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Zwei Brüder, Fettle und Jäckle, hatten eine Katze und einen Vater. Alles übrige war ihnen Wurst.
Den Vater konnten sie nicht ignorieren, weil er beiden die Arschprügel verabsolvierte.
Die Katze – es war ein junges Frühlingswetter, die Schneeglöckchen blühten zum erstenmal – lag wohlig gesonnt im Gartenweg vor einer Hecke, weiß und grau mit Rosalippe.
Die zwei Brüder spielten um einen Baum herum »Specht« mit zwei handfesten, gespitzten Prügeln. Sie warfen sie kreuzweise mit den Spitzen in die Erde. Wer des anderen Prügel dabei umwarf, durfte ihn zum Teufel schmeißen.
Fettle war zwei Jahre älter und hatte den dickeren Prügel. Jäckles Prügel fiel darum ständig um und wurde von Fettle zum Teufel geschmissen. Jäckle konnte nicht genug hetzen und rennen nach seinem fortgeworfenen Specht. Dabei zerkratzte er die kleinen Hände, wenn er den Prügel aus der Hecke herauszog. In der Hecke, da wohnte der Teufel, ganz nahe bei der Katze. Jäckle blieb geduldig und ließ sich's nicht verdrießen, immer wieder den Prügel aus der Hecke zu ziehen. Sagte er einmal: »Werf ihn doch nicht bloß immer in die Hecke!«, Fettle konnte ihn nicht zum Teufel schmeißen, als in die Hecke.
Jedesmal, wenn der Prügel einschlug, hob die Katze erschreckt den Kopf, legte ihn dann wieder hinab, wenn die Gefahr vorbei war. Im Genuß des Sonnenscheins konnte sie bloß so lange behaglich aus den Augen blinzeln, als der Prügel nicht gesaust kam.
Das Plätzchen, wo sie in der Frühlingswärme lag, war so auserkoren sonnig, daß sie trotz der fortwährenden Beunruhigung zu träge blieb, wo anders hinzugehen. Um so hartnäckiger bestand Fettle darauf, die Katze zu treffen, damit sie aufstehen mußte.
Jäckle schien allmählich die Absicht zu erraten, warum der Bruder immer nach der Hecke warf. Er lief nicht mehr hinaus, sondern zeigte seine zerkratzten Hände.
»Nur noch einmal!«
Jäckle gab um des Friedens willen das einemal noch zu und setzte seinen Specht. Fettle hatte ihn bald aus dem Boden und schleuderte ihn wohlgezielt, die Katze mußte er treffen, das letztemal hinaus.
Und er traf.
Die Katze schrie auf und verschwand blitzend im Dickicht der Hecke.
»Warte nur!« Jäckle ging mit vorwurfsvollem Blick zur Hecke hin und Fettle bohrte seine Hände in die Hosentaschen, nachdem er seinen Specht auf den glatt getretenen, den nackt gespießten Rasen unter dem Baume hatte hinfallen lassen. Mit befriedigter Gier, aber hämmerndem Herzen, lief er von dannen. Auf der Miste, hart an Nachbars Zaun, blieb er stehen, um abzuwarten, ob die Katze hin war oder nicht. Von dem erhöhten Standort aus konnte er schnell vollends zum Nachbar hinübersetzen, wenn es die Flucht galt. Er sah von weitem zu, wie Jäckle in die Hecke wühlte, um die »arme« Katze herauszuziehen.
Zwischen den beiden Brüdern erschien der Vater aus dem Hause mit dem schneeweißen Kopfhaar. Es war Gott aufgefallen, daß die Spechtelei plötzlich aufhörte.
Jäckles Blicke schwammen sanft zum Vater hinüber, voll Mitleid um die arme Katze, die jetzt Arschprügel wert wäre. Fettles Hosen dagegen gaben ihm ein stechendes Gefühl in den Schenkeln, als müßte er sie naß machen.
