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X.

Der Zirkus Sontini glich einem funkelnden Lichtermeer.

Wie ein nicht enden wollender Strom ergoß sich das Publikum in den Zuschauerraum, welcher, einem Moloch gleich, die Massen in seinem riesigen Innern verschlang, ohne auch nur sekundenlang ein unangenehmes Gedränge entstehen zu lassen. Die vortrefflich geschulten Diener in ihren prunkenden Livreen ordneten, dirigierten und plazierten die unaufhörlich einströmenden Menschen, – die Equipagen rollten herzu, Feuerwehrleute und Gasarbeiter bezogen ihre Posten, Glockenzeichen erklangen und jubelnde Musikweisen erbrausten wie ein Gruß aus fremdem, glänzendem Wunderland, – die Herzen aller jener mit brennender Neugierde und Sehnsucht erfüllend, welche sich draußen vor dem Gebäude stauten und ingrimmig oder trübselig die Hände in die leeren Taschen versenkten.

Durch das Foyer, das Vestibül und den Stallgang hastete ebenfalls eine erregte, schwatzende und lachende Menschenmenge.

Ein buntes, lebensprühendes Bild, welches selbst das Auge des Pessimistischsten und Blasiertesten in interessiertem Schauen aufleuchten ließ.

Namentlich der Stallgang bot viel des Reizvollen und Wechselreichen.

Die Jockeis und Stallknechte rannten in ihrem glänzenden Kostüm oder der blauen, silberverschnürten Gala geschäftig hin und her, rissen dort die mächtige Drillichplane von den bunt bemalten Requisiten, welche die schallende Stimme des Regisseurs zum »parat« kommandierte, hasteten nach der Sattelkammer, um prächtige Zaumzeuge, Sättel und Panneaus nach den Ställen zu schleppen, oder folgten dem ungeduldigen Auf nach den Garderoben, wo vergeßliche Artisten noch diesen oder jenen Auftrag schnell erledigt haben wollten. Die ganze mitwirkende Terrasse versammelte sich, – kokette Tänzerinnen in Flor und Gaze, die Reiter in malerischen Kostümen, die Clowns in der übertriebenen Gigerleleganz oder den altgewohnten Pluderhosen, mit farbigen Perücken und grotesker Maske, – dabei stets neu, originell, zu jubelndem Gelächter reizend.

Dort kläffen die dressierten Doggen, wiehern ungeduldig die Pferde, klingt Kommando und Peitschenknall, und hinter dem mächtigen Vorhang tönt das Lachen, Schwatzen, Kommen und Gehen des Publikums wie grollende Meeresbrandung, durch welche Geigen und Trompeten ihr Willkommen jauchzen.

Die Logen haben sich bis auf den letzten Platz mit der elegantesten Gesellschaft gefüllt.

Reizende Frauen- und Mädchengesichter, Damen in erlesensten Toiletten und Herren in tadellosem Zivil oder der geschmackvollen Garde-Uniform reihen sich zu farbenbuntem Kranz.

In der Loge nächst dem Stallgang hat eine Anzahl junger Kavallerie-Offiziere Platz genommen.

Graf Abensberg sitzt in der vordersten Reihe, lebhaft, durch seinen Sieg auf dem Rennplatz in animiertester Stimmung.

Seine schöne Erscheinung fällt allgemein auf – groß, schlank, sichtlich trainiert.

Sein Haar ist dunkel und nicht kurz geschoren, sondern in eleganten kleinen Wellen in die Stirn gelegt, dunkle, etwas tief liegende Augen blitzen wie die verkörperte, ungezügelte Leidenschaft aus dem gebräunten, schmalen Gesicht, welches dem Kenner verrät, daß Graf Götz nicht allzu solid lebt.

Aber gerade das macht interessant, das gibt dem schön geschnittenen Gesicht einen Ausdruck, wie ihn die tolerante Großstädterin liebt.

Graf Abensberg strich den dunklen, kleinen Schnurrbart siegeskeck empor und musterte die nachbarlichen Logen.

»Der Löwe geht auf Raub aus!« lachte sein dicker, rotwangiger Nachbar in Dragoneruniform. »Sei großmütig, alter Wüstenkönig, und laß uns auch 'was übrig!«

»Gewiß, Jochen! Alles Pferdefleisch, was sich sogleich in der Manege drunten zeigen wird!« spottete Götz schlagfertig.

Ein Paukenschlag und Tusch, – der Vorhang rollt zurück, ein glänzender Schwarm von Galonnierten sprudelt aus dem Stallgang hervor, die Piste wird geöffnet, und unter schallenden Fanfarenklängen braust ein russisches Dreigespann in die Manege.

Eine glänzende Suite von Darstellungen folgt. Als vorletzte Programmnummer des ersten Teils erschien Miß Dorothy auf englischem Vollblut, in unbeschreiblich schickem Reitkleid aus dunkelblauem Tuch, eine frische, weiße Rose an der Brust.

Götz hat sich weit vorgeneigt und folgt der schönen Erscheinung mit dem Blick.

Er ist überrascht. Miß Dorothy Longhill ist weder blond, noch sentimental.

Sie hat sich fraglos bei der »Wahl« ihrer Nationalität vergriffen.

Eine stolze, üppig gewachsene Juno mit braunwelligem Haar und blitzenden Augen – »ein königliches Weib!« wie Jochen bewundernd seinem Nachbar zuraunt.

Und reiten kann sie, daß jedem Kenner das Herz im Leibe lacht!

Nur Götz zuckt die Achseln.

»Schulreiterinnen imponieren mir nicht sonderlich!« sagte er halblaut. »Höchstens der Sitz, die Haltung, Ruhe und Eleganz sind anerkennenswert, namentlich beim Hürdensprung, wie ihn die Longhill eben ausführte. Sonst hatte ihre Reiterei leine persönlichen Verdienste! Ein Schulreiter dressiert wenigstens in der Regel sein Pferd selbst und leistet dadurch etwas, – aber ein Frauenzimmer setzt sich nur auf einen brillant eingerittenen Gaul, gibt ihm die nötigen kleinen Hilfen und reitet darauf los! Das kann schließlich eine jede, die etwas Schneid hat!«

Lebhafter Widerspruch erhob sich, namentlich Baron Jochen verteidigte die Finessen der hohen Schule unter einer Dame aufs energischste, und just, als ob Miß Dorothy ihren unbekannten Ritter und Verteidiger in der Loge ahnte, flog ihr Blick empor, – ein zündender, zwingender Blick, stolz, ruhig, ohne das obligate Lächeln, so daß selbst Götz, stürmisch applaudierend, die Hände hob und murmelte: »Die weiße Rose wartet nur darauf, von einer roten verdrängt zu werden!«

Miß Dorothy grüßte und dankte mit dem Stolz einer Fürstin nach allen Seiten gleichmäßig, und selbst, als sie nach stürmischem Applaus noch einmal in die Manege zurücksprengte und den Goldfuchs durch leichten Gertenschlag auf die Knie zwang, hatte sie keinen besonderen Blick für die Offiziersloge, geschweige, daß ihr Auge Graf Abensberg gesucht hatte.

Das verdroß den Verwöhnten.

»Eine Zirkusreiterin muß in das Publikum kokettieren!« spottete er. »Die Solidität bei Artistinnen wirkt wie eine Fliege in der Bouillon!«

»Wird schon alles kommen!« – lächelte Leutnant Jochen zuversichtlich. «Erst mal kennenlernen! Kommen Sie in der Pause mit in die Stalle, Abensberg?«

»Selbstredend!«

»Schenken wir uns die Akrobaten und gehen wir gleich!«

» All right! Los!«

Während die Diener in der Manege harkten und den riesigen Teppich entrollten, stiegen die Herren sporenklirrend die schmale Holztreppe hinab und begaben sich in den Marstall.

Die Tür einer Damengarderobe ward ein wenig geöffnet und zwei dunkle Augen lugten scharf und prüfend nach dem kleinen Trupp Offiziere, welche, mit einem Stallmeister plaudernd, in nächster Nähe stehengeblieben waren.

»Frau Teichmann,« flüsterte Mademoiselle Lou hastig, »Sie sind ja eine geborene Residenzlerin und seit Jahren hier im Zirkus als Garderobiere tätig, kennen Sie die Herren dort?«

Die wohlbeleibte Alte mit dem roten Gesicht, dessen Ausdruck von recht lebhafter Vergangenheit sprach, drängte hastig herzu.

»Die da? – Lassen Sie man sehen, Fraileinchen! – Nee, die beiden jungen Dachse kenn' ick nich, – aber der Dicke mit das kurzjeschorene helle Haar steht bei die Drajoner un' is, so vill ick weiß, ein Baron Maltitz. – Wat Reelles is da nich hinter – wenigstens was die Grete von's Ballett is, sagte, der Olle von ihm hätte ziemlich abjewirtschaftet aufs Jut und hielte den Sohn nun mächtig knapp. – Aber rechts, der jroße. schlanke, mit das hübsche, hagere Jesicht, das is was fürs Herze! Jraf Abensberg – Jeld wie Heu – Majoratsherr, und eine fidele Haut! Nach dem angeln se alle!«

»Graf Abensberg? Der Dritte neben dem Stallmeister, in der blauen Uniform?«

»Der schmucke Ulane! – Janz recht! Den schaffen Se sich man an, Fraileinchen, da eileben Se Freude!«

Mademoiselle Lou musterte den Genannten mit scharfem Blick. Er hatte ein auffallend hübsches Gesicht und war leicht wiederzuerkennen.

Vortrefflich, – die Saison begann gut; ein günstiger Stern schien diesmal über Mademoiselles Haupt zu schweben.

Die Pause war zu Ende, die Klingeln rasselten in den Gängen und Foyers, – die Musik intonierte von neuem.

Die Offiziere hatten sich etwas lange bei einem bildschönen jungen Araberschimmel aufgehalten, welchen der Direktor zum Spring- und Apportierpferd dressieren wollte, und fanden es nun angenehmer, anstatt in ihre Loge zurückzukehren, auf den Sattelplätzen drunten, am Stallgang stehenzubleiben.

Hier, dicht vor dem Vorhang und nahe der Piste sahen sie alles, was da in die Manege kam, aus nächster Nähe, auch konnte man bequem die vorderste Parkettreihe überschauen, und die Herren wußten, daß diese im Zirkus dasselbe bedeutet, wie im Theater die Schauspielerlogen.

Die Damen und Herren, welche ihre »Nummer« absolviert und sich umgekleidet hatten, nahmen oft noch auf diesen Sitzen Platz, das Ende der Vorstellung abzuwarten.

Vielleicht erschien auch Miß Dorothy noch, es dem Zufall anheimzugeben, ob für die entblätterte weiße Rose ihr vielleicht noch eine glühende, sprühende und purpurfarbene erblühen möchte.

Die ersten beiden Vorführungen des zweiten Programmteils waren vorüber, die dritte Nummer nannte den Namen der Mademoiselle Lou.

Der Clown Alexander hatte sein »musikalisches Potpourri« unter stürmischem Beifall ausklingen lassen, die Musik intonierte den Feuerwehrgalopp, und etwas gegen das sonstige Entree der Forcereiterinnen sprengte Mademoiselle Lou auf ihrem Lipizanoschimmel heran. Auf beiden Seiten der geöffneten Piste hielten zwei Stallmeister einen großen, durch weißes Seidenpapier verklebten Reifen, durch welchen die elfenhafte Gestalt der Reiterin in die Manege hineinsprang, – eine reizende Überraschung!

Das wirkte stets außerordentlich und auch heute lohnte stürmischer Beifall den gelungenen Trick. Der Schimmel verfiel in gemäßigteres Tempo, der Stallmeister führte die Peitsche, und die obligaten Evolutionen begannen.

Götz klemmte voll Interesse das Monokel ein.

»Famos!« – sagte er und folgte mit beinahe betroffenem Blick der Reiterin. Die Schönheit ist auf dem Panneau ein nicht allzu häufiger Gast, darum wirkte die pikante, reizvolle Erscheinung der kleinen Französin doppelt angenehm.

Mademoiselle Lou war als Schmetterling in die Manege geflattert.

Irisierende Florröckchen, zart und duftig wehend wie ein buntschillernder Hauch, umspielten die graziöse Gestalt, kleine Flügel zitterten gleich verkörpertem Mondschein an den Schultern, und in dem lockigen, hochtoupierten Haar schwebte ein riesiges Pfauenauge mit langen, goldenen Fühlhörnchen.

Das war ein entzückender Anblick.

Die rosigen Arme und die Beine zeigten eine wundervolle Form und wurden so zierlich und anmutig bewegt, wie von einer Prima Ballerina.

An langen, rosa Drahtbändern hielt Mademoiselle Lou vier andere, künstlich gefertigte Schmetterlinge, welche sie anscheinend zu fangen bemüht war.

Eine reizende, zauberische Jagd, bei welcher die Reiterin die zierlichsten Entrechats und trotz ihrer Höhe die kühnsten Ballonsprünge ausführte.

Sie warf den glitzernden Schleier nach den Flüchtlingen, sie schmollte, lockte, winkte, sie führte auf dem verhältnismäßig so kleinen Panneau dreimal in der Runde den Spitzentanz aus, an den sich eine lange, wirbelnde Pirouette reihte, welche wiederum mit der anmutigsten Attitüde schloß. Jubelnd drückte die Tänzerin die endlich gefangenen Schmetterlinge an sich, – ihre Augen lachten voll wonnigen Schelms in das Publikum, die Hähnchen blinkten wie Perlen und ein tosender, nicht endenwollender Beifall durchbrauste das weite Haus.

Das Stallpersonal stand »paff« – man wechselte erstaunte, beifällige, ironische Blicke, – der Direktor nickte mit einem leisen, gedehnten »Bravo!« vor sich hin.

Mademoiselle Lou hatte durch ihren neuen Trick selbst ihn überrascht.

Sie hatte nur ein wenig Ballett auf dem Rücken ihres Pferdes getanzt, und damit mehr Beifall geerntet, als die besten Kunstleistungen des Abends.

Mademoiselle Lou hatte das große Publikum richtig taxiert und sich ihren »Schlager« bis zur Residenz aufgehoben.

Was die Leute heutzutage sehen wollen, was zieht und volle Häuser macht, das hat mit der alten, edlen Kunst der seinen Dressur und hohen Reiterei kaum noch etwas gemein.

Prunkvolle Ausstattungsstücke, Pantomimen und sensationelle, pikante oder gruselige Effekte – das sind die Zugmittel, welche das nervöse, verrohte und überreizte Publikum noch liebt.

Etwas für die Augen, für die Nerven!

Der Zirkus ist nicht mehr die Pflegestätte alter, edler Traditionen, die Pferde werden mehr und mehr verdrängt, sie müssen dem Drahtseil, dem Löwenkäfig, den dressierten Doggen und Wunderschweinen, den Messer- und Feuerschaustücken, dem Ballett und Trapez weichen; sie sind nur noch da, um das nötige Relief zu geben, und wenn der Direktor Hohe Schule reitet oder seine Freiheitdressuren vorführt, gähnt die große Menge, und nur etliche Kenner und Kavalleristen regen noch die Hände, der wahrhaften Zirkuskunst Beifall zu spenden.

Mademoiselle Lou glitt in den Sitz und wehte sich mit dem kleinen Spitzentuch Kühlung zu, derweil sie mit bezauberndem Lächeln nach allen Seiten dankte und grüßte.

Der Stallmeister ließ die Peitsche sinken, denn die Reiterin hatte ihm ein Zeichen gegeben, daß sie nunmehr eine Pause zu machen wünsche.

Unter jubelndem Hallo purzelten ein paar Clowns mit brillantem Flickflack in die Manege. Der dumme August ließ seine »Quadratlatschen« exerzieren, und die Aufmerksamkeit des laut jubelnden Publikums war momentan von Mademoiselle Lou abgelenkt.

Diese ritt langsam im Kreise herum.

Weder die Clowns noch die Menschenmenge schienen für sie zu existieren.

Sie hatte die Stelle erreicht, wo die jungen Kavallerieoffiziere an der Piste standen und ihr mit brennenden Blicken entgegenschauten.

Die Reiterin sah gleichgültig über sie hinweg, plötzlich guckte sie merklich empor, ihr Auge schien zu wachsen, wie in jäher Betroffenheit, – sie starrte auf Götz Abensberg, und zwar mit einem Ausdruck solch unverhohlenen Entzückens, daß es dem jungen Grafen, und wäre er noch so harmlos gewesen, hätte auffallen müssen.

Auge ruhte in Auge.

Wie ein elektrischer Funke zuckte es hin und wider – und dann kokettiert Lou eine reizende Verwirrung, senkt beschämt die dunklen Wimpern und zupft an dem Florkleidchen.

Götz ist sprachlos vor Uberraschung und Entzücken. Solch einen sichtbaren Eindruck hatte er noch nie als Fremder, Unbekannter auf eine Dame gemacht.

Der wonnige kleine Schmetterling flog ihm in naivster, reinster Zuneigung an die Brust!

Alles Blut schoß ihm in die Wangen, und Jochen flüsterte beinahe neidisch: »Donnerwetter, Abensberg, haben Sie den Blick gesehen? Sie Glücksmensch! So etwas ist ja geradezu klotzig!«

Götz antwortete nicht, er starrte dem Pferde nach.

Er sah und hörte nicht, was um ihn her vorging, er harrte voll fieberischer Spannung, daß der Lipizano seine Runde vollende und die entzückendste aller Artistinnen wieder an ihm vorübertragen solle.

Da naht sie ... Ist der Blick vorhin ein Zufall, ein Mißverständnis gewesen, ober wird sie abermals den Fremden wahrnehmen? ...

Götz gräbt die Zähne in die Lippe, sein Blick flammt ihr entgegen wie in ungestümer Frage.

Und sie reitet vorüber, ihre Wimpern heben sich wie in süßer Verlogenheit, sie sieht ihn abermals an, wie ein Kind, welches seine Christpuppe schaut, und dann ist's, als ob sie heiß errötet, sie streicht hastig mit dem Spitzentuch über das Antlitz, wendet sich verwirrt zur Seite und schaut nach dem Stallmeister.

Dieser hebt die Peitsche – ein scharfer Knall und der Schimmel setzt sich in Trab, Lou springt auf die Füßchen, – ihre Exercises beginnen aufs neue.

Diesmal die gewöhnlichen altbekannten Sachen. Sprünge durch Reifen, über Leinwand, über gekreuzte Stangen ...

Die kleine Pseudo-Französin macht ihre Sache leidlich, aber sie leistet durchaus nichts Besonderes. Das Publikum jedoch applaudiert ohne Ende.

Fräulein Lou hat die Herzen durch ihre erste Piece gewonnen, nun kann sie machen, was sie will, die Menge sieht nur noch das sympathische, reizende Weib in ihr und überschüttet sie mit Beifall und Gunst.

Der letzte Trick entspricht dem ersten.

Die Schmetterlinge, mit welchen Fräulein Lou zu Beginn gespielt, und die sie gefangen und an sich befestigt hatte, lösen sich plötzlich und fliegen wieder davon, vor dem Kopf des Pferdes her, und mit leisem, wohllautendem Schreckensruf verfolgt sie die kleine Reiterin, um in wilder Hast, wie sie kam, wieder aus der Manege zu verschwinden. Das war überraschend und frischte den ersten Eindruck noch einmal in günstigster Weise auf.

Das jeu de papillon hat seine Schuldigkeit getan. Nicht endender Beifall durchbraust das ausverkaufte Haus, und der entzückende Schmetterling Lou schwebt an der Hand des Stallmeisters zu Fuß in die Manege zurück, verneigt sich und grüßt voll berückender Grazie nach allen Seiten.

Götz hat sich mit schnellem Schritt in die vorderste Reihe geschoben, die duftigen Florkleidchen streifen ihn beinahe, als die Kleine nach dem Stallgang zurückkehrt.

»Bravo! – Bravissimo!« ruft er mit halblauter Stimme. ,

Sein Blick glüht auf ihrem pikanten Gesichtchen, und Mademoiselle Lou blickt zu ihm auf, wie zu einem alten Bekannten.

Sie lächelt, daß die Zähnchen blinken, und nickt ihm zu.

Nur ihn scheint sie zu sehen, für die anderen Herren hat sie kaum eine flüchtig dankende Handbewegung.

»Teufel ja, Abensberg! Das ist ja die reine Liebeserklärung an Sie!« – lacht ein dicker Ulanenrittmeister in tiefstem Baß neben ihm. »Ist dies alles prima vista, oder kennen Sie den kleinen Käfer schon von früher?«

Götz lacht. »Ich entsinne mich dessen nicht, aber wer weiß, vielleicht hat die Holde ein besseres Gedächtnis als ich!«

»Und dabei soll der Mensch solide bleiben!«

»Das verlangt niemand und darum geschieht es auch nicht!«

»Müßten sich auch die Flundern wundern!«

»Hallo! Mensch, wohin?«

Jochen streckte lachend den Arm vor. »Zieh' nicht an den Rhein, mein Sohn, ich rate dir gut!« zitierte er voll etwas schadenfrohen Humors.

»Aha! Das Gläschen will wohl ein Tänzchen wagen?«

»Natürlich, Sie neidischer Figaro! Kommen Sie mit?«

»Ich? Nee, Bester, würde doch nur den Ritter von der traurigen Gestalt spielen, denn: ›Wo drei Verliebte sein, da muß der eine verlassen sein!‹ besagt ein alter Reim!«

»Hört, hört! Das Bekenntnis einer schönen Seele! Drei Verliebte, Herr Rittmeister? Das sagt alles!«

»Abensberg, seien Sie vorsichtig! Kommen Sie mit dem alten Herrn nicht zusammen! So lange er den Dienst ansetzt, ist es mit dem Rendezvous Essig!«

Leises, übermütiges Gelächter, Götz aber klopft Leutnant Jochen wohlwollend auf die Schulter.

»Umsonst, du rettest den Freund nicht mehr.«

»Na, dann laßt fahren dahin!«

,,Wo sehen wir uns wieder?«

»In fünf Minuten hier an Ort und Stelle!«

Götz griff lachend an die Mütze, und während der dumme August seine Attentate auf das Zwerchfell des Publikums machte und die Diener ein hohes Gerüst für die halsbrecherischen Kunststücke eines mit Stelzen springenden Gymnastikers aufbauten, eilte der junge Offizier im Sturmschritt aus dem Zirkus in die blendend erhellte Hauptstraße hinein.

Nur wenige Häuser entfernt befand sich ein Blumenladen.

Götz wählte den schönsten und kostbarsten aller vorhandenen Sträuße, zog seine Brieftasche und kritzelte mit Bleistift schnell etliche Worte auf seine Visitenkarte: »Einer, welcher überglücklich ist, von der bezauberndsten aller Künstlerinnen bemerkt worden zu sein, erlaubt sich, beifolgende Blüten als bescheidene Huldigung zu schicken.«

Ein sieghaftes Lächeln huscht über das schöne, interessante Gesicht des Schreibers.

Der erste Schritt in die schwüle Atmosphäre eines neuen Romans ist getan.

Der junge Graf kennt sehr genau die Reihenfolge der einzelnen Kapitel.

Zwar hat er sich in diesem Monat schon sehr verausgabt, der Totalisator hat beträchtliche Summen verschlungen und eins seiner besten Pferde ist am Lungenschlag gefallen, – auch hat er der hübschen Soubrette Nini, welche ihm sehr bald langweilig geworden, noch einen Abschiedsgruß in Brillanten geschickt ...

Bah, was fragt Graf Götz nach Geld! – Hat er keins mehr, muß Vater eben schicken!

Aus Sparsamkeitsrücksichten kann er unmöglich seine Chancen bei Mademoiselle Lou unausgenutzt lassen.

Also vorwärts! – Mag's zum übrigen kommen!

Abensberg adressiert das Billett, bescheidet den Gärtnerjungen und versäumt dabei nicht, ein wenig mit der hübschen Verkäuferin zu kokettieren.

Dann kehrt er spornklirrend in den Zirkus zurück, läßt sich mit dem heiteren Zitat: »Ah – der Mullah auf verbotenen Wegen!« von den anderen jungen Offizieren begrüßen und beobachtet voll Interesse eine Zeitlang die erste Reihe im Parkett, auf welcher zwei Trapezkünstlerinnen und ein Negerdompteur Platz genommen haben. Miß Dorothy und Lou bleiben unsichtbar.

Götz hat weder Blick noch Interesse für die weiteren Schaustellungen.

Er hat einen der Bediensteten gefragt, ob Mademoiselle Lou ebenfalls bei der Schlußpantomime mitwirke, und eine verneinende Antwort erhalten.

Er schlendert in den Stallgang zurück und promeniert in der Nähe der Garderoben auf und ab.

Der ganze, bunte, glänzende Reichtum an Mensch und Tier, welcher zu der Pantomime erforderlich ist, strömt bereits zusammen.

Südamerikanisches Steppenleben.

Man zeigt, wie im wilden Westen der Cowboy sein Liebchen aus dem Hochzeitszug heraus auf sein Pferd stiehlt, wie er verfolgt wird, wie sein Roß strauchelt und zusammenbricht, wie er geschickt und schnell mit dem Lasso aus der flüchtigen Herde wilder Steppengäule ein anderes fängt, sich mit der Geliebten darauf schwingt und den Verfolgern entflieht, wie er schließlich daheim anlangt und von den Seinen mit festlichem Jubel empfangen wird.

Welch ein Wirrwarr farbenprächtigster Gestalten und phantastisch gekleideter Männer und Weiber!

Götz empfindet ein außerordentliches Vergnügen daran, sich unter dieses lachende, genußfreudige und lebensfrohe Künstlervölkchen zu mischen, auf all die heißen, lockenden Blicke der gebräunten Schönen mit scharmantem Lächeln zu quittieren. Ein Gefühl neidvoller Sehnsucht schleicht sich in sein Herz.

Welch ein köstliches, freies, amüsantes Leben führen diese Artisten!

»Morgen wieder lustik!« – Diese Devise Jerôme Napoleons schwebt auf aller Lippen.

Wenn er dagegen an die mordende Langeweile seines Reithauses, an die Schinderei und monotone Tretmühle des Exerzierplatzes denkt!

Schon der Gedanke allein würgt ihn im Halse. Dagegen solch ein Zirkusleben!

Welche goldene, menschenwürdige Ungebundenheit, welch eine Lust, welch ein Nervenreiz!

Götz ist's zumute, als müsse er sich haltlos in diese sprudelnde Menge stürzen, sich voll Leidenschaft auf ein Roß werfen und mit diesen wilden Gesellen hineinstürmen in Lichterglanz und jubelndes Beifallstosen!

Er hat in all dem Durcheinander ganz vergessen, auf Mademoiselle Lou zu achten.

Jetzt, als die Pantomime beginnt und die Gänge sich leeren, wendet er sich wieder den Garderoben zu.

Eine alte, dicke Frau tritt aus einer der Türen, legt die Hände behaglich über dem Magen zusammen und blickt mit einem solch absonderlichen Gesicht zu ihm herüber, als habe sie ihm etwas mitzuteilen.

Götz tritt langsam promenierend näher und greift an die Mütze.

»Mademoiselle Lou noch anwesend?«

Die Alte lächelt und neigt würdevoll den Kopf.

»Bedaure, Herr Leutnant! Das Fräulein ist schon nach Hause gefahren. So eine Solide, wie die, hält sich nicht unnütz hier auf!«

»Solide?« wiederholt Götz überrascht und gedehnt.

»Das will ich meinen! Was glauben Sie wohl, Herr Leutnant, was dem bildschönen Mädchen nachgestellt wird! Du liebe Zeit! Die Karten und Billetts heute abend und die Blumen, die sie in die Garderobe hier bekam! – Aber die Lou hält etwas auf sich, leicht ist die nicht zu haben! – Schade drum, so was paßt nicht in den Zirkus, nach der Tugend fragen die Männer nicht, und doch sollte sie ihnen gerad' bei so 'nem armen, verlassenen Wurm imponieren. Hat ja nichts, als sich selbst – und ist doch auch aus Fleisch und Blut gemacht, und nicht aus Pappe!«

»Sie sind wohl ihre Kammerfrau?«

»Ich bin Garderobiere und bediene alle Damen!«

»Und kennen Fräulein Lou schon so gut?«

»Noch von früher her, Herr Leutnant!« log Frau Teichmann mit unendlich ehrlichem Gesicht. »Hab' ihr immer gesagt: Mit dem Versteckenspielen bringen Sie's nicht weit, Fräulein Lou! – So 'nen anständigen Herrn, der in allen Ehren mit einer Artistin verkehren will, gibt's gar nicht!«

»Na, na - stopp!«

»Nichts für ungut, gnädiger Herr! Im allgemeinen gesagt! Sollte mich freuen, wenn's Ausnahmen gäbe! Du liebe Zeit, wenn sich solch ein armes Wurm nun mal verliebt! Hat sich so lange in Zucht und Sitte behauptet ... Wäre eine Sünde, solch ein bildschönes Geschöpf in den Staub zu treten!«

»Wenn sie sich verliebt? – Halten Sie das für möglich?«

»Ich denke, einer jeden schlägt mal ihr Stündchen, ob sie sich noch so dagegen wehrt!«

Eine Glocke ertönte und die Alte knickste abermals.

»Mit Verlaub, Herr Leutnant, man ruft mir!«

»Guten Abend, Verehrteste!«

Ein wenig gelangweilt und enttäuscht verließ Götz den Zirkus. Fräulein Lou eine Tugendheldin? – Was hat er dann noch mit ihr zu schaffen? Schade! – Es hatte so amüsant begonnen!

 


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