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Die rotverhangenen, hell erleuchteten Fenster des Groppenschen Hauses schauten wie glühende Augen in die dunkle Winternacht hinaus. Wagen um Wagen rollte vor das Portal, und drinnen in dem ersten Empfangssalon stand der General, als liebenswürdigster und lebenslustigster Wirt seine Gäste zu begrüßen. Mit respektvoller Verneigung und schmeichelhafter Phrase bot er den verheirateten Damen den Arm, sie seiner Schwester Dorette, die im Nebensalon die Honneurs machte, zuzuführen, drückte herzlich die Hände der Herren und geleitete die jungen Mädchen in seiner heiteren und stets witzigen Weise weiter zu dem Tanzsaal, woselbst Lena und Jolante die Eintretenden empfingen. Es war bereits bekannt in der Residenz, daß General von Groppen eine Pracht und Eleganz in seinen Räumen entfaltete, welche mit den Festen des Hofes zu wetteifern schienen. Dennoch frappierte er die Gesellschaft stets aufs neue durch Arrangements, die kaum noch eine Steigerung in bezug auf Kostbarkeit und Schönheit möglich erscheinen ließen.
Wie ein Kind sich am Anblick eines reichen Weihnachtstisches erfreut, berauschte sich Herr von Groppen an dem Duft der üppigen Blüten, die sein Geschmack stets bunter und brillanter emporschießen ließ, und gleichsam wie ein Roulettespieler, der dem Reiz der surrenden Kugel nicht widerstehen kann, blies er eine Seifenblase des Raffinements nach der andern in die Luft und war stolzer denn je im Leben, wenn die große Menge sie anstaunte und ihnen applaudierte.
Fürst Sobolefskoi kannte genau die Einkünfte und Ausgaben seines brüderlichen Freundes.
»Lieber Kurt, du hast sehr viel in den letzten beiden Jahren gebraucht,« wagte er einmal schüchtern zu sagen. »Falls du mit den Zinsen deines Vermögens nicht ausreichen solltest, hoffe ich, daß du ohne Skrupel auch über meine Revenüen verfügst!«
»Wer weiß, ob ich dich nicht noch einmal zur Ader lasse, mein alter Junge!« lachte Herr von Dern-Groppen in Frühstückslaune. »Vorläufig sieh dir mal die Ernte auf meinem Schreibtisch an, wie ungeheuer weit die den Schnabel aufsperren kann! Siehst du, diesen Entenschnabel füttere ich mit den Rechnungen, deren Begleichung mir momentan kein Bedürfnis ist! Wenn das arme Vieh nichts mehr in sich aufnehmen kann, ziehe ich den Säckel! Also unbesorgt, Bruderherz, du siehst, es hat noch gute Wege mit dem Anpumpen!«
Ja, damals faßte der gelbe Schnabel nur wenige unbedeutende Zettelchen, aber Daniels Blick streifte ihn öfters daraufhin, und die weißen Papiere mehrten und mehrten sich, daß es aussah, als werde es der armen Ente herzlich sauer, sie alle festzuhalten.
Wie die Lichter glühten und flammten! Fürst Sobolefskoi stand der Saaltür gegenüber, an der der Freiherr von Altenburg momentan zögerte, ehe er sich durch den bunten Flor reizendster
Mädchenblüten Bahn brach, die Töchter des Hauses zu begrüßen.
Diese waren derart umringt und in Anspruch genommen, daß der junge Offizier just im Begriff stand, sich bis zu einer gelegeneren Zeit zurückzuziehen, als Lenas Antlitz sich ihm zuwandte und ihr Blick wie suchend über die Menge schweifte. Auge ruhte in Auge. Ein schnelles Lächeln verklärte ihre sonst so kühlen Züge, und den Kreis der jungen Damen und Herren mit bittendem Wort teilend, trat Fräulein von Groppen dem so spät erschienenen Gast ihres Hauses entgegen.
»Welch eine Freude, Sie bei uns in der Residenz begrüßen zu können, Herr von Altenburg! Das vierblättrige Kleeblatt, das wir zum Abschied in Alt-Dobern teilten, hat Glück gebracht!« Weich und herzlich klang ihre Stimme, ganz anders als damals, als Lena ihn beim ersten Sehen begrüßte. Wie eine leichte Befangenheit lag's über ihrem Wesen, und Altenburg blickte höchlichst überrascht zu der Sprecherin hernieder und erwiderte genau so höflich und formell wie stets: »Glück allerdings, mein gnädiges Fräulein, und wohl in erster Reihe für mich, dem es in so überraschender Weise vergönnt wurde, seinen Respekt heute abend hier zu Füßen legen zu dürfen.«
»Sie lernten meinen Vater während des Manövers kennen?«
»Herr General war so liebenswürdig, sich dessen zu entsinnen.«
»Papa hat nur ein gutes Gedächtnis, wenn sein vollstes Interesse ihn dabei unterstützt. Sie werden nun drei Jahre lang hier in der Residenz bleiben?«
»Auf Kommando, mein gnädigstes Fräulein.« Ein feines Lächeln spielte um seine Lippen, und Lena hob den Fächer, ihm scherzend damit zu drohen.
»Freiwillig wären Sie nicht gekommen?«
»Nein!«
»Je nun, wer zwang Sie dazu, Ihr kriegsakademisches Examen abzulegen?«
Ein wunderlicher Ausdruck beherrschte momentan seine Züge, und sein Haupt hob sich noch steifer auf dem Nacken denn zuvor.
»Wer zwingt einen Vogel – zu fliegen, einen Fisch – zu schwimmen? Niemand, auch seine eigene Wahl ist's nicht, lediglich dem Schicksal muß er sich fügen, das ihm Flossen oder Flügel wachsen ließ. Wem der Degen sofort als Angebinde mit in die Wiege gelegt wird, und wer als winziges Menschenpflänzlein bereits in den Boden des Kadettenkorps verpflanzt wird, der muß vorwärts auf der Bahn, darinnen seine Lebenskugel rollt. Wenn ein Vogel aber einmal begonnen hat, emporzustreben, so will er auch so hoch hinaus, wie ihn nur immer seine Schwingen tragen wollen!«
Mit großen, glänzenden Augen blickte Lena zu ihm auf. »Antworten Sie auf eine jede Frage jedermann so ehrlich?«
Wieder zuckte es wie Sarkasmus um seine Lippen. »Es nehmen wenige Menschen so viel Interesse an mir, daß sie meine Ansicht hören wollen.«
Mit rauschendem Klang setzte das Orchester ein, den Ball zu eröffnen, und Altenburg verneigte sich und fuhr hastig fort: »Gestatten Sie, mein gnädiges Fräulein, daß ich Sie wenigstens Ihrem Tänzer zuführe, derweil ich selber dazu verurteilt bin, mich mit dem Zusehen begnügen zu müssen!«
»Sind Sie krank?«
»Nicht im mindesten.«
»Was bestimmt Sie sonst, Publikum zu sein?«
Er blickte sie überrascht an. »Mein spätes Erscheinen im Ballsaal, das mich um den Vorzug gebracht hat, einen Tanz von Ihnen zu erhalten!«
Sie neigte lächelnd das Haupt auf den Maiblumenstrauß in ihrer Hand hernieder. »Vorläufig haben Sie mich noch um keinen gebeten!«
»Mein gnädiges Fräulein ...«
»Ein Plätzchen ist noch frei auf meiner Tanzkarte!«
»Ein Zufall, auf den selbst die kühnste Zuversicht nicht hoffen konnte! – Gestatten Sie?«
Sie reichte ihm die bemalte Elfenbeintafel. »Das Souper!« Sich gleicherzeit in ihrer gewöhnlich kühlen Art zu dem Leib-Dragoner wendend, der neben ihr die Hacken zusammenklappte und meldete, daß soeben Prinzessin Kordelia das Vestibül betreten habe. »Das Souper?« wiederholte Altenburg, als habe er nicht recht verstanden.
Lena nickte ihm lächelnd zu, legte die Hand auf den Arm ihres Tänzers und schritt hastig vorüber, die Prinzessin und die Damen ihrer Begleitung zun begrüßen.
An der Tür stand Daniel Sobolefskoi. Seine Brauen waren zusammengezogen, und seine tief umschatteten Augen hefteten ihren brennenden Blick auf Lenas Antlitz. Sie schritt vorüber, ohne ihn zu bemerken. Ihre Lippen lächelten, und die Korallenbeeren des goldlaubigen Ebereschenzweiges zitterten an der schnellatmenden Brust. Vor wenigen Tagen noch waren die kritischen Zungen der Residenz berechtigt gewesen, Fräulein Lena von Groppen »die Marmorbraut« zu nennen, heute aber schien sich das Wunder des Pygmalion wiederholt zu haben! Durch das Geäder des Steinbildes rollte urplötzlich warmes Blut, und die ersten Pulsschläge jungen Liebeslebens rührten scheu und leise das Herz in der Brust.
