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Das königliche Schloß hatte seine Säle geöffnet und schaute wie mit hundert glühenden Feueraugen in die von Schneeflocken durchwirbelte Finsternis hinaus. Im Vestibül paradierten die Lakaien und Huissiers in voller Gala, und in dem Feldherrnsaal erwartete der Oberhofmarschall, den Stab mit silbernem Knopf in der Hand, die Gäste seiner erlauchten Gebieter.
Hier fanden sich alle Damen zusammen, repräsentierende Mütter und tanzlustige Töchter, einherrauschend in Schleppen von Samt, Brokat und Damast, funkelnd in dem versteinerten Tau ungezählter Pretiosen, umrankt von Blütengewinden und goldstrotzenden Stickereien. Perlgaze und Schmetterlingsflor wehen wie duftige Wölkchen von dem Opferaltar der Aphrodite; hier hat es in samtweichen Flocken über den Tüll geschneit, dort ist ein glitzernder Rauhreif über Brabanter Spitzen gefallen, und aus blauer Luft hernieder hat sich schillerndes Gefieder gestürzt, um im Dienst der Schönheit sich huldigend und wohlig an die Gewänder schlanker Frauen zu schmiegen.
Den Damen schließen sich an die Würdenträger und vornehmsten Herren, die Exzellenzen, Marschälle und Glieder der Ritterschaft, während das Gros der Tänzer in der Ahnengalerie zur Rechten zusammengetreten ist.
Von der Decke flutet Licht, – an der Rückwand des Saales, die in bunter Seidenstickerei das Wappen des Landes zeigt, funkeln vielarmige Leuchter und bestrahlen den Thron, dessen Stufen, Sessel und Himmel in Purpur und Gold gehalten sind. Symbolische Figuren schmücken den Plafond, und ein breiter Fries zunächst der Decke wird von farbigen Städtewappen gestützt. Marmorsäulen wachsen schlank und graziös aus spiegelndem Parkett empor, und die Türen, die die Verbindung zu den Nebensälen vermitteln, sind Kunstwerke aus leuchtender Goldbronze.
Von den Gemächern der Königin-Mutter her hielten die höchsten Herrschaften ihren Eintritt in den Saal und begaben sich nach einem längeren Cercle in den Dorotheensaal, woselbst die tanzende Jugend ihrer wartete.
Ein reizender, herzerfrischender Anblick. Das Land hat in reicher Fülle seine lieblichsten Blüten gesandt, die Festräume seines Herrscherhauses damit zu schmücken! Lächelnd heben sich die anmutigsten Mädchenköpfe auf den graziösen Nacken, und neben ihnen in kraftstrotzender Jugend das Herzblut des jungen Deutschlands, in Waffenrock und Tressenkleid, stolz, siegesbewußt,
elegant. Leise rauschen die prächtigen Roben, dieweil ihre Trägerinnen sich grüßend vor den königlichen Hoheiten neigen, während die Königin-Mutter am Arm ihres regierenden Sohnes, gefolgt von den älteren Fürstlichkeiten, in den Feldherrnsaal zurückschreitet. Die hohe Frau trägt zu einem reichen Smaragdschmuck und einer braunen Samtschleppe ein etwas lichteres Atlastablier, das hohe Samtblüten in Orangefarbe zeigt. Prinzessin Kordelia und Prinz Theobald mischen sich mit liebenswürdigstem Gruß unter die tanzende Jugend.
Die einleitenden Töne des Walzers erklingen, und mit einem Schlage ist das feierliche Schweigen gebrochen. – Ein lachendes, heiteres Durcheinander; die reizendste aller Prinzessinnen schwebt im Tanz über das Parkett, und, nachdem sie auf ihren Platz zurückgetreten, wirbelt's in buntem Schwärm bei den elektrisierenden Klängen ihr nach.
Ursula ist glückselig; Prinz Theobald hat sie durch einen Tanz ausgezeichnet, und weil sie heute keine Lust hat, »Witze loszulassen«, und sich darin gefällt, »aus Affigkeit« alles ganz genau so zu machen wie die anderen jungen Damen, sind alle Leute kolossal nett gegen sie, und Graf Lohe, in seiner »patenten« Hofjunkeruniform, scheint geradezu entzückt von ihr zu sein und versichert: »es habe sich ein holdes Wunder an ihr begeben!«
Er steht neben ihr und mustert mit Wohlgefallen ihre zierliche Gestalt. Heute ist gar nichts mehr an der Toilette auszusetzen.
»Fräulein Ursula ... Sie haben ja heute die Handschuhe bis zum letzten Knopf geschlossen!« –
Sie glüht wie ein Röschen und fächert sich Kühlung zu, bei seinem neckenden Ton schießt ihr das Blut vollends in die Wangen: »Weil heute eine Hundekälte ist – ich friere!« trotzt sie ihm entgegen, und kaum, daß ihr das Wort entschlüpft, beißt sie sich erschrocken auf die Lippe und blickt scheu umher, ob jemand das Polizei- und courwidrige Wort gehört hat. Das sieht ihr allerliebst, und der Erbherr von Illfingen überwindet sein Mißbehagen und bittet um den Vorzug, mit ihr soupieren zu dürfen.
»Nein – ich bedaure.«
»Ah ... sind Sie bereits engagiert?«
»Nein!«
Sein Auge sprüht auf. »Warum weisen Sie mich alsdann zurück?«
Da schlägt sie ihre Augen voll auf, diese großen, naiven Kinderaugen, tritt ihm noch einen Schritt näher und flüstert schmollend: »Weil Sie mir immer viel zu wenig zu essen bringen, lauter zuckersüße Jämmerlichkeiten; und wenn ich noch was Ordentliches haben will, dann machen Sie jedesmal ein Gesicht, als wollten Sie sagen: Du Freßsack!«
Ja, Ursula hatte wieder ein Attentat auf Lohes zarte Nerven verübt, allerdings nur ganz, ganz leise, kein fremdes Ohr hatte es gehört, aber den Grafen überlief doch ein Frösteln, und er war plötzlich wieder aus allen Himmeln gestürzt. Wäre er ein besserer Menschenkenner gewesen, so hätte er wohl mit Entzücken den Kampf dieser kindlichen Menschenseele bemerkt, die voll zärtlichen Willens allein ihm zuliebe in die Bahnen einlenkte, die er vorgeschrieben, und die doch zu spröde und stolz war, es ihm einzugestehen. Der Welt gegenüber wollte sich Ursula keine einzige Ungezogenheit und Derbheit mehr zuschulden kommen lassen, aber Graf Lohe sollte nichts von solcher Wandlung bemerken, sonst hätte er sich womöglich eingebildet, sie gehorche ihm – oh, und daran war nicht zu denken! Das Fräulein von Kuffstein tut einzig, was sie will, und davon beißt keine Maus einen Faden ab!
Lohe versicherte mit einer etwas steifen Kopfhaltung, daß er diesmal jede Vorschrift der Ästhetik unberücksichtigt lassen und das gnädige Fräulein zur Zufriedenheit bedienen wolle. – Er habe darum den Wunsch gehabt, ihr Tischnachbar zu sein, weil er ihr eine Neuigkeit zu erzählen habe. –
»Na meinetwegen, dann schießen Sie los!« nickte die Kleine leichthin, »ich werde Sie also an der Krippe dulden!« – und ihr Auge blitzte noch einmal triumphierend zu ihm auf, und dann tanzte sie mit einem Garde-Offizier davon.
»Ein allerliebstes Knöspchen!« erklang es neben dem jungen Grafen, »will es mir zum nächsten Walzer pflücken!«
Mark-Wolffrath zog die Augenbrauen zusammen und wandte den Kopf schnell zu seinem intimsten Freund, dem Fürst Schlüfften, herum. »Auf Wort, gefällt sie Ihnen? – Seit wann das?«
»Ehrlich gestanden, erst seit unserem Wiedersehen hier in der Residenz! Früher war sie ein gar zu wild aufgewachsener Bub, jetzt ist sie ein scharmantes Mädel geworden!«
»Inwiefern? Ich finde sie noch genau so drastisch und unerzogen wie früher!« – Lohe warf den Kopf zurück und machte das Gesicht, das ihm den Spitznamen »der prüde Josef« eingetragen.
»Unbegreiflich! Sie benimmt sich durchaus comme il faut, und wenn sie wirklich mal ein wenig flink mit dem Zünglein ist, nun, so geschieht es in einer so frischen, naiven Art, daß man höchstens wohltuend davon berührt wird. – Sie stellen eben gar zu hohe Anforderungen, bester Graf, und was wir andern Staubgeborenen amüsant und originell nennen, sträubt Ihnen als eine Taktlosigkeit die Haare! Kommen Sie aus den Wolken herab und kochen Sie mit Wasser, wie wir auch! – Ah voilà ... da kommt die Kleine zurück – – Meine Gnädigste, darf ich um eine Extratour bitten?«
Lohe biß sich ärgerlich auf die Lippe. »Kommen Sie aus den Wolken herab!« – – lächerlich, ist es seine Schuld, wenn die Natur ihn mit allzu peniblem Geschmack ausgestattet? Daß dieser ein Unglück für ihn sei und ihm den Lebensweg mit viel unnötigen Dornen pflastere, war ihm schon oft genug gesagt, von Menschen, die impertinent genug waren, sich ein Urteil über sein Wesen anzumaßen! Der Stab des Hofmarschalls berührte aufklopfend das Parkett, die tanzenden Paare traten zurück, und Prinzessin Kordelia schwebte am Arm des jungen Grafen Antigna auf wiegenden Walzerklängen dahin.
Ursula riß die Augen weit auf vor Staunen und Freude. Wie gütig und huldvoll von Ihrer Hoheit, den blutjungen Kavalier, den Neuling am Hof zum Tanz zu befehlen! Man sieht es ihm an, wie diese unerwartete Gnade ihn erregt, wie Verlegenheit und Angst, dieser Auszeichnung nicht gewachsen zu sein, ihm fieberhafte Glut in das sonst so farblose Antlitz treibt.
Er ist ein wenig geübter Tänzer, sein Arm umschließt die elfenhafte Gestalt der Prinzessin zu fest und zu nervös, fast sieht es aus, als presse er sie voll leidenschaftlichen Ungestüms an die Brust.
Zweimal haben sie die Runde des kleinen Kreises getanzt, dann neigt die junge Fürstin dankend das Köpfchen und schreitet am Arm des Grafen nach dem Diwan zurück. Ein engelhaftes Lächeln spielt um ihre Lippen, und wie sie mit jedem ihrer Tänzer ein paar freundliche Worte plaudert, so schlägt sie die leuchtenden Augen auch zu Henry Antigna auf und richtet etliche Fragen an ihn. – Der junge Graf antwortet schnell und hastig, Ursula kann seine Worte nicht verstehen, obwohl sie nur wenige Schritte von ihm entfernt ist, aber sie scheinen die Prinzessin zu interessieren, die Unterhaltung spinnt sich länger als gewöhnlich aus. – Seltsam! Henry, dieser scheue, redeunlustige Mensch, ist wie ausgewechselt. – Endlich neigt Kordelia abermals mit ihrem herzigen Lächeln das Haupt, und nach tiefer Verneigung tritt Antigna in die Menge zurück. Hastig schafft er sich Bahn, sein Blick schweift wie geistesabwesend über das bunte Gewoge hinweg. Da fühlt er seinen Arm gefaßt. Ursula legt schnell ihre Händchen darauf und schreitet an seiner Seite mit fort.
»Nehmen Sie mich mit, ich habe Sie an etwas zu erinnern, Henry?« flüstert sie, da sein überraschtes Antlitz sich ihr zuwendet. – Er nickt schweigend, aber sehr einverstanden, und führt die junge Dame in den Nebensaal zu einem palmwedelüberdachten Eckfauteuil.
Die Kleine blickt forschend zu ihrem Begleiter empor. Welch eine Veränderung in seinen Zügen – er kann gewiß das Tanzen nicht vertragen! Sein erst so heiß erglühtes Gesicht ist wieder bleich und ernst, noch viel farbloser denn zuvor, die Augen liegen tiefer denn je, und seine Lippen zittern. Er setzt sich an ihrer Seite nieder und starrt in das Lichtgefunkel des Kronleuchters.
»Nun?«
»Sie versprachen mir zu erzählen, warum rote Mohnblumen Ihre Augen blenden!«
Sein Blick flammt jählings zu ihr herüber. »Weshalb stellen Sie diese Frage just in diesem Augenblick an mich?«
»Weil sie mir gerade jetzt in den Sinn kam, und ich stets solchem Impuls folge!« – Ganz wichtig und altklug sah sie ihn an, und Henry strich langsam mit der Hand über die Stirn und lachte plötzlich mit einem nervösen Klang in der Stimme leise auf.
»Ich hätte Ihnen und der Mutter diese Geschichte erzählen sollen, bevor wir unseren ersten Besuch am Hofe abstatteten! Jetzt ist's zu spät« – er atmete tief auf – »und ein Umkehren hat keinen Zweck mehr. Aber gleichviel! Sie selber traten mir damals in den Weg und trugen Mohnblüten an Haar und Brust, eine Warnung, der ich nicht Folge leisten durfte!« –
Er schwieg einen Moment und zog in aufgeregtem Spiel das wappengestickte Taschentuch durch die Hand, dann lehnte er sich in den Sessel zurück, und sein brennender Blick traf sie durch die dunklen Wimpern.
»Vor Jahren war's. Auf dem elterlichen Schloß weilten wir, und da ich nie ein sonderlicher Freund vom Lernen und Studieren gewesen, warf ich mich lieber auf ein Roß und jagte querfeldein. Keinen Begleiter duldete ich an meiner Seite, kein Ziel hatte ich vor Augen, keine Gefahr schreckte mich. Es lag in meiner Natur, zügellos vorwartszustürmen, ohne Besinnen und Überlegen jede Schranke zu durchbrechen, wüst und leidenschaftlich in das Leben hineinzutollen. Das Vollblutpferd mag nicht für meine jungen Arme getaugt haben, es revoltierte gegen einen Feldweg, doch ich zwang's mit Sporen und Peitsche. Da schlug es den Pfad endlich mit schäumendem Gebiß ein, aber kaum daß ein paar Wachteln sich vor seinen Hufen flüchten konnten, bäumt's wild auf und schrickt zurück. Mitten auf dem Weg stand ein Büschel roter Mohnblumen; grell beschienen von der Sonne, vom Winde hin und her bewegt. Mein Pferd scheute davor, ich will es forcieren, reiße die Zügel an und – überschlage mich mit ihm in schwerem Sturz.«
Ursula rückte mit weitoffenen Augen, fiebernd vor Interesse, näher, Graf Antigna aber neigte mit wunderlichein Lächeln den Kopf und fuhr leise, gedankenvoll fort: »Als mein Bewußtsein zurückkehrte, blickte ich in das verwitterte braunrunzelige Gesicht eines alten Weibes. Sie hielt meinen Kopf im Schoß, neigte sich über mich und murmelte beschwörende Worte über meine blutende Stirnwunde. Und sie hob warnend den Finger und sprach: ›Habt zu hitzig Blut, Junkerlein, rennt mit blinden Augen ins Verderben! Leidenschaft ist Euch gefährlich und bringt Euch zu Fall: drum merkt wohl: Wo der Teufel Euch hinlocken will, da streut er rote Mohnblüten auf den Weg – wandelt Ihr ihn, führt's zum frühen Grab.‹«
Henry Antigna sprang empor und lachte laut auf. »Ist das nicht eine hübsche Romangeschichte? Etwas, was nicht alle Tage passiert?! Erzählen Sie es nicht weiter, sonst lachen uns die Leute aus! Aber wir wollen die Alraunenweisheit leben lassen –« und er nahm mit unsicherer Hand ein Sektglas von der Silberplatte eines servierenden Lakaien, leerte es hastig und nahm ein zweites: »Die roten Mohnblüten, die mich ins Verderben locken, sollen leben, blühen und gedeihen! Und nun kommen Sie, Ursula, man tanzt wieder, und mir ist's, als müsse ich mich totrasen nach diesen süßen Klängen, als müsse ich jeden Moment benutzen, um die Jahre wieder einzuholen, die ich Narr hinter den Büchern verloren habe!«
Er wartete keine Antwort ab, legte ihre Hand auf seinen Arm und stürmte mit flackerndem Blick in den Saal zurück.
Die Herren und Damen aber kamen zu Gräfin Antigna und gratulierten ihr, daß ihr »unnatürlich fleißiger« Sohn, der menschenscheue Gelehrte, der Welt zurückgeschenkt sei; Graf Henry sei mit Leib und Seele beim Tanz, unersättlich wie ein Löwe, wenn er Blut geleckt. – Und die stolze Mutter lächelte ihren Freunden herzlichen Dank und blickte hochaufgerichtet und triumphierend auf das Bild ihrer geheimsten Träume: Henry überreicht der Prinzessin Kordelia den Kotillonstrauß von brennend roten Blüten, Hoheit lächelte ihm freundlich zu und tanzte zum zweitenmal mit ihm.
Die breite Marmortreppe der Schloßhalle steigt langsam, beinahe zögernd ein junger Infanterieoffizier empor. Alle Gäste sind längst versammelt, er kommt spät. Dennoch scheint er keine Eile zu haben, die lichtstrahlenden Säle zu betreten, auf dem blumengeschmückten Treppenabsatz bleibt er sogar stehen und legte die Hand tief atmend gegen die Stirn.
Eitel Freiherr von Altenburg! Er geht zum Hofball, zum ersten- und letztenmal. Verschiedene Gründe sind es, die ihn herführen. Seit er als schwerkranker Mann in der Wohnung des Fürsten Sobolefskoi gastliche Aufnahme gefunden, seit eine lichte Mädchengestalt voll milder opfermutiger Sorge das Haupt über ihn geneigt, seit er in seinen Fieberträumen ihre kühle Hand auf seiner Stirn gefühlt, und seit er mit wiederkehrendem Bewußtsein Lenas süßer Stimme gelauscht, seit dieser Zeit ist er ein anderer geworden. Traute, unaussprechlich selige Plauderstunden sind wie ein Traum an ihm vorübergezogen, den Kampf schürend, in dem plötzlich seine Seele rang. Nur einen Gedanken, nur eine Sehnsucht und einen Wunsch gab es hinfort für ihn: Lena! Und nur eine Hoffnung, sie jemals zu erringen: Selbständigkeit! Groß, edel und wahr senkte sich die Liebe in sein Herz, und groß und edel wie sie war der Stolz, der sie durch ein langes Leben hindurch stützen sollte. Die Aussichten auf ein Avancement in der Armee waren schlechter denn je, er als mittelloser Leutnant mußte lange Jahre noch warten, ehe er daran denken konnte, sich einen Hausstand zu gründen. Außerdem verknüpfen sich mit dem Rock des Königs Verpflichtungen, die ein Leben in voller Zurückgezogenheit und Sparsamkeit unmöglich machen. Hätte Lena in ihrer rührenden Demut auch ohne alle Ansprüche seine Gattin werden wollen, so hätte die Würde des Standes sich als gebietend Hindernis in den Weg gestellt. – Altenburg blieb also nur eine Wahl, Lena – oder der Degen. Eines mußte geopfert werden. Und nach schwerem Seelenkampfe hatte die Allgewalt der Liebe gesiegt. Der Freiherr wollte sich entschließen, Fürst und Vaterland aufzugeben, um eine sehr vorteilhafte Zivilstellung im Ausland, die ihm ganz unerwartet angeboten war, anzunehmen, und den Degen, der ihm das Glück nicht erkämpfen konnte, seinem Landesherrn zurückzuerstatten.
Heute abend, angesichts der höchsten Pracht und Herrlichkeit, wollte er Lena fragen, ob sie all dieses wonnesame Leben voll Lust und Genuß dahingeben wolle, um ihm in eine bescheidene, armselige Häuslichkeit zu folgen, darinnen nichts glüht und blüht, als die unverwelklichen, dornenlosen Purpurrosen seiner Liebe! Ihre Antwort sollte entscheiden, in ihre Hand legte er zuversichtlich sein Geschick.
Ein schwerer Gang. Altenburg blickt in die geöffneten Saaltüren; der Lichterglanz blendet sein Auge, und Musik und heiteres Stimmgewirr schlagen wie betäubend gegen sein Ohr,
Er wendet sich und tritt in die Galerie, die sich still und menschenleer rechterhand neben den fürstlichen Gemächern entlang zieht.
Ruhig und einsam. Der junge Offizier bleibt abermals stehen und schließt momentan die Augen, seine erregten Nerven zu beruhigen. Welch eine wundersame, geheimnisvolle Pracht legt sich plötzlich wie bestrickend über alle seine Sinne? Leise und weich, süß, duftig und schmeichelnd weht es um seine Stirn, eine Luft, wie er sie noch nie geatmet, eine feierliche, zwingende Luft, die ein Gemisch von Sonne, Mond und Veilchenduft zu sein scheint – Hofluft.
Langsam setzt sich der Freiherr auf den Diwan zur Seite nieder und atmet tief auf. Wie hoch und stolz gewölbt ist der Raum, der ihn aufgenommen, wie blitzt es rings von Gold, wie ehrwürdig und gebieterisch wirkt diese matt erhellte, frei und kraftvoll aufragende Pracht der Wände. Große Gemälde sind zwischen die Marmorsäulen eingelassen, die Porträts der glorreichen Ahnherren des Königshauses, weltbekannte, unsterbliche Heldengestalten der Geschichte!
Und abermals streicht die geheimnisvolle Luft über die Stirn des jungen Offiziers, und es ist, als mache sie seine müden Augen plötzlich hell und sehend. Altenburg erhebt sich und tritt, wie magnetisch angezogen, von einem der Gemälde zu dem andern. Sein Herz klopft hoch auf bei dem Anblick jener hoheitsvollen Gestalten, deren Bild er voll warmer Begeisterung in der Brust getragen, seitdem ihm als Knabe und Jüngling zum erstenmal der heilige Begriff von Fürst und Vaterland verständlich und zu Fleisch und Blut geworden! Ja, dies sind seine Ideale, mit denen er im Geist gekämpft und gesiegt hat, dies die Männer, denen er jauchzend das Banner der Treue durch die Spalten der Geschichte nachgetragen, dies die Vorbilder, denen er hohen Mutes nachgeeifert, welche vor seinem geistigen Auge gestanden, da er den Eid geschworen, welcher ihn mit Leib und Seele der Fahne seines Königs zu eigen gab!
Ein ritterlich heldenhaftes Herrscherhaus! Hier stehen sie vor ihm, die Soldaten in Krone und Hermelin, denen nichts teurer und heiliger gewesen, als der Degen in der Hand, und sie richten die Augen auf ihn, ernst, gewaltig und vorwurfsvoll: »Um einer Rose willen wirfst du den Lorbeer aus den Händen?«
Ein tiefer, fast keuchender Atemzug hebt die Brust des jungen Offiziers; seine Hand krampft sich zitternd um den Degengriff und durch seine Seele geht es wie ein jubelnder Aufschrei: »Noch halte ich die Waffe, der ich Treue schwur, und beim ewigen Himmel – ich will eher mein Herz aus der Brust reißen, ehe ich diesen Schwur breche!«
Ein Taumel leidenschaftlichster Begeisterung erfaßt ihn. Ist die Luft, die er hier atmet, verzaubert, daß sie eine solch gewaltige Wirkung auf ihn ausübt? Hofluft ist's, und ein Poet hat einst gesagt, sie sei ein balsamisch Gemisch von Sternenglanz und Veilchenduft – lächerlich! Falsch Zeugnis hat der Mann geredet. Die Duftwoge, die durch einen Ballsaal zieht, hat er verwechselt mit dem kraftvollen Hauch der echten Hofluft, welche voll heiliger Weihe durch deutsche Fürstenhäuser weht! Hier klingt und singt und säuselt es nicht voll weichlicher Wollust, hier rauscht der Flügelschlag des Königsaars, hier flattert das Banner hoher Herrlichkeit, hier gilt Schwertklang und Mannesschwur, und der eherne Schritt von Jahrhunderten zittert wie ein stolzes Echo durch die Luft! Keine Veilchen duften darein, das Laub der Siegeseichen, der Lorbeer, welcher Heldenstirnen kränzt.
Das ist Hofluft!
Und Altenburg fühlt den Segen und die Kraft, welche sie in sich schließt. In keiner Kirche kann er feierlicher gestimmt sein als hier, wo der Geist seiner Könige ihn grüßt, wo er ihnen näher ist, denn je im Leben, wo das Auge, das ernst und stumm auf ihn niederschaut, ihn gemahnt an Ehre, Pflicht und Recht.
Und wie einst die Ahnherren des jungen Edelmannes unter die Fahnen dieser Heldenfürsten getreten sind, getreu in Sturm und Not, getreu zu Sieg und Tod, so erneuert auch der Enkelsohn in diesem Augenblick das Gelöbnis der Väter, und seine Hand umschließt den Degen, fest und feierlich, in dem Schwur, sich freiwillig nie von ihm zu lösen!
Fern in den Sälen jubelt die Tanzmusik, dort lacht und scherzt's, und die Luft, die die Flammen zittern läßt, trägt Himmelsglanz und Veilchenduft auf den Schwingen. Der Freiherr von Altenburg aber schreitet festen Schrittes die Marmorstufen wieder hernieder, ohne nur das Haupt nach jener lockenden Pracht zu wenden. Die Reihe jener Hofluft, die wie ein mahnender Sturmwind sein Lebensschiff auf die rechte Bahn zurückgeführt, wollte er unverfälscht mit sich hinaus in den Kampf gegen sein eigen Herz nehmen!
Lena bleibt das lichte Bild der Gnade, zu dem er sich in unwandelbarer Lieb und Treue emporringen wird, aber mit dem Degen und im Dienst seines Königs! Liebt sie ihn, so wird sie in Ergebung der Zeit harren, da er kommen kann, um sie zu werben, und so, wie er der Eisenbraut den Schwur der Treue hielt, so wird er ihn auch seinem Weibe halten, über Zeit und Tod hinaus.
Graf Lohe und Ursula soupierten zusammen, als zweites Paar hatten Jolante und Herr von Flanken an dem kleinen Marmortischchen Platz genommen.
Mit kolossaler Selbstüberwindung hatte Mark-Wolffrath ein wahrhaftes »Grenadieressen« an dem Büfett ausgewählt, viel Sauerkraut mit wenig Fasan, reichlich Paprikasoße und etwas Braten, Heringssalat und kandierte Zwiebeln, Trüffelfarce und Pastete, nur keinen Käse, denn das ging effektiv über seine Kräfte. Und Ursula schwelgte vor Entzücken und aß um die Wette mit Freund Flanken, der mit strahlendem Gesicht ihren Geschmack und Appetit »ausnahmsweise normal« nannte.
»Ich kann es in den Tod nicht ausstehen, wenn die Damen rechts und links um einen herumsitzen und fasten, entweder sind sie zu eng angezogen, oder sie zieren sich, oder sind krank – na, und eins finde ich so gräßlich wie das andere!«
Jolante opponierte sehr entrüstet, aber nach einer kleinen Weile sagte sie: »Nun, scherzeshalber will ich dein hochgepriesenes Sauerkraut einmal kosten, Ursula! Bitte, Herr von Flanken, besorgen Sie mir etwas, aber nur eine Gabelspitze voll!« Der Stuhl des Premierleutnants flog zurück, er stürmte davon, holte für sich eine doppelte, für Fräulein von Groppen eine »halbe Portion« – und freute sich wie ein Kind, weit vorgebeugt, diesem Mirakel zuzusehen: das Elfchen aß wirklich und wahrhaftig Sauerkraut! Der ganze Himmel hing ihm plötzlich voller Baßgeigen, und wenn Jolante auch noch so sehr das Gesichtchen verzog und wie ein eigensinniges Kind mit den Händchen abwehrte – »schmeckt schauderhaft!« so sah er dennoch in rosigen Zukunftswolken einen Eßtisch schweben, daran saßen Jolante und er als wahrhaftiges Ehepaar und vor ihnen stand eine riesige Schüssel voll Sauerkraut und Pökelfleisch! Graf Lohe war schweigsam und ersichtlich verstimmt, und Ursula schien nicht sonderlich auf seine Neuigkeit zu brennen, denn erst zum Schluß, als sie die Handschuhe wieder an den Armen emporstreifte, fragte sie ganz nebenbei, ob er denn seine verheißene Mitteilung zum Dessert aufgespart habe?
»Dieser Nachtisch möchte einen bitteren Beigeschmack haben, wenigstens für mich!« entgegnete er mit umwölkter Stirn.
»Na also? Raus mit der wilden Katze!«
»Ich reise in acht Tagen für ein halbes Jahr von hier ab.«
Das hatte die Kleine denn doch nicht erwartet und darum ließ sie aller Übermut und alle Selbstbeherrschung kläglich im Stich. Ganz starr vor Schrecken saß sie ihm gegenüber. »Aber Graf Lohe! Das ist abscheulich von Ihnen, das leide ich nicht, das gebe ich nicht zu – –«
»Ursula!« erinnerte Jolante.
