Nataly von Eschstruth
Hofluft
Nataly von Eschstruth

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III.

Ursula hatte sich über alles Erwarten gut in dem Hause ihrer neuen Pflegemama eingelebt, und als Herr von Kuffstein mit sehr viel Rührung und schwerster Überwindung Abschied nahm, klopfte ihn seine Einzige tröstend auf den breiten Rücken und sagte: »Mach' doch keine Schnacken, Julchen! Was ist denn dabei, wenn ich ein paar Wochen hier bleibe! Wenn mir die Angelegenheit flau erscheint, gehe ich einfach durch die Lappen und komme heim! Gib mir ein bißchen Reisegeld, ja? Die Mama hat ja befohlen, daß ich außer meinem ruppigen Taschengeld, mit dem ich mich höchstens als Sperrgut aufgeben könnte, keinen gebogenen Heller in die Hand bekomme!«

»Du armes Wurm! Na warte, dafür wollen wir schon unser Gegengift verzappen! Meine Tochter und kein Geld haben! Womit sollste denn deine Jugend genießen?! Die Mama hat ja gar keinen Begriff, wie teuer das Amüsieren in der Hauptstadt ist. Da, Fröschchen, pack dir mal diese Scheine hier als ›Rettungsfond‹ in irgendeinen Strump rein; wenn's alle ist, schreibste an mich aparte, verstanden, so ein kleines Zettelchen, das ganz harmlos in einem großen Brief liegt, – – dann schick ich dir ganz ebenso harmlos eine Kiste voll Kuhkäse oder eine Trüffelwurst und dabei eine Portion Silberlinge. Und hörste, Urschel-Purschelchen, daß du dich nicht etwa hier schikanieren läßt! Du tust was du willst, hat dir keine Menschenseele was zu befehlen! Ist ja Unsinn mit der Zierafferei! Ich war mein Lebenlang auch ein frischer, gottwohlgefälliger Kerl, der mit den Flegeljahren siamesisch verwachsen war, und bin doch immer vorweg durch die Welt gekommen!«

Ursulas Augen blitzten. »Ich mich schikanieren lassen?! Ich strecke ihnen die Krallen entgegen wie ein Maikäfer!«

Der Vergleich entzückte Papa Kuffstein und ließ ihn ruhig scheiden. Ursula aber hatte beim besten Willen keine Gelegenheit, Front gegen irgendwelche Hintenansetzung ihrer »konfirmierten Würde« zu machen.

Tante Antigna respektierte die achtzehn ehrwürdigen Lebensjahre ihres Pflegetöchterchens in geradezu wohltuender Weise, und Ursula, die anfänglich voll Mißtrauen die unzähligen Reprimanden, die ihr in Wolkwitz von Mutter und Gouvernanten stündlich zuteil wurden, erwartet hatte, war geradezu verblüfft, daß die Gräfin sie vollständig als Dame behandelte. Diese schien gar nicht anzunehmen, daß Ursula irgendwelchen Verstoß gegen die gute Form begehen könne, und das schmeichelte der Kleinen ganz gewaltig und spornte sie an, ohne daß sie es selber recht wußte, solch ein Vertrauen zu rechtfertigen. Es lag in dem verzogenen und eigensinnigen Wesen des jungen Mädchens, gegen den Befehl oder Verweis ein für allemal zu opponieren; hier hatte sie das nicht nötig, und die kluge Methode der Gräfin, lediglich an das Selbstbewußtsein ihrer Pflegebefohlenen zu appellieren, schien in jeder Weise die richtige zu sein.

Nicht die Hände eines Lehrmeisters sollten diesen spröden Edelstein schleifen, sondern die Klippen und schroffen Kanten des Lebens selbst, durch das die kleine »Preziosa« wohlberechnet und weise geleitet wurde.

Graf Ferdinand Antigna war ein stiller, zerstreuter, von Geselligkeit und Arbeit frühzeitig überanstrengter Mann, der sich seiner Familie selten widmen konnte und selbst die Erziehung seiner Söhne der geistig so bedeutenden Gemahlin ohne Skrupel überließ. – Renée, die blonde, lächelnde Frau, schlank und biegsam wie eine Gerte, führte mit graziöser, aber eiserner Energie das Regiment im Hause, und die Wege, die ihr klarer, scharfer Geist den Personen ihrer Umgebung vorzeichnete, mußten diese wandeln, mochten sie wollen oder nicht. Die Gräfin hatte sich noch nie in ihren Berechnungen getäuscht. Alles war geglückt, so wie sie es ermessen und durchgefühlt hatte. Ihr ältester Sohn war stets ein Muster an Fleiß und Gehorsam gewesen. Seine Begabung war eine ganz außergewöhnliche, sein frühes Examen ein brillantes, er berechtigte seine Eltern und Lehrer zu den stolzesten Hoffnungen, und Gräfin Antigna nahm mit ihrem anmutigen Lächeln die Gratulationen entgegen und gedachte jener Zeit, da Henry das geistig trägste und renitenteste Kind von der Welt gewesen. Mit weichen, aber zwingenden Händen hatte sie das Wunder seiner seelischen Wandlung vollbracht, hatte mit silbernem Hämmerlein so lange Splitter um Splitter gelöst, bis endlich die Lichtblitze der Diamanten aus der schwerfälligen, toten Kohle brachen.

