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XVIII.

Am liebsten weilt Eva bei der Arbeit; sie freut sich, wenn Kanstedt zufrieden mit ihr ist – und das ist er fast immer. Gern schweift ihr Blick dabei nach dem Bilde, das er ihr kürzlich geschickt, das nun inmitten von Blumen und Gräsern neben ihr auf dem Tisch seinen Platz gefunden hat.

Er ist Major geworden, wird bald Oberstlieutenant sein. – Er ist ein Springer – ein großes Tier!

Unwillkürlich lächelt Eva, daß sie diese Ausdrücke behalten hat, die aus den Kreisen stammen, die hinter ihr liegen, so weit, daß nicht einmal ein Schatten mehr ihr Lächeln jetzt trübt. – Daß eine solche Erinnerung jeden Stachel verlieren kann!

Die neue Uniform, der knappe, dunkele Rock, die breiten silbernen Schnüre auf den Schultern, steht Kanstedt gut. Eva meint jetzt, sie habe doch gar nicht gewußt, wie eigentlich Helwig Kanstedt aussieht. Mit erneutem Interesse betrachtet sie seine Züge: Welch' ein thöricht kindisches Geschöpf muß sie gewesen sein, daß sie je einen Blick aus diesen Augen gefürchtet, diese Mienen finster genannt hat! –

Gleich einem trübenden Hauch fliegt es über ihre reine Stirn; ihre Augen werden feucht, doch nur einen Augenblick, dann versenken sie sich noch tiefer in die ernste, feste Männlichkeit, die aus diesem Antlitz spricht, so groß, so rein und edel wie die Güte, die nur mit ihr vereint gefunden wird, vielleicht jene erst zeitigt. Und Evas Herz schlägt hoch; eine leise Röte steigt in ihre Wangen: sie vermeint Helwig zum ersten Mal zu sehen, so wie er wirklich aussieht.

Und höher noch einmal, doch beklommen schlägt Evas Herz, eine wundersam namenlose Sehnsucht unterbricht die stillglückliche Empfindung, die, wie eine Melodie ihren Text, jedes Gedenken an Helwig bis hierhin begleitet hat.

Die junge Frau schiebt Pinsel und Palette zurück. – Mit großen Schritten wandelt sie im Zimmer hin und wieder, als wolle sie zur Ruhe bringen, was sich so gewaltig in ihr zu regen beginnt. Umsonst, – als wolle sie das Glück vom Himmel zurückholen, das sie einst geopfert, breitet sie die Arme aus: »Helwig, ach Helwig!« –

Und »Eva!« klingt es, eine unerwartete Antwort, zurück.

Sie wendet den Kopf – ist es keine Täuschung? Auf dem sandbestreuten Flur durch die offenstehende Thür sieht sie den Mann, dem die kaum eingestandenen Empfindungen ihrer Seele gelten.

Kanstedt hatte gemeint, daß er doch wohl endlich einmal nach seiner Schutzbefohlenen sehen müsse – in Wirklichkeit hatte ihm sein Herz nicht länger Ruhe gelassen, – und so beschloß er, den diesjährigen Urlaub in den Bergen zu verbringen. Mit eigentümlich frohem Mut hatte er die Reise angetreten, in der dem kleinen Waldhaus nahe gelegenen Stadt Quartier genommen, von wo man leicht jeden Tag einen Ausflug dorthin zu machen imstande war.

Er hatte Eva überraschen wollen. Die Thür des kleinen Hauses hing, wie gewöhnlich auf dem Lande, nur lose in der Klinke. Die alten Willichs arbeiteten im Garten hinter dem Hause. – Er war die Treppe hinaufgegangen – wußte er doch genau Bescheid in den Räumen, die auch ihm schon als freundliches Heim gedient. –

Sicher, in der Einsamkeit ihres zurückgezogenen Lebens durch niemand gestört zu werden, hatte Eva die Thür zu ihrem Zimmer weit offen gelassen; der Morgen war heiß gewesen, der frische Luftzug that so gut.

So, gleich einem lieblichen Bilde, hatte Kanstedt die Geliebte gesehen; regungslos war er stehen geblieben, atemlos vor Erregung, voll Scheu, den Zauber dieses Moments zu stören. – So war er auch ein Zeuge ihrer Bewegung geworden und hatte ihre Worte gehört.