Zum erstenmal schritt Lena an dem mißgestalteten Mann vorüber, ohne ihn zu sehen. Achtlos, gleich dem Kinde, das über eine blumige Au eilt und dabei nicht ahnt, wieviel Lebenskeime seine Sohle in den Staub tritt. Und der Klang eines jeden Schrittes, der das junge Mädchen von Sobolefskoi entfernte,
ohne daß ihr Köpfchen sich ihm zugewandt, fiel wie eine zermalmende Last auf sein Herz. Aber es beugte sich nicht mehr so geduldig wie sonst dem erbarmungslosen Schicksal; Trotz und Erbitterung erfüllten es und die wilde Entschlossenheit, den Kampf mit dem Räuber seines Glücks zu wagen! –
Als Ursula den Ballsaal betreten hatte, war ihr Blick ängstlich forschend von einem Antlitz zum andern geschweift, ob man sie hier auch mit den entsetzlich starren Augen fixieren werde, wie bei ihrem Debüt bei Hofe.
Aber nein! Gott sei Dank, hier schienen die Leute ganz normal und urfidel veranlagt zu sein! Lachen und Scherzen, wohin sie blickte, und wohlig aufatmend und vollkommen davon überzeugt, daß es nur die Hofluft ist, die den Menschen Herzbeklemmungen verursacht, trat Ursula hinter ihre Cousine Jolante und versetzte ihr einen kordialen kleinen Stoß. »Rum Schecke!« lachte sie dazu in heimatlichen Lauten, schnitt der entsetzten jungen Dame eine übermütige kleine Grimasse und versicherte mit militärischem Honneur: »Zur Stelle!«
Daß Jolante diese Begrüßung »sehr zimperlich« auffassen werde, hatte Fräulein von Kuffstein vorausgesehen und wollte ihren Witz gerade so recht von Herzen belachen in der festen Überzeugung, daß die Umstehenden sie dabei kräftig unterstützen würden! Aber sie unterbrach sich jählings. Erschreckend laut hatte ihr Gelächter geklungen, und niemand stimmte ein. Ringsum war die Konversation verstummt, alle Köpfe wandten sich ihr zu, und alle sahen sie mit großen, erstaunten Augen an, gerade so, wie neulich bei Hofe!
Ein höchst unbehagliches Gefühl überkam die Kleine, und da sie gar sah, wie es um viele Lippen ganz fein und malitiös zuckte, und Jolante wie entschuldigend entgegnete: »Guten Abend, du Wildfang! Vorzustellen brauche ich dich nach diesem Entree wohl nicht, die Herrschaften haben es sämtlich gemerkt, daß du direkt aus dem Groß-Wolkwitzer Kälbergatter kommst!« Da schoß ihr das Blut jählings in die Wangen,
Ja, jetzt lachten die Umstehenden, und ein ältlicher Kammerherr applaudierte Jolante mit beiden Daumen und näselte: »Vorzüglich pariert, meine Gnädigste!« – Da merkte Ursula, daß die Residenzler sämtlich einen echten, rechten Witz gar nicht zu würdigen wissen, sondern nur fades Wortgeklingel für ihr Amüsement verlangen. Gut! Künftighin wird sie sich hüten, »Kaviar fürs Volk!« zu servieren. Was ist der Dank dafür? Daß man hören muß, wie ein Leutnant lachend zu dem andern sagt: »Allerliebste Kleine! Aber noch völlig undressiertes Jagdhundel!«
Soll sie die Leute ärgern und nach Hause gehen? Ja, wäre sie auf einem Fest im Wolkwitzer Kreise, würde es Sensation erregen, hier aber bemerkte man es gar nicht und amüsierte sich ruhig weiter, dieweil Ursula sich zu Hause sträflich langweilen würde. Oh, es ist ein abscheuliches Gefühl, wenn man sich so völlig als Null und Nichts vorkommt, Fräulein von Kuffstein fühlte sich dadurch in hohem Grade deprimiert.
Glücklicherweise trat Graf Lohe an ihre Seite und begrüßte sie in seiner liebenswürdig eleganten Weise. Er sprach sehr gedämpft und stieß noch vornehmer mit der Zunge an, wie in Groß-Wolkwitz.
»Ich hörte vorhin sehr laut hier im Saal Lachen,« sagte er nach etlichen Worten der Begrüßung. »Es klang entsetzlich – nicht als ob es aus einem Cercle der ersten Gesellschaft, sondern vom Dorfbrunnen herüberschallte.«
»Ich bin ja auch eine Landpomeranze!« fuhr Ursula trotzig empor, und doch wurde sie dunkelrot dabei, »ich lache, wie mir der Schnabel gewachsen ist, und wenn sich die albernen Leute hier einbilden, sie könnten mich schurigeln, dann irren sie sich.«
»Ah, Sie waren die so hörbar vergnügte Dame,« lächelte Lohe fein. Nun, dann hat die Sache nichts auf sich, von Ihnen erwartet man derartiges und verzeiht es.«
Ursulas Auge blitzte höchlichst gereizt zu ihm auf. »So! Von mir erwartet man Taktlosigkeiten? Wie kommen die Menschen zu solch einer Frechheit?«
»Je nun,« der Graf zuckte die Achseln und suchte sein Amüsement über die Selbstkritik des Backfischchens hinter ernster Miene zu verbergen – »Ihre übermütigen Streiche aus Wolkwitz und Umgegend sind durch die Manöver-Einquartierung hierher kolportiert worden. Man entschuldigte sie mit Ihrer großen Jugend und Naivität und dachte: von einem kleinen Landfräulein kann man unmöglich die Allüren einer Dame beanspruchen!«
Das wirkte. Die Fingerchen der Kleinen krampften sich in tiefbeleidigtem Selbstgefühl zusammen. »Ich bin aber eine Dame, und ich will's, daß man alles, selbst Allüren von mir verlangt!« rief sie zornig, aber dennoch mit ausfallend gemäßigtem Organ, auch stampfte sie dazu mit dem Füßchen auf, wenngleich nur ganz leise. »Ich konnte es doch nicht riechen, wie es die Menschen hier mit ihrem verrückten Geschmack verlangen, nun ich es aber weiß, will ich ihnen zeigen, daß ich mich zehnmal so gut benehmen kann wie sie, Potzdonnerwetter ja!«
Lohe schauderte. »Diese kleine Bestätigung gehört zu den Sprachblüten, die auf dem Turf – nicht aber auf dem Parkett gepflegt werden. Prinzessin Kordelia ist ein solches Armeedeutsch im Munde einer Dame verhaßt. Also charmant, Fräulein Ursula, zeigen Sie der Gesellschaft, daß Sie kein übermütiges Kind, sondern ein Fräulein von Kuffstein sind, deren Würde man zu respektieren hat!«
Ursula warf das reizende Köpfchen, in dessen dunkellockigem Haar ein Kranz von Goldhafer glitzerte, herausfordernd in den Nacken. »Gut ich werde jetzt mal die Würde rausbeißen.
Aber das sage ich Ihnen, wenn man auch dann noch etwas an mir herumzuschnobbern –«
»Zu mäkeln!«
»– zu mäkeln hat, dann schieße ich mit Spatzenschrot in diese ganze Pastete hier hinein und reise ab!«
Lohe senkte resigniert das wohlfrisierte Haupt. Eine Eiche fällt nicht auf den ersten Hieb, dachte er, und der gute Wille ist auch schon etwas wert. Dann bat er schnell noch um den Kotillon, denn von allen Seiten drängten die Herren herzu. »Nun werden sie ihr die Cour machen, ihren Unarten als ›etwas riesig Originellem‹ Beifall klatschen und damit von neuem Steine auf unser mühsam bestelltes Feld werfen!« meditierte er seufzend und sah es ganz überrascht mit an, wie Ursula zum erstenmal »Würde herausbiß«.
Flanken klappte die Sporen vor ihr zusammen und stellte etliche Kameraden vor.
»Mein gnädigstes Fräulein, wie steht's mit einem Hoppeldeia, dem deutschen Reigentanz?« lachte Fürst Schlüfften, sich hastig vordrängend und sichtlich auf eine naive Antwort gespannt. »O weh,« dachte Lohe, »der schlägt sofort den richtigen Ton an. Darauf bleibt ›Urschel-Purschel‹ nichts schuldig!«
Aber er irrte sich. Die Kleine neigte sehr gemessen das Nasenspitzchen und reichte stumm ihre Tanzkarte.
»Was bekomme ich?« – »Eine deutsche Reichsprovinz für den Kotillon!« – »Meine Gnädigste, ich bitte um den Herzenstanz!« schallte es in lautem Durcheinander um sie her.
Ursulas Blick schweifte in die Runde, langsam, gleichgültig musternd. »Geben Sie die Karte weiter, Fürst Schlüfften, und wenn sie gefüllt ist, bringen Sie sie mir dort nach dem Diwan, wo ich mich jetzt mit Graf Lohe hinsetze.« Sie sprach in dem Ton einer jungen Schauspielerin, die zum erstenmal eine Heroine spielt.
Einen Moment sahen sich die Herren ganz überrascht an. Dann versuchten sie ihr Heil von neuem.
»Aber mein gnädiges Fräulein, wollen Sie nicht selber die Tänze nach Verdienst und Wohlgefallen verteilen, auf daß jedem das Seine zufällt?«
»Nein, das ist mir ganz ...« Wurscht, wollte sie eigentlich herausplatzen, aber sie besann sich noch rechtzeitig und sagte sehr wohlerzogen: »gleichgültig!«
»Wir werden uns mit blanken Säbeln um diese Karte raufen! Bestimmen Sie wenigstens die Reihenfolge.«
Ursulas Auge blitzte auf, aber ihr Mündchen faltete sich noch spöttischer denn zuvor. »Immer der Anciennität nach, meine Herren!« – sprach's und legte die Hand würdevoll auf Lohes Arm,
»Bravo! Famos!« schallte es ihr in lautem Gelächter nach.
Die Kleine blickte jählings zu Lohe auf. »Die Kerle lachen mich wohl aus? Habe ich wieder etwas Dummes gesagt?« fragte sie ergrimmt,
»Nein, mein gnädiges Fräulein, Sie haben Ihre Sache vortrefflich gemacht!« versicherte er eifrig. »Dieses Lachen war lediglich Beifall; Schlagfertigkeit applaudiert man stets, wofern sie graziös bleibt.«
Das Erscheinen der Prinzessin Kordelia wurde angekündigt, und Lohe erhob sich hastig, Fräulein von Kuffstein in den Kreis der jungen Damen zu führen. Sein Blick streifte zuerst seine eigene Person, an dem tadellosen Ballanzug hernieder bis auf die zierlichen Spitzen seiner Lackstiefel. Er sah exquisit elegant aus wie stets, und seine schlanke Figur präsentierte sich außergewöhnlicherweise im Frack noch vorteilhafter als in der Ulanka. Dann musterte er verstohlen seine Nachbarin. Sie war reizender denn je, die Toilette nagelneu, kostbar und geschmackvoll, aber ein Spitzentaschentuch war in höchst unerlaubter Weise auf der Hüfte unter den Goldstoff der Taille geschoben und verdarb den ganzen Eindruck der sonst so distinguierten Erscheinung. Auch die langen Handschuhe hatte Ursula nur sehr flüchtig hier und da einmal durch einen Knopf geschlossen, und darum hingen sie sehr unordentlich um die Arme herum, deren schöne Form durchaus beeinträchtigend.
»Nein gnädiges Fräulein, Sie werden Ihr Taschentuch verlieren.«
»Auch noch! Hat meinem Alten über zweihundert Mark gekostet!« Und die junge Dame stopfte es zu noch dickerem Knäuel unter die Taille hinaus,
»Oh, wie häßlich das aussieht.«
»Kümmert mich den Kuckuck! Ick bekomme ja die Pimpelgicht, wenn ich jedesmal eine halbe Stunde nach der Tasche suchen soll!«
»Gleichviel. Diese Art von Transport kennt man bei den hiesigen Damen nicht!«
»Die kennen überhaupt noch blitzwenig!« fuhr die kleine ärgerlich auf, aber sie riß das Tuch unter der Corsage hervor und beförderte es in nicht allzu rücksichtsvoller Weise in die Tasche, daß der zarte, von Goldschmetterlingen besäte Krepp dabei etwas nachgeben mußte, irritierte sie wenig,
Noch immer blieb der junge Graf zögernd stehen und biß sich unwillig auf die Lippe,
»Na, mal ein bißchen Trab, sonst ist die Prinzessin wieder nach Hause gefahren, bis wir ankommen,«
»Wollen Sie nicht erst die Handschuhe schließen? Sie können doch unmöglich –«
»Bei der Pökelhitze? Ich komme ja um, wenn ich bis an den Hals in Ziegenleder kriechen soll! Nein – ist mir luftiger so.«
Der Erbherr von Illfingen bekämpfte heldenhaft sein Entsetzen, »Aber Fräulein Ursula, Sie versprachen mir doch, in jeder Weise die Würde einer Dame zu wahren – haben soeben noch so scharmant damit begonnen –«
Sie starrte ihn ganz betroffen an. »Wie? Auch Ihnen gegenüber soll ich mich so dämlich benehmen?«
»Ohne Ausnahme uns allen gegenüber! Gerade mir gefallen Sie doppelt so gut, wenn Sie in jeder Weise Zeremoniell und Etikette berücksichtigen!«
Eigentlich wollte sie sehr böse werden, da er aber den Kopf sehr energisch in den Backen hob und sein Blick lange und fest den ihren traf, begnügte sie sich damit, auf spitzem Hacken herumzuschwenken und wie ein Trotzköpfchen zu schmollen, – »Ich will Ihnen ja gar nicht gefallen! Keinem Menschen will ich gefallen – ich tue, was ich will!«
Ohne sich nach ihm umzusehen, eilte sie wie ein glitzerndes Wölkchen zu den spalierbildenden Damen und drängelte sich nicht gerade allzu rücksichtsvoll an Lenas Seite,
Sie zog die Augenbrauen sehr eigenwillig zusammen und sah aus, als wolle sie den Kampf mit allen Residenzen der Welt aufnehmen, ganz unbemerkt aber schloß sie einen Handschuhknopf nach dem andern, bis das weiße Leder glatt und prall die rosigen Arme umspannte,
Prinzessin Kordelia hatte den Tanzsaal betreten, verschiedene Damen, darunter auch Fräulein von Kuffstein, durch eine längere Unterhaltung ausgezeichnet und schließlich den Ball in ihrer so anmutigen Weise mit einem Husarenoffizier, Prinz Waldburg, eröffnet,
Ihre ganze Erscheinung atmete wieder den Zauber unwiderstehlichster Lieblichkeit, und Ursulas Augen folgten ihr mit unverhohlenem Entzücken,
»Ich habe niemals beim Lesen meiner Märchenbücher an die Feen glauben wollen, die zart wie Blütenschnee, schön wie die Morgenröte und gut wie Engel sind!« flüsterte sie hastig Henry Antigna zu, der neben ihr an dem Türpfosten lehnte. »Seit ich aber Prinzessin Kordelia gesehen habe, deucht mich die Beschreibung dieser holdesten aller Geister noch lange nicht schön genug! Ich glaube, es gibt gar keine Worte, die den Scharm ihres Wesens ausdrücken können, Glauben Sie nicht auch, Henry?«
Keine Antwort. – Ursula schaute auf und starrte ganz betroffen in das Antlitz des jungen Mannes.
War das derselbe bleiche, menschenscheue und finsterblickende Gelehrte, der vor wenig Tagen noch voll ohnmächtigen Grimms die Zähne zusammenbiß, als die schlanke Hand seiner Mutter ihn auf einen Pfad drängte, den die Rosen des Karnevals überwuchern und Flöten und Geigen durchhallen?
Das Haupt vorgeneigt, wie im Banne eines Magneten hing sein Blick unverwandt an der Gestalt der Prinzessin, die, wie von rosigen Florwolken getragen, zart und graziös an ihm vorüberschwebte.
Heiße Glut brannte auf seinen sonst so farblosen Wangen, ein Aufflackern der Leidenschaft in den tiefliegenden Augen. Seine Lippen lächelten nicht, aber sie waren geöffnet wie bei einem Dürstenden.
»Henry, hören Sie denn nicht?«
Er zuckte leicht zusammen und blickte sie einen Moment wie geistesabwesend an, »Pardon, Fräulein Ursula, ich verstand Sie nicht.«
Die Kleine wiederholte ihre Worte, und Graf Antigna nickte Beifall. »Wie kommt es, daß Hoheit heute wieder rote Mohnblüten im Haar trägt?« fragte er ohne allen Zusammenhang jetzt.
»Wieder?«
»Als ich sie zum erstenmal bei Hofe sah, flammten ihr die gleichen Irrlichtblüten an der Brust.«
»Ein Zufall! Lena sagte mir, die Prinzessin kleide sich mit Vorliebe in schmuckloses Weiß.«
»Seltsam. Warum blendet sie plötzlich den armen Nachtwandlern die Augen?« Er sagte es mit dem leisen, verschleierten Stimmenklang wie sonst, und seine Brauen zogen sich so finster zusammen wie vormals.
»Lieben Sie denn die Mohnblüten nicht?«
»Nein.« Er lachte kurz auf. »Denn sie bergen ein Gift, welches mit süßen Gaukelbildern ins Verderben lockt.«
Sie freute sich ihres Wissens und nickte mit altklugem Gesichtchen. »Ja, ja, Opium! Je nun, wenn man es nicht raucht, kann es einem auch nicht Schaden bringen!«
»Wirklich nicht?« Sein Blick zuckte zu ihr nieder, langsam strich er die dichten Haarwellen aus der Stirn. »Sehen Sie diese Narbe? Die haben mir rote Mohnblumen hierhergezeichnet – auf Leben und Tod, und doch hatte ich nicht als verblendeter Schwärmer Opium geraucht!«
»Ich verstehe Sie nicht. Ach, wie schade, nun muß ich tanzen, da kommt Herr von Bornitz! Aber nachher, nicht wahr, Henry, nachher erzählen Sie mir, wie Sie zu dieser famosen Schmarre gekommen sind!«
Er neigte mechanisch zustimmend den Kopf und schritt hastig an ihr vorüber durch die Menge; Prinzessin Kordelia war in einen Nebensalon getreten, und Graf Antigna folgte ihr wie ein Schatten, Von fern stand er und verwandte keinen Blick von ihr, und er atmete so tief und traumbefangen, als schlürfe er der Feuerblumen berauschendes Gift.
Die Musik war verstummt. Ein Schwarm reich galonierter Diener glitt auf lautlosen Sohlen über das Parkett. Von glänzenden Silberplatten lockten die erlesensten Konfitüren, Diplomatenbrötchen und Friandises, schäumte der Sekt und winkten Limonaden und Mandelmilch, und wie auf einem See die einzelnen Blüteninseln schwimmen, gruppierte sich die farbige Pracht plaudernder Damengruppen auf spiegelglattem Parkett, umschwärmt von Uniformen und gesternten Fracks, gleichwie von einem Heer duftberauschter Schmetterlinge!
Jolante saß auf einem Eckdiwan und ließ sich die Cour machen.
Herr von Flanken maßte sich auf jegliche Tanzpause ein gewisses Recht an und behauptete den Platz an der Seite der jungen Dame mit einer schier »rauflustigen« Energie. Waren es doch die einzigen kurzen Augenblicke, wo er angesichts der so viel begehrten Tochter des Hauses auch einmal zu Worte kommen konnte, die einzigen Augenblicke, die ihn für den »niederträchtigen Ärger« entschädigen mußten, den er jedesmal zu schlucken hatte, wenn der jüngste Leutnant sich siegesbewußt verneigte, dem Herrn Premier die Tänzerin vor der Nase wegzuholen. Ja, dann kam er sich jedesmal genau so vor, wie der Kater in der Fabel, der mit vorblüfftem Gesicht dem Vögelchen nachschaut, wenn es mit leichten Schwingen auf und davon in die Lüfte schwebt! Und Jolatne wandte das Köpfchen spottend zurück und kicherte ganz genau so, wie der kleine Sänger im Fabelbuch: »Schaff dir doch Flügel an, daß du mir folgen kannst!« – Was nützte es nun dem Herkules in Ulanenuniform, daß er mit zehnzölligen Bomben Kegel schieben konnte! »Walzer tanzen« wäre eine weit bessere Kunst gewesen, namentlich heute, wo Herr von Flanken in der großen Selbsterkenntnis gekommen war, daß er viele Jahre lang ein erschreckend dummer Kerl gewesen sei, der die Schönheit eines Tanzfestes überhaupt gar nicht kapiert hatte. Könnte er nur die kleinste, jammervollste Polka zustande bringen, würde er an diesem Abend der glückseligste Mensch unter der Sonne sein! So saß er wie die Glucke am Ententeich auf seinem Diwan Posten, »ständerte« abwechslungshalber als bewegliches Hindernis im Saal herum, ließ sich auf die Füße treten, trank in seiner Zerstreutheit alles, was man präsentierte, und dankte Gott, wenn die Musik wieder des grausamen Spiels genug sein ließ. Nun saß er wieder neben Jolante, deren zierliche Gestalt in Balltoilette noch elfenhafter denn sonst neben dem krausköpfigen Riesen aussah, und beschränkte sich darauf, andächtig zuzusehen, wie sie in ihrer schmachtend phlegmatischen Weise den Atlasfächer hin und her bewegte. Sie hatte gerade mit schwärmerischem Blick versichert, Tanzen und Malen sei ihre Passion, und Mijnheer Malte van
Doornkat sei der einzige Mensch, der die beiden Künste in vollendeter Weise in sich vereine! Sie schenkte ihm darum bei jedem Tanz noch eine Extratour – und dabei drehte sie das schlanke Hälschen und blinzelte über das gemalte Rokokopärchen ihres Fächers hinweg nach dem Genannten, der sich just einen Kneifer auf die Künstlernase setzte, um Fräulein von Groppen mit wahren Detektivaugen zu beobachten,
Das war für einen Premierleutnant der Ulanen, bei dem alle Walküren, aber keine einzige Muse Gevatter gestanden, sehr deprimierend, und darum senkte er seufzend den Kopf, drehte die Daumen umeinander und grübelte über eine Verbesserung obwaltender Verhältnisse,
»Sie machen ja die reine Leichenbittermiene, Herr von Flanken!« spottete das Miniaturmündchen neben ihm,
»Meiner heutigen Toilette ganz angemessen!« seufzte er, ohne aufzublicken,
»Bitte, fügen Sie Ihren Rätseln gleich die Auflösung hinzu!«
Er streckte seinen Fuß etwas vor und ließ das Licht auf den gigantischen Lackstiefeln spiegeln, »Wissen Sie, was ich anhabe?«
Sie nestelte die langstielige Lorgnette von dem Goldreif und musterte mit leisem Kichern seine Chaussure. »Sehr niedliche Tanzschuhe! bless me!«