»Ach was!« rief Ursula, »Es ist empörend! Kein Mensch hat ihm etwas zuleide getan, denn wenn ich aus Albernheit mich immer nochmal geflegelt habe, so war das doch nur aus Neckerei! Allen andern Menschen gegenüber habe ich mich wie Prinzessin Kordelia benommen, kein einzig unpassendes Wort habe ich –«
»Mein gnädigstes Fräulein, wie kann überhaupt davon die Rede sein!« unterbrach Lohe ein wenig verlegen, und dennoch bekam er beim Anblick ihrer tränenblitzenden Augen einen dunkelroten Kopf. »Ich gehe doch nicht freiwillig! Ich bin ja selber ganz außer mir über diesen infamen Possen, den mir irgendein übelgesinnter Vorgesetzter gespielt haben muß! Fräulein Ursula, bedenken Sie doch, nach Dassewinkel schickt man mich als stellvertretenden Landrat!«
Graf Lohe strich in Verzweiflung über die Stirn, auf welche bei solchem Gedanken allein der Angstschweiß trat, »Dassewinkel! Dieses entsetzlichste aller kleinen Landstädtchen. Sie kennen es wohl, meine Damen, es liegt ja ganz in der Nähe von Alt-Dobern – ohne Militär, ohne Gas, ohne Wasserleitung und Straßenpflaster. Das vornehmste Element ein Bürgermeister, der in Mußestunden –«
»Torf trampelt!« Ursula schlug in höchster Alteration die Hände zusammen, »das ist ja eine nette Bescherung, daran habe ich ja gar nicht mehr gedacht. Oh, Papa, das ist perfide von dir, gerade jetzt den Grafen hier weg zu holen!«
»Ihr Herr Vater ist ja ganz unschuldig an diesem Unglück,« versicherte Lohe wehmütig, »ich bin nicht von dem Kreise gewählt worden, sondern werde lediglich aus Ranküne irgendeines boshaften Vorgesetzten hingeschickt. Gerade mich zu solch einem Posten auszusuchen, mich, dem nichts unsympathischer ist, als der Aufenthalt in kleiner Stadt: und nun gar Dassewinkel, diese Grenze der Kultur! Bei Gott, ein Kommando ›Separatarrest‹ wäre mir nicht so entsetzlich, als diese Verbannung, in der ich als Beamter gezwungen bin, mit einer Sorte Menschen zu verkehren, die mir Nervenschütteln verursacht!« Graf Lohe hatte sehr erregt gesprochen, und während Fräulein von Kuffstein sehr verlegen das Köpfchen hängen ließ und aufseufzte wie ein böses Gewissen, legte Flanken energisch die Gabel nieder, trank sein Glas aus und wischte sich nachdrücklich den Mund. »Unsinn, lieber Graf! Dassewinkel ist ein riesig behagliches kleines Nest, in dem Ihre Lackstiebeln allerdings im Schlamm steckenbleiben, Ihre Büchse aber geradezu schwelgen kann, was eine gute Jagd anbelangt! Na, zum Kuckuck, und außerdem schadet es Ihnen gar nichts, wenn Sie mal vom Parkett runterkommen! Der Mensch wird ja einseitig, wenn er nur mit ›Creme‹ gefüttert wird! Ich für meine Person möchte mich am liebsten versetzen lassen, wenn ich mich verheirate, in irgend so ein kleines –«
»Wenn Sie sich verheiraten?«
»Na, natürlich, nächstens geht's los, Walzer tanzen kann ich bereits!«
»Brillant! Gehört diese Kunst zur Ehe?«
Flanken kniff das rechte Auge mit verschmitztem Lächeln zu und schielte mit dem linken nach Jolante. »O ja, es gibt gewisse Damen, die verlangen, daß der Gatte in regelrechtem Takt nach ihrer Pfeife tanzt!« Jolante wandte das Köpfchen kokett von ihm ab.
»Das verstehen Sie jetzt allerdings!«
»Nicht wahr?« Der blonde Riese patschte sehr vergnügt mit der Hand auf der Tischplatte: »Haben Sie zufällig meine Quadrille vorhin mit angesehen, Lohe? Na, ich sage Ihnen, ich hielt überhaupt die ganze Sache! Kein Mensch konnte was, aber ich tanzte ›normal‹, sogar mit Pas und ohne jegliche Konfusion in der ›scheenen Anglaise‹, obwohl ich eine Linktatsche bin!«
Mark-Wolffrath mußte trotz seiner schlechten Laune lachen. »Hand aufs Herz, Verehrtester, wo haben Sie denn diese Kunst noch auf Ihre alten Tage gelernt?!« Flanken legte die Hand an den Mund: »Pst! daß es die Damen nicht hören! Corps de ballet! Will mir jetzt auch noch die Française eindrillen lassen, weil Fräulein von Groppen verlangt, daß ich in allen Tänzen Meister sei!«
Jolantes Köpfchen wandte sich blitzschnell herum.
»Ich liebe die Française durchaus nicht und tanze sie niemals, meinetwegen brauchen Sie keine Stunde weiter zu nehmen!« rief sie hastig, und ihre schwärmerischen Augen flammten auf, als wäre sie bei Othello in die Lehre gegangen.