Und mit eben diesem Hämmerlein kluger Berechnung modelte sie jetzt an Ursulas reizendem Bilde, wenngleich ihre Hände dabei still im Schoße lagen und kein leibliches Auge ihre Arbeit schauen konnte.

Die ereignisreiche Stunde hatte, geschlagen, da das kleine Fräulein vom Lande bei Hofe präsentiert werden sollte.

Graf Ferdinand Antigna war mit seiner Familie zur Tafel befohlen, und Ursula, sowie Graf Henry sollten bei dieser Gelegenheit, auf Wunsch der Königin-Mutter, den höchsten Herrschaften vorgestellt werden.

Mit glühenden Wangen und lustblitzenden Augen hatte Fräulein von Kuffstein Toilette gemacht. Die lange Schleppe von Crêpe diamant, überhangen und durchschlungen von perlglitzernden Chenillenetzen, schien ihr ganz besonderen Spaß zu bereiten, und die Füßchen sehr energisch aufsetzend, schritt sie in dem Zimmer auf und nieder, sich des Triumphes zu freuen, daß der »famose Pfauenschwanz« wohl oder übel hinter ihr her mußte! Von irgendwelcher Befangenheit war keine Spur an Ursula zu entdecken. Herzklopfen kannte sie überhaupt nicht, und der Gedanke, daß ein Besuch bei Hofe doch etwas ganz Besonderes sei für ein junges Mädchen, etwas Ähnliches, wie für einen Krieger die erste Schlacht, der Gedanke kam ihr gar nicht in den Sinn. Sie freute sich, wie sie sich stets freute, wenn »was los war«, und war überzeugt davon, daß man im Palais ihren Besuch genau so als Ehre und Auszeichnung würdigen werde wie daheim, wenn die kleine Tyrannin von Wolkwitz bei dem Bürgermeister von Dassewinkel mit »Vieren lang« vorfuhr.

Sie imponierte einstweilen der Kammerjungfer ganz gewaltig mit ihren Plänen, was für forsche Geschichten sie der Königin- Mutter oder der Prinzessin Kordelia erzählen wollte, und versicherte noch einmal, es fiele ihr ja gar nicht ein, sich bei dem Kompliment auf die Hacken zu setzen, das könne sie nicht, ihre Kratzfüße waren ja bis jetzt immer schön genug gewesen! Gräfin Antigna hatte ihr nämlich gezeigt, wie man sich vor den Herrschaften zu verneigen habe, und Ursula hatte sich halb tot gelacht und gesagt: »Nee, das tue ich nicht, Tante, da kann ich mich ja lieber gleich rollen!«

»Das ist deine Sache, liebes Kind, ich denke, du wirst dich benehmen wie alle andern Damen und nicht wie ein Baby, das ein Knickschen macht.«

»Baby oder nicht Baby! Das ist mir ganz schnuppe, ich mache alles wie ich's sonst mache!«

Die Gräfin wechselte mit feinem Lächeln das Thema. Und nun stand Papa Kuffsteins Herzblättchen im Salon und wartete auf ihre gräflichen Pflegeeltern. Sie sah reizend aus, so zierlich, keck und elegant, als wäre sie eben aus dem Modejournal herausgesprungen.

Nebenan im Boudoir erklangen Stimmen. Tante Renée und ihr Sohn schienen einen kleinen Wortwechsel zu haben. Ursula knöpfte gelassen ihre Handschuhe zu. – Henry war ein Stiesel! Soviel stand bombenfest. So albern wie er hatte sich noch kein Mensch gegen sie benommen. Eigentlich kannte sie ihn gar nicht, denn freiwillig hatte der junge Mann nie ein Wort an sie gerichtet. Sie sah ihn auch nur bei den Mahlzeiten, und zwar hatte er am ersten Tage an ihrer Seite gesessen, als aber Ursula, den Verkehr auf fröhliche Weise etwas anzubahnen, ihm meuchlings eine heiße Kartoffel auf die Hand legte, schien er in dämlichster Weise verschnupft zu sein, denn andern Tages hatte er mit seinem Mentor den Platz gewechselt und saß ihr nun gegenüber. Ursula dachte in gerechtem Zorn: »Du kannst mir den Buckel 'nauf steigen, bis ich mit dir wieder mal einen Witz mache!« und wartete, bis er gefälligst eine Unterhaltung beginnen würde. Das geschah aber nicht; im Gegenteil, Henry schien jede Gelegenheit zu vermeiden, sich an die junge Dame zu wenden, nur seine finsteren, »unterirdischen« Augen schickten gelegentlich einmal einen schnellen Blick unter den schwarzen Wimpern zu ihr hinüber. – Was man wohl so lebhaft zu verhandeln hatte nebenan? Ursula schlug die Füßchen übereinander und gähnte.