»Sehen Sie, das bildete ich mir auch ein!« nickte er mit ernsthaftem Gesicht. »Aber ich wurde eines andern belehrt. Als Niekchen vom Schuster zurückkam – die Stiefel sind nämlich nagelneu – machte ich gerade Toilette und bedeutete ihm, besagte Lackbotten vor die Tür auf den Korridor zu stellen, Just wie ich sie hereinholen will, höre ich Schritte auf dem Gang und Damenstimmen beratschlagen über die Wohnung meiner Wirtin. Ich bleibe infolgedessen unsichtbar und muß folgendes Gespräch mit anhören: ›Du, Lieschen, hier, diese Tür vielleicht?‹ – Man faßt direkt vor mir Posto! – ›I wo! Da stehen ja ein Paar Herrenstiefel!‹ Und dann werden Hände klatschend zusammengeschlagen. »Grundgütiger! welches Kaliber! Das sind ja wahrhafte Kindersärge!!« Flanken unterbrach sich bei Jolantes hellem Auflachen und blickte sie wehmütig an. »Es war ein hartes Wort, und ich stieg traurig in die Kindersärge hinein und begab mich zum Ball – nun, ist meine düstere Miene gerechtfertigt?«
Die junge Dame schüttelte die blonden Locken animierter denn sonst zurück, »Nein, die Stiefel bestimmen noch lange nicht den Charakter eines ganzen Anzugs!«
»Gut. Bitte, sehen Sie sich die zarte Bekleidung meiner Pranken an!« – er streckte die Hand energisch vor, »Auf welche eine Handschuhnummer tarieren Sie?«
»Babyfäustlinge Nr. 1-1/2!«
»Bitte, nicht mokant werden, dazu ist die Sache zu ernsthaft. Hören Sie die Geschichte dieser Handschuhe und bleiben Sie Ihrer Sinne Meister!«
Mijnheer Malte van Doornkat verneigte sich vor Jolante und bat bereits bei den ersten Klängen neubeginnender Musik um seine Extratour.
»Warten Sie, bitte, ich habe jetzt keine Zeit. Also die Geschichte, Herr von Flanken!«
Der Premierleutnant kniff die Augen zusammen und musterte den Maler, der etwas zögernd Platz nahm, mit schadenfrohem Gesicht. »Wenn ich nicht ein allzu anständiger Kerl wäre, erzählte ich jetzt bis in die aschgraue Möglichkeit hinein!« schmunzelte er.
»Kurz fassen!« drohte Jolante lachend.
»Also – zur Feier des heutigen Tages wollte ich mir neue Handschuhe leisten, weil ich aber bisher stets nach Maß anfertigen ließ, und es keine Kleinigkeit ist, solche ›Babyfäustlinge‹ für mich herzustellen – –«
»Warum keine Kleinigkeit?«
Flanken spreizte die Finger. »Wenn ich ein Paar Handschuhe brauche, müssen jedesmal zwei Böckchen geschlachtet werden! Die Haut des Körpers gibt die großen Handflächen, die der vier Beine die Finger.«
»Man hat in der Regel fünf Finger!«
» Allright! Für den kleinen wird das Schwänzchen berechnet!«
Selbst Malte van Doornkat lachte – allerdings etwas blasiert, Jolante aber vergaß sür einen Augenblick ihr schwärmerisches Phlegma und rief eifrig: »Das war schon die Geschichte? O nein! Bitte, weiter erzählen!«
Flanken dehnte sich behaglich in seinem Sessel und nahm ein Gläschen Rotwein von dem Tablett eines servierenden Dieners. Er mußte die Kehle anfeuchten, denn das ungewohnte viele Sprechen strengte ihn gewaltig an. »Geschichte kommt erst jetzt! Also, ich brauche Handschuhe und beehre den nächsten Laden, Firma Friedrich August Schulze selige Witwe in der Bankstraße, mit meiner werten Kundschaft. Die selige Witwe ist allein im Laden, ich biete ihr meine Hand an, sie mustert sie sichtlich betroffen von allen Seiten und schleppt à tempo an die zwanzig Kästen herzu, mit der Anprobe zu beginnen. Mit Nr. 17½ fingen wir an. Erst trat ihr, dann mir der Angstschweiß auf die Stirn. Nichts wollte passen. Da wendet sie sich in ihrer Hilflosigkeit zu der halboffenen Nebentür: »Du, August! Der Herr hat eine so außergewöhnlich große Hand! Ich finde hier keine genügende Größe!« Und eine Stimme, der man anhört, daß sie durch den seriösen Moment des Mittagsessens stark engagiert war, antwortet gelassen die großen Worte: »Lang man die Holzkiste von dem obersten Rejale runter – die zweete – mit die Leichenhandschuh!«
Jolante streckte mit einem jähen Laut des Gruselns beide Händchen gegen ihn aus, Flanken aber zuckte resigniert die Achseln: »Was half's? Die Ware aus der Holzkiste Nr. II vom obersten Regale paßte, und angetan mit Kindersärgen und Leichenhandschuhen schwang ich mich in die Droschke, um eines Tanzfestes schwergeprüfter Zuschauer zu sein!«