flog dahin wie ein mächtig beschwingter Adler.
Bei Tagesende kam die alte Höllenzauberin auf der Hochebene an, auf der das Zelt des jungen Paares stand. Sie stieg von ihrem seltsamen Pferd herab und verbarg den Tontopf in einem dichten Myrtengebüsch.
Der junge Mann verbrachte seine Zeit sehr angenehm in der süßen und reizenden Gesellschaft der Prinzessin von Marokko.
Des Morgens ging er zur Jagd, und er tötete immer acht Vögel, einen für den Fuchs, einen für den Wolf, einen für den Bären, einen für den Schakal, einen für den Affen, einen für den grauen Falken und die beiden letzten für die Prinzessin und sich selbst.
Die junge Frau räumte das Zelt auf und kochte; und wenn alles in Ordnung war, so machte sie lange Spaziergänge auf der Ebene oder am Rande des blumenumblühten Flusses, wo reizende kleine Vögel sangen.
Eines Morgens war die Tochter des Königs von Marokko nach ihrer Gewohnheit zum Fluß hinuntergegangen, als sich plötzlich dicht neben ihr eine Stimme vernehmen ließ. Zuerst wollte sie entfliehen, dann aber faßte sie ein wenig Mut, trat vor und sagte:
»Du, der du zu mir sprichst, bist du ein guter Engel oder ein schwarzer Höllenteufel?«
»Ich bin kein Teufel,« erwiderte die Stimme, »ich bin das Geschöpf des Gottes, der mich gemacht hat. Schöne Jungfrau, habe Mitleid mit mir, laß mich nicht auf diesem einsamen Berg allein!«
Die Prinzessin hatte Mitleid mit der alten Frau, die aus dem Gesträuch heraustrat.
»Komm mit mir, Alte,« sagte sie, »du sollst an diesem einsamen Ort meine Gefährtin sein.«
Und sie führte die häßliche Alte, die niemand anders als die vom König von Marokko entsandte Zauberin war, in ihr Zelt.
An diesem Tage kehrte der Jäger mit neun Stück Wildbret heim.
Jedermann war glücklich auf dem Berge. Die Tiere segneten ihren so guten Herrn, der sie mit seiner Jagdbeute ernährte; die Prinzessin von Marokko war glücklich, einen ebenso schönen wie liebenswürdigen Gatten gefunden zu haben; der junge Mann dankte seinem Schicksal, das ihm aus dem Elend herausgeholfen und eine bezaubernde Frau geschenkt hatte.
Jeden Morgen ging die Tochter des Königs von Marokko nach ihrer Gewohnheit spazieren und ließ sich von der alten Frau begleiten, deren ewiges Geschwätz recht unterhaltend war.
Eines Tages führte die Alte die Prinzessin zum Flußufer. Plötzlich strauchelte die Hexe, stolperte und wäre beinahe hingefallen.
»Was ist?« fragte die junge Frau.
»Ich weiß nicht, ich stieß gegen einen Stein, wahrscheinlich.«
Und sie tat, als ob sie suchte, und fand den großen Tontopf, auf dem sie hierhergereist war.
»Ach,« sagte die Tochter des Königs von Marolle, »das ist ja ein Tontopf!«
»Vielleicht ist irgendein Schatz darin verborgen!« Die Prinzessin hob den Deckel vom Topf und sah auf dem Boden etwas leuchten. Sie blickte aufmerksam hinein und rief:
»Es sind Edelsteine!«
»So nimm sie an dich!« sagte die Zauberin.
Die junge Frau steckte den Kopf in die Öffnung des Topfes. Aber alsbald gab ihr die böse Alte einen solchen Stoß, daß sie in den Topf hineinfiel. Und sogleich bestieg die Hexe den Topf, peitschte ihn mit ihrer Schlange, erhob sich in die Luft und segelte der Hauptstadt des Königreichs Marokko zu.
Da seine Herrin nicht wiederkehrte, bestieg der Fuchs den spitzen Pfahl und hielt Rat.
»Gehen wir auf die Suche nach unserer Königin!« sagte er.
Die Tiere zerstreuten sich über den Berg, und der graue Falke stieg in den blauen Himmel hinauf. Vergebliches Suchen! Die Tochter des Königs von Marokko war samt der Alten verschwunden.
