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XX.

Götz war in London eingetroffen und hatte unverzüglich seine Studien bei Mister Malburne begonnen. Er mußte darauf rechnen, ein Jahr lang sein Eleve zu sein.

Die Stunden waren für deutsche Begriffe enorm teuer, und zum erstenmal im Leben wunderte sich der junge Graf über einen hohen Preis, ja, zum allererstenmal saß er gedankenvoll und doch ein wenig besorgt vor seinem Portefeuille und berechnete seine Ausgaben.

In dem eleganten, ersten Hotel, in welchem er seiner Gewohnheit gemäß abgestiegen war, konnte er nach der ersten ungeheueren Rechnung, welche er erhalten, nicht bleiben. Er siedelte in ein bescheidenes möbliertes Zimmer über, in ein einziges, – denn er, der früher eine hochelegante Villenetage von sechs Zimmern bewohnt hatte, konnte sich jetzt den Luxus eines Salons und Schlafzimmers nicht mehr gestatten.

Auch mußte er es sehr bald aufgeben, in den ersten Restaurants zu speisen, denn auch deren Preise waren für sein kleines Vermögen unerschwinglich geworden.

Wunderlich! All diese gänzlich veränderten Verhältnisse!

Vor der Hand machten sie ihm noch Spaß, er fand sich mit einem gewissen grimmigen Behagen in die Rolle des »armen Heinrichs«, denn das Neue übt stets einen unwiderstehlichen Reiz auf leidenschaftliche Naturen aus. Außerdem ging es ihm verhältnismäßig noch recht gut, nach Begriff und Ansichten von viel tausend Menschen wohl beneidenswert gut.

Die Not kannte er nicht, sie stand ihm jetzt noch ebenso fern wie früher, und daß sie von Tag zu Tag näher rückte und erbarmungslos ihre dürren Finger nach dem verwöhnten Glückskind ausstreckte, sobald der letzte Heller seines Geldes durch die Finger gerollt war, das sah er weder ein, noch glaubte er an eine solche Möglichkeit, denn sowie seine Studien bei Mister Malburne vollendet, nahm er sofort ein Engagement an.

Dann war es mit Einschränken und Entbehren vorbei, dann begann das selige, schillernde Götterleben, wo es Lorbeer, Rosen und Dukaten in den Schoß regnet. So solide leben und für die alten Tage sparen, wie die kluge kleine Lou, würde er niemals!

So lange wie das Leben schön und sonnig war, wollte er leben, – ward es grau und trübe – nun, dann war es eben Zeit zum Sterben.

So berechnete Götz sein kleines Kapital und teilte es genau für die Zeit ein, welche er bei seinem alten Meister studieren mußte; er gab nicht einen Pfennig mehr aus, als er pro Tag zu verzehren hatte, aber er legte auch keinen Heller zurück, sondern verbrauchte ohne Skrupel, was er glaubte ausgeben zu dürfen.

Das war immerhin ein schönes, interessantes Leben.

Neues Land und neue Eindrücke, eigenartige Menschen, die amüsante Notwendigkeit, die englische Sprache zu erlernen, – dazu eine völlige Ungebundenheit, – was verlangte er vorläufig mehr!

Hatte er seine Reitstunden genommen, war er sein eigener Herr und konnte tun und lassen, was ihm beliebte.

Das war die unbeschreiblich schöne Genugtuung und von allen Vorzügen seines neuen Lebens der Hauptreiz, welcher ihm die Sinne wahrhaft berauschte.

Der einzige Schatten, welcher anfänglich in diese grelle Sonne fiel, waren die Reitstunden selber.

Mister Malburne, ein sehr pedantischer und echt »englisch« beanlagter alter Sonderling, erklärte dem jungen deutschen Kavallerieoffizier rundweg, daß er überhaupt nicht reiten könne.

Das Rumjuxen auf den Gäulen sei eben kein Reiten, und der militärische Drill das Todesurteil für alle künstlerische Feinheit der Manegendressur.

Götz hatte zuerst sehr beleidigt aufbrausen wollen, angesichts seiner etwas kritischen Lage zog er es jedoch vor, dem alten Bereiter nur durch eine höfliche Verbeugung zu antworten.

Und dann begann er mit den ersten, einfachsten Anfangsgründen den Unterricht.

Du lieber Himmel! Keinem Rekruten hätte er es daheim zugemutet, das Auf- und Absitzen derart bis zur Erschlaffung zu üben, wie er es jetzt notgedrungenerweise tat. Es kostet einem Mann, welcher sich Jahre hindurch für einen vortrefflichen und schneidigen Reiter gehalten hat, wohl eine namenlose Überwindung, all dieses Selbstbewußtsein zum alten Eisen zu werfen und noch einmal von vorne zu beginnen, – aber gerade hierbei zeigte es sich , daß Götz kein haltloser Durchgänger und Sausewind war,sondern eiserne Energie und Charakterfestigkeit besaß, etwas Begonnenes gewissenhaft durchzuführen.

Sehr angenehm berührte es ihn, daß Mister Malburne etwas durchaus Korrektes in seinem ganzen Wesen und Benehmen hatte und ihn stets als Kavalier und Gentleman behandelte.

Überhaupt hatte er wenig Zirkusallüren an sich, und der junge Graf lernte im Verkehr mit ihm den Artisten von seiner besten, aber leider auch seltensten Seite kennen.

Abensberg besaß viel Nachahmungstalent, und das kam ihm hier sehr zustatten.

Er kopierte seinen Meister aufs genaueste, und wie sich sein Kursus dem Ende näherte, hatte er die große Genugtuung, daß ihm der alte Meister der Hohen Schule voll außergewöhnlicher Herzlichkeit die Hand schüttelte und sprach:

»Es bleibt mir kaum noch etwas zu lehren! Sie haben viel gelernt, mein junger Freund, wohl ebensoviel, als ich selber ehemals leistete, als ich mir die Lorbeeren auf meinem Goldendream holte! Ich kann sie getrost in die Welt hinausschicken, die Leute werden sagen: ›Er reitet wie Malburne!‹«

Götz strahlte.

Mehr denn je hing ihm der Himmel voller Baßgeigen, und da just an diesem Tage Mademoiselle Lou mit ihrem Wanderzirkus zu einem längeren Gastspiel nach London kam, so ward das Wiedersehen voll übermütigsten Jubels und einer Opulenz gefeiert, welche dem sparsamen Götz ganz ungewohnt geworden war.

Mit Lou hatte er in sehr regem Briefwechsel gestanden; ein paarmal hatte ihn die kleine Kollegin auch von Oxford aus, woselbst sie zuerst Engagement gefunden, besucht.

Leider hatte Mister Carrie, ihr Prinzipal, momentan gar keine Verwendung für einen Schulreiter!

Lou erzählte es sehr ärgerlich und betrübt, und schlug dem Freunde vor, sowie er sich an einen Agenten, zwecks Stellung, wende, solle er es ihr sogleich mitteilen, auf daß auch sie sich bemühe, mit ihm zusammen ein Engagement zu finden!

Im Notfall könnten sie sich ja als Ehepaar ausgeben, welches nur gemeinschaftlich arbeiten wolle!

Sie machte ein recht erwartungsvolles Gesicht und sah den Freund scharf an bei diesem Vorschlag, Götz war aber etwas zerstreut und schien ihn überhört zu haben.

Er schrieb an einen Agenten, schickte seine Photographie ein und war überzeugt, daß er umgehend die glänzendsten Offerten erhalten werde.

Er täuschte sich.

Tag um Tag, Woche um Woche verging, ohne daß eine solche eintraf.

Der Agent zuckte mit seltsamem Lächeln die Achseln.

»Sie müssen Geduld haben, junger Mann!« sagte er gleichgültig. »Momentan ist es eine ungünstige Zeit, alle Fächer überfüllt! Aber im Herbst, zur Wintersaison, da läßt sich eher was machen, als jetzt, wo alle Unternehmen auf Gastspielreisen sind!«

Götz war einen Augenblick wie betäubt.

Geduld haben! Das ist schön gesagt!

Ein Mensch, der kein Geld hat, hat auch keine Geduld.

Seine Mittel waren in den nächsten Tagen erschöpft, und keine Aussicht vorhanden, Geld zu erhalten!

Zum erstenmal im Leben befand sich der verwöhnteste aller Garde-Kavallerieoffiziere vis-à-vis de rien!

Ein wunderliches Gefühl überkam ihn, eine Niedergeschlagenheit und bittere Mutlosigkeit, wie er sie nie zuvor gekannt.

Was sollte er anfangen, wenn sein Geld zu Ende war und kein Engagement erfolgte?

Ganz unwillkürlich streifte sein Blick den eleganten, eingelegten Pistolenkasten, welchen er, als Andenken an seinen Großvater, nicht verkauft, sondern mit sich genommen hatte.

Ein scharfes Jucken ging um seine Lippen.

Nein! Das wäre ein zu schnelles, ein allzu erbärmliches Ende!

Noch hat er den Kampf um das Dasein nicht aufgenommen, noch steht er an der Schwelle des neuen Lebens.

Erst will er sich mit Aufbietung aller Kräfte in die dunklen Wogen werfen und nach dem rettenden Ufer steuern!

Noch sollen sie daheim nicht über den schlappen, energielosen Burschen spotten, der den Mut hatte, sein Geld von sich zu werfen, aber nicht den starken Willen besaß, auch ohne dasselbe sich durchzuschlagen!

Götz biß die Zähne zusammen und hob mit aufblitzenden Augen den Kopf.

Er hat zwei Fäuste, er wird arbeiten.

Zu seiner Überraschung trat in diesem Augenblick Lou bei ihm ein, zu ganz ungewohnter Stunde.

»Ich habe Appetit auf Austern,« lachte sie; »komm mit zu Dawson, er hat die besten Nativs!«

Er lächelte bitter.

»Unmöglich, meine Teuerste!«

»Nein? Was hast du?« – Sie trat näher und zog den ärgerlich Widerstrebenden an das Fenster, ihm prüfend in das sehr blasse Gesicht zu sehen. Dann flog ihr Blick nach dem Tisch, wo sein Portefeuille noch aufgeschlagen lag.

»Ah – du sitzest trocken? Alles futsch, poor boy?, und darum deine Entsagung? Nun, so lange ich da bin, brauchst du dich doch nicht um ein paar Goldkröten zu grämen! Weißt ja, daß ich brillante Gage beziehe... Na, und was mein ist, ist auch dein! Also los! Du bist mein Gast! Komm mit!«

Er schüttelte finster den Kopf. »Laß mich, Lou! Ich bin nicht in der Stimmung! Ich komme soeben von dem Ungeheuer, dem Agenten!«

»Aha – ist Essig mit einem Engagement? Dachte es mir schon – faule Zeiten jetzt. Na aber, um so besser! Dann hast du Zeit, mein Kavalier zu sein! Ich sage es dir ja, ich habe genug für uns beide! Wenn du Geld willst, sag's nur! Heute abend schicke ich dir ein paar bunte Lappen, habe jetzt nur gerade fürs Diner bei mir. Also sei kein Frosch und komm mit! Wir wollen lustig sein!«

Götz war dunkelrot geworden. Sein ganzer Stolz bäumte sich auf bei dem Gedanken, ein Weib, eine Artistin anzuborgen oder um Unterstützung zu bitten.

»Ich ertrage den Gedanken nicht, ohne Arbeit, ohne Beschäftigung zu sein!« rief er heftig. «Ehe ich nicht selber Geld verdienen und die Austern bezahlen kann, esse ich keine!«

Sie maß ihn mit zwinkerndem Blick. »Wenn es dir nur um Arbeit zu tun ist – na, die findest du auch bei Carrie, wenn ich mich für dich verwende! Du darfst nur nicht wählerisch sein, mußt ordentlich zufassen und von der Pike auf beginnen!«

»Es soll mir alles recht sein! Wenn ich nur ein paar Schilling verdienen kann!«

Sie warf sich auf das Sofa und lacht noch mehr.

»Närrischer Kauz! Beim Himmel, solche Originale, solche Arbeitswüteriche wie du, gibt es nicht viele! Also ich verspreche es dir, für Arbeit für dich zu sorgen, aber dafür gehst du jetzt mit mir!«.

Sein Auge hatte aufgeleuchtet, er zog ihre Hand an die Lippen. »Ich würde dir unaussprechlich dankbar sein, Lou, wenn du dich bei Carrie für mich verwendetest! Es würde mir eine wahrhafte Wohltat sein, Beschäftigung zu finden, das Bewußtsein zu haben, etwas zu leisten und zu verdienen! Mitgehen werde ich selbstredend, um dein Kavalier zu sein, aber – aber Austern esse ich nicht!«

Sie machte ihm einen schelmischen, etwas ironischen Knicks. » Well, dann sieh' zu, wie sie mir schmecken, ich sehe, du bist ein Mann von Grundsätzen.«

Wahrlich, so sehr sich die Reiterin auch im stillen wunderte – Götz aß sehr gelassen ein belegtes Brot und war auch durch den lockenden Anblick der Austernplatte nicht zu bewegen, seiner Freundin Mahl zu teilen.

Lou schalt, spottete, zürnte – alles vergeblich. Schließlich schob sie die Nativs zurück und aß ihm zur Gesellschaft auch nur Butterbrot. Das fand er rührend, und er war auch so heiter und unterhaltend wie möglich, aber der finstere Schatten von seiner Stirn wollte nicht weichen.

Als Lou nach Hause, in ihr elegantes Hotelzimmer kam, dehnte sie sehr wohlzufrieden die Arme. Der Zeitpunkt, auf welchen sie so ungeduldig gewartet, war gekommen. Götz in Geldverlegenheit!

Das war der Moment, wo ihre Aussaat, welche so reiche Ernte bringen sollte, beginnen mußte. Bah! Noch wehrt sich der Narr aus angeborener Ritterlichkeit, eine Dame anzuborgen, denn noch sitzt ihm das Messer nicht an der Kehle!

Wenn er erst einmal geschmeckt hat, wie bitter Hunger und Not sind, dann läßt er die alten Schrullen und Vorurteile beiseite und nimmt die Dukaten, wo er sie kriegen kann. Lou lacht hart auf. Auch diese Zeit wird kommen! Was in ihren Kräften steht, ist geschehen, um den jungen Grafen rettungslos und willenlos in ihre Hand zu spielen.

Der Agent ist ihr Werkzeug, er amüsiert sich über ihre kleinen Intrigen, hilft ihr und verschafft dem tatendurstigen Grafen – kein Engagement. Auch Carrie steht unter dem Bann ihrer dunklen Hexenaugen und wird dem anspruchsvollen Schulreiter höchstens eine ganz gemeine Stallknechtstellung anbieten.

Das wird ihn klein, gefügig und – hungrig machen. Dann werden Lous kleine, weiche Hände der Strohhalm sein, an den sich der Ertrinkende klammert.

Lou lacht noch immer; erst, als sie die Blumensträuße und zarten Billets, ja, ein Etui mit funkelndem Ring auf dem Tisch entdeckt, bewölkt sich ihr Antlitz ein wenig.

Es war bisher wahrlich nicht leicht für sie, all die reichen, generösen Verehrer abzuweisen, sie tat es aus Klugheit, um Götz keinen Grund zu geben, ihr den Titel einer Gräfin verweigern zu können. Und darum muß sie es auch fernerhin tun.

Aber diese unfreiwillige Tugend ist ihr ebenso langweilig, wie verhaßt, und sie wird von Tag zu Tag ungeduldiger, endlich den Lohn für all die Opfer, die sie schon gebracht, einzuheimsen.

Eifersüchtig ist ja Abensberg nicht, aber dafür desto anspruchsvoller betreffs Ruf und Ehre seiner Zukünftigen.

Schon am nächsten Tag suchte Götz den Direktor Carrie auf, da Lou ihm mitgeteilt, daß sie nach grenzenloser Mühe etwas für ihn erwirkt habe.

Es war zur Zeit der Probe.

Wieder flutete das bunte, lebhafte Treiben durch den Stallgang, nur nicht so strahlend lustig und übermütig, wie Götz es ehemals, wenn er auf Lou wartete, kennengelernt.

Ein meist recht rüdes Hasten, Stoßen, Schreien und Schimpfen – übellaunige oder gleichgültig träge Weiber, brutale Reiter und scheltende Stallmeister.

Von den höflichen Verbeugungen und zündenden Blicken, welche ehemals dem Gardekavalleristen gegolten, keine Spur mehr.

Man beachtete ihn gar nicht, antwortete kurz und unliebenswürdig und hielt es kaum der Mühe wert, dem Fremden den Weg nach dem Bureau des Direktors zu zeigen.

Und wie häßlich diese Menschen doch meist bei hellem Tageslicht aussehen!

Gesichter, welche der harte Kampf um Leben und Existenz mit scharfen Linien gezeichnet hat, hohlwangig übertrainiert, mit dem seltsam nervösen, lauernden und mißtrauischen Ausdruck, welchen das ewige » au qui vive« Leben von Leuten, die täglich ihr Totenhemd tragen, mit sich bringt.

Hier denkt man zumeist nur an sich selbst, das Ringen um Erfolg und Einnahme macht rücksichtslos und stumpft die Teilnahme ab. Eine gewisse Kollegialität herrscht wohl, aber sie nimmt niemals sehr sichtbare Form an, man hilft einander aus, man starrt finster und mitleidig auf den Kamerad, welcher sich »wehgetan« und still auf der Bahre davongetragen wird, man schmückt sein Grab mit Blumen und sorgt für seine hilfsbedürftig Hinterbliebenen – und nach ein paar Stunden brausen wieder die lustigen Weisen durch den Zirkus und man hat vergessen, daß sich ein »Malheur« ereignet hat.

Der Artist sieht in seinem Kollegen zumeist nur den Rivalen, welcher ihm ein Hindernis auf der Ruhmesbahn ist; Ausnahmen gibt es selbstredend auch hier, aber diese blühen als so tief versteckte Veilchen zwischen all dem Unkraut, daß kaum ein Mensch sie bemerkt.

Götz war an dem Restaurant vorübergegangen, in welchem die einzelnen Mitglieder rauchend, kartenspielend und würfelnd beisammen saßen, bis die Zeit für ihre Exerzitien gekommen. Aus einem saalartigen niederen Nebenraum, in welchen nur mattes Dämmerlicht durch die kleinen Luken unter dem Blechdach fielen, klang lautes, klägliches Aufschreien und Weinen, dazwischen die schrille, keifende Stimme einer Frauensperson.

»Drei Touren der großen Pirouette! Biegen! Ronde de jambe en l'air! – Nochmals! – Entrechat six! Schlecht, sehr schlecht, Ninetta! Eigensinnige Kitze, willst du es immer noch nicht begreifen, daß die Ellenbogen nicht wie Bratenspieße den Leuten in die Rippen stechen sollen?« –Und abermals traf der harte Stock der Ballettmeisterin die mageren Arme des aufschreienden Kindes. »Nun den dreifachen Kreuzsprung! – He! Hoppla! – Den Spitzentanz! – La flèche ... Warum bleibst du zurück, Georgine, du Faultier? Die Zehen bluten dir? – Larifari! Marsch! sag' ich – oder ich helfe mit dem Stocke nach!«

Götz hatte ganz entsetzt die Ballettübung angestarrt, er biß die Zähne zusammen und schritt weiter bis zu der niederen Holztür, über welcher ein Schild angebracht war, auf welchem »Verbotener Eintritt« stand.

Er klopfte, und Mr. Carrie rief ein etwas mürrisches »Herein!«

Kaum, daß er von seinem Pult aufblickte.

»Schüler von Malburne? Hm – ungeschickte Wahl eines Lehrers! Malburne ist veraltet – total veraltet – kein Mensch reitet heutzutage mehr den alten Zopf wie, er!«

So ungefähr lautete die recht ermutigende Begrüßung.

»Stellungen sind nicht vakant bei mir, – selbst als einfachen » rider« kann ich Sie nicht einstellen. Wenn Sie Stallmeisterdienste tun wollen? Well! Sie haben in Quadrillen und Pantomimen mitzureiten, – Einzelleistungen ausgeschlossen. Sie verrichten sowohl in der Probe, wenn ich die Freiheitspferde dressiere, wie auch abends bei den Vorstellungen Hilfsdienste. Sie reißen die Pistentür auf, wenn ein Reiter die Manege verläßt, Sie halten Reifen und sonstige ›Objekts‹, falls Sie dazu geübt und firm genug sind. Man wird Sie prüfen und unterweisen. Auf jeden Fall haben Sie ›Uniform‹ zu stehen. An Gage monatlich fünfundzwanzig Franken. Mehr gebe ich nicht, habe Sie nicht nötig, beschäftige Sie nur aus Gefälligkeit. Sind Sie lediglich Schulreiter oder beherrschen Sie auch ein anderes Fach? Gymnastiker? He? Seriös oder komisch? Nichts von allem? Hm, ist aber absolut notwendig. Bei den Charivaris unerläßlich. Treten Sie baldmöglichst als Eleve ein. Guten Morgen. Kontrakt können Sie heut abend unterschreiben. Um fünf Uhr sind Sie hier. – Good-bye

Götz war entlassen.

Er wußte selber nicht, wie er die Tür erreicht. Sein Antlitz war leichenfahl, seine Brust arbeitete in schweren Atemzügen.

So nichtachtend, so wegwerfend, wie er soeben behandelt war, hatte er früher keinen Stiefelputzer abgefertigt.

Wußte Carrie nicht, wen er vor sich hatte?

Sagte Lou ihm nicht, daß er ein Graf Abensberg... Nein, das sollte und durfte sie ihm ja gar nicht sagen, denn er war kein Graf Abensberg mehr, er war nur noch der Schulreiter »Mister Dougal-Higdins« – und jetzt war er sogar nur einfach Dougal, der Stallknecht.

Wozu einem solchen gegenüber höflich sein!

Er ist eine bezahlte Kreatur.

Bezahlt? Aber wie bezahlt! Herr des Himmels! Fünfundzwanzig Franken pro Monat! Das war zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.

Als Götz vor dem Direktor stand und dieser es nicht einmal für der Mühe wert fand, sich zu erheben, da kochte das wilde, stolze Blut hoch auf in dem Herzen des jungen Offiziers, er mußte sich mit vollster Energie Gewalt antun, um dem unverschämten Burschen nicht mit gerunzelten Brauen entgegenzutreten und ihn Manieren zu lehren. Voll zitternder Resignation würgte er seinen Zorn hinab und stand stumm, aber hoch und stolz aufgerichtet vor dem Engländer.

Er mußte sich fügen, wenn er nicht betteln gehen wollte.

Und was trug ihm diese namenlose Selbsterniedrigung ein? Fünfundzwanzig Franken! – Götz möchte schallend auflachen, aber seine farblosen Lippen verzerren sich nur.

»Es ist der Anfang – und aller Anfang ist schwer!«

sagt er sich selber zum Trost. »Der Würfel ist gefallen, ich muß ihn rollen lassen.«

Auf jeden Fall wird er alles daran setzen, so bald wie möglich ein Engagement als Schulreiter zu erhalten.

Lou tröstete ihn ebenfalls.

»Nur guten Mut, nur durchhalten! Sieh' die ganze Sache nur als einen Karnevalsscherz an und lach' darüber! Wegen des lumpigen Gehalts mach' dir keine Sorge! Carrie bezahlt mich ja desto glänzender, und du weißt, daß mein Gehalt auch das deine ist!«

Götz wandte mit finsterem Blick den Kopf und antwortete nicht.

Sein Zirkusdienst gestaltete sich alle Tage unerträglicher.

Nichts ist schwerer für den Stolz eines gebildeten Menschen, eines ehemaligen Offiziers, als eine unwürdige Behandlung von seiten brutaler und ungebildeter Menschen erdulden zu müssen.

Herr des Himmels, wo blieben die schillernden, seligen und gleißenden Bilder des Zirkuslebens, welche ihm ehedem vorgegaukelt?

Ach, wie furchtbar anders waren sie in der Wirklichkeit! Wie völlig verändert erscheint das Leben der Manege, wenn man es ehemals als reichster Majoratherr in stolzer Gardeuniform geschaut und es dann als namen- und mittelloser Stallknecht wiedersieht!

Es war ganz unmöglich, daß Götz von seiner Gage leben konnte, obwohl er sich bis zum Darben und Hungern einschränkt, und nur eine elende Dachkammer in Gemeinschaft mit einem Kellner bewohnte. Lou drängte ihm ihr Geld beinahe auf, aber je ungeduldiger sie es ihm in die Hände drücken wollte, desto stolzer und schroffer wies es Götz zurück.

Er nahm keine Almosen ... am wenigsten von einem Weibe! Lieber sterben!

Lou weinte, flehte – spielte in jeder nur denkbaren Weise die Versucherin – umsonst.

Der Charakter des jungen Grafen schien in dem Fegefeuer von Not und Demütigung nicht haltlos zu schmelzen, sondern fest und hart zu werden, wie echtes Gold.

Wohl war es auch jetzt noch ein gutes Teil von Eigenwillen und Trotz, das ihn zur Opposition reizte, aber seine guten und edlen Anlagen zeigten sich doch schon größer und stärker als der Leichtsinn, welcher sie bedrohte.

Ein anderer Stallknecht hatte ihm den Rat gegeben, sich noch eine zweite Beschäftigung für die freien Stunden zu suchen und Götz hatte ihn befolgt.

Er versuchte es zuerst als Kellner in dem Gasthof, wo er wohnte, um sich Logis und Beköstigung zu verdienen, aber gerade die Abendstunden, welche er im Zirkus zubringen mußte, waren dem Wirt die wichtigsten.

Durch einen Zufall fand er Beschäftigung in dem Rennstall eines reichen Industriellen.

Man gab ihm den Auftrag, Pferde zuzureiten und zu bewegen, eine Beschäftigung, welche dem jungen Grafen recht sympathisch war und nur durch die auch hier höchst geringschätzige Behandlung von seiten des Parvenüs einen recht bitteren Beigeschmack erhielt.

Götz litt unsäglich darunter, und nur die Not zwang seinen stolzen Nacken auch in dieses Joch. Bezahlt ward er sehr gut, und die Genugtuung, sein Brot selber zu verdienen, entschädigte ihn.


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