»Und trotzdem wiederhole ich dir meine Bitte, Mama,« klang Henrys Stimme leise zu ihr herüber, »und bei Gott, mit gutem Grunde. Wenn ich jetzt, da ich noch mitten im Studium stehe, sofort mein Doktorexamen absolviere, ist es halb so mühevoll für mich wie in Jahresfrist, und daß ich jetzt bei der Arbeit bleibe ohne mich zu zerstreuen, das Interesse meiner Lehrer in fleißigem Streben ausnutze, ist für meine ganze Zukunft von der äußersten Wichtigkeit –«

»Gewiß, my boy! Das sehe ich vollkommen ein und will dich deinen Studien durchaus nicht entziehen; aber ich verlange, daß sie dich nicht vollständig absorbieren, daß den Glanz deines Wappenschildes kein Bücherstaub überzieht, daß du über den Doktor nicht den Grafen Antigna vergißt, der die ersten und größeren Rechte an dich besitzt! Du weißt, daß dein Vater in den nächsten Tagen nach dem Süden abreisen muß, daß es sein und mein Wille ist, unsern Namen durch dich bei Hofe vertreten zu lassen! Du hast den Platz, den Generationen mit Blut, Ehre und Gut erkämpft und durch Jahrhunderte behauptet haben, als ein heiliges Vermächtnis zu betrachten! Der Name deiner Urväter muß ununterbrochen, wie ein stolzes Echo vor den Ohren der Höchsten weiterklingen, damit die Hofluft, die so gern ausmerzende, ihn nicht verwehen kann. Dein Fleiß und deine Begabung werden die kurze Spanne Zeit, die du deinen Studien entziehst, bald wieder einholen.«

»Nicht das ist es, Mama, nicht das!« Die Stimme des jungen Mannes klang im Gegensatz zu dem ruhigen, kühlen Organ der Mutter erregt und zitternd. »Warum zwingst du mich, mich selber so vor dir zu demütigen und mit Worten auszusprechen, was du ahnst und weißt! Du hast jene Kämpfe mit mir durchlebt und durchlitten, die mich zu einem strebenden Menschen gemacht haben. All mein Fleiß, all meine vermeintlichen Fähigkeiten sind Unnatur, deine eiserne Strenge, für die ich dir dankend die Hand küsse, haben jene glänzenden Eigenschaften wie einen Panzer um mein ureigentliches ›Ich‹ geschmiedet. Das leichtsinnige, leidenschaftliche und zügellose Blut der Antigna, das schon als Knabe in mir revoltierte, liegt dahinter in Banden und Ketten. Arbeit und Streben sind mir zur Gewohnheit geworden, weil du es so befahlst, du hast sie mir aufgepfropft, wie einen edlen Zweig auf wilden Schößling. Jetzt aber will das fremde Element mir in Fleisch und Blut übergehen, die Arbeit beginnt meine Passion zu werden. Die neuen Forschungen und Experimente des Professor K. regen und reizen mich unendlich an, es ist mir gelungen, seine Forschungen zu unterstützen, wie du weißt, und darum möchte ich die Medizin, diese Wissenschaft, die ich aus privatem Interesse betrieb, nun endgültig zu meiner Karriere wählen, will den Referendar an den Nagel hängen und noch einmal von vorne anfangen, um das zu erreichen, was mir aus Überzeugung als ein köstlich hohes Ziel erscheint. Dazu aber ist mir jede Minute unentbehrlich! Die Nächte, die ich sinn- und zwecklos im Ballsaal vergeude, werden zu Felsen, die sich mir in den Weg türmen, denn K. bleibt nur noch diesen einen Winter hier und geht dann wieder in den Orient zurück.«

»Henry, verlange ich etwa, daß du Nacht für Nacht ausschwärmen sollst? Die paar Hofbälle, die du besuchen wirst, sind gar nicht der Rede wert, und nebenbei hast du massenhaft Zeit, deinen Lorbeer zu pflegen, wenn du es nun einmal nicht lassen kannst! Du hast mich bis jetzt für die Gegnerin deiner Zukunftspläne

gehalten, hast geglaubt, daß es mir Nervenschütteln verursachen würde, meinen Sohn als praktizierenden Arzt im Dienst von hoch und niedrig zu wissen. Du irrst. Es wird mein Stolz und Triumph sein, der Welt einen bedeutenden Gelehrten geschenkt zu haben, und kannst du durch dein Wissen ein Helfer der Menschheit werden, so wirst du es nie mehr nach dem Herzen deiner Mutter sein, als dann, wenn du in die Hütten der Armut trittst. So denke ich über deinen künftigen Beruf, Henry.«

Ursula hörte die Goldspangen am Handgelenk der Gräfin leise klingen, als habe ihr Sohn die schlanke Rechte hastig an die Lippen gezogen, dann sprach die klare Stimme in demselben ernsten Ton weiter.

»Du bist aber nicht allein ein geistig bevorzugter junger Mensch, Henry, du bist es auch durch deine Verhältnisse, du bist nicht allein ein zukünftiger Volksbeglücker, du bist auch ein Graf Antigna. Pflicht stellt sich neben Pflicht, und die ältere ist die berechtigtere. Du hast zu tun, was du deinem Namen schuldig bist, erst er, dann der Titel! Wer zwingt dich, dein Ziel im Sturm zu erreichen? Erst wenn du der Vergangenheit, dem Andenken deiner Väter den schuldigen Tribut gezahlt, darfst du an deine Zukunft denken!«

»Mama – mich jetzt aus meiner Bahn herausreißen, mir Welt und Leben zeigen, heißt die Zukunft opfern!«

»Inwiefern?«

Seine Worte klangen erstickt, wie in flehender Warnung. »Ich kenne mich besser, als du mich kennst, Mutter. Ich weiß, welchen schweren Kampf ich gegen meinen Charakter zu bestehen habe. Ich bin ein Einsiedler, ein menschenscheuer Narr geworden, weil ich es nicht wagte, mich einer Versuchung auszusetzen, ich hätte ihr nicht widerstanden. Ich bin ein Antigna. Leben genießen, die Jugend verträumen und verjubeln ist das Erbteil unseres südländischen Blutes. Mein Leichtsinn ringt mit meinem Pflichtgefühl, und wenn letzteres jetzt nicht den Sieg gewinnt, – dann erringt es ihn nie.«

»Du bist ein Phantast, mein lieber Henry. Der Verkehr bei Hofe verträgt sich mit den solidesten Ansichten!«

»Er ist der Anfang vom Ende! Er ist jener erste Stern am Himmel, dem Tausende folgen, und wenn man einmal seinen Glanz geschaut, gewöhnt man sich nie wieder an die Dunkelheit.«

»Wie viele Jahre völliger Zurückgezogenheit würde dein Studium bedingen?« fragte die Gräfin herb.

»So viele Jahre – bis ich auf der Höhe meines Zieles stehe, bis ich die letzte Staffel der Wissenschaft erklommen!« murmelte er durch die Zähne.

»Wie? – Bis du Professor bist?«

»Ja, und ein bekannter Name unter den Koryphäen!«

Die Gräfin atmete tief auf. »Niemals!« entgegnete sie dumpf. »Du bist unser ältester Sohn, du bist, sobald dein Vater ins Ausland gesandt wird, der Repräsentant unseres Namens am hiesigen Hofe. Auf das Heranwachsen deines zehnjährigen Bruders kann nicht gewartet werden; das wirst du begreifen.«

»So habe ich also zu wählen. Entweder eine Zukunft, reich an Segen, an Verdienst und Ehre, ein Retter und Helfer für Tausende – oder ein träges Dahinschreiten durchs Leben, ein Genießen und Streben, das schließlich im Kammerherrnschlüssel und, wenn's hoch kommt, in dem Bewirtschaften der Güter gipfeln wird, – ein Strohmann, der den Wappenmantel auf den Schultern spazieren trägt. Du hast mir bis jetzt befohlen, was ich sein und was ich nicht sein soll, Mama – befiehl's auch jetzt.«

Henry war an die Tür getreten und hatte sie geöffnet; hoch aufgerichtet stand er, die Türklinke in der Hand, und wartete der Antwort. Ursula konnte in das Boudoir sehen. Sie schaute just auf die Gräfin, die ruhig und bestimmt wie stets vor ihrem Sohn dastand und den wundersamen Blick fest auf sein Antlitz heftete.

»Beides sollst du sein, eines nach dem anderen, Henry, das wünsche ich von Herzen. Muß jedoch ein Opfer gebracht werden, so darf es für den Grafen Antigna meiner Ansicht nach gar keine Wahl geben. Vollende deine Toilette, mein Sohn; der Wagen, der dich deinem Fürsten und Landesherrn zuführen soll, wird in einer Viertelstunde vor der Tür stehen. Auf Wiedersehen, my boy, nicht mehr mit dieser finsteren Stirn, sondern stolz wie ehemals die Knappen, wenn sie ein königlich Schwert zum Ritter schlug!«

Und die Gräfin lächelte ihm anmutig zu und reichte die Hand dar. Henry küßte sie. »Ich werde bereit sein, Mama.« Und dann trat er über die Schwelle und schloß hinter sich die Tür.

Als er das Zimmer durchschreiten wollte, erblickte er Ursula und wich bei ihrem Anblick frappiert zurück. Er sah sehr bleich aus, und seine Augen, die zum erstenmal dem Blick des jungen Mädchens in vollem Anschauen begegneten, waren von dunkelsprühendem Glanz.

Einen Augenblick starrte er auf die farbenprächtige Erscheinung, dann legte er schnell die Hand gegen die Stirn, als besänne er sich.

»Wir sind Schicksalsgenossen? Auch Sie werden heute zum erstenmal Hofluft atmen, Fräulein Ursula?«

Noch niemals zuvor hatte er sie angeredet, groß und überrascht blickte sie zu ihm auf.

»Na gewiß! Ich komme mir vor wie ›das kleine Lämmlein weiß wie Schnee‹, das mit einer Strippe um den Hals auf Grasung geführt wird!«

Er lächelte zerstreut. »Sie tragen Mohnblüten im Haar und an der Brust – aus Zufall?«

»Tante Renée hat sie ausgewählt; vielleicht will sie den Leuten gleich ›durch die Blume‹ sagen, daß ich noch ein riesiges ›Mohnkalb‹ bin!« Und Fräulein von Kuffstein belachte ihren vermeintlichen Witz mit lautester Stimme.

Henry biß sich leicht auf die Lippe, ohne mitzulachen. »Wir wollen die gleichen Farben tragen. Sie offiziell, und ich symbolisch und versteckt. Geben Sie mir, bitte, eine dieser roten Blumen der Vergessenheit und Betäubung, ich bitte Sie darum!« Er sprach hastig und leise, den Blick unverwandt auf den Blütenstrauß an ihrer Brust geheftet.

»Meinetwegen! Kleben Sie sich diesen ritzebrandfarbenen Kladderadatsch ins Knopfloch! Puterhähne wird's ja nicht geben, die wir wild machen.«

Er nahm schnell die Blume, verneigte sich dankend und war im nächsten Augenblick hinter der Tür verschwunden.

»Ein verdrehtes Subjekt!« dachte das kleine Fräulein vom Lande. »Ich bin wirklich gespannt, ob er mit dem roten Auswuchs über dem Magen losziehen wird!« Und sie erhob sich und rauschte, rückwärts nach der Schleppe blickend, vor den Spiegel, um das derangierte Bukett wieder zurechtzuzupfen. – Wie lange das nur dauerte, bis der Wagen kam, bis Tante Renée im fliederfarbenen Moirée antique über die Schwelle trat. Wie schön sie aussah! Wie die leuchtenden Falten der Schleppe bei ihr soviel gleichmäßiger über das Parkett wogten als bei Ursula. Sie bewegte sich aber auch viel langsamer und gemessener, während sich die Kleine so lebhaft hin und her drehte, daß sich der Stoff in unschönster Weise um die Füße wickelte. Die Gräfin hatte es gesehen und gelächelt, aber kein Wort gesagt. Das machte Ursula verlegener als ein Verweis, darum wollte sie es auch um die Welt nicht wieder zeigen, wie ungewohnt ihr solche Courschleppen waren. Sie beobachtete jede Bewegung der Palastdame und kopierte sie mit der ihr eigenen Grazie und Geschicklichkeit. Und wieder lächelte die Gräfin, aber diesmal unbemerkt. Endlich lag der Pelz auf den Schultern der beiden Damen, endlich bestieg man die wartende Galaequipage im Hausflur.

Graf Ferdinand und sein Sohn, der zu Ursulas großer Überraschung die Mohnblüte nicht angesteckt hatte, folgten in einem zweiten Wagen.

Übermütiger als je benahm sich der kleine Wildfang aus Groß-Wolkwitz. Der Himmel hing ihr voller Baßgeigen, sie schwatzte und lachte und kannte auch nicht das mindeste Gefühl von Scheu und Beklommenheit. Sollten sich Gräfin Antigna und Graf Lohe doch verrechnet haben? Sollte dieses unberechenbare Puckchen dennoch leichter sein als die Hofluft, die seine kecken Flügelchen vielleicht nicht niederdrückt, sondern, im Gegenteil, von ihnen in launigem Spiel durchkreuzt wird? – – Abwarten!

Der Lichtglanz der hohen Gaskandelaber brach sich in den geschliffenen Wagenfenstern, die Equipage sauste die Auffahrt empor und zwei Lakaien sprangen ans dem Portal hervor, den Schlag aufzureißen.

»Doar bün ick, sprak de Swinegel!« rezitierte Fräulein von Kuffstein voll großen Behagens, klappte dem Lakai mit dem Fächer auf die dargereichte und dann sehr überrascht zurückgezogene Hand, und sprang dann ohne Hilfe auf den Teppich nieder.

Mit neugierigen Augen schaute sie sich in dem Vestibül um. »Ah, sieh mal, Tante, die beiden Marmorkerle haben wir zu Hause auch! Bei uns steht aber noch der ›Stierbändiger‹ in der Mitte, dem ich mal Papas alte Lederhosen angeklemmt hatte, als der Landesdirektor zum Diner erwartet wurde!«

Ihr Lachen klang sehr absonderlich in dem feierlich stillen, hochgewölbten Raum. Tante Renée wandte sekundenlang das Haupt und sah sie starr an. Und wie Ursula die Gesichter der Lakaien ansah, ernst und würdig, wie sie die junge Dame anstarrten,

wie eine Vision, da hatte sie unwillkürlich das Gefühl, als sei sie in der Kirche.

Lautlos wurden die Pelze von den Schultern genommen, und als Graf Antigna an einen der Kammerdiener eine Frage mit halblauter Stimme richtete, antwortete dieser mit tiefer Verneigung im Flüsterton.

»Du, sag' mal, Tante, nach was riecht es denn nur hier?« fragte plötzlich Ursula laut.

» Ambrée,« sehr leise klang es von den Lippen der Gräfin, und ihre Augen sahen aus, als ob sie dabei dächte: »Das weißt du nicht?« – – Und die Lakaien sahen sie ebenfalls groß und starr an – – abscheulich!

»Was glotzen die Kerle mich denn nur so an?« wandte sich Ursula ganz nervös an Henry.

»Wir sind im Palais, Fräulein Ursula!« klang es voll leisen Vorwurfs zurück.

»Das fängt ja recht lustig an! Wird denn hier niemals laut gesprochen?« Keine Antwort.

Ursula wurde ganz kleinlaut. Ambrée? – – Nein, das kann unmöglich Ambrée sein, das Parfüm gibt's auch in Groß- Wolkwitz, aber hier, hier liegt so etwas ganz Eigentümliches in der Luft, es benimmt förmlich den Atem und geht so kühl durch alle Glieder, und dazu mag sie hinsehen, wohin sie will, überall starren sie ein Paar ernste, feierliche Augen an.

»Bist du bereit, Ursula?«

»Selbstverständlich, längst!« Ganz unwillkürlich hat die Kleine das helle, lachende Organ gedämpft. Der Graf bietet seiner Gemahlin den Arm, sie die breite Marmortreppe mit dem blausamt gepolsterten Geländer von vergoldetem Schmiedeeisen emporzuführen.

Ursula und Henry folgen. Auf den Absätzen stehen vielarmige Bronzeleuchter zwischen Palmengruppen, Gobelins mit verschiedenartigsten Darstellungen bekleiden die Wände, und prächtige Malereien unterbrechen den prunkvollen Stuck des Plafonds. Kein Laut, kein Lachen, kein Wort, Teppiche dämpfen den Schritt, und überall weht die absonderliche Luft, die sich wie ein kühler Finger auf Ursulas Lippen legt.

Flügeltüren werden aufgerissen, ein Lichtmeer schimmert den Eintretenden entgegen. Gott sei Lob und Dank, auch Stimmen schwirren in zwar nicht sehr lauter, aber animierter Unterhaltung ihnen entgegen. Ursula atmet erleichtert auf, ihr Blick schweift zu dem Antlitz ihres Begleiters empor. Seltsam verändert ist es, heiße Röte brennt darauf, und seine Augen blitzen, da ihr Blick die Pracht des Gemaches und die anwesenden Persönlichkeiten umfaßt.

Zum erstenmal im Leben hat das junge Mädchen das Gefühl, als müsse sie bleicher denn sonst aussehen. Die kühle Luft, die so feierlich durch das Vestibül wehte, ist ihr auf die Nerven gefallen. Jetzt wird es bald anders werden.

Graf Ferdinand und seine Gemahlin begrüßen sich mit den anwesenden Herrschaften in sehr freundschaftlicher und wohlvertrauter, aber dennoch durchaus formvoller Weise. Ein kordialer kleiner Schlag auf die Schulter oder ein Fächerstoß in den Rücken, wie Ursula in den heimischen Kreisen gern ihr Erscheinen im Salon ankündigte, scheint hier eine Unmöglichkeit zu sein. Die Kleine sieht sich die Begrüßungsszene mit großen Augen an und findet es im Grunde furchtbar albern, daß Menschen, die schon jahrelang bekannt sind, sich derart beknicksen!

Gräfin Antigna ist zu den beiden Hofdamen der Königin- Mutter getreten, ihnen die Hand zu drücken. Die Blicke begegnen sich wie in heimlichem Einverständnis und schweifen dann weiter zu Ursula, die ein Wink der graziösen Hand Renées an die Seite der Pflegemutter ruft.

»Gestatten Sie, liebe Komtesse, daß ich Ihnen mein kleines foster-child Ursula von Kuffstein vorstelle!« lächelt sie. »Ein soeben flügge gewordenes Küchelchen, das sich den Winter über bei uns amüsieren will! Bestes Fräulein von Jäten, es auch Ihrem Wohlwollen!«

Ursula gedenkt daran, daß sie absolut keinen so dämlichen tiefen Knicks machen will. Sie blickt lachend zu der Komtesse mit den goldblonden Stirnlöckchen und dem feinen englischgeschnittenen Gesicht empor und nickt ihr, sowie Fräulein von Jäten huldvoll zu.

»Und wie amüsieren!« bekräftigt sie, ohne eine Anrede abzuwarten, »den einen Abend schwofen und den andern ins Theater gehen und zwischendurch sich bei Diners rumfuttern! Nicht wahr, Tante Renée, so flott muß es gehen, daß wir rein die Puste verlieren!«

Wie komisch! Die beiden fremden Damen hatten sie doch erst so freundlich und vergnügt angesehen. Jetzt mit einem Male machten sie dieselben runden Glasaugen wie vorhin die Lakaien, hoben das Haupt steif in den Nacken und wechselten dann untereinander einen sehr eigentümlichen Blick. »Es soll mich freuen, Fräulein von Kuffstein, wenn Sie in unsern Kreisen heimisch werden!« entgegnete Komtesse von Wartenvogt mit ihrer zarten, silberhellen Stimme und sah dabei ziemlich hochmütig aus; sie wandte sich dann zu Gräfin Antigna und fuhr ganz verändert, heiter und liebenswürdig fort: »Welche Freude, daß wir endlich auch Ihren Herrn Sohn unter uns begrüßen können, beste Gräfin, er nimmt hoffentlich noch Gratulationen zu dem brillant bestandenen Examen entgegen!« und sie nickte bereits mit lächelndem Mündchen dem Grafen Ferdinand zu, der soeben mit Henry herantrat, den Erben seines Namens der Huld der beiden Damen zu empfehlen.

Ursula bemerkte es höchlichst verwundert, daß sie dastand wie Butter an der Sonne, ehe sie aber eigenmächtig wieder eine Unterhaltung anknüpfen konnte, nahm Tante Renée abermals ihre Hand. »Komm, mein Herzchen, ich möchte dich Exzellenz Langern, der Gemahlin des Landstallmeisters, zuführen; die beiden andern alten Damen sind Generalinnen.«

»Wenn doch lieber die Königin-Mutter kommen wollte!« grollte die Kleine, sich sehr unbehaglich fühlend. »Bis jetzt ist noch gar kein Witz bei der ganzen Sache.«

Diesmal fielen aber die Knickse schon bedeutend tiefer aus, und als sich das magere, scharfgeschnittene Gesicht der Exzellenz ihr zuwandte, sank Ursula ganz unwillkürlich noch etwas mehr in sich zusammen.