Zum Glück erschien die Katze mit den Rosalippen lebendig aus der Hecke, von Jäckle zärtlich an den Mund gedrückt. Der Vater war kurzsichtig und Gott wollte diesmal seine zarte Kopfhaut unter den schneeweißen Haaren nicht zornrot schwellen.
Da es bloß ein Katzenfell zu betreffen schien, schloß sich das Ausfallstor des Himmels, die Haustür, wieder. Aber drüben beim Nachbar brach zugleich ein schwarzer Geist zwischen den Ästen der Bäume durch und fiel als plumper Körper zur Erde.
Das schwarze Vieh schien dem nahestehenden Fettle, der soeben die Katze gequält hatte, wie ein Sendbote der Hölle. Er erschrak jäh, wie es flatterte, das Maul aufriß, riesengroß, und krächzte.
Wie sein sündenbeladenes Gewissen zuerst Furcht vor dem schwarzen Geist empfand, so sah es ihn, nachdem die Himmelstür wieder zugefallen war, allmählich als deutlichen Schreiheld und Raben an.
Ein Rabe! Es war doch kein Spuk!
Ein wirklicher Rabe konnte beim Nachbar erbeutet werden. Fettle kletterte über den Zaun und bald hinter ihm Jäckle, der seine Katze aus den Retterarmen hinabrutschen ließ.
Wer packte ihn zuerst an? Wer wagte es, das Vieh mit den runden Stielaugen und dem weitaufgerissenen Krächzschnabel, mit den gesträubten Kopffedern, mit den schlagenden Flügeln anzurühren?
Beide standen ratlos davor.
Fettle fühlte immer noch eine gewisse übersinnliche Erscheinung in dem Raben, und für Jäckle war, so geschwind in die Nähe gerückt, ein Rabe, ein lieber Rabe, doch ein exotisch fremder Vogel.
Zwischen den Zaunlatten streckte die Katze den Kopf hindurch, kroch auch zum Nachbar herein, schritt auf den Schreier zu, strich dann aber ab, in einem Bogen um ihn herum.
Es war klar, hier war den Brüdern etwas geboren, das ihnen nie mehr Wurst wurde.
Die Reihenfolge war jetzt: »Rabe, Vater, Katze.«
Mit den Füßen zum Hüpfen veranlassend, deichselten sie das Vieh schließlich auf das eigene Grundstück, indem sie es zwischen den Zaunlatten hindurchzwängten.
Der Rabe schrie und krächzte aus vollem Halse, immer weiter, bis sich der Himmel auftat und Gott Vater zu ihm herauskam.
»Oh, oh, was willst du hier?« sprach dieser zu dem Schreier.
»Ich habe entsetzlich Hunger,« lärmte der Rabe.
»Da kann man ja abhelfen.«
Fettle und Jäckle gerieten in höchste Ekstase, sie zerwühlten den Grasboden und zogen mit den Fingern Würmer, so viele es nur gab, aus der Erde. Und ihr erfahrener, weiser, guter Vater stopfte sie dem Tier in den Schlund. So war es gut.
»Mehr, mehr!«
»Warum schreit er denn immer weiter?« frugen sich die Brüder.
»Mehr, mehr! Versteht ihr denn nicht?« Der Vater konnte rabisch, großartig. Die Brüder wühlten nach Würmern und der Rabe schrie immer weiter: »Mehr, mehr!«
Der Rabe fraß wie ein Scheunendrescher.
Damit war er eingeführt, und es schien ihm recht, der Rabe erklärte: »Hier bleibe ich.« Er hüpfte in den Himmel hinein, die Treppen hinauf, bis oben hinauf in die Bodenkammer. Dort richtete er sich seine Klause ein. Ab und zu krächzte er zum Dachladen hinaus: »Mehr, mehr!« Dann stiegen die Brüder, auch der Vater mit ihnen, hinauf und stopften ihn voll. Bald hatte er sich so weit erholt, daß er vom Dachladen aus in den Garten herabflog. Wenn er dann »Mehr!« schrie, brauchte man nicht mehr Treppen hinaufzusteigen.