»Eva!« jubelte er jetzt noch einmal auf und eilt zu ihr hin.

»Helwig!«

Da schon hat sie sein Arm umschlungen: er weiß, daß er es darf.

»Ist es möglich?« haucht sie leise, und birgt den Kopf an seiner Brust.

So stehen sie da in seligem Umfangen, ohne Wort, ohne Laut, ganz hingegeben der alles vergessenden, alles überwältigenden Wonne. Feierliche Stille webt ringsum, selbst das Weinlaub hört auf zu flüstern mit dem Wind, das Rotkehlchen auf dem Fenstersims verstummt mit seinem Gezwitscher und neigt neugierig sein Köpfchen, das Wunder, die Macht aller Mächte zu schauen, welche die Herzen zusammengeführt, die zusammengehören durch jeden Irrtum hindurch, jede Trennung hinweg, und sollten sie selbst ihr bestes dagegen thun.

Dann betrachten sie sich, – und werden nicht müde daran; denn wirklich, Helwig und Eva sehen sich zum ersten Mal! – Ein Wort bringt das andere, erst scheu, dann immer wärmer – zuletzt haben sie sich wiedergefunden in dem alten traulichen Geplauder – nur daß sein Arm ruhen bleibt um ihren Leib, ihr Köpfchen an seiner Schulter lehnt, die Gesichter strahlen in seliger Freude. Dann erinnert sich Eva ihrer Hausfrauenpflicht. Wie gut steht ihr das Walten und Sorgen für den Gast! Sie hat immer sanfte, ansprechende Bewegungen gehabt; das sind sie geblieben, dazu aber elastisch geworden und frisch. – Evas Gestalt hat eine anmutige Fülle bekommen; ihre schlanken Arme sind rund und fest; – die kleinen schmalen Hände weisen einen leisen Anfang von Grübchen auf. Auch ihr Gesicht ist voller geworden; seine eintönig schlechte Farbe hat sich in lichtes Weiß auf der Stirn, zartes Rot auf den Wangen verwandelt; die Lippen tragen die Farbe reifer Kirschen, was den etwas großen Mund um vieles kleiner erscheinen läßt. – Jetzt trägt Eva das zierliche Köpfchen gehoben auf dem feinen Hals, wie jemand, der da weiß, was er sich und denen schuldet, die er liebt; ihre Worte fallen frei und entschieden von den Lippen; der Stimme Ton klingt froh und hell. Dann und wann begleitet ein leises Lachen ihre Rede. Ja, sie ist geworden, grade so wie Kanstedt einst gedacht, daß die junge Frau ihren Gatten entzücken müßte.

»Wie du dich verändert hast, Liebste! Nur daß du selbst doch immer dieselbe aus deinen lieben, schönen Augen schaust.« – Dabei küßte er die Augen, die – so meint er – trotz allem und allem der Leitstern zu dem Glück seines Lebens geworden sind.

»Das erzähl ich dir ein andermal,« lächelte er auf ihre Frage danach, »sage mir lieber, wann du mein sein willst, mein holdes Weib ...«

Da plötzlich tönen fremde, wirre Laute herein über den Garten von dem Weg. – Ein Ruf, in dem es klingt von Zorn und Empörung, aber auch von Angst und Bedrängnis; rohe Stimmen, Hohn, Gelächter und Drohen erschallen dazwischen. »Gieb's ihm!« – »Drauf!« und »infame Halunken« – solche Ausdrücke lassen sich deutlich unterscheiden; jetzt klingt es wie eine zerbrechende Waffe.

Die so aus ihrem stillen Glück Aufgestörten horchen mit einem gespannten Ausdruck und Eva schmiegt sich unwillkürlich fest an Helwig. »Da geht etwas vor, bleib zurück« – ein warmer Druck der Hand, der sie beruhigen soll – dann eilt Kanstedt hinaus. Mit ein paar Sprüngen hat er den Garten hinter sich gelassen.

Eine Gruppe von Männern drängt sich dicht an der Hecke hier unter den Bäumen am Berge, was er einstweilen freilich nur in einem verwirrenden Knäuel von Beinen, Armen, Fäusten mit und ohne Knittel zu erkennen vermag. Es scheint, sie haben es mit einem zu thun, der an den Stamm der Fichte gelehnt sich tapfer zur Wehr gesetzt hat. Jetzt – sein Fuß scheint auf den knorrigen Ästen der Wurzeln auszugleiten – sie haben ihn vollends zu Boden geworfen.

»Zurück!« donnert Helwig dazwischen und stürzt mit gezogenem Degen vor. – »Fünf gegen einen, schämt ihr euch nicht!« – »Laßt los, feige Schurken!«

Die Männer blicken auf; zwei der Angreifer prallen sofort zurück, andere zwei, ob sie auch in den Knieen bleiben, den Dahingestreckten mit ihren Fäusten an der Erde zu halten versuchen, lassen wenigstens mit Dreinschlagen nach, einer nur haut, unbeirrt in seiner Wut, mit einem zerbrochenen Säbel auf den Kopf seines Opfers los. »Verdammter Schurke!« schreit Kanstedt noch einmal, packt den Mann am Kragen und schüttelt ihn mit verzweifelter Anstrengung empor.

Gewiß, er hat den Bezwungenen von seinen Übelthätern und vom sichern Tod befreit; aber er kann es nun doch nicht ändern, daß des Königs Rock, den jener trug – wie er jetzt bemerkt – dies makellose Gewand der Ehre, häßliche, schmutzige Flecken zeigt, und die blinkenden Schnüre, von rohen Fäusten zerrissen, daran herabhängen, sein Gesicht mit Blut überströmt ist, das in unehrenhaftem Kampfe geflossen; ebensowenig, daß eine kleine Gruppe von Herren und Damen, wahrscheinlich auf einer Waldpartie begriffen, um die nächste Krümmung des Pfades biegend, erschrocken Halt gemacht hat und vielleicht schon seit einigen Minuten Zeuge dieser schauerlichen Scene geworden ist. Er selbst achtet nicht hierauf. Er beugt sich über den Daliegenden.

»Heino!« ruft er entsetzt.

Helwig Kanstedt hat in den von Schmutz und Blut entstellten Zügen den Grafen Berg erkannt. »Großer Gott, ist es denn möglich!« Und noch einmal tiefer beugt sich Helwig hernieder, als müsse er sich überzeugen von dem Geschick, das so furchtbar über den einstigen Freund hereingebrochen ist, welches weder sein grauenvolles Entsetzen noch seine hülfbereite Teilnahme mehr ändern kann.

Günstig hatten sich mit dem abermaligen Wechsel der Garnison die äußern Verhältnisse für den Grafen wieder gestaltet. Ja, sogar gegen die Erinnerung an Eva, welche, nachdem die Formalitäten und »Fatalitäten« des eigentlichen Voneinandergehens überwunden waren, doch mit einem recht schmählich beklemmenden Gefühl auf seinen innern Menschen drückte, hatten sich der neue Dienst, die neuen Kameraden als wirksame Gegenmittel erwiesen, zumal sich der Rittmeister, wie gewöhnlich, wenn er im Grunde doch nur seinem Temperament oder seinen Neigungen gefolgt war, mit um so größerm Enthusiasmus an den bunten Rock und die Kameradschaft klammerte. Zu solchen Zeiten pflegte der Rittmeister ganz der exemplarisch tüchtige Offizier zu sein, welchen er in den ersten Jahren immer abgegeben hatte, gleichsam als gälte es sich zu erinnern, daß doch der Dienst, die militärische Ehre und nicht die mit demselben verbundenen Privilegien, Stellung und Lebensgenuß, ihn an seinen Beruf gefesselt und daß er nur, um sich darin zu halten, das einmal verlangte »standesgemäße« Leben führen müsse. Zum andern aber auch ließ Mrs. Bower dem Grafen keine Zeit, sich das Leben mit reuevollen Bedenken zu verderben. Sie war durchaus nicht willens, ein Ziel, nach dem sie so lange schon gestrebt hatte, fahren zu lassen, und außerdem wohlgeeignet, den Grafen zu beschäftigen, vielleicht sogar zu beherrschen. In der That, ob auch der Rittmeister in einer bessern Stunde daran gedacht hatte, die exotische Witwe aufzugeben, so hatte doch die Leidenschaft für die in allen Künsten der Verführung bewanderte Frau diesmal seine Sinne gefangen und jenen Gedanken, schon der Folgen wegen, bald verscheucht.