»Ah, Kuffstein!« nickte die alte Dame, das Antlitz für einen Moment in freundliche Fältchen zwingend, »ist mir ja sehr interessant, meine teuerste Gräfin! Das einzige Töchterlein unserer scharmanten Valeska Sasseburg-Öhrten, der ehemaligen Hofdame der Prinzeß Ludwig!« erläuterte sie den umstehenden Damen mit sehr wohlwollendem Stimmklang. »War mir stets eine äußerst sympathische Erscheinung! Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, mein liebes Fräulein von Kuffstein, Sie müssen mir viel Hübsches von Ihrer idealen kleinen Mama erzählen!«

»Die alte Schachtel meint's wenigstens gut!« dachte Ursula, und darum streckte sie ihr wie einem guten Kameraden die Hand entgegen und erwiderte vergnügt: »Schön guten Tag, Exzellenz! Wenn ich Ihnen viel Erfreuliches von Mockelchen erzählen soll, muß ich Ihnen den Buckel voll-lügen, sonst weiß ich faktisch nicht, wie ich's machen soll!« Sie wollte lachen, verstummte aber ganz erschrocken bei der jähen Wandlung im Gesicht der Landstallmeisterin. Die »Katzenpfötchen«, jene hundert kleinen Fältchen der Freundlichkeit, waren von den Augenwinkeln wie weggeblasen; die dargebotene Hand schien sie sowieso zu übersehen, aber nun machte auch sie die entsetzlichen Augen, deren Marmorblick die Beherrscherin von Wolkwitz bis in Mark und Bein hinein frieren ließ, diese gräßlichen Augen, die eine so unheimliche Wirkung auf Ursula ausübten! Und wohin sie schaute, überall starrten sie dieselben Blicke an! Die beiden Hofdamen, die lauschend die Köpfe herumgedreht hatten, die Kammerherren und Adjutanten, die näher herangetreten waren, um sich der jungen Dame vorstellen zu lassen, alle standen da wie versteinert und sahen sie an, und dann sanken die Lider über die Augen, und sie fuhren in ihrer Unterhaltung fort.

Ursula aber hatte die Empfindung, als ob sie dieselbe kühle, atembenehmende Luft anwehe, wie in dem Vestibül drunten, eine Luft, die all ihren Übermut lähmte und die nämlichen Eigenschaften zu besitzen schien, wie ein Kappzaum, der den kecken kleinen Füllen angelegt wird. – Wenn die Menschen doch spöttische, oder mokant boshafte Gesichter machen wollten, dann würde Ursula wissen, woran sie wäre und aus lauter Trotz erst recht übermütig sein, aber dieses starre Ansehen hatte nichts Beleidigendes, sondern nur etwas gräßlich Deprimierendes. Was hatte sie denn nur getan?

Aha! Mademoiselles Lehren fielen ihr ein: »Bei Vorstellungen hast du abzuwarten, ob die betreffenden Damen dich anreden – du hast niemals einer älteren Dame zuerst die Hand zu reichen – du hast auf ihre Fragen respektvoll und manierlich zu antworten!« Das wird's wohl gewesen sein, was die Leute so verschnupft hat! Na, in Zukunft kann ich ihnen ja den Willen tun und mich wie eine Drahtpuppe benehmen! Wie es sein muß, weiß Ursula ganz genau, aber sie hat sich niemals nach Vorschriften gerichtet. Wieder steht sie für ein paar Augenblicke ignoriert. Tante Renée spricht mit gedämpfter Stimme mit den alten Damen, und die Exzellenz verzieht den Mund zu feinem Lächeln.

Graf Antigna stellt Ursula die verschiedenen Herren vor, diese verneigen sich stumm und ziehen sich wieder zurück.

Abermals steht Ursula allein. In ihren Füßen liegt's wie Blei; sie, die sonst kommandierend und schwadronierend kreuz und quer durch jeden Salon geschlendert ist, wagt hier kaum noch den Kopf zu wenden.

Da tritt die Exzellenz wieder zu ihr heran und fragt freundlich, ob die arme Mama immer noch leidend sei?

Ursula macht einen Knicks und antwortet so nett und wohlgesittet, als wolle sie sich alle Mühe geben, die Scharte von vorhin wieder auszuwetzen. Und dann tritt auch Komteß Wartenvogt zu ihr heran und fragt, ob Ursula schon am Hof verkehrt habe, oder ob es ihr lieb sei, hier und da in ungewohnten Situationen einen kleinen Wink zu erhalten.

»Ach ja, drillen Sie mich, bitte, ein bißchen zurecht!« nickte die Kleine voll treuherzigen Eifers, »es ist mir gräßlich, wenn die Leute mich mit solchen Rollaugen anglumpschen! Ich kann doch nichts dafür, daß ich eine so ungebildete Landpomeranze bin!«

»Aber, mein liebes Fräulein von Kuffstein!« schüttelt die junge Dame mit erzwungenem Ernst das blonde Köpfchen. »Das wird niemand von Ihnen sagen und denken, wenn Sie sich den Formen anpassen, die hier nun einmal innegehalten werden müssen. Alles ist ja so leicht und einfach! Reden Sie in der ersten Zeit recht wenig, dann sind Sie sicher, nichts Ungehöriges zu sagen, benehmen Sie sich so, wie Sie es bei uns sehen, und kein Mensch wird ahnen, daß Sie noch fremd in unsern Kreisen sind. Was Ihnen zuerst Studium ist, wird Ihnen dann spielend zur Gewohnheit.«

Ursula schob die Unterlippe ein wenig vor. »Ich finde dann den Spaß, an Hof zu gehen, aber recht mäßig!«

»Das werden Sie nach dem ersten Hofball nicht mehr sagen. Treten Sie jetzt zur Seite neben Ihre Frau Tante, die Herrschaften werden sich sofort durch jene Tür hierherbegeben.«

Das Aufstoßen des Stabes meldete Ihre Majestät die Königin-Mutter. Die breiten Flügeltüren schlugen auseinander, und die hohe Frau trat langsam, das Haupt nach allen Seiten neigend, in den Empfangssalon.

