Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Mit liebenswürdiger Anmut und tadelloser Eleganz giebt dann Fräulein von Waldegge dem Lieutenant von Rodenheim ihr Wort, die glänzende Existenz, wie er sie anbietet, zu teilen, bewegt sich die junge Braut unter den Glückwünschen ihrer Freundinnen. Rodenheim ist kein Freund von hinter dem Berge halten; er hat sich immer auch den Luxus seiner Gefühle gestatten können; das süße Geheimnis wurde bald laut, die Verlobung öffentlich.

Zum Glück war Kanstedt durch das Fertigstellen eines militärischen Aufsatzes, der am andern Tage eingeliefert werden mußte, verhindert worden, diesem ersten Auftreten von Adelen als einer liebenswürdigen Braut beizuwohnen. Er kam erst, als man schon bei Tische saß.

Noch steht er in dem Rahmen der weithin geöffneten Flügelthüren des Speisesaales, als er diese Neuigkeit empfängt, zugleich zeigt der Spiegel an der gegenüber liegenden Wand dem noch Zweifelnden ihre Bestätigung.

Rodenheims Hand liegt leicht auf Adelens Arm; er lächelt und lacht so recht harmlos, vergnügt, wie Thilo Rodenheim mit seinen schönen Zähnen nur lachen kann; – die hellen Augen funkeln treuherzig, aufrichtig, eitel Zärtlichkeit und Freude! Adele aber sieht den Bräutigam an, wie sie ihn, Helwig Kanstedt, angeblickt vor wenigen Tagen noch, inmitten von Waldesgrün und Maienpracht; sie sieht aus, wie er sie immer gesehen hat, anmutig, heiter; berückend und bestrickend.

Und der warme Ton, mit dem die Frühlingssonne sein hübsches männliches Gesicht durchglüht hatte, schwindet plötzlich; es wird erdenfahl; die markige Gestalt bebt zusammen: Kanstedt wankt –

»Nimm's nicht so.« – Graf Berg ist's. Er drückt dem Kameraden die Hand. Ob auch das spätere Leben und seine Verhältnisse sie oft auseinandergeführt, ihre Ansichten sich immer mehr voneinander geschieden haben: in diesem Augenblick empfindet der Graf nur das und all das, was ihn einst mit dem Jugendfreunde verbunden hