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Gräfin Abensberg teilte ihrem Gatten unverzüglich ihren Plan mit, und es kam dem alten Herrn auch wie eine Offenbarung, daß nur so durch eine solide Ehe, der verlorene Sohn auf rechte Wege zurückgeleitet werden könne.
Er sprach Malwine seine begeisterte Anerkennung für diese diplomatische Idee aus und nickte auch sehr einverstanden und schier bewundernd mit dem Kopf, als Ihre Exzellenz Fräulein Flavia von Husby als die geeignetste Heiratskandidatin nannte.
»Ich habe das junge Mädchen nur einmal flüchtig gesehen, anläßlich unseres letzten Balles, wo ich mich den mir noch fremden Namen vorstellen ließ. Ehrlich gestanden, ich entsinne mich kaum noch, wie sie aussah, weiß nur, daß sie ein paar herrliche dunkelblaue Augen hat, welche unendlich mild und liebenswürdig zu mir aufschauten! Sie ist noch sehr jung?«
»Sie kommt zwar eben erst aus der Pension, ist aber doch schon neunzehn Jahre alt. Gräfin Heinau war nicht allzu eilig, die arme Waise bei sich aufzunehmen!«
Der Regierungspräsident sah plötzlich ein wenig beklommen aus.
»Was aber nun, wenn Götz sich nicht in sie verliebt?«
Malwine zuckte ungeduldig die Achseln.
»Laß mich jetzt, bitte, ganz unumwunden mit dir reden, Bolko! Du hast bisher die Angewohnheit gehabt, deine Kinder stets um ihre Ansicht zu befragen, anstatt ihnen dieselbe zu diktieren. – Das ist eine ganz verkehrte Sache, und was für Früchte solch eine tolerante Erziehung zeitigt, haben wir jetzt gesehen. Wenn du es deinem Sohn überlassen willst, dir eine Schwiegertochter in das Haus zu führen, so kannst du dich auf eine Kunstreiterin oder eine Balletteuse gefaßt machen, denn diese Art Verkehr kultiviert ja Götz beinahe ausschließlich, und ich fürchte, durch denselben ist sein Geschmack schon derart verdorben, daß er vorerst gar kein Interesse für anständige Damen haben wird. – Die Arznei seiner Ehe muß erst mit der Zeit wirken, wenn ihm durch den Anblick einer vornehmen, edlen Frau die Augen wieder aufgetan werden!«
»Wenn ihm reine und keusche Frauen vorerst kaum Interesse einflößen, wird er sich ganz entschieden weigern, die Ehe einzugehen!«
»Es wird ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als wie zu gehorchen, wenn du diesmal die nötige Energie und Konsequenz zeigen wirst!« – Malwine sagte es kalt, beinahe schroff, und sie hob das Haupt so stolz und imponierend wie eine gebietende Königin. »Götz hat vorerst nur einen Willen, und das ist der seines Vaters.«
»Aber Malwine, du kennst doch seinen Charakter! Ich kann ihn doch nicht an den Altar schleifen!« stöhnte Seine Exzellenz.
»Das nicht, aber dennoch kannst du ihn moralisch dazu zwingen. Du wirst ihm in voller Ruhe, aber mit vollstem Ernst erklären, daß du ihn enterbst, falls er sich nicht deinem Wunsche fügt! Dir steht das Recht zu, das Majorat in Minorat, zu Quirins Gunsten umzuwandeln, ebenso hast du die freie Verfügung über dein Privatvermögen. Von mütterlicher Seite besitzt Götz kein Erbe. Ich glaube, es wird dem namenlos verwöhnten jungen Herrn nicht gleichgültig sein, ob er einer der reichsten Grundbesitzer oder ein Bettler ist. Wenn du die Goldquellen versiegen läßt und deine Hände von ihm zurückziehst, nicht nur als Drohung, sondern als Tatsache, dürfte er wohl zur Einsicht kommen.«
Seine Exzellenz atmete schwer und stützte das Haupt wie ein Schwerkranker in die Hand.
»Der Junge ist zu rabiat, Malwine! Ich traue es ihm zu, daß er uns den Bettel vor die Füße wirft und geht!«
»So laß ihn gehen! Will es nicht biegen, muß es brechen. – Auch der verlorene Sohn ging; als er aber seine traurigen Erfahrungen gemacht, als das Leben ihn in seine schwere, ernste Schule genommen, da kehrte er zurück. Will Götz nicht hören, so laß ihn getrost fühlen.«
»Er wird mit Schimpf und Schande untergehen!«
»Nein, er wird sich durchringen! Das Schmiedefeuer des Schicksals wird das Gold aus den Schlacken schmelzen! Laß ihn getrost seinen eigenen Weg gehen, wenn er es in sinnloser Verblendung will. – Er ist viel zu gut beanlagt, von Natur viel zu hoch und edel denkend, um im Sumpf stecken zu bleiben!«
Das klang so zuversichtlich, so überzeugt, daß der Präsident die Hand der Sprecherin mit festem Druck ergriff, ihr aufatmend in die klaren Augen schaute und plötzlich fest und entschlossen sagte: »Du hast recht, Malwine, ich sehe es jetzt selber ein, daß nur auf diese Weise noch etwas bei dem Jungen zu erreichen ist. Bereite denn alles, bitte, vor, – ich überlasse es dir, deinem Scharfsinn und Takt, die Braut für ihn zu werben. – Möge Gott seinen Segen dazu geben!«
Noch an demselben Nachmittag hielt der elegante Abensbergsche Viererzug vor Schloß Dolgen, und Malwine betrat als freudig begrüßter Gast die Salons, woselbst sie Gräfin Heinau allein vorfand.
Das kam ihr sehr gelegen.
Ihre Exzellenz war nie eine Freundin von Umschweifen und Versteckspielen gewesen, sie hielt es für das beste, Frau von Heinau in ihre Pläne einzuweihen und sie zur Verbündeten zu machen.
Sie besaß genügend Menschenkenntnis, um es schon im voraus zu wissen, daß die eitle, gefallsüchtige Frau die Pflegetochter lieber heute als morgen unter die Haube bringen möchte, denn Flauvias morgenfrische Schönheit war eine üble Konkurrenz für die alternde Frau, welche gern noch ein paar Jahre ungeteilter Triumphe genießen möchte, ehe die eigenen Töchter sie in die Kategorie der Ballmütter einrangierten.
Malwine hatte sich in, der Tat nicht getäuscht. Die Gräfin faßte die Idee, Götz und Flavia miteinander zu verloben, geradezu begeistert auf.
»Ob sich das junge Gänschen in Ihren Herrn Stiefsohn verlieben wird, teuerste Exzellenz? Nun, ich dächte, das stünde außer Frage! Graf Götz ist ein anerkannt schöner Mann – er kommt, wird gesehen und siegt!«
»Es wäre ein Glück, wenn Flavia ihn tatsächlich von Grund des Herzens lieben würde, denn die Liebe überwindet alles und erträgt alles, und ich fürchte, bis die junge Frau endlich über den Brausekopf siegen wird, gibt es gar manch Schweres für sie zu ertragen!«
»Ich versichere Sie, Exzellenz, Flavia ist wie geschaffen für eine solch aufopfernde Mission! Sie ist ja wie eine kleine Heilige – hat den Kopf voll phantastischer Ideen, möchte am liebsten Diakonissin werden und kennt keinen edleren Daseinszweck, als sich für fremde Menschen aufzuopfern! Seltsam! Geradezu unbegreiflich! – Aber, wie gesagt, geradezu geschaffen zur duldenden, liebenden Gattin, welche durch engelhafte Güte, Nachsicht und Edelmut einen Mann auf rechte Wege lenkt!«
»Diesen Eindruck hatte ich auch von ihr!«
Malwine zog einen Briefumschlag aus dem Muff und legte ihn auf die schwarze Ebenholzplatte des Tisches.
»Ich habe Ihnen hier das neueste Bild meines Sohnes mitgebracht; er sieht tatsächlich sehr gut darauf aus, vielleicht können Sie es diskret verwenden, um Flavia schon jetzt etwas für ihn zu interessieren. Aber selbstredend mit größter Vorsicht – junge Mädchen sind oft sehr empfindlich.«
Gräfin Heinau lachte in ihrer lauten Weise auf und schüttelte den elegant frisierten, noch immer sehr jugendlich erscheinenden Kopf.
»Sie sollen mit mir zufrieden sein, Teuerste!«
»Und sobald Götz bei uns eingetroffen ist, erhalten Sie die Dinereinladung. Die Sache eilt, meine liebe Gräfin! – Sie verstehen!«
»Vollkommen, Exzellenz! Ich freue mich unbeschreiblich auf diese allerliebste kleine Intrige! Sie wird zwei Menschen glücklich machen!«
»Ich hoffe es!«
»Ich höre die Schlittenglocken – Flavia kehrt mit den Kindern von der Ausfahrt zurück!«
»Vortrefflich! Ich möchte sie gern noch sehen!«
Gräfin Heinau setzte stürmisch eine elektrische Klingel in Bewegung und beauftragte den erscheinenden Diener, Baronesse Husby sogleich hierher in den Salon zu bitten.
Ein paar Augenblicke vergingen, dann öffnete sich die hohe Flügeltür abermals und eine schlanke Mädchengestalt trat ein.
Obwohl Flavia bereits neunzehn Jahre zählte, hatte sie doch noch die etwas scheue, eckige Unbeholfenheit des Pensionskindes, welches aus weltfremder Abgeschiedenheit zum erstenmal einen eleganten Salon betritt.
Sie war entschieden etwas schnell gewachsen, die Figur entbehrte noch der Fülle und Rundung, auch hielt sie sich nicht sonderlich gut, was wohl auch die Folge einer gewissen Verlegenheit war, welche ihr Köpfchen vornüber auf die Brust sinken ließ.
Das dunkle Kleid war sehr einfach und anscheinend nicht von einer ersten Schneiderin gearbeitet, aber gerade diese kindliche Anspruchslosigkeit gefiel Malwine, ebenso die überaus einfache, solide Frisur, welche das entzückend feine und zarte Gesichtchen mit glatten, dunkelblonden Scheiteln umrahmte.
Flavia eilte der Präsidentin entgegen, küßte respektvoll die dargereichte Hand und blickte mit ihren großen, veilchenblauen, treuherzigen Augen zu der imposanten Frau auf, daß Malwine ganz unwillkürlich viel herzlicher als sonst nickte und die junge Dame mit freundlichen Worten begrüßte.
Flavia antwortete unbefangener als sonst, wie sie in Damengesellschaft überhaupt gesprächiger und ungenierter war.
Sie hatte eine auffallend wohllautende Stimme, so voll und weich wie Glockenklang – »eine echte Diakonissenstimme«, wie ihr Vormund scherzend gesagt, – »welche schon in ihrem Klang den wahren Himmelsfrieden an die Krankenbetten trägt.«
Auch dies war Malwine außerordentlich sympathisch, denn sie haßte die scharfen und schrillen Organe, welche wie ein Messer, im höchsten Diskant in das Ohr schneiden!
Solche Menschen sind auf die Dauer unerträglich, namentlich für nervöse Menschen, wie es Götz war.
Diese weiche, linde Stimme wird seiner wilden Leidenschaftlichkeit ein Schlummerlied singen, und wenn Flavias blaue, himmlisch friedliche und glänzende Augensterne ihn ansehen, dann müssen die Irrlichter, welche bisher seinen Blick geblendet haben, in Nacht und Nebel davonfliehen.
Malwine atmete hochbefriedigt auf.
Das junge, kindliche Mädchen entsprach so ganz und gar ihrem Geschmack und verkörperte in allem das Bild, welches sie sich im Geist von derjenigen entworfen hatte, welche der gute Engel ihres Stiefsohnes werden sollte.
Flavia mußte Götz gefallen, wenn er noch eine Spur von gutem Geschmack hatte.
So schied Ihre Exzellenz voll freudigster Zuversicht, ihrem Gatten sogleich das Ergebnis und die günstigen Chancen dieser ersten Brautschau mitzuteilen.
Nun mußte unverzüglich das geharnischte Schreiben an Götz abgefaßt werden, welches ihn vor das elterliche Forum beschied.
Die Form dieses wichtigen Briefes überlegend, lehnte Malwine in den weichen Atlaspolstern, dieweil der eisige Nordwind um den Wagen pfiff und brausend die Wipfel des zur Wegseite ragenden Tannenwaldes beugte.
Malwine hatte ihr kluges Exempel gerechnet und richtig befunden, aber sie hatte nur eines nicht bedacht, daß ihr Geschmack nicht der des jungen Grafen war.
Gräfin Heinau war, nachdem Exzellenz sich verabschiedet und auch Flavia sich bescheiden zurückgezogen, noch eine Zeitlang in aufgeregtem Nachdenken in dem Salon auf und nieder geschritten.
Sie sah lange nicht mehr so zuversichtlich und strahlend aus, wie soeben im Gespräch mit der Präsidentin, sondern nagte nervös an der Lippe und schlang wie in ratlosem Sinnen die schmalen, weißen Hände ineinander. Sie hatte so leicht und sicher in Flavias Namen die Einwilligung zu einer eventuellen Verlobung gegeben, als würde man seitens der jungen Dame auch nicht auf den mindesten Widerspruch stoßen.
Das war recht leichtfertig von ihr gehandelt, denn niemand wußte es besser, als Frau von Heinau, welch ein schwieriger Charakter die kleine »Nonne« war, wie sie 163 alles so unglaublich ernst, poetisch und feinfühlig auffaßte.
Eine Ehe wie einen Kontrakt abschließen, würde ihr, bei ihren altmodischen Ansichten, gewiß ungeheuerlich erscheinen.
Nur Liebe und Neigung werden das kleine Närrchen einst bestimmen, einem Manne die Hand für das Leben zu reichen! Das hatte sie noch jüngst mit verlegenem Erröten geantwortet, als die Gräfin in ihrer etwas frivolen und rücksichtslosen Weise gescherzt hatte: »Nun müssen wir einen Mann für dich suchen, Flavia!«
Und als die Gräfin spöttisch lächelnd solch eine »Gefühlsduselei« veraltet und töricht genannt, da hatten die großen Blauaugen plötzlich ganz seltsam stolz und kalt geblickt und Flavia antwortete mit einem Anflug völlig unbekannter Energie: »Ich passe wohl in manchen Dingen nicht in die moderne Welt, werde aber darum niemals meine Überzeugung ändern!«
O ja! In dem Kind mit dem zarten Blumengesicht steckte eine starke, stolze Seele, und je mehr sich Gräfin Heinau darüber klar ward, desto ärgerlicher wurde sie, und desto eifriger sann sie nach, wie sie das sentimentale kleine Wesen ihren Wünschen und Plänen geneigt machen könne.
Endlich blitzt ihr Auge in jähem Triumph auf.
Sie hat den Weg gefunden, auf welchem Flavia ihrem Braut- und Ehestand entgegengeführt werden muß.
Du liebe Zeit! Für jedes andere vernünftige, kluge und lebensfrohe Mädchen würde diese Eheperspektive nur viel Verlockendes haben. Vornehm, reich, unabhängig, – der Mann hübsch und jung. Und geht er auch seine eigenen Seitenwege, je nun! – so geht die moderne Frau ebenfalls die ihren und amüsiert sich herrlich dabei!
Flavia aber, die Tugendreiche, um welche noch der ganze Weihrauchduft des frommen Stifts weht, in welchem sie erzogen ist, wird vor solch einer Unmoralität drei Kreuze schlagen!
Desto besser, – so wird die kleine Heilige in ihrem eigenen Nonnenschleier gefangen werden. Für ein Mädchen, welches Diakonissin werden möchte, muß ja der Gedanke, sich für eine gute Sache aufzuopfern und eine verlorene Seele zu retten, etwas äußerst Anziehendes und Berauschendes haben.
Mit der nötigen poetischen und frommen Färbung wird ihr die Mission, welche ein paar unglückliche, gebeugte Eltern ihr zuerteilten, als eine edle Tat des Opfermuts, des Gott wohlgefälligen Martyriums erscheinen.
Die Präsidentin verlangte allerdings volle Diskretion, sie erging sich wohl noch in Illusionen, daß die Herzen der jungen Leute sich tatsächlich in Liebe finden sollten, – lächerlich! – Auf eine solch gewagte und unsichere Spekulation läßt sich Frau von Heinau nicht ein.
Vortrefflich, ihr Plan ist reif, – sie wird sogleich an die Ausführung gehen.
Hastig nimmt sie das Bild des jungen Abensberg an sich und schreitet in das stille, ferne Turmzimmerchen Flavias.
Die ersten Schatten der Dämmerung wehen über die winterliche Welt; das junge Mädchen hat ihre Stickarbeit in das Nähkörbchen am Fenster zurückgelegt, hat das Klavier geöffnet und phantasiert in leisen, schwärmerischen Akkorden ihre ernsten, religiösen Lieblingsmelodien.
Als Tante Heinau über die Schwelle rauscht, unterbricht sie sich sofort und tritt dem seltenen Gast überrascht entgegen.
»Hast du Zeit für mich, mein liebes Herzchen?«
Wie ungewohnt weich und innig klingt die Stimme der sonst so kühlherzigen Frau.
»Wie kannst du fragen, liebste Tante!«
Die Gräfin zieht ihre Pflegetochter neben sich auf das kleine, altmodische Sofa, ihre seidenen Falbelröcke rauschen so ungewohnt in diesem weltfeinen Stübchen, und der etwas aufdringliche Duft des » Bouquet Messalina«, welches die flotte Salondame als Parfüm bevorzugt, weht schmeichlerisch um das zartfarbige Gesichtchen des verwaisten Mädchens, welches die ringfunkelnden Hände der Tante näher und näher an ihre Schulter drücken.
»Höre einmal zu, Kleine,« sagte sie leise, – »ich habe etwas Ernstes, sehr Ernstes mit dir zu besprechen! Es wird mir wahrlich schwer genug, aber es muß sein, denn ich habe die Verantwortung und darf keine falsche Prüderie kennen, wo es sich um ein Werk heiligster Nächstenliebe handelt!«
Flavia blickte beinahe erschrocken auf, aber Gräfin Heinau legt ihr die schlanken Finger auf die Lippen und fährt fort:
»Du sahst, daß soeben Exzellenz Abensberg bei mir war. Sahst du auch die Tränen in ihren Augen glänzen? Ach, Flavia, die arme Frau ist unglücklich, namenlos unglücklich, ebenso wie ihr herzensguter, schwergebeugter Gatte. – Was ich dir hier sage, geliebtes Kind, verlangt vollste Diskretion von dir...«
»Tante!«
»Laß mich ausreden! Abensbergs haben eine schwere Sorge auf dem Herzen. Du weißt, daß ihr ältester Sohn Götz bei der Garde-Kavallerie in der Residenz steht?«
»Ja, Tante!«
»Dieser Sohn bereitet seinen Eltern grenzenlosen Kummer. Er ist ein vorzüglich beanlagter, vortrefflicher Mensch mit einem goldenen Herzen, aber er ist leider Gottes in schlechte Gesellschaft geraten und – wie der verlorene Sohn aus der heiligen Schrift – auf dem besten Wege, unterzugehen. Kannst du dir den Schmerz und das Herzeleid der armen Eltern vorstellen?«
Flavia nickte seufzend und voll aufrichtigen Mitleids, aber sie hätte gern die staunende Frage getan: »Warum teilst du mir das mit?«
Die Gräfin kam dieser Frage zuvor.
»Die unglücklichen Eltern haben nun Tag und Nacht überlegt, wie sie den Sohn auf rechte Wege zurückgeleiten könnten, denn noch ist es Zeit dazu, noch ist sein Herz nicht der Sünde zum Raub gefallen, sondern schwankt vorerst noch in schwerem Kampf zwischen Pflicht und Unrecht. – Da hatte Ihre Exzellenz einen Gedanken, den ihr wohl Gott selber eingegeben. Sie möchte ein engelhaft gutes, frommes Mädchen als Braut und Gattin an die Seite des Sohnes stellen, um ihn durch das Vorbild und den Einfluß eines solch geduldigen, guten Geistes wieder auf rechte Bahnen zurückzuleiten. Ihre Wahl ist auf dich gefallen, liebe Flavia.«
»Auf mich?!« – Das klang wie ein Schreckensschrei.
»Ja, auf dich, du frommes, braves Kind...«
»Tante!«
»Erschreckt es dich?«
»Allmächtiger Gott!«
»Flavia! Was hast du? Du zitterst wie Espenlaub!«
Das junge Mädchen hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und schluchzte auf.
» So – so soll ich heiraten? Anmöglich, Tante... Das ist ein furchtbarer Gedanke! – Das heißt eine Sünde zu der anderen fügen!«
»Inwiefern das? – Würdest du es Sünde nennen, an das Lager eines Todkranken zu treten, um ihn durch jahrelange treue, selbstlose Pflege dem Leben zu erhalten?«
»Nein! Das nicht!«
»Was aber will es besagen, den Leib eines Menschen für dieses elende Leben zu erhalten, wenn es gilt, die ewige, unsterbliche Seele vor dem Verderben zu retten? – Siehst du nicht selber ein, wie tausendmal wichtiger und heiliger eine solche Mission ist? – Leicht wird sie dir freilich nicht werden, denn sie verlangt eine namenlose Geduld, Selbstverleugnung und Opfermut! Wer weiß, ob Graf Götz dich freundlich behandeln wird, ob er dir jemals ein gutes Wort gönnt! – Aber denke daran, wie die Schwerkranken in ihrem Fieberwahn oft nach der Hand schlagen, welche sie erquicken und heilen will, und wie sie schließlich doch unter der zarten Pflege dieser Hand genesen und sie unter heißen Dankestränen alsdann mit Küssen bedecken! – Sieh, Flavia, die ganze Hoffnung der gebeugten Eltern klammert sich an dich! – Sie wissen keine andere, welche ein Werk solch heiliger Nächstenliebe auf sich nehmen würde. Du bist ihr letzter Trost – –«
»Tante!« Flavia richtete sich mit beinahe fieberisch glänzenden Augen empor, ihr liebliches Antlitz war leichenblaß, aber ein wunderbarer Ausdruck von Festigkeit lag darauf. »Ich danke dir und Abensbergs für das große Vertrauen, welches ihr in mich setzt, aber ich sage dir auch ehrlich, daß ihr euch alle in meinem Können und in meinen Kräften täuscht. Ich fürchte mich vor wüsten, sündhaften Männern, ich fühle nicht den Mut und die Energie in mir, mit schwachen Armen in einen solchen Lebenssturm hinauszusteuern. Das, was ihr von mir verlangt, bedingt nicht nur Frömmigkeit und Geduld, es verlangt vor allen Dingen Liebe – die treue, opfermutige, alles vergessende Liebe, welche ein Weib befähigt, sich für einen Mann aufzuopfern! Ich aber kenne Graf Götz gar nicht. Ich weiß nicht, ob er mir auch nur ein wenig Sympathie und Mitleid, geschweige die stärkste Zuneigung einflößt! Vielleicht muß ich ihn verachten und verabscheuen!... Und du weißt, Tante, ich bin wunderlich beanlagt – ich kann meine Empfindungen nicht beherrschen. Für einen Menschen, den ich liebe, will ich alles, alles opfern und tun, will für ihn sterben und verderben, – für einen Wüstling aber vermag ich nichts! Ein Mann, welcher im Jähzorn einen anderen erschlägt, ist mir nicht so furchtbar wie jene sittenlosen Sünder, welche in der Lust der Welt, in Sumpf und Schmutz ihre eigene Seele morden! Ich weiß nicht, ob du mich verstehst, Tante, – ich würde mich durch die Gemeinschaft mit solch einem Menschen entehrt und angewidert fühlen!«
Gräfin Heinau hatte sich erhoben, sie schüttelte ein wenig überrascht den Kopf.
»Gemach, liebes Herz! Du stellst dir die Sache sehr viel anders vor, als sie ist. Noch ist Graf Götz nicht im Schmutz der Laster versunken, – das zu verhüten soll dein heiliges Amt sein, du sollst den bösen Einfluß jener anderen brechen, ehe er ihm verderblich werden kann. Verstehst du mich nun? – Außerdem verlange ich jetzt noch absolut kein bindendes Wort von dir. Du sollst Graf Götz erst kennenlernen, sollst dich und dein Herz prüfen, ob es sich nicht etwa doch für den schönen Majoratsherrn erwärmen kann! Vielleicht verliebt er sich in dich – und du in ihn, – wer kann es wissen? Auf jeden Fall aber solltest du nicht so egoistisch denken, wie du es in diesem Falle so unbegreiflich tust! Gott der Herr würde diesen Ruf zu seiner Nachfolge nicht an dich ergehen lassen, wenn du nicht stark genug wärst, deine Pflicht zu tun. Wahrlich, dieses Kreuz wiegt nicht so schwer wie das von tausend anderen, welche schwächer sind als du! – Das bedenke, und frage dein Gewissen. Ein Opfer, bei welchem nichts geopfert und dahingegeben wird, ist kein Opfer. Denke an dereinst! Wenn der Herr dich einst fragt: ›Wo ist die Seele, welche du mir erretten solltest?‹ und du mußt antworten: ›Ich habe sie verwahrlost, Herr, weil ich sie nicht liebte, ich weiß es nicht.‹ – Denke darüber nach! – Hier ist das Bild des Grafen; sieh, ob du nicht doch etwas in diesem jungen Antlitz findest, was sich wie ein Hilferuf an dein Herz wendet! Ich gehe jetzt, – denk' ruhig und ohne Vorurteil über das heilige Amt, welches dir anvertraut werden soll, nach; – ich hoffe, du bist gottesfürchtig genug, den Weg, welchen dir des Herren Willen gewiesen, zu gehen.«
Regungslos stand Flavia, Röte und Blässe wechselten auf ihrem Antlitz. Wie ein Erschrecken durchbebte es sie.
Ein hilflos flatterndes Vöglein fühlt sein Herzchen nicht angstvoller pochen als sie!
Die Worte der Gräfin verhallten nicht wirkungslos, sie ließen all die feinen Herzenssaiten erklingen, auf welchen wahre Frömmigkeit ihre heiligen Psalter spielt.
Helfen, pflegen, retten, voll treuer Selbstverleugnung in dem Dienst der Nächsten stehen, das war seit jeher das ideale Ziel, nach welchem sie gestrebt.
Aber sie hatte sich ihr Wirken anders gedacht. Sie sah sich im Geist an Krankenbetten stehen, sich der Armut zu erbarmen, Schmerzen zu lindern, – jetzt aber verlangte man kein sichtbares Samaritertum von ihr, sondern eine wundersame Seelenarbeit inmitten eines reichen und prunkvollen Lebens.
Und den sie hegen und pflegen sollte, der war ein Mann, leichtsinnig, sittenlos, einer jener modernen Wüstlinge, deren Interessen nur tief im Sumpfe wurzeln, welche die Ehre und Würde der Frauen mit Füßen treten. O, wie schaudert ihre reine Kinderseele vor solch lasterhaften Menschen, von denen sie nur durch geheime, verschleierte Andeutungen gehört, vor denen man gewarnt hat, wie vor Hölle und Teufel selbst!
Wahrlich, – einen Pestkranken möchte sie lieber pflegen, als solch einen Gesunkenen!
Flavia richtet sich hoch auf, fast unwillkürlich streckt sie die Hände wie in energischer Abwehr aus. Nein, tausendmal nein! Sie besitzt nicht die Selbstüberwindung, nicht die Kraft zu solch einer widerwärtigen Mission!
Ihre Augen füllen sich mit Tränen, sie sinkt auf einen Stuhl nieder und starrt mit tief geneigtem Haupt zu Boden.
O, wie hatte sie es sich so anders, so ganz anders gedacht, wenn sie einmal heiraten sollte! »Nur der Herrlichste von allen« – ein Mann, so edel, so brav, so tadellos, daß sie die Hände vor ihm falten, zu ihm aufblicken muß, wie zu einem höheren Wesen!
So hatte ihre schwärmerische Phantasie sein Bild gemalt, es ausgestattet in verschwenderischster Weise mit aller Tugend und Hoheit, allem ritterlichen Edelmut, wie junge Mädchen ihr Ideal in einem Lohengrin erblicken, einem jener unvergleichlichen Hüter des heiligen Grals, welche die Poesie zu ihren Lieblingen erkor!
O, welch ein seliges, friedliches Glück sonder Reu und Schuld hatte sie an seiner Seite erträumt im Leben, durch welches kein Mißton gellt, sondern nur die heiligen Glocken klingen!
Ihr junges Herz war noch so weltfremd, so unberührt von Zeit und Sitten, und ihr Sinnen und Träumen so heimlich und verborgen, daß es niemand störte, daß kein nüchtern greller Lichtstrahl es traf, die holden Wahngebilde zu zerstören.
Und nun sollte das alles so anders werden, so grauenvoll anders!
Das schöne, strahlende Bild des Erwählten wird verzerrt und besudelt – und anstatt der edlen, reinen Liebe, welche mit ihr zum Traualtar schreiten sollte, wird die Sünde sich zwischen sie und ihren Gatten drängen und sich giftig aufblähen gegen ihre schwachen Hände, welche den Kampf gegen sie aufnehmen sollen.
Nein, sie kann es nicht,– tausendmal nein!
Ihre jähe Bewegung hat den Briefumschlag vom Tisch herabgestoßen, eine Photographie gleitet heraus und bleibt vor ihr auf dem Teppich liegen, und zwei dunkle, beinahe zürnend finstere Augen starren zu ihr empor.
Flavia erschrickt und neigt sich hastig, das Bild aufzuheben.
Sie hält es in der Hand und starrt betroffen darauf nieder.
Götz von Abensberg!
So sah ein verlorener Sohn aus?
Seltsam, sie hatte ihn sich ganz anders vorgestellt, – lachend, frivol, mit jenem häßlichen Ausdruck in den Augen, wie der junge moderne Schriftsteller, welchen Tante Heinau nach Schloß Dolgen eingeladen hatte, welcher der eleganten Frau so ungeniert den Hof machte, und dessen realistische Stücke und Novellen Flavia nicht lesen durfte!
So hatte sie sich Götz gedacht – und statt dessen –
Das junge Mädchen tritt hastig an das Fenster und blickt lange, lange auf die Photographie.
Sie atmet so tief und beklommen, als schaue sie etwas Unfaßliches, Rätselhaftes, und durch ihre Hände geht ein leises Beben – und in ihre Wangen steigt warm und heiß das rote, stürmende Herzblut.
Wie schön er ist!
Wahrlich, so sieht das Laster nicht aus.
Stolz und trotzig, abweisend in beinahe finsterem Ernst, die großen, tiefdunklen Augen mit einem Ausdruck auf sie gerichtet, als wolle das Bild sprechen: »Wer bist du, selbstgerechte Richterin, daß du den Splitter in meinem Auge siehst und voll Pharisäerhochmut verdammen willst?«
Flavia möchte plötzlich die Hände vor das Antlitz schlagen in bitterer Qual und Reue.
Nein, – Götz Abensberg kann weder gemein noch niedrig denken, – das liest sie in diesem Blick.
Sagte die Gräfin nicht auch, daß ihm nur Gefahren drohen, vor welchen sie ihn behüten soll?
Die Lippen des jungen Mädchens beben, ihre Augen leuchten auf.
O, wie begreiflich ist es, daß die Weiber sich in diesen schönen, eigenartigen Mann verlieben, daß sie alles aufbieten, alle Mittel, auch die schlechtesten, anwenden, ihn zu fesseln, zu besitzen!
Und sie – Flavia – sie soll ihn zu eigen nehmen, soll ihm Braut und Gattin sein?
Eine unaussprechlich süße Scheu und Verlegenheit überkommt das junge Mädchen.
Ihr Herz erzittert, als stünde sie nicht seinem Bild, sondern ihm selbst gegenüber.
Und doch kann sie den Blick nicht losreißen von den dunklen Augen, welche sie immer lebendiger, immer sprechender anblicken.
Sie sinkt in den Sessel im Erkerchen nieder und schaut wie gebannt auf das Bild.
Welch ein heißes, leidenschaftliches Sehnen glüht ihr aus seinem Blick entgegen!
O, sie kennt es! Sie kann es verstehen!
Wer wohl besser, als sie?
Dieses Sehnen nach einem fremden, traumhaften Glück!
Wie heißt es bei ihm?
Liebe? – Ehre? – Ruhm?
Der eisige Nordsturm braust um den Erker, seine Stimme klingt wie bange Warnung.
»Hüte dein Herz vor diesen dunklen Augen, du armes, einsames Kind! Das Glück dieses Mannes ist die Freiheit, – ihr gilt sein Sehnen – und wehe einer jeden, welche ihn der Freiheit berauben will!«
Flavia lächelt mit heißen Wangen.
Ihre Gedanken arbeiten rastlos, sie spinnen und weben silberne Fäden um das kleine Bild in ihrer Hand.
Es dunkelt – das junge Mädchen merkt es nicht.
Sie schrickt erst zusammen und verbirgt hastig die Photographie, als die Tür mit leiser Hand geöffnet wird und Tante Heinau abermals auf der Schwelle steht.
»Ich möchte dich in den Salon holen, Herzchen!« sagte sie zärtlich. »Onkel möchte Geige spielen und wünscht so sehr, daß du die Klavierbegleitung übernimmst!«
»Ich komme, Tante.«
Die Gräfin küßt die samtweiche Wange, nicht aus Innigkeit, sondern um in der Dunkelheit zu erfahren, ob sie von Tränen übertaut ist.
»Bist du ruhig und vernünftig, bestes Herz? Hast du dir die Sache überlegt?«
»Ich – ich – wenn ich nur wüßte, ob ich solch einer Aufgabe gewachsen bin!« klingt es wie ein Hauch von Flavias Lippen.
Die Augen der Gräfin blitzen Triumph, – o, wie ist sie mit ihren diplomatischen Künsten zufrieden!
»Das garantiere ich dir, Liebchen, und ich bin überzeugt, daß ihr beide noch mal das allerglücklichste Paar werdet! – Auf Sturm folgt Sonnenschein! Und wenn du ihn auch jetzt noch nicht liebst, so wirst du es mit der Zeit doch ganz gewiß lernen!«
Die Sprecherin sieht es nicht, wie heiße Glut über die Wangen des jungen Mädchens flammt, – wie sie das Köpfchen so tief zur Brust neigt, wie ein Veilchen im Moos, wenn die leuchtende Sonne es getroffen.