Die Katze führte in der Zeit ein recht verlassenes Dasein. Sie schien vor Gram blind zu werden. Es war eigentümlich, seit der Rabe da war, bemerkte man, daß die Katze alt wurde. Wenn sie auf den Hocker, wo sie immer früher gesessen hatte, hinaufspringen wollte, hopste sie, fast regelmäßig, daneben.
Fettle konnte die Katze, weil sie oft so hilflos täppisch war, nun vollends nicht mehr ausstehen.
Da ging das Gerede: »Wenn eine Katze aus der Höhe zu Boden fällt, so fällt sie stets auf die Füße.« Die Katze kniete eines Tages draußen vor dem Fenster auf dem schmalen Fenstersims, bei offenem Fensterflügel. Dies sah zufällig Fettle. Er ging hin, schloß das Fenster und die Katze stürzte, obwohl sie sich anklammern wollte, in die Tiefe.
Wieder hämmerte Fettles Herz. Mit Scheu sah er hinab, er traute sich kaum, die tote Katze anzusehen.
Aber wirklich, die Katze war auf die Füße gefallen und lebte. Der Rabe machte sogleich von hinten einen Angriff auf sie, die sich langsam hinschleppte.
Jäckle lachte wohl über den Raben, er fand sich aber noch einmal zu der alten Katze hin und riß sie an sich, aus Erbarmen.
Fettle aber und der Rabe, die fühlten gleich. Der Rabe bekam zur Belohnung dafür, daß er die Katze, die auf die Füße gefallen war, noch obendrein in das Fell pickte, einen dicken Wurm.
Es kam vor Gott, und Fettle empfing Arschprügel.
Der Rabe hockte sich tröstend auf den Rand des Regenfasses, in welches Fettle hineinheulte, und raunte ihm zu: »Die Katze wollen wir schon hinmachen.«
Fortan war Verschwörung gegen die Katze, obgleich sie keine Schuld hatte als die, alt zu werden.
Für den Raben bot sich zur Katzenplage eine feine Gelegenheit.
Obgleich das Gartenland groß war, lieferte es nicht genug Würmer für den Raben, und man begann, ihm zugleich mit der Katze die Abfälle der Mahlzeit zu kredenzen.
Gewöhnlich wurde die weite niedere Schüssel vors Haus gestellt, und wie Katze oder Rabe dazu kamen, so hielten sie eben Tisch.
Das schwarze Federvieh sah stets gemütvoll zu, wie die Katze zur Schüssel lief. Sobald sie aber einen Bissen genommen hatte, hüpfte er, Hans Stelzbein, hin und pickte sie in den Schwanz. Dann, wenn sie noch nicht wegging, kriegte sie einen Hieb auf den Kopf. Ging sie dann, genügend belehrt, so drückte er sich den gesamten Inhalt der Schüssel in den Hals, hüpfte damit weg und versteckte, indem er es wieder hervorquorkste, das Mittagessen in Löchern im Grasboden, die er sorgsam mit Blättern zudeckte.
Er wollte eben alles für sich. Jäckle dachte manchmal und sprach es: »Wer alles will für sich allein, wird in der Not verlassen sein.«
Aber wie würde über ihn Not kommen können, dachte der Rabe, denn er war der Liebling beim Vater im Himmel und kriegte alles.
Ging er hie und da durch, im Wahn, draußen noch Besseres zu finden, so kam er gewiß wieder, wenn er das weiße Haupt Gottes von weitem nur leuchten sah.
Fettle billigte des Raben Handlungsweise an der Katze vollständig, begriff aber dennoch schlecht, daß sein Schildbürger zuweilen untreu wurde und entfloh. Dabei hatte er doch ein wahrhaftiges Herrenleben. Sogar wenn der Vater seine beiden Söhne zu ernstem Unterricht in den Grammatiken der alten Sprachen versammelte, durfte der Rabe auf dem grünen Tisch sitzen und erntete nur heiteres Lob, wenn er mitten in die Regel ins Buch schiß oder dem Vater seinen goldenen Ehering anpickte. Immer durfte er seine Hanswurstiaden aufspielen. Wenn der Vater durch den Garten schritt, den langen Flaus mit hinten nachschleifender Troddel, so wollte er sich daranhängen, und mit Wohlgefallen und Entzücken gewährte man es ihm. Aber so war er, oft mitten im Scherz fiel es ihm ein, auszubrennen und auf die hohe Pappel am See zu fliegen.
Bestimmt war er jedoch anwesend, wenn er die Katze plagen sollte. Das fand Fettle als seinen schönsten und teuersten Zug. Wenn der Rabe von hinten heranhüpfte und die Katze pickte, so wünschte er nur immer, daß sein scharfer langer Schnabel eines Tages wie ein Dolch in das Herz der Katze stieße, damit er endlich das Vieh mit dem weiß und grauen Fell nicht mehr sehen müßte.
Worauf sein Haß gegen die Katze eigentlich beruhte, konnte Fettle nicht aussprechen. Er konnte sie eben nicht leiden. Vielleicht verhinderte die Katze sein Interesse an der Weiblichkeit des Hauses, insofern, als sich die ganze weibliche Liebe auf die Katze richtete.
Doch leider bis zum Herzstoß oder zum Stoß in der Katze ihre Augen kam es nie. Auch verreckte die Katze nicht von selbst.
Wenn einmal an einem Tag die Katze nicht zu Tisch kommen wollte, so schleifte sie Fettle herbei, damit sie nicht »zu kurz« kam. Jäckle schnitt es oft wehmütig in die Seele, daß der Rabe, den er um seiner Scherze willen auch so heiß liebte, die unschuldige, taube, halbblinde, alte Katze so plagte. Er wartete schon immer auf dem Regenfaß, dessen offenes Wasser er gewandt überhüpfte, bis die Katze herbeigeschleift war.
So stürzte er sich eines Tages mit ausgebreiteten Flügeln herab und flog scharf auf die Katze los. Es war ein bulgarischer Angriff. Er riß der Katze ein gutes Stück Fell aus, so daß sie gequält aufschrie und flüchtete.
Wie Fettles Herz ob dieser Grausamkeit stärker klopfte, so trug Jäckle das Stück Katzenfell vor den Vater.
Dieser kam heraus und kümmerte sich um die Sache. »Wie steht es?« sah er den Raben an. Der Rabe schrie »Mehr, mehr!« und quorkste das ganze Mittagessen in den Kropf. So sah man klar, daß neben diesem Egoisten die Katze unmöglich wurde. Fettle befehlen, die Katze dem Raben nicht mehr zuzutragen, wäre wenig pädagogisch gewesen. Dieses Gebot hätte er zu leicht übertreten. Was blieb übrig?
Die Katze aus der Welt zu schaffen, wurde beschlossen.
Wo war ein Scharfrichter?
Der Vater ermittelte ihn im Müller.
Draußen auf der Wiese, eine Viertelstunde weit, klapperte seine Mühle.
Fettle erbot sich, die Katze dem Müller hinzuschaffen.
Alles Weibliche im Hause weinte, wie die Katze so geduldig und still in den offenen Korb hineinsaß, in welchem sie Fettle zum Müller trug. Nur Fettles Herz wallte in höchster Erwartung, wie die Katze sterben würde.
Aber ganz allein behagte ihm der letzte Gang mit der Katze auch nicht. Jäckle, kein Arg im Herzen, mehr beigegeben als Vollstreckungszeuge, begleitete seine arme Katze. Der Rabe hockte sich auf den Gartenzaun und schaute beiden nach, wie sie die Katze wegtrugen, in seinem Bauche verdaute er »Mehr, mehr.«
»Guten Tag, Buben.«
»Guten Tag, Herr Müller.«
Weiter keinen Umstand, nahm der Müller die weiß und graue Katze, packte sie an den Hinterbeinen, diese zusammenpressend. Als sie sich zurückbäumen wollte und um sein Handgelenk surren, trat er ihr mit dem rechten Fuß schnell auf den Kopf und streckte die Katze mit angestrengter Kraft auf die doppelte Länge.