An diesem Abend ging der Fuchs dem jungen Mann nicht entgegen, denn er war traurig und beschämt, geduldet zu haben, daß man seine Herrin entführte.
Der Jäger hatte nur sieben Vögel getötet, und auf seinem Heimweg grämte und ängstigte er sich, weil er dachte, es müsse im Lager irgendein Unglück geschehen sein.
»Ach,« sagte er, »zwei meiner treuen Gefährten sind tot, denn der Fuchs kommt nicht, um mich mit seinem langen, schleppenden Schwanz, dem Besen der Felder, zu liebkosen!«
Der Fuchs lag mit den anderen Tieren neben dem Zelt, und alle stießen klagende Seufzer aus.
Der Jäger trat ins Zelt; es war leer. Da begriff der unglückliche junge Mann, daß er seine geliebte Gefährtin, die Tochter des Königs von Marokko, verloren habe, und er sank auf den Teppich nieder und jammerte die ganze Nacht.
Am andern Tag versammelte der König Fuchs die Tiere und den grauen Falken und bestieg den spitzen Thron.
»Liebe Gefährten, Untertanen und Minister,« sagte er, »unser lieber, guter kleiner Herr ist traurig, er weint und klagt, denn sein Zelt ist leer; er hat die liebreizende Prinzessin von Marokko, seine liebe kleine Frau, die wir ihm gegeben und die die böse Alte, die Höllenteufelin, ihm entführt hat, verloren.«
»Was sollen wir tun?« fragten die Vierfüßler.
»Ja, was sollen wir tun?« sagte auch der graue Falke.
»Wir werden die Prinzessin wiederfinden und in das Lager unseres Herrn zurückführen. Du, Falke mit den grauen Federn, fliege auf und suche das junge Weib!«
»Haou! haou!« machte der graue Falke; »einmal ist es mir geglückt, aber ein zweites Mal wird es mir nicht gelingen. Die Tochter des Königs ist im Marmorpalast der goldenen Stadt gut behütet. Wie sollte ich es anstellen, um sie zu entführen?«
»Grauer Falke, du bist listig. Geh, wir wollen es!«
»Haou! haou! ich werde gehen, aber ihr müßt mir helfen. Ihr müßt die Prinzessin herauslocken, und ich werde sie entführen.«
»Soll geschehen!« sagte der Fuchs. »Wir werden dich begleiten und dir helfen, doch mußt du uns zum Königreich Marokko hintragen.«
Nach dieser Abmachung bestiegen der Fuchs, der Wolf, der Bär, der Affe und der Schakal den Rücken des grauen Falken. Der Vogel erhob sich schwerfällig, kam langsam höher und höher, entfaltete seine Schwingen in ihrer ganzen Breite und hatte bald die Hauptstadt des Königreichs Marokko erreicht.
Der Fuchs hielt Rat und bestimmte, was geschehen sollte.
Man befand sich auf einem abgeernteten Feld, und daneben stand ein verlassener Pflug.
Der König Fuchs spannte den Wolf und den Bären vor den Pflug und sagte:
»Ihr seid meine Ochsen!«
Und er begann das Feld zu pflügen. Der graue Falke erhob sich zum Himmel, bis er nur noch ein schwarzer Punkt im All war.
Kam ein Wanderer vorbei.
»Welch wundersames Schauspiel!« sagte er, sich die Augen reibend. »Da führt ein Fuchs ein Gespann, wo ein Bär und ein Wolf die Ochsen sind!«
Und er lief zur Stadt, um den Leuten die Geschichte zu erzählen.
»Du bist toll, alter Narr!« erwiderte man ihm.
Da er aber auf seiner Aussage beharrte, so liefen einige vor die Tore und überzeugten sich, daß der Wanderer recht hatte und daß ein Fuchs mit Hilfe eines Bären und eines Wolfes pflügte. Die ganze Stadt wollte dies seltsame Schauspiel sehen.
Einige waren sogar entsetzt und meinten:
»Das Ende der Welt ist nahe; der Tag des Gerichtes kommt!«
Die Rede von dem Ereignis kam bis zu den Ohren der Minister, schließlich sogar zum König von Marokko selbst.
»Eine merkwürdige Sache,« sagte der König. »Auch ich will gehen, mir den seltsamen Pflüger zu besehen. Meine Minister sollen mich begleiten und mit ihnen alle Prinzen meiner Familie, meine Frauen und meine Tochter.«
Der Fuchs hatte vor dem versammelten Volk immer ruhig weitergepflügt. Er schob den Pflug und peitschte abwechselnd den Bären, der brummte, und den Wolf, der heulte.