Natürlich hatte Mrs. Bower viel zu viel Ton, um dem Grafen etwa in seine neue Garnison zu folgen. Die beiden hatten sich vielmehr fürs erste mit einer Begegnung auf neutralem Gebiet, unter neutralen Verhältnissen begnügt, wie im ersten Sommer im Engadin, dann zu kurzem Besuch in Nizza und im letzten Frühjahr bei dem großen Rennen in Paris. Nun aber, da man gewissenhaft alle » égards« gewahrt, hatte man beschlossen, sich zu vereinen, und zu diesem Zweck ein letztes Zusammentreffen in der nicht allzu entfernten Sommerfrische »Buchenthal« gewählt, wo die letzten Formalitäten geordnet und die Welt mit der offiziellen Verlobung, eventuell späteren Vermählung überrascht werden sollte.

Klar wie der Sommerhimmel über der Erde schien die Zukunft wieder vor dem Grafen dazuliegen. Nur daß die Wetter zu dem Sommer gehören, und unversehends, oft, wenn man am wenigsten daran denkt, sich die Wolken türmen für den vernichtenden Strahl.

Graf Berg hatte den Baron Welten, wie schon einmal gesagt, den égards zu liebe, um nicht der einzige Kavalier zu sein, der in ihrem Haus verkehrte, bei Mrs. Bower eingeführt. Der Baron war seinem Freund hierbei nur zu gern entgegengekommen, denn die exotische Witwe, nicht minder deren exotische Vermögensverhältnisse hatten ihren Eindruck auf den Baron nicht verfehlt. Er war sehr liebenswürdig aufgenommen und ein gern gesehener Gast geworden. Er hatte sich darein gefügt, einstweilen die Rolle des Elefanten zu spielen, was ja nicht ausschloß, daß ihm später eine andere werden konnte, ja vielmehr darauf hinauszulaufen schien. Unstreitig herrschte eine starke Verwandtschaft im Charakter zwischen dem »distinguierten Sportsmann« und der interessanten Frau, deren immer offener werdender Verkehr mit den beiden Herren ganz natürlich einer Baronin Welten entgegentreiben mußte. Daß der Graf die schöne Frau heiraten würde: der Gedanke konnte Welten damals ja gar nicht kommen. Diese Veränderung der Sachlage hatte ihn bitter in seinen Wünschen und Hoffnungen getroffen. Er ärgerte sich; er war wütend und darum empört und aufgebracht gegen den Rittmeister. Er ließ es sich aber nicht merken, sondern blieb nach wie vor der gerngesehene Begleiter der schönen Frau, der immer bereite, zuverlässige Freund, den beide in ihrer eigentümlichen Lage vollauf zu schätzen wußten. Der Baron war klug genug, um sich einzugestehen, daß es unmöglich schien, einen Mann von den Vorzügen des Grafen Berg aus der Gunst der Mrs. Bower zu verdrängen; er war aber auch klug genug, um zu wissen, daß Verhältnisse, wie sie hier walteten, fast immer verwundbare Stellen an sich trugen: und er war entschlossen, kein Mittel zu scheuen, das zu seinem Zwecke führen konnte. Endlich, nachdem die Zeit an seiner Leidenschaft für die schöne Frau und ihre Millionen geschürt, bot sich dem Baron eine solche Möglichkeit dar – freilich sie war teuflisch gemein, aber auch wieder so bestrickend leicht – so ohne jede Gefahr einer Entdeckung, daß er eben hätte ein ganz anderer sein müssen, um der Versuchung zu widerstehen.

Ganz in der Nähe von Buchenthal lag ein hochherrschaftliches Gut mit bedeutendem Marstall. Der Stallmeister in letzterem war ein gewisser Nettler, eine alte Bekanntschaft von Welten, die letzterer auch jetzt noch aus Geschäftsrücksichten pflegte. Nettler war vor Jahren Groteskreiter in einem großen Zirkus gewesen, zu dessen ständigen Gästen wie Graf Berg so auch Welten gehört hatte. Ein unglücklicher Sturz zwang den Artisten, seine Künstlerlaufbahn zu beschließen und die übrigens vorzügliche Stelle anzunehmen, die er jetzt innehatte. Welten war es bekannt, daß Nettler dem Grafen Berg einen tötlichen Haß nachtrug, wegen der »tollen Pauline«, einer Soloreiterin, in welche Nettler bis zur Raserei verliebt war, die es aber vorzog, in Gesellschaft des Grafen statt mit einem Kollegen zu Abend zu speisen.

Der Rittmeister dachte sicher an die ganze Geschichte längst nicht mehr, auch Baron Welten würde sich ihrer nicht mehr erinnert haben, hätte Nettler nicht einmal davon gesprochen und seinen Gefühlen gegen den Grafen Berg, dem er unerkannt, als derselbe auf Besuch in Buchenthal gewesen, jüngst im Tannenwald begegnet war, Ausdruck verliehen.

Der Stallmeister brannte darauf, dem Gehaßten einen Denkzettel zu verabfolgen, an den er Zeit seines Lebens denken sollte. Bald wußte Nettler, was der Graf in Buchenthal suchte, und bald auch, was allein oder doch entscheidend Mrs. Bower an dem Grafen schätzte. Damit war der Racheplan für ihn gegeben, ohne daß er nur ahnte, die Absichten des Barons Welten auszuführen.

Dem Baron blieb weiter nichts zu thun, als wie er gestern bei einer Begegnung mit dem Stallmeister gethan, die Worte fallen zu lassen, daß Graf Berg heute nach Buchenthal kommen wollte, und zwar zu Fuß über die Försterei, weil er hier einen neuen jungen Jagdhund hinzubringen wünschte. Er, Welten und Mrs. Bower beabsichtigten mit einer kleinen Gesellschaft dem Grafen ein Stück Weges entgegenzugehen; sicher aber und unter allen Umständen nicht weiter als bis zur zweiten scharfen Biegung des Weges; also nicht bis ins dichte Holz.

Ein paar verkommene, rauflustige Gesellen waren bald gefunden, geworben und aufgestachelt. Dem Rittmeister – der heute auch gerade noch in Uniform sein mußte – wurde schon in der Restauration neben dem Bahnhofe, wo er eine Erfrischung zu nehmen pflegte, aufgelauert und Unannehmlichkeit gemacht. Als er dann den Weg nach Buchenthal eingeschlagen, folgte ihm die Bande auf Seitenwegen; als sich die Tannen wieder lichteten, er über den blaukräuselnden Rauch aus dem Dache des kleinen Häuschens, den altmodisch-idyllischen Garten zu seinen Füßen hinausschaute, in das sich hier weitende Thal, nach der schönen Frau, die ihn hier zu treffen versprochen: schnitten sie ihm plötzlich mit spöttisch drohendem Angriffe den Weg ab.

Immer neue höhnende Worte von der einen, endlich ein Griff nach dem Säbel von der anderen Seite und der Kampf hatte begonnen, der schon nach wenig Augenblicken für den Grafen ein so klägliches Ende herbeiführte. Der glänzend begabte Mann, der immer mehr sein besseres Selbst an die gewöhnlichsten Leidenschaften, Genußsucht und Egoismus verloren, war nun auch mit seinem äußeren Menschen ein Opfer der brutalen Gewalt, ein Opfer niedrigsten Neides und gemeinster Rache geworden.

Eben hebt in schäumender Wut Nettler den Arm, um mit dem zerbrochenen Säbel Bergs, den er diesem entwunden, einen neuen Streich auf den Kopf seines Opfers fallen zu lassen.

»Schurke!« – donnert Kanstedt – und mit der Spitze seines Degens schleudert er dem Ruchlosen die ehrlos gewordene Waffe aus der Hand.

Diese fliegt weit fort und rollt zu den Füßen einer Dame, welche sich von der Gruppe ihrer Begleiter gelöst hat und einige Schritte vorausgeeilt ist.

»Graf Berg!« schreit sie auf. Dann scheu, wie sich vor dem Erkennen des Entsetzlichen fürchtend, blickt sie zurück nach dem Herrn, der ihr auf dem Fuße folgt.

» Take care, Mrs. Bower,« klingt es gleichsam als Antwort zurück.

» Take care, Mrs. Bower,« wiederholt Baron Welten, und leise fügt er hinzu: »Sie können ja doch keinen auf solche Weise kompromittierten Offizier heiraten, der Graf hat jede Stellung verloren.«

Mrs. Bower hat keine militärischen Kenntnisse – aber sie ahnt doch, was Welten sagen will. Und ob sie auch nicht alles glaubt, was er sagt, außer, wenn er sie schön und begehrenswert findet, zieht sie es vor, einstweilen im Hintergrunde zu bleiben; und es wird dem Baron Welten nicht schwer, sie hier festzuhalten, da die Angreifer des Grafen wie in die Erde verschwunden sind und dieser sich unter dem Beistande eines Kameraden befindet, der schon für ihn sorgen wird.

Regungslos, wie ohne Bewußtsein, liegt der Graf zur Erde; nur einmal fuhr es wie ein Zittern durch seine Glieder, als mit ihrem Take care und dem Namen der schönen Frau Weltens Stimme sein Ohr getroffen hatte; vielleicht aber war das nur ein Zufall und machte die Kälte des feuchten Bodens die jeder Bewegung beraubten Glieder schauern.

Immer noch rieselte das Blut aus der klaffenden Wunde über dem Auge, ebenso aus dem Munde, wie sich jetzt Kanstedt bei näherer Betrachtung überzeugte. Es schien fast, als ob die Lebensquelle hier unerschöpflich sei. Bei jedem Versuche, den Verwundeten zu heben, flutete sie von neuem.

Energisch löste sich jetzt ein älterer Herr in grauem Touristenkostüme aus der Gruppe der mehr und mehr herangeströmten Sommerfrischler.

»Ich bin Arzt,« sagte er, »hier gilt es schnell einzugreifen.«

Mit einer dankenden Bewegung räumte Kanstedt dem Arzte seine Stelle neben dem, wie es schien, gänzlich bewußtlosen Grafen ein.

Man schickte sich an, eine entsprechende Bahre aus dem nahen Häuschen zu beschaffen, und da der Arzt einen größeren Transport für unmöglich erklärte, hier um Aufnahme für den Verwundeten zu bitten.

Kanstedt eilte dem Abgesandten voraus. Wie würde es Eva nehmen? Großer Gott! Dieser Gedanke ließ ihn alles andere vergessen: sie sollte es wenigstens nicht unvorbereitet erfahren!

Zitternd stand die junge Frau schon mit der alten Willich auf der Schwelle – sie las in Helwigs Mienen, daß etwas Fürchterliches sich ereignet hatte.

»Ruhig, Eva,« sagte er, sich selbst zur Ruhe meisternd, »es ist ein Unglück geschehen, ein schweres Unglück – du wirst es erfahren, aber nicht jetzt, nicht gleich.«

Er nahm ihre Hand; sanft und sorglich, doch unwiderstehlich fest, führte er die junge Frau zurück in das Zimmer.

»Kann ich nichts thun?« fragte sie.

»Nicht jetzt – Eva – später – später. Darum, was du auch hörst oder siehst, versprich es mir, Eva, daß du nicht eher herauskommst, als bis ich dich rufe. Mir zuliebe,« bat er noch einmal, als sie geängstet widerstreben wollte, »mir zuliebe: ein Zeichen, daß du mir vertraust!«

»Du willst es so« – sie nickte leise und blieb zurück.

Nun hörte sie gehen, behutsam, doch mit schweren Schritten, als trüge man eine unheimliche Last. Jetzt tönte Kanstedts Stimme; es schien, als erteile er Befehle – ein Murmeln – dann wurde alles still. Nur die Pumpe ging im Hofe, die Thüren klappten im Hause, und immer von neuem wieder rasselten die Schlüssel an dem großen Schranke in der Kammer nebenan, wo Frau Willich ihr Leinen verwahrte.

Eine namenlos wachsende Angst kam über die junge Frau; sie hätte hinausstürzen mögen: warum sollte gerade sie nicht wissen, was alle wußten?

Warum sollte sie nicht helfen, wo jeder zu helfen schien? Doch er wollte es so; sein Wille war ihr Gesetz. Und die Hände zitternd im Schoße gefaltet, den Kopf angstvoll geneigt, wartete sie, bis er sie rufen würde, um zu erfahren, was geschehen war, und zu helfen, wie er es ihr versprochen hatte.

Auch draußen auf dem Waldwege neben dem Gartenzaune stand wartend eine Frau, finstere Spannung in den Zügen. Vergeblich auf die Dauer hatte Baron Welten sein » Take care« und die Sorge, daß sie sich kompromittieren könnte und lieber heimgehen möchte, geltend gemacht. Die Arme verschränkt, stand sie da, regungslos, den Blick auf das Häuschen gerichtet, wartend, bis jemand heraustreten würde.

Endlich kam der Arzt aus dem Hause; Kanstedt geleitete ihn und nahm seine letzten Verordnungen in Empfang. Mrs. Bower kannte den Offizier, ob sie auch nie ein Wort mit ihm geredet; sie wußte, in welcher Achtung er überall stand. Sie mußte wissen, was sie wissen wollte. Mit der ihr eigenen Energie, ohne Rücksicht darauf, was ihre Feinde oder Neiderinnen dazu sagen würden, trat sie an ihn heran ...

»Pardon, Herr Major, Ihr Freund – Graf Berg steht mir nahe, sehr nahe – ich nehme den wärmsten Anteil an seinem Geschicke. Ich würde – ich würde untröstlich sein! Darum – glauben Sie – Sie müssen es ja verstehen – der Baron meint, daß der Rittmeister durch diesen Vorfall seine – Stellung für immer verloren habe ...«

Kanstedt maß die Sprecherin mit einem Blicke vom Kopfe bis zu Füßen. Was alles lag in diesem Blicke! Nach dem Befinden des Unglücklichen hatte Mrs. Bower zu fragen vergessen.

Helwig wußte um die Beziehungen des Grafen zu der fremdländischen Witwe.

Um dies Weib hatte er Eva verlassen; mit ihren Millionen wollte er von neuem den Grund legen für das wirtschaftliche Unternehmen, welches unter der Form der Ehe heute so beliebt geworden ist. Und sie! – Wie schneidend scharf klang jetzt diese Stimme; welch eine harte, kalte Spannung sprach aus den Zügen, die an sich eben so weich in den Formen, wie warm in der Färbung waren, während der Ausdruck in den feuchten, schimmernden Augen an den Basiliskenblick denken ließ: Diese Frau wäre die dem Grafen Berg gewachsene Partnerin geworden. –

Voll Abscheu wandte sich Helwig ab. Mrs. Bower jedoch legte die Hand auf seinen Arm; »bitte,« weiter sagte sie nichts.

Helwig wollte ein Ende machen. Entschieden schüttelte er die Hand ab, und kalt klangen seine Worte:

»Meine gnädige Frau, der Baron hat Ihnen heute die Wahrheit gesagt.«

Mrs. Bower verfärbte sich; sie ballt die Hände; ihre Augen sprühen Feuer. »Also doch, doch« – murmelt sie dumpf. Dann, fast klingt es wie ein scharfer Schrei: »Herr Doktor Salzmann, Baron Welten, so warten Sie doch!«

Die beiden Herren, die vorausgegangen waren, blickten um, kamen ihr ein paar Schritte entgegen, schweigend, nun mit beschleunigtem Fuße, eilten sie alle drei die Höhe entlang. Der Arzt hatte doch nur einen Notverband anlegen können; er eilte, das außerdem Notwendige so schnell als möglich zu beschaffen. – Mrs. Bower jedoch trieb es mit einer nervösen Angst, den Baron mit einem Unbehagen, das er schlecht verhehlen konnte, von dem fatalen Orte hinweg.

