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Götz befand sich seit etlichen Monaten in der Residenz und hatte sich anfangs in seiner flotten, schmucken Ulanenuniform wie im Himmel gefühlt.
Wenn ein Mensch jahrelang nur an Brunnenwasser gewöhnt war, berauscht ihn der Wein doppelt stark, und wenn einem feurigen jungen Renner, welcher lange Zeit ungeduldig in das Gebiß geschäumt hat, plötzlich die Stalltür weit aufgesperrt wird, dann schießt er leicht über das Ziel hinaus und mißbraucht die goldene Freiheit gar oft, um durchzugehen!
Auch Götz Abensberg war es zumute wie einem Gefangenen, welcher über Nacht die Ketten abgestreift und, von launischen Schicksalshänden getragen, in ein Schlaraffenland versetzt wird.
Keine Lehrer, keine Schulbücher, keine moralisierende, gestrenge Stiefmutter, welche alles unpassend und unbekömmlich findet, keine engen Kleinstadtverhältnisse, wo jedermann den Sohn des Präsidenten kannte und ihm aller Blicke kritisierend und beobachtend folgten, wenn er mal seine eigenen Wege zu gehen wünschte!
Wer kannte, bevormundete und kritisierte ihn hier, wenn er in Zivil durch die lichtflammenden Straßen bummelte, um sich zu amüsieren, um zu leben, zu genießen – wie in einem seligen Rausch' sich auszutoben unter der schillernden Devise: Erlaubt ist, was gefällt!
Hals über Kopf hatte Götz sich in den Strudel des Großstadtlebens gestürzt.
Er, der so lange gedarbt hatte, wollte alles voll ungestümer Hast nachholen, wollte die goldene Freiheit ausnützen in schrankenlosem Genuß!
Freiheit!
Anfänglich hatte es ihm geschienen, als sei diese blendend goldene Sonne wahrlich über ihm aufgegangen.
Bald aber empfand er, daß auch sein jetziges Dasein Schranken auswies, an die er unaufhörlich und sehr empfindlich anrannte.
Er hatte sich die Stellung und den Lebensberuf eines Avantageurs ganz anders gedacht.
Der Dienst mit seiner rücksichtslosen, brutalen Drillerei war absolut nicht nach seinem Geschmack. Sein so ungewöhnlich stark ausgeprägtes Selbstbewußtsein bäumte wild auf gegen die große Abhängigkeit, in welcher er sich allen Vorgesetzten gegenüber befand, und der Befehlston, welcher in Kaserne, Reithaus und auf dem Exerzierplatz ganz selbstverständlich war, klang in den Ohren des durch rücksichtsvolle Erzieher sehr verwöhnten jungen Grafen geradezu unerträglich. Dabei versicherten ihm andere Avantageure und Freiwillige, daß die Offiziere mit ihm geradezu glimpflich verführen, daß er entschieden eine höchst beneidenswerte Ausnahmestellung einnähme. Das gewährte ihm einen schwachen, aber doch angenehmen Trost.
Die Offiziere waren tatsächlich rücksichtsvoll und nachsichtig. Und die Wachtmeister und die Offiziere?
Götz war klug, liebenswürdig, splendid, er verstand es dank seines Benehmens und seiner Mittel, auch diese Tyrannen für sich zu gewinnen, und drückte gar mancher ein Auge zu, um bei dem »Neuling« zu entschuldigen, was für andere einen kolossalen Anschnauzer zur Folge gehabt hätte.
Das streng verbotene In-Zivil-Gehen, welches Götz so ganz besonders liebte, hätte ihm wohl die größten Unannehmlichkeiten gebracht, wenn man ihn gemeldet hätte, anstatt es bei wohlgemeintem Verweis und abermaligem Verweis bewenden zu lassen. Ja, eine spaßhafte kleine Geschichte erzählte Götz ganz harmlos selber am Offizierstisch, und zwar so launig und gewinnend übermütig, daß er – fast immer – die Lacher auf seiner Seite hatte.
Im Reithaus wurde unter dem Kommando des Wachtmeisters in Abteilungen geritten.
Götz hatte während der Nacht in befreundeter Familie getanzt, den Rest derselben beim Sekt verjubelt und saß nun recht müde und schläfrig auf seinem Pferd, den ganzen Dienst und alles, was drum und dran hing, zum Teufel wünschend.
Er ritt als erster, und das Kommando des Wachtmeisters: »Durch die ganze Bahn changiert!« verhallt in seinen Ohren wie ein Traum.
Infolgedessen changiert er nicht, sondern reitet mit halboffenen Augen geradeaus.
Sein Hintermann folgt getreulich.
»Ha–a–alt!« donnert der Wachtmeister und stürzt sich wie ein Berserker auf Abensberg.
Zornschnaubend steht er vor ihm, jeder ist auf den Ausbruch eines furchtbaren Donnerwetters gefaßt, und Götz reißt überrascht die verschlafenen Augen auf und starrt den Gestrengen halb verwundert, halb vorwurfsvoll an.