Der König kam mit der Prinzessin, den Frauen, den Ministern und Hofherren.
»Ah,« dachte die Prinzessin, »da sind der Fuchs, der Bär und der Wolf, die Diener meines lieben Mannes! Sicherlich ist es eine List der Tiere, um mich aus dem Palast zu locken. Droben im Himmel ist gewiß der graue Falke, bereit, sich auf mich herabzustürzen und mich davonzutragen. Möchte es ihm doch gelingen!«
Und um dem grauen Falken zu helfen, umwand sie sich die Hüften mit drei kräftigen Gürteln; aber so viel sie auch die Augen zum Himmel erhob, sie sah nichts, nichts als einen kleinen, unbeweglichen schwarzen Fleck im All, und sie konnte sich nicht deuten, daß dies der graue Falke sei.
Eine Stunde verging; der Fuchs trieb sein Gespann immer schneller und schneller voran, zur großen Verwunderung des Königs und seines Hofes.
Plötzlich bemerkte die Prinzessin, daß der schwarze Punkt größer wurde, und bald erkannte sie den grauen Falken, der sie schon einmal davongetragen hatte.
»Ich habe ein Bedürfnis,« sagte sie zu ihrem Gefolge. Und sie stieg aus dem Wagen.
Doch wie ließ sich das vor allem Volke tun?
Die Sklavinnen errichteten ein oben offenes Zelt, und die Tochter des Königs von Marokko zog sich dorthinein zurück. Der Vogel war immer oben im Himmel.
Das junge Weib nahm ein weißes Taschentuch und schwenkte es, um den grauen Falken herbeizuwinken. Der Vogel gewahrte das, schoß hernieder, ergriff die Prinzessin bei ihren drei Gürteln und entführte sie wie das erstemal. Die Sklavinnen stießen wilde Schreie aus, aber der Vogel erhob sich zum Himmel und war bald verschwunden.
Der König Fuchs hatte gesehen, was sich zutrug. Er ließ den Pflug los, und ohne sich die Mühe zu nehmen, den Bären und den Wolf abzuschirren, machte er sich auf den Weg zur Hochebene, wo er seinen jungen Herrn, den Jäger, zurückgelassen. Der Wolf und der Bär, so elend im Stich gelassen, heulten und brummten schrecklich und versuchten sich aus den Zügeln zu reißen, mit denen sie am Pflug befestigt waren. Es gelang ihnen nur sehr schwer, zunächst dem Bären, denn er war der Stärkere. Der arme Wolf blieb noch gefangen.
»Freund Schakal,« beschwor er diesen, »zernage die Zügel, sonst töten mich diese bösen Leute!«
Der Schakal lief herbei und zerbiß mit seinen scharfen Zähnen die Zügel. Dann bahnten sich die Tiere in Begleitung des Affen einen Weg durch die Menge und eilten dem Berge zu, wo sie andern Tags ankamen.
Während der Abwesenheit seiner Gäste hatte der Jäger nur ein einziges Stück Wild erlegt.
Als die Tiere mit der schönen Prinzessin von Marokko auf der Hochebene angekommen waren, machte der Fuchs sich auf, um seinen Herrn zu suchen. Er traf ihn bei Sonnenuntergang und gab ihm tausend und tausend Liebkosungen, indem er fröhlich mit seinem langen, schleppenden Schwanz wedelte, dem Besen der Felder. Der junge Mann, der acht Beutestücke erlegt hatte, begriff, daß ihm ein großes Glück widerfahren sei. Und er beeilte sich, das Zelt zu erreichen. Das Feuer loderte, die Prinzessin bereitete den Pilaw, die Tiere saßen in der Runde um den spitzen Baumpfahl, auf welchem der graue Falke in Erwartung des Fuchses thronte. Ihr könnt euch die Freude des jungen Gatten der Prinzessin von Marokko denken!
Als die jungen Gatten sich in ihr Zelt zurückgezogen hatten, um einander selig zu liebkosen, sagte der König Fuchs:
»Grauer Falke, steige herab vom Thron, denn ich will Rat halten.
Der Falke stieg herab, und der König Fuchs bestieg den spitzen Baumpfahl.