»Um so besser!« schmunzelte ihr diplomatischer Verehrer, sich gleich den anderen Herrschaften erhebend: »So bitte ich denn vorläufig um meinen Tischwalzer, aber ohne Extratouren: die gibt's überhaupt niemals bei mir, und ebenso wie ich einzig und allein mit Ihnen tanze, so müssen Sie künftighin auch alle anderen Herren abweisen.«
»Aber Herr von Flanken?« Jolante blieb stehen und rümpfte indigniert das Näschen. »Das würde ein höchst auffallendes Benehmen sein!«
»Schnacken! Wir wollen den Leuten mal zeigen, was 'ne Sache ist!«
»Mijnheer Malte van Doornkat würde mir das sehr übelnehmen!«
»Mag er doch! Was liegt uns denn an dem Farbenklexer!«
Er machte ein böses Gesicht, und darum mußte ihn das kokette kleine Fräulein noch etwas mehr ärgern. »Farbenklexer? Dieser Ausdruck ist ungerecht und beleidigend! Herr van Doornkat ist ein ganz bedeutender Künstler, und das Bild, das er zurzeit in Arbeit hat, wird sicherlich auf der Ausstellung einen Preis bekommen!«
»Das ist was Rechtes!« höhnte der Ulan ingrimmig; »meine Fetthammel sind auf der Ausstellung auch dekoriert worden!« »Auf alle Fälle werden Sie es Herrn van Doornkat nicht gleichtun!«
»So?! Und warum denn nicht, wenn ich fragen darf?« Er stellte sich wie der Koloß von Rhodus vor sie hin und strich herausfordernd den Schnurrbart, der immer noch nicht gewachsen war.
Sie kicherte leise auf und sah ihn abwechslungshalber mal wieder so schmachtend an, daß ihm das Blut noch mehr in den Kopf schoß. »Wollen Sie vielleicht Ihr Zeichenbuch mit dem ›Sardellen- und Lanzenstilleben‹ der Kunstausstellung anvertrauen?«
»Nein, das nicht! Aber ein Mann, der Walzer tanzen lernt, lernt auch irgendeinen Hasen oder Dachs in Öl zubereiten, und, beim Bart des Propheten, Sie sollen sich mal wundern, was ich für ein Gemälde ausstelle!«
Sie lachte so silberhell und graziös, wie es der Premierleutnant nie reizender gehört hatte.
»Herr von Flanken, Ihr Wort in Ehren! Walzer tanzen und Bilder malen ist ein himmelweiter Unterschied!«
»Wetten, daß!?«
»Diese Wette gehe ich ein!«
» Bon; nehmen wir die Sache zu Protokoll! Bitte setzen Sie sich noch einen Moment hier auf den Diwan nieder, ich schreibe.«
Und er zog eine sehr wohlgenährte Brieftasche aus der Uniform und schlug eine leere Seite auf.
»Also: Fräulein Jolante von Dern-Groppen wettet, daß ich nicht imstande bin, ein Ölgemälde zur Konkurrenz in die Kunstausstellung zu geben!«
»Ja, das wette ich!« Und die junge Dame hielt den Fächer vor den Mund und blickte höchlichst amüsiert auf die vierschrötige Hand hernieder, die herzlich ungeschickt den kleinen Bleistift führte. »So, nun schreiben Sie Ihren Namen darunter, mein gnädiges Fräulein!« grollte er.
Sie tat es in aller Heiterkeit, und dann nahm er das Buch zurück und setzte seinen Namen dicht unter den ihren.
»So, die Urkunde hätten wir.«
»Aber nun, um was haben wir eigentlich gewettet?«
Flanken zuckte die Achseln. »Wenn ich gewinne, verlange ich nur die Erlaubnis, dieses Schriftstück veröffentlichen zu dürfen!«
»Wie bescheiden!«
»Die Großmut ziert den Krieger! Und nun unser Walzer! Das Parkett soll seinen Meister zitternd erkennen lernen!«
Als nach Mitternacht Jolante das Köpfchen daheim in die Kissen neigte, lächelte sie im Traum. Ursula aber setzte sich zuvor an den Schreibtisch und tauchte die Feder resolut in das Tintenfaß. »Ich will nach Hause, in acht Tagen komme ich, es hat gar keinen Zweck mehr, daß ich hierbleibe!« war der lakonische Inhalt ihres Briefes. Und dann stürzten ihr die Tränen aus den Augen, und sie ließ das Köpfchen auf die Arme sinken.
Gräfin Antigna trat auf weichem Teppich lautlos hinter sie. Ihr Blick fiel auf die Schriftzüge, sie las, lächelte und hob, einen Moment nachdenkend, die Hand an die Stirn. Dann legte sie mit schnellem Entschluß die Rechte auf die Schulter der Emporschreckenden.
»Noch eine gute Nachricht, petite! Soeben finde ich einen Brief deiner lieben Mutter vor, in dem sie mir den Besuch deiner Eltern für den Rest der Saison in Aussicht stellt. Deine Mama muß einen Arzt konsultieren, und es ist unsere heilige Pflicht, sie in diesem Vorsatz zu bestärken.«
Sprachlos starrte Ursula zu der Sprecherin empor. Die kühlen Finger lagen schwer wie Blei, ernst und zwingend auf ihrem Nacken, uno das junge Mädchen beugte sich unter ihnen ohne Widerspruch, der Liebe erstes Leid schnitt in ihr Herz, aber es löste nur die Dornen wohltätig von der Rose.