Die imposante Feierlichkeit dieses Augenblicks machte auf Ursula einen tiefen Eindruck, und um die Lippen der Gräfin Antigna, die ihre Schutzbefohlene heimlich beobachtete, spielte ein Lächeln freudigster Genugtuung.

Der Cercle der anwesenden Damen und Herren, der sich vor den eintretenden Herrschaften gebildet, begrüßte diese mit einer langen und ehrerbietigen Verneigung, und Gräfin Antigna, im Dienst einer Palastdame, trat etliche Schritte vor und küßte die gnädig dargebotene Hand der Gebieterin.

Die Königin-Mutter war eine hohe, imposante Frauengestalt, an der die Pracht einer schwarzen Samtrobe in schweren Falten niederfloß. Weiße Perlen von seltener Schönheit bildeten in langen Gehängen ihren Schmuck, und auf dem ergrauten, leichtgelockten Haupthaar lag ein schwarzer Spitzenschleier, den ein perlengeschmücktes Samtdiadem, in Form einer Witwenflebbe, zusammenhielt. Das Antlitz der fürstlichen Frau war trotz seiner scharf- und geistvoll geschnittenen Züge von einem Ausdruck ernster, beinahe wehmutsvoller Milde beseelt.

Im Gefolge der Königin traten die zur heutigen Tafel anwesenden Mitglieder der erlauchten Familie ein. Die älteste zum Besuch weilende Tochter, Herzogin von Würzburg nebst ihrem Gemahl, sowie Prinzessin Kordelia, Nichte der Königin und Tochter des verewigten Prinzen Franz, sowie der jüngste Sohn Ihrer Majestät, Prinz Theobald, letzterer die Uniform seines Garde-Grenadierregiments tragend.

Ursulas Herz schlug bis zum Halse hinauf, als Gräfin Antigna ihre königliche Herrin mit lauter Stimme um die Erlaubnis bat, Fräulein Ursula von Kuffstein präsentieren zu dürfen. Wieder diese furchtbare Stille, wieder dieses stumme Anstarren aus aller Augen, wieder diese kalte Luft, welche durch alle Nerven rieselt.

Ursula fühlte ihre Knie beben, sie sank in tiefer, tiefer Verneigung vor der hohen Frau zusammen und wagte kaum die Wimpern zu heben.

Sehr huldvoll und gnädig schlug die volle Altstimme der Königin an ihr Ohr, eine Frage nach der Mutter, die noch wohl bei ihr in Erinnerung stehe, und die Äußerung, daß deren Tochter in diesen Räumen, die lange Jahre hindurch die Heimat der ehemaligen Hofdame gewesen, freundlich willkommen geheißen sei! – Wo waren Ursulas keckliche Illusionen geblieben! Kaum, daß sie es wagte, die schüchternste Antwort zu stottern.

»Sie hat Valeskas Augen geerbt, sonst finde ich jedoch keine Ähnlichkeit und keinen Zug aus der Sasseburgschen Familie!« bemerkte Ihre Majestät noch, mehr zu ihrer Palastdame gewandt, und dann schritt sie mit abermaligem Kopfneigen weiter, Henry und die andern Herrschaften durch eine Anrede auszuzeichnen. Auch die Herzogin von Würzburg richtete ein paar freundliche Worte an Ursula, und Prinzessin Kordelia reichte ihr mit einem unendlich anmutigen Lächeln sogar die Hand und war von so herzgewinnender Liebenswürdigkeit, daß der kleine Wildfang aus Groß-Wolkwitz erleichtert aufatmend das Köpfchen hob und wieder fester auf den Sohlen der weißen Atlasschuhe stand. Mit staunendem Entzücken weilte ihr Blick auf der Prinzessin, die in ihrem weißen Spitzenkleid zart und liebreizend wie ein Duftgebilde vor ihr stand. Die kurzgeschnittenen Löckchen umrahmten das rosige Gesichtchen, das wie das des gütigsten Engels mit samtschwarzen Augen zu ihr herniederlächelte. Jede Bewegung war graziöse, mädchenhafte Würde, jedes Wort vornehme Natürlichkeit.

Ursulas Befangenheit war wie durch einen Zauberschlag verflogen, und dennoch klopfte ihr Herz vor Angst, irgend etwas Ungehöriges zu tun. Sie würde es ja gar nicht überleben, wenn sich auch die Augen der Prinzessin Kordelia so unheimlich starr auf sie heften wollten, wie die der andern Leute. Bei Tafel überwand Ursula den letzten Rest ihrer Scheu. Sie saß der Prinzessin gegenüber, einen sehr liebenswürdigen Kammerherrn auf der einen und Graf Henry auf der andern Seite. Ihre Lebhaftigkeit, stets rechtzeitig gezügelt durch Gräfin Antignas warnenden Blick, mutete durch ihre naive Frische an, und die Palastdame sah mit Stolz auf ihre beiden Schutzbefohlenen, denen sie die Hofluft als heilsame Arznei verschrieben. Ihr menschenscheuer Sohn schien deren ersten Tropfen mit vollem Behagen zu schlürfen. Seine Lippen blieben zwar noch stumm, aber seine Stirn war heiß gerötet, und seine Augen, die wie gebannt an Prinzessin Kordelia hingen, leuchteten in heißer, leidenschaftlicher Glut.

Seltsam, rote Mohnblüten schmückten auch die Brust der jungen Fürstin.


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