»Meine lieben Brüder und Untertanen, Gefährten und Minister,« sagte er, »der König von Marokko könnte sehr wohl von neuem die alte Hexe schicken, die uns schon einmal unsere Königin entführt hat.«
»Das ist wahr!« sagten die Vierfüßler.
»Haou! haou! das ist wahr!« fügte der graue Falke hinzu.
»Wachen wir also zum Heil unserer lieben kleinen Herrin. Wir wollen Tag und Nacht abwechselnd Wache stehen. Kehrt die alte Höllenzauberin noch einmal in unser Lager zurück, so wollen wir sie zerfleischen und töten; hütet euch aber, ihre Kleider zu zerreißen, und laßt den Kopf unversehrt! Dann nageln wir Kopf und Kleider an einen Baum gegenüber dem Zelte unseres lieben Herrn.«
Die Tiere versprachen zu gehorchen, und jeder legte sich schlafen, ausgenommen der Bär, der Wache stand.
Aber lassen wir die Tiere bei ihrem Späherdienst; lassen wir auch den jungen Mann in glücklicher Unterhaltung mit der Prinzessin in seinem Zelt, und kehren wir zum König von Marokko zurück.
Der Herrscher war über den unvorhergesehenen Verlust seiner Tochter sehr betrübt gewesen, aber er hatte sich bald beruhigt, denn die alte Hexe war ihm eingefallen. Er schickte ihr einen Boten und ließ ihr sagen:
»Komme in den Palast; der König will dich sprechen.«
Die Zauberin lief herbei und übernahm es, die Prinzessin zurückzuführen.
Sie bestieg wiederum ihren großen Topf, schlug mit der Schlange als Peitsche dagegen, erhob sich in die Luft und ritt nach dem Berg, wo der junge Mann sein Zelt aufgeschlagen hatte.
Die Tiere und der graue Falke wachten unausgesetzt. Als die Reihe an den Fuchs gekommen war, setzte er sich auf den spitzen Baumpfahl, seinen Thron. Auf diese Weise brauchte er nicht zu fürchten, daß er etwa einschliefe, denn sobald der Schlaf ihn übermannte, glitt er herunter, rollte aufs Gras und erwachte.
Der Fuchs hielt also Wache, als er bei Tagesanbruch einen kleinen Punkt am Himmel gewahrte, der sich tiefer und tiefer herabsenkte. Es war die Hexe. Sie ritt auf einem großen Tontopf, den sie mit einer um die Hand gewickelten Schlange peitschte, und ließ sich am Flußufer ins Buschwerk nieder.
»Da haben wir sie, die niederträchtige Hexe!« dachte der König Fuchs.
Und er stieg von seinem spitzen Baumpfahl herunter und lief zum Wolf, zum Bären, zum Affen, zum Schakal und zum Falken und weckte sie.
»Die Zauberin ist angekommen, vergeßt nicht, sie zu töten, wie wir es vereinbart haben!« sagte er.
Und alle zusammen stürzten sich auf die alte Hexe und zerfleischten sie; doch hüteten sie sich wohl, Kopf und Kleider zu verletzen.
»Du, Bär,« sagte der König Fuchs, »nimm den Kopf und die Kleider und nagle sie an einen Baum dicht beim Zelte unseres Herrn!«
Dies wurde nach dem Befehl des Königs ausgeführt.
Als am Morgen die Prinzessin erwachte und aus dem Zelt trat, sah sie den Kopf der Greisin an einen Baum genagelt und daneben Kleidungsstücke. Da begriff sie, daß diese Alte die böse Hexe gewesen war, die der König von Marokko von neuem geschickt hatte, um sie zu entführen, und sie freute sich in ihrem Herzen über die Hilfe, die die Tiere ihr erwiesen hatten.
Die Zauberin hatte aber zum König von Marokko gesagt:
»Wenn ich in vierzig Tagen nicht zurückgekehrt bin, so ist mir ein Unglück zugestoßen.«
Und sie hatte ihm genau den Ort beschrieben, wo die Prinzessin mit ihrem jungen Jäger und den Tieren lebte.
Der König von Marokko erwartete ungeduldig die Rückkehr der alten Hexe. Die vierzig Tage waren schließlich abgelaufen, und die Abgesandte war nicht zurückgekehrt.