Mrs. Bower sieht während des Heimganges ab und zu durch die Wimpern nach ihrem Begleiter. Er ist von mittlerer Größe, mehr hager als schlank, in dem tadellos sitzenden Rock jedoch macht er eine ziemlich elegante Haltung und Figur. Auch seine Züge sind hager; man sieht nicht allzuviel davon, ein gut gepflegter Backenbart, der sich mit dem Schnurrbarte eint, hüllt fast den ganzen unteren Teil seines Antlitzes ein. Die Augen sind dunkel umschattet, wie bei jemand, der die Leidenschaft kennt; spärlich nur deckt hellblondes Haar die sehr hohe Stirn. Der Baron ist über die Fünfzig und die einzige Art seines Erwerbes, der Sport, soll gerade nicht verjüngen. Aber sein Auftreten, seine Manieren sind untadelhaft. Er hat einen alten Namen und längst keine Schulden mehr, sich vielmehr ein kleines Vermögen erworben, dank seinem Pferdeverstande, einer unskrupulösen Geschicklichkeit in allerlei Dingen, wie sie sich auf den großen Rennplätzen zwischen Sattelplatz und Richtertribüne ereignen können. Niemand wußte davon, am allerwenigsten Graf Berg. Ahnungslos, wie oft die von ihm nach dem Rate des »distinguierten Sportsman« auf einen Favorit gesetzten und verlorenen Summen auf Umwegen in des Freundes Tasche flossen, war er immer wieder dessen Rate gefolgt. Mehr und mehr ist der Baron dabei auch in anderen Kreisen als denen, wo man nur dem Sporte huldigt und die sich vorzugsweise aus Männern zusammensetzen, eine etwa erhobene Frage nach einer etwaigen Vergangenheit vergessen zu machen. Sogar Kammerherr soll er werden an einem kleinen Hofe, hat er wenigstens Mrs. Bower erzählt.

»Allerdings so prächtig wie Heino ist er nicht!«

Mrs. Bower seufzt. Sie hat den Grafen doch gern gehabt! – Soviel wie eine Frau ihrer Art jemand gern haben kann. Auch die neunzackige Krone sah sehr hübsch aus über ihrem Namen. Sie hat dieselbe manchmal, der Zukunft gedenkend, auf ihre Karten gezeichnet. – Und es machte sich so gut Irma! Daß ihr so etwas passieren mußte! –

Dann aber denkt sie weiter, daß eine Witwe ohne Namen und Rang, trotz allem Geld nicht viel mehr von der Welt hat, als eine alte Jungfer: – daß sie ihres Klosterlebens müde ist und eine Stellung haben will!

Während sich alles das in ihrem Kopfe kreuzt, leidet sie huldvoll, daß Welten von Zeit zu Zeit den weichen Arm etwas an sich drückt, nur für bessern Halt – denn sie muß ja natürlich bodenlos erschüttert sein –, daß er mit zärtlicher Besorgnis die Zweige und Ranken zur Seite biegt, damit nicht einer das reizende Gesicht schädige.

Dabei lächelt Mrs. Bower, und daraus schließt er, daß es durchaus nicht schwer sei, bei so schöner Frau den liebenswürdigen Ehemann zu spielen, und daß in einem auf solchem Fonds gegründeten Hause alle kleinen Differenzen sich ausgleichen lassen.

Ob wohl das Glück, das ihm so oft über alle Hindernisse zu dem Preis auf dem Turf geholfen, ihn auch hier ans Ziel lancieren wird? Es wäre um so wünschenswerter, als mit der Zeit das Rennen und Ringen doch beschwerlich wird und ermüdet.

Am selben Tage noch verbrannte Mrs. Bower einen Pack Verlobungs-Anzeigen; finster und entschlossen sah sie in die Flammen, bis nur ein Häufchen Asche von der ganzen Herrlichkeit übrig geblieben war.

Dann seufzte sie tief. Galt es ihm selbst, den sie nun natürlich aufgeben mußte, oder dem, was sie mit ihm verloren?

»Die Briefumschläge könnten wir doch vielleicht aufheben,« meinte die Jungfer, eine gescheite Person – »das Adressenschreiben ist ein sauer Stück Arbeit.«

Mrs. Bower fühlte sich so herunter in Kraft und Stimmung, daß sie die impertinente Bemerkung nicht einmal rügte, vielleicht weil sie sich eingestehen mußte, daß dieselbe so unrecht nicht habe.

Und sie seufzte nochmals; nunmehr entschlossen, Baronin Welten zu werden.


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