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Gegen Abend desselben Tages sitzt Eva in ihrem blauen Zimmer; sie hat es sich bequem gemacht; ein Morgenkleid von hellem Stoff mit glitzernden Stickereien hüllt in weichen Falten die schmächtige Gestalt ein; das Haar ist gelöst; sie hat das gern; die Flechten sind so schwer für den kleinen Kopf, den schlanken Hals – heute kommt ja niemand; sie wird allein bleiben wie immer, wenn niemand kommt. –
»Tag Eva!« – Der Graf tritt ein; die Husaren hatten heute Liebesmahl; das Frühstück, womit der Major von Rommel abgegessen wurde, war vorüber.
Heino sieht erregt aus, nur vorübergehend zieht ein Schatten über seine Stirn; auch seine Frau sieht gut aus; es berührt ihn angenehm.
»Ah!« – Er setzt sich auf den kleinen Divan, streift mit liebenswürdiger Nachlässigkeit die Asche seiner Cigarre auf das erste, beste Nippes in seiner Nähe.
»Willst du bei mir bleiben, Heino?« – Scheu erglühend sieht die junge Frau zu ihm auf; ein leises Beben wie von verhaltenem Glück zittert in ihrer Stimme.
»Ich denke, ja. Ich darf einmal von meinem ehelichen Recht Gebrauch machen!« – Er schlingt den Arm um ihren Leib; er spielt mit den dicken Glockenschnüren, welche die Falten an ihrem Gewand halten; er läßt das lichte Haar, das ihm zuerst und immer noch als das schönste an Eva erschien, in schweren Strähnen durch seine Finger gleiten: »Kleine Frau, wie sie hübsch wird!« neckt er dabei.
Es wird ihm nicht schwer; er meint eben wirklich, sie sei so übel nicht, und wenn ihn das leidige Muß nicht zu ihr geführt hätte – Ah, bah – wer wird solch unangenehmen Erinnerungen nachhängen! – Der Graf ist ein Mann des Augenblicks; fest zieht er jetzt seine junge Frau an sich heran; hebt sie auf die Kniee; sie lehnt das Köpfchen an seine Schulter, schließt die Augen, während ein seliges Lächeln ihre Lippen umspielt. –
»So sieh mich doch an, Eva.« –
Wie von seiner Stimme bezwungen, öffnen sich die Lider, unter den blonden Wimpern hervor, strahlen die blauen Sterne hell auf in der Empfindung, welcher sein Wort einen Freibrief giebt. Doch nur einen Augenblick, und sie senken sich wieder; Eva schlingt die Arme um seinen Nacken und birgt das Antlitz an seiner Brust.
Er ist amüsiert ob dieser noch immer jungfräulichen Scheu – es ist im Grunde eigentlich nicht sein Geschmack; doch er fühlt ihr Herz pochen mit schnellem Schlag, jede Fiber bebt an dem Körper, der in seinen Armen ruht; die Leidenschaft, welche darin spricht, schmeichelt seinen Sinnen.
»Du hast mich lieb, Eva?« Ein schmeichelnd vibrierender Ton klingt in seiner Stimme.
Und fester noch schlingen sich ihre Hände über seinem Nacken ineinander; inniger schmiegt sie sich in seinen Arm; heiß und zärtlich giebt sie seine Küsse zurück.
Bestrickend, überzeugend klingt sein kosendes Wort. Wirklich meint er auch eben, was er sagt; er fühlt sogar etwas wie Rührung und Dankbarkeit gegen seine Frau. Leider aber kommt sofort auch schon die Erinnerung an das, was er ihr dankt und – warum er heute ihre Liebe sucht. Der Rausch verfliegt. – Mit einer hastigen Bewegung schiebt er Eva von sich.
»O, warum wirst du böse?« – Sie klammert sich an den Gatten, sieht zärtlich fragend zu ihm auf.
Er ärgert sich über sich selbst; die Spitze seiner Zunge spielt die lockigen Enden seines Bartes unter die Zähne. Eva merkt sofort, daß ihm etwas die Stimmung verdirbt. Noch fühlt sie seinen Kuß auf ihren Lippen und sie hat Mut:
»Sag mir, was dich quält!« – Die kleine Frau hebt sich auf den Spitzen der Füße, streicht mit den dünnen Fingern über seine Stirn: »Laß mich sie fortwischen, die böse Falte hier! Weißt du nicht, daß ich mein Leben für dich gebe, Liebster, du!« – Wieder schlingt sie die Arme um seinen Nacken, lehnt den Kopf an seine Brust, sieht zu ihm auf mit dem großen, vollen Blick ihrer unendlichen Liebe: »Heino, was ist's?«
Und diesmal schlägt er die Augen nieder – er schämt sich vor ihr. – Doch es mußte durchgefochten werden, was er einmal als standesgemäße Notwendigkeit auf sich genommen: Graf Heino hat in diesem Punkt mit den Verhältnissen rechnen gelernt. Er zwingt sich zum Scherz.
»Die alte Fatalität, kleine Frau – es fiel mir ein, ich muß zahlen, und – habe kein Geld.«
»Ist das alles!« – Eva lächelte.
Er hätte ihr grollen mögen, daß sie die »Fatalität« so leicht nahm, doch hätte sie es nicht gekonnt, hätte sie ja eben seine Frau nicht werden können, und er – er hatte, wie die Dinge lagen, nur alle Ursache, erfreut und freundlich darüber zu sein.
»Wie viel brauchst du, Liebster? Da, in meinem Schub liegen noch zweitausend Mark von Papa für etwaige Ausgaben. Reicht es?« – Sie machte eine Bewegung nach ihrem Schreibtisch hin.
»Nein« – er hält sie fest.
»Dann will ich schreiben ...«
»Nein« – er kaut jetzt die Enden seines Bartes –, »ich wünsche das nicht.«
»Höre Eva,« beginnt er dann, »da wir doch einmal auf das leidige Thema gekommen sind – willst du mir einen Gefallen thun?« Dabei schlingt er wieder den Arm um ihren Leib, zieht sie wieder zu sich auf den blauen Divan. Es schien ihm in dem Moment nur natürlich: sie war wirklich gut und lieb.
Nun setzt er ihr auseinander, wie das Militär so kostspielig ist: daß man unmöglich mit den Zinsen der fünfhunderttausend Mark auskommen kann – wie Papa ja keine Ahnung davon hat, was ein Offizier, noch dazu ein Kavallerie-Offizier braucht.
Und Eva, von dem Arm des Gatten umschlungen, neigt gläubig ihr Haupt: Selbstverständlich; woher hätte denn Papa wissen sollen, was ein Kavallerie-Offizier und Edelmann zum Leben bedarf. Natürlich, daß ein Mann so stolz, so schön, so ritterlich wie ihr Gatte, anders denken und empfinden mußte, als sie kleine Leute; sie selbst, kleine, unbedeutende Frau! – Ganz natürlich!
Und wenn der Sport, das Spiel einmal zum guten Ton gehörten, so sollte er sein Recht haben.
Und wenn er unglücklich spielte, weil – wie er mit einem leichten Streichen ihrer Wangen erklärt – er nun einmal immer Glück in der Liebe gehabt hat, so wird sie sicher die letzte sein, ihn darüber zu schelten.
Und als er sie dann abermals küßt – was gegenüber so viel gläubiger Hingebung nur leicht und natürlich schien –, da konnte die junge Frau unmöglich daran denken, daß Papa sie gebeten hatte, etwas vorsichtiger in Geldausgaben zu werden.
»Gern, gern!« sagt sie, und mit einer wahrhaft glückseligen Empfindung, sich mit etwas wenigstens seiner Liebe würdig zu zeigen, setzt sie ihren Namen unter einen Wechsel von zwanzigtausend Mark, den der Graf auf die Bank zu ziehen genötigt ist, wo Christoph Schulze, noch in der elften Stunde durch Gott weiß welche Bedenken vorsichtig geworden, Evas Mitgift hinterlegt hat, mit der Bestimmung, daß nur ihr selbst das Verfügungsrecht zustehe.
Es war dies ein Arrangement, welches der Graf mit vollendetem Anstand sanktioniert hatte, obgleich es ihn im Grunde nur gegen seine Schwiegereltern und auch gegen seine Frau verstimmen mußte. Denn er ärgerte sich, so oft es den Punkt berühren hieß, was immerhin schon einige Mal geschehen war.
Erleichtert atmet der Rittmeister jetzt auf.
»Nun ist alles wieder gut?« jubelt Eva.
»Danke, ja.« Er steckt das Papier in die seidene Brusttasche der Uniform; es knittert leise. Und als ob das eine plötzliche Veränderung bewirkt hätte, schaut er mit skeptisch nüchternen Blicken fast erschreckt auf seine Frau.