»Sicherlich,« dachte der König, »ist die Alte bei ihrem Vorhaben umgekommen, und ich werde meine Tochter nicht mehr wiedersehen.«
Und er versammelte seine Minister, die beschlossen, eine Armee gegen den Berg loszulassen, wo die Prinzessin gefangen war.
Die Armee trat zusammen, und es fand sich, daß sie mehr als hunderttausend Soldaten zählte. Man machte sich auf den Weg; nach einem langen Marsch kam man vor dem Berge an, und es wurde beschlossen, ihn zu belagern.
Der graue Falke hatte aber die Armee des Königs von Marokko heranrücken sehen.
»Haou! haou! meine Brüder,« sagte er, »da kommt ein so zahlreiches Heer, daß ich nicht einmal die Generäle habe zählen können!«
Der König Fuchs hielt Rat. Er bestieg seinen Thron, den spitzen Baumpfahl, und sagte:
»Meine Brüder und Untertanen, Gefährten und Minister, halten wir Rat! Wir sechs können den Truppen des Königs von Marokko keinen Widerstand entgegensetzen.«
»Meine Zähne sind lang,« sagte der Wolf.
»Und die meinen sind spitz,« sagte der Schakal.
»Meine mächtigen Tatzen sind stark,« sagte der Bär.
»Ich habe mehr als eine List im Kopfe,« sagte der Affe.
»Haou! haou! ich wüßte mich wohl nützlich zu erweisen,« sagte der Falke.
»Das ist wahr,« erwiderte der König Fuchs, »aber wir sind nicht zahlreich genug. Hört, was wir tun müssen. Du, Wolf, geh zu den Wölfen und bringe alle von deiner Rasse herbei; Bär, mache es ebenso, und so auch du, Schakal, und du, Affe, und du, Falke! Ich selbst werde alle Füchse herbeiholen.«
Als die Nacht gekommen war und der Jäger und sein junges Weib bereits unterm Zelt lagen, machten sich die sechs Tiere auf, um alle Tiere ihrer Rasse herbeizuholen. Am anderen Morgen war die Hochebene von sechs Armeen so zahlreich wie die Sterne am Himmel besetzt: dem Heer der Füchse, dem Heer der Wölfe, dem Heer der Bären, dem Heer der Schakale und dem Heer der Affen; oben darüber schwirrte, die Sonne verdunkelnd, das Heer der grauen Falken.
Da bestieg der König Fuchs seinen Thron, den spitzen Baumpfahl, und hielt an die versammelten Tiere folgende Ansprache:
»Brüder und Untertanen, Gefährten und Minister, seid gegrüßt! Die Armee des Königs von Marokko hat uns umstellt; wir müssen listig vorgehen, wenn wir siegen wollen.
Du, grauer Falke, und ihr andern grauen Falken, nehmt schwere Steine in eure Klauen, erhebt euch über die Armee des Feindes, und wenn sie vorrückt, so überfallt sie mit euren Geschossen!
Du, Schakal, und du, Affe führt euer Heer in das marokkanische Lager, sobald die Nacht kommt. Zernagt die Halfter, die Riemen und Zügel der Kavallerie, tut das gleiche mit den Gewehr- und Säbelriemen; wir, die Füchse, Bären und Wölfe, wir werden von drei Seiten die Armee des Sultans überfallen.«
Jeder schwor Gehorsam.
Die marokkanische Armee wurde vom Großvezier, dem ersten Minister des Königs, befehligt. Ehe er den Berg angriff, wollte der Feldherr den jungen Mann auffordern lassen, die Prinzessin zurückzugeben. Und deshalb schickte er ihm einen Gesandten.
Die Vorposten der beiden Armeen berührten sich fast. Kaum hatte also der Gesandte des Großveziers die marokkanische Armee verlassen, so mußte er die Heerreihe der Füchse, der Wölfe und Bären passieren. Alle diese Tiere heulten und fauchten, brummten und zeigten die Zähne, was den Gesandten sehr entsetzte. Aber auf Befehl des Königs Fuchs taten sie ihm kein Leides.
Der Fuchs empfing den Gesandten mit Höflichkeit und führte ihn ins Zelt des Jägers und seiner Gattin.