Fettle hörte das Krachen der Kreuzknochen und Jäckle zitterte seine Seele. Beide scheuten vor dem Müller.
Ohne sich weiter um der Katze gehabte Not aufzuregen, rannte der Müller mit der Katze dem Mühlrad zu und warf sie hinein.
Fettle rannte mit und hörte die Wasser stürzen und tosen. Es klapperte die Mühle. Sie mahlte, das Rad die Katze und der Mahlgang das Mehl für das ganze Dorf.
Jäckle sah seinen Bruder bang an, wie er ins Rad nachschauen konnte. Miteinander schritten sie schweigend beide dem Hause zu. Der Rabe brüllte ihnen entgegen: »Mehr, mehr!«
Das erstemal überhörte man ihn.
Es kamen ein paar schweigsame Tage zwischen den beiden Brüdern. Wenn der Rabe brüllte, so mußte sich der Vater um ihn kümmern. Doch mit der Zeit heilte die Wunde in den Knabenherzen und der Rabe trieb wieder seine alte Lust. Mit recht tollen Narrheiten vertrieb er schnell die letzte dunkle Wolke aus den Brüdern. Und je mehr der Katzenmord vergessen wurde, desto innig lieber wurde man wieder dem Raben, der doch als liebendes Tier im Hause geblieben war. »Mehr, mehr!« schrie er, und man beachtete es bald wieder allgemein, namentlich weil er sein »Mehr, mehr«jetzt noch viel aufdringlicher krächzte als früher.
Nach jedem Mittagessen erhielt er seinen Fraß, ganz für sich allein. Es schien ihm recht zu behagen, ohne die Katze, denn er flüchtete seltener oder gar nicht mehr.
Solange die Katze dagewesen war, wartete er in aller Geduld auf seinen Fraß. Jetzt aber, als er allein war, erwartete er ihn mit größerer Unruhe. Fast regelmäßig erhob er jetzt, als seine Fütterung herankam, ein lärmendes Geschrei: »Mehr, mehr!« Seine Ungeduld wuchs täglich. Offenbar, weil die Katze nicht mehr da war, fürchtete er, man könnte ihn vergessen. Die Katze hielt er also doch für so hoch bewertet, daß er sicher war, um ihretwillen nie vergessen zu werden. Das war das einzige, weswegen er die Katze vermißte. Aber diesen Fehler konnte er durch immer aufdringlicheres Geschrei ersetzen.
So trieb er es in seiner Ungeduld so weit, daß er schon »Mehr, mehr, mehr!« krächzte unaufhörlich, als man drinnen erst die Mahlzeit begann und noch gar kein Drandenken an ihn sein konnte, da er den Überrest bekam.
»Er soll warten,« meinte der Vater. Und Jäckle erinnerte sich der Katze, wie der Rabe ihr immer alles weggefressen hatte, jetzt sollte er nur ein wenig zappeln, bis er etwas bekam. Und er sprach weise: »Wer alles will für sich allein, wird in der Not verlassen sein.« »Verlassen sein«, warum soll ein Rabe verlassen sein, dachte Fettle und brachte seinem Schreihals einen Beruhigungsbissen voraus hinaus. »Dann aber schweig!« sagte er zum Raben.
Der Rabe empfing diese Vorkost mit höchlicher Dankesfreude, er flog rasch mit dem Bissen auf das Regenfaß, wo er geduldig zu warten früher gewohnt gewesen war. Er schwieg wirklich. Mit dem Bissen beschäftigte er sich auf der scharfen Reifenkante des Fasses. Es war ihm das Fressen über dem Wasserspiegel ein ganz neuer, köstlicher Genuß.
Fettle war satt und dachte kaum mehr an den Raben. Wenn er dann wieder schrie, wollte er zu ihm hinausgehen.
Aber es blieb still.
Wollte er gar nicht »mehr«? Man mußte einmal nachgucken. Die beiden waren gespannt, wie er sich heute benahm, wo die Unregelmäßigkeit der Vorfütterung gewesen war. Wie erstaunten sie, als kein Rabe zu sehen war. Nirgends. Er war wohl ausgerissen.
Oder war er versteckt? Sie suchten überall. Sie riefen ihn beim Namen: »Hänsel, Hänsel!« Es war nutzlos. Der Vater mußte im Garten recht auffällig promenieren, um den Raben durch das Mittel seines weißen Haupthaares zur Umkehr zu bewegen. Es war nutzlos.
So war er wohl endgültig ausgerissen. Aha! Man wollte es klug wissen. Der Schlaumeier hatte deswegen sein Essen früher wollen?
Aber nein. Als Jäckle zufällig am Regenfaß vorbeirannte, kam ihm der Wasserspiegel so seltsam ins Gesicht. Er sah näher hin und erblaßte jäh. Im Faß schwamm der Rabe, tot, mit ausgebreiteten Flügeln.
»Fettle! Fettle! Vater Vater! Alle! Alle!«
Alles kam herbei und sah den lieben Raben schwimmen. Ein herzzerreißendes Klagen und Weinen hob an. Fettle, der gegen die Katze solch ein hartes, tränenloses Folterherz gehabt hatte, er mußte viele, viele Tränen weinen.
Beide Brüder verwünschten ihr Mittagessen. Wären sie nur beim Raben geblieben, dann wäre er nicht ertrunken! Wie konnte er aber nur ertrinken? Auf dem Fasse hockte er ja immer und hüpfte sogar mit Vorliebe von Rand zu Rand.
Freilich hatte er dort gesessen, aber nie hatte er dort gefressen! Wer wollte das wissen? Der Vater, der alles auf der Erde wußte, sprach es.
Jäckle staunte ihm wie Gott selber träumend mit nassen Augen ins Gesicht.
»Wahrscheinlich, wenn der Rabe der Katze etwas gegönnt hatte, wäre er nicht ertrunken!«
Fettle starrte auf den toten Raben, es gab ihm beim Schluchzen heftige Stöße. – Warum? Wenn die Katze noch da wäre, wärest du wirklich nicht ertrunken? –
Oh! Jäckle wollte es einleuchten, wie es zusammenhing. Früher hatte der Rabe immer geduldig gewartet. Ja, ja, er war verlassen und in Not gekommen, ohne die Katze. Niemand war bei ihm, als er im Fasse zappelte. Was hatte er von dem Bissen, der seinen heißen Magen beruhigte!
Ja, du Fettle! Dein Rabe! So fühlte Fettle die Blicke auf sich gerichtet. Daß er beim Fressen starb und gerade Fettle dazu mitgeholfen hatte, schien so schicksalsgewollt. Es war wie ein leises Bedenken bei allem Weinen und Schluchzen um den Liebling.
Fettle rannte herum, ballte die Fäuste vor Wut. Er hätte der Katze einen noch viel grauenvolleren Tod gewünscht. Dann rannte er wieder an das schreckensvolle Wasserfaß. War denn der Rabe wirklich tot?
Wahr, er war tot, er blieb tot, und es mußte sein, um der Katze und Fettles willen. Mit Grausen mußte er sehen, daß auch der Geliebte wie jene im Wasser lag. Wie die Katze damals in des Mühlbachs Tiefen verschwand, wie der Rabe mit seinen schwarzen Flügeln auf dem Wasser ruhte, wie prägte es sich ihm ein!
Und nicht einmal anzurühren wagte er den Raben. Nur der Vater, der mit seinem weißen Haupte eine Zaubergewalt über den Raben ausgeübt hatte, offenbar weil er ihn damals, als er abgehungert vor die Himmelstür gekommen war, zuerst geätzt hatte, der Vater legte auch die letzte Hand an ihn. Er grub das Grab, hob den Raben aus dem Wasser und legte ihn hinein. Fettle konnte dabei nichts mehr tun als bloß tief und erschüttert aufschluchzen.
Jäckle half seinem Fettle gern bei seinem erschütternden Weinen am Grabe des Lieblings.