Es hatte sich eben alles ganz leicht, ganz natürlich gemacht – kein Wort hatte ihm eine Lüge, noch eine Anstrengung gekostet, und doch war sein Benehmen – er empfand es zu seiner Beschämung – nicht aufrichtig, sondern eine Komödie, Heuchelei und Verstellung gewesen. Das drückt ihn nieder, sein Arm löst sich von der zarten Gestalt, die sich so traulich hineingeschmiegt; es ekelt ihn vor sich selbst – noch giebt es Momente, wo ihn seine souveräne Ironie im Stich läßt. Schweigend sitzt er da.
Unwillkürlich war auch ihr der frohe Mut gesunken; scheu nur noch blickt sie nach dem Gatten hin, dann in das Leere – immer peinlicher wird die Stille.
Graf Berg aber ist nicht der Mann, peinlichen Empfindungen nachzuhängen, fatale Situationen unnötig zu verlängern.
»Weißt du, Kleine,« beginnt er, und all die unverwüstliche Elastizität seiner Natur klingt in dem Ton seiner Stimme – »die Sache eilt. Und da es heute paßt, ist es am besten, ich bringe es gleich in Ordnung. Laß dir die Zeit nicht lang werden, ich komme wieder, Schatz – gewiß.«
Aber er kam sich jetzt selbst so brutal vor: er faßte sie unter das Kinn, er hob das verbleichende Gesichtchen zu sich empor; er küßte sie auf die Stirn – doch nein, er kann die Komödie nicht länger ertragen. Gerade was noch von besserem Empfinden in ihm lebt, treibt ihn in diesem Augenblick von Eva fort. –
Eva sieht dem Gatten nach, wie er mit klirrenden Sporen durch die Zimmer schreitet; sie hört die Schelle der Thür unten anschlagen, seinen Tritt auf der Straße verhallen. Immer noch steht sie da – sehnsüchtig breitet sie die Arme aus. –
Wunderbar, wie zuweilen die Gedanken gehen und wir bei der größten inneren Bewegung so haarscharf die Vorgänge unserer Umgebung bemerken, ordentlich als wollte die Seele sich vor sich selber flüchten – retten.
Eben kreuzt es Evas Hirn: ja, sie hat einen Husaren geheiratet, was schon die Mutter dem Kinde als das Herrlichste von allem gepriesen; sie ist eine vornehme Dame geworden, und, was hier noch mehr ins Gewicht fällt, sie ist auch reich. – Wie malerisch bunt in Form und Farbe heben sich die Portièren voneinander ab, die Flucht der Zimmer entlang; wie befreiend prächtig wirkt der weite Ausblick selbst! Hier schimmert der weiße Arm einer Statue unter dem faltigen Zickzack und den Bauschen der sammetnen Bogen hervor; dort blinkt ein in Kupfer getriebenes Portrait, eine Figur von Metall. Märchenhaft lebendig in dem hellflutenden Licht sehen die Gestalten der Bilder aus ihren glänzenden Rahmen heraus. Hier wirken buntfarbene Makartwedel, große, glänzende Früchte zu einem magischen Effekt auf den dunkelschimmernden Wänden; dort breitet eine Palme ihre fiedrigen Zweige über ein kostbares, geschnitztes Möbel aus – weiche Teppiche decken überall den Boden; der Duft von Maiblumen zieht mildbelebend und süßberauschend durch die hohen, herrlichen Räume.
Ja, es ist schön hier – ein jeder sagt es. Wie heiter man gestern wieder hier war! Man hat sie beneidet um all den Luxus, all die Pracht. –
Höher heben sich die Arme der jungen Frau, als wollten sie reichen weit hinaus über alles das in sehnsüchtigem Verlangen, feucht werden ihre Augen und vor den Thränen im Blick erlischt all die Herrlichkeit, die sie umgiebt. Da fühlt sie, wie die Kordel ihr Gewand in seinen Falten hält, wie das Haar schwer über ihren Nacken fließt. Ein Schauer bebt durch ihre Gestalt. Mit diesen Schnüren hat er gespielt, das Haar hat er um seine Finger geschlungen; – und dennoch – sie fühlt es unabweisbar an der Angst und Leere in ihrem Innern – dennoch: er liebt sie nicht, er vermag nicht sie zu lieben, wie sie ihn liebt.
Wie Feuer brennen plötzlich kleine Flecke auf den Wangen – da hat er sie geküßt. Sie sinkt in die Kniee, vor dem kleinen Divan. Noch einmal sieht sie auf – sieht in dem kostbaren Spiegel darüber nur ihre eigene jammervolle Gestalt! Noch einmal ringt sie die Hände, als wolle sie nach etwas reichen, um nicht zu vergehen – sie greifen nur in die seidenen Kissen. Nun birgt sie ihren Kopf darin und weint, weint bitterlich.