»Ich komme,« sagte der Gesandte, »als Abgesandter des Großveziers des sehr mächtigen Königs und Sultans von Marokko, um Euch aufzufordern, die junge marokkanische Prinzessin, die Ihr durch Zaubermittel verlockt und entführt habt, wieder herauszugeben. Gehorcht Ihr diesem Befehl, so wird Euch nichts geschehen, und die marokkanische Armee wird sich von Eurem Boden zurückziehen. Andernfalls aber sieht sich der Vezier, mein Herr, genötigt, sich der Prinzessin mit Gewalt zu bemächtigen.«
»Sagt dem Vezier, Eurem Herrn, daß wir die Prinzessin um keinen Preis herausgeben. Wir nehmen den Krieg an,« erwiderte der König Fuchs.
Darauf wollte der Gesandte wieder in sein Lager zurückreiten.
»Geht, Füchse, Bären und Wölfe,« befahl der König der Tiere, »zerreißt das Pferd des Gesandten! Und ihr, Affen und Schakale, lauft und raubt das Pferd des Veziers!«
Im Augenblick wurde ihm gehorcht.
Als der marokkanische Gesandte aus dem Zelt trat, fand er sein Pferd von den Tieren zerrissen.
»Wie komme ich nun ins Lager zurück?« fragte er sich. Aber er gewahrte das Pferd des Großveziers, das die Affen und Schakale geraubt hatten.
»Nun gut,« sagte er, »ich werde das Pferd des Großveziers besteigen.«
Und er bestieg das Pferd seines Herrn. Der König Fuchs brachte ihn auf den Weg und ließ ihn fortreiten. Die Diener und Sklaven des Großveziers waren sehr beunruhigt und suchten durch das ganze marokkanische Lager den geliebten Renner des Ministers. Als sie den Gesandten auf ihres Herrn Lieblingspferd daherreiten sahen, gerieten sie in große Wut; sie ergriffen den Boten bei seinen Kleidern, zerrten ihn zu Boden und schlugen mit Stecken auf ihn ein.
Der Gesandte erhob sich und begab sich trotz alledem in das Zelt des Großveziers.
»Der junge Mann weigert sich, die Prinzessin zurückzugeben,« sagte er, »und nimmt den Krieg an.«
»Hat er denn ein so mächtiges Heer?«
»Ja und nein. Sein Heer besteht aus einer Unzahl von Tieren aller Art: Füchse, Wölfe, Bären, Schakale, Affen und Falken. Sein General ist ein listiger Fuchs, der die Sprache der Menschen redet.«
»Hast du die Prinzessin gesehen?«
»Ja, und sie scheint sehr glücklich, die Gefangene des jungen Jägers zu sein.«
»Wie seltsam! Jedoch wir müssen den Willen unseres mächtigen Sultans ausführen!«
Der Vezier gab Befehl, daß am folgenden Morgen früh um 1 Uhr der Krieg zu beginnen habe.
Aber die Tiere der feindlichen Armee hatten ihre Pflicht getan. Als die marokkanischen Soldaten erwachten, um sich für den Kampf vorzubereiten, war ihr Erstaunen groß: die Gewehr- und Säbelriemen waren zernagt und zerfetzt und in tausend und abertausend Stücke zerteilt. Sie versuchten wohl die Lederriemen wieder auszubessern, aber es war ihnen unmöglich.
Der Großvezier war ungeduldig und gab das Signal zum Vormarsch, und die Soldaten rannten Hals über Kopf dem Feind entgegen. Die Reiter sprangen aufs Pferd, aber beim ersten Abritt rollten sie zu Boden: die Zügel und Halfter, die Sattel- und Steigbügelriemen waren zernagt wie die Riemen der Fußsoldaten.
In diesem Augenblick stieß der König der grauen Falken einen lauten Schrei aus. Ein Hagel von Steinen prasselte auf die marokkanische Armee herab, tötete die Pferde, zerquetschte Köpfe und Arme und zersplitterte die Wagen. Eine entsetzliche Verwirrung befiel die Reihen der Marokkaner. Der Vezier verlor den Mut und sah sich genötigt, ins Lager zurückzukehren und dann beschämt zehn Meilen weit davonzufliehen.
Der General des Sultans ließ von den Sklaven Riemen und Halfter, Gurte und Zügel aus Leder verfertigen und gab Befehl, sie an die Reiter und Fußsoldaten zu verteilen. Aber der König Fuchs hatte von der Höhe seines Thrones, dem spitzen Baumpfahl, Rat gehalten und hatte gesagt:
»Affen und Schakale, die Nacht ist gekommen, kehrt zur Armee des Veziers zurück und reißt und beißt die Lederriemen in Stücke!«
Am anderen Morgen, als der Vezier von neuem den Befehl zum Angriff gab, konnten die Reiter sich nicht auf den Pferden halten, und die Fußsoldaten fanden ihre Riemen und Gurte in Fetzen.
Der Minister und sein ganzes Heer waren äußerst niedergeschlagen. Die grauen Falken, jeder mit einem mächtigen Stein in den Klauen, stürzten sich auf die Marokkaner und begannen sie von neuem zu bombardieren. Der Vezier zog sich noch einmal zehn Meilen weit zurück.
»Dieser Mann ist vom Himmel begünstigt,« sagte sich der Minister; »es nützt mir nichts, gegen ihn anzukämpfen. Was die Prinzessin betrifft, so liebt sie ihren Gatten und wird niemals damit einverstanden sein, ihn zu verlassen. Es wäre vorzuziehen, Frieden zu schließen.«
Und er schickte einen neuen Gesandten zum jungen Jäger auf dem Berge. Gleichzeitig schickte er an den König von Marokko einen Kurier, der berichten sollte, was sich ereignet hatte.
Der Gesandte des Veziers erreichte die Vorposten der feindlichen Armee und wurde vom König Fuchs zum Zelt geleitet, wo der junge Mann und seine schöne Gattin wohnten.
»Was willst du mir sagen?« fragte der Jäger.
»Mein Herr, der Großvezier, anerkennt Eure Geschicklichkeit in der Kriegführung und bietet Euch Frieden an.«
»Unter welchen Bedingungen?«
»Ihr kehrt an den Hof von Marokko zurück und heiratet die Tochter des Königs. Da der Sultan nur dieses eine Kind hat, so werdet Ihr ihm dereinst auf den Thron von Marokko folgen.«
Der König Fuchs ergriff das Wort:
»Wir könnten das Heer des Sultans zerstören, und es würde nicht ein Soldat heimkehren, um dem Kaiser davon Meldung zu machen. Indessen nehmen wir dein Anerbieten, das du im Namen des Großveziers und des Sultans machst, an. Geh und überbringe diese Nachricht!«
Ihr könnt euch die Freude des jungen Jägers und seiner lieben Gefährtin denken!
Der König Fuchs bestieg den spitzen Baumpfahl. Er dankte allen Tieren und sagte dann: »Geht!«
Und jedes kehrte nach Hause zurück.
Der junge Jäger, sein Weib und ihre sechs Gäste begleiteten das Heer des Veziers, und einige Tage später kam man vor dem Palast des Königs von Marokko an.
Nachdem der junge Mann eingetreten war, schlossen die Wächter vor den sechs Tieren die Tore.
»Haou! haou!« machte der graue Falke. »Ist das der Lohn, den wir verdient haben?«
»Schweige!« sagte der König Fuchs.
Und er schlug an und machte sich seinem Herrn vernehmbar.
»Meine armen Freunde!« rief der junge Mann. »Man öffne meinen Dienern, den Tieren!«
Als sie eingetreten waren, sagte der Jäger zu den Sklaven:
»Gebt einem jeden meiner Freunde ein Zimmer im Schloß! Auch will ich, daß man ihnen jeden Tag gebratene Hühner und Hammelfleisch vorsetze!«
Der Sultan von Marokko umarmte seine Tochter, und als er den hübschen jungen Fremdling gewahrte, rief er aus: »Gott sei gesegnet, der mir einen solchen Schwiegersohn geschenkt hat!«
Und er wünschte, daß die Hochzeitsfeierlichkeiten sogleich beginnen sollten, nachdem Mutter und Schwester des Jägers, die man herbeirufen ließ, bei Hofe eingetroffen sein würden.
Ah, welch schöne Feste, meine Freunde! Sie dauerten vierzig Tage, wenn ich mich recht erinnere. Und ebenfalls vierzig Tage dauerten die Hochzeitsfeierlichkeiten für den Sohn des Großveziers mit der Schwester des jungen Jägers.
Drei Äpfel fielen vom Himmel: der erste für den, der diese Geschichte erfand; der zweite für euch, ihr Maulaffen, die ihr mir zugehört habt; der dritte für mich, den Erzähler.