Und dem Wachtmeister kommt es plötzlich in den Sinn, daß er seinen Schützling, den flotten, freigebigen, liebenswürdigen Grafen, nicht anfahren kann.
Er wendet sich mit scharfem Ruck zu dem Hintermann, welcher dem Avantageur auf falscher Bahn folgte, und schreit so verächtlich wütend, wie es ihm möglich ist, den Grafen dabei mit dem Blicke streifend:
»Sie sind ooch so 'n Rindsvieh!!«
Schallendes Gelächter erhob sich, als Götz diese kleine Geschichte am Offizierstisch erzählte, und man war einig darüber, daß kein Diplomat geschickter zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte, wie der dicke Herr Wachtmeister.
So hatten sich die ersten Dienstjahre recht angenehm für den Sohn des Präsidenten abspielen können, wenn sich seiner nicht eine geradezu krankhafte Sucht nach Freiheit und Ungebundenheit bemächtigt hätte.
Als er Offizier geworden und sein Vater zum Besuch eingetroffen war, sprach Exzellenz mit dem Oberst.
Dieser zuckte die Achseln, und da er ein sehr jovialer und wohlwollender Herr war, beurteilte er den jungen Brausekopf nachsichtiger und milder, als er es wohl verdiente.
»Er wird sich austoben! Er wird schon Geschmack an einer ernsteren Lebensanschauung bekommen!« sagte er. »Vorläufig ist er etwas leichtsinnig und schlägt öfters über die Stränge, aber ich hörte noch nie eine Andeutung, daß er über seine Verhältnisse lebt und Schulden macht. Und das ist ja eine Hauptsache! Solange die Börse mit den Passionen gleichen Schritt hält, kann man noch ein Auge zudrücken. In letzter Zeit hat er viel Geschmack am Rennsport bekommen: bleibt er dabei in den Grenzen, ist die Sache ja ganz schön, gerät er aber dabei auf Nebenwege, übertreibt er es, dann kann ihm die Sache sehr gefährlich werden. Leider ist er jeder Warnung und jedem noch 'so freundschaftlichen Rat unzugänglich. Ich habe selten einen jungen Mann kennengelernt, welcher sich so schroff auf eigene Füße stellt, wie er. Auch dienstlich hat ihm dieser Starrkopf schon recht fatale Erfahrungen eingebracht. Je nun – ich hoffe, die Zeit wird sein bester Lehrmeister sein, und wenn die Hörner abgelaufen sind, kommt der Aschermittwoch für ihn!«
»Das hoffe ich auch!« seufzte Seine Exzellenz und reiste etwas beklommenen Herzens wieder ab; weder dem Oberst noch Malwine mochte er es eingestehen, daß er dem Sohn schon jetzt ein paar recht beträchtliche Bären abgebunden hatte.
Götz aber saß mißmutig in seinem hocheleganten Rauchzimmer, welches mit allem nur erdenklichen Luxus, seiner ganzen, stilvollen Wohnung entsprechend, eingerichtet war und drehte grollend eine Zigarette.
Vor ihm lag die kaum begonnene Winterarbeit, außerdem war er Rekrutenoffizier, und heute nacht sollte er bei dem Hundewetter Ronde laufen!
Keine Stunde, keine Minute sein eigener Herr! Immer gebunden, immer abhängig! Bei Gott, er ist jetzt beinahe schlimmer daran, wie ehemals als Schüler!
Er darf ja nichts, nichts, ohne Erlaubnis, ohne Urlaub eingeholt zu haben. – nicht mal, daß er sich zivil anziehen, daß er mal hier oder dort hinreisen, sein Leben und seinen Tag sich einrichten kann, so wie er es will! Wenn ihn seine Mutter ehemals zwang, in ihren Salons zu erscheinen, um an der so verhaßten, langweiligen Geselligkeit teilzunehmen, so zwingt man ihn jetzt erst recht dazu, – er kann und darf sich nicht ausschließen, er muß in Hofkreisen verkehren, denn es wird vom Regiment gefordert, daß die Uniform gut vertreten sei. Der Oberst hat ihn nicht schlecht angeblasen, als er sich den letzten Winter zurückziehen und nur da sich amüsieren wollte, wo es ihm zusagte.
Was soll er sich müde und kaputt tanzen! Was soll er mit all den wohlerzogenen Komteßchen und Geheimratstöchtern reden? Sich von der Konfirmandenstunde und über Schlittschuhlaufen unterhalten? Das kann er nicht mehr, seit er Weiber kennenlernte, denen ein ganzer Höllenbrand voll Pikanterie aus den Augen blitzt! – Die Backfischchen langweilen ihn zu Tode! – Mit den jungen Frauen kokettieren ist wohl amüsanter, aber zu riskant, es gibt sofort einen Stadtklatsch, – die Gatten runzeln die Stirn, und gibt's ein französisches Ehebruchsdrama, ist der Hausfreund stets mit hereingefallen.
Und das – das soll die Freiheit sein, die er ersehnte?
Götz schleudert die Winterarbeit von sich, greift nach Säbel und Mütze und stürmt zum Klub, seinen Groll bei Sekt und Karten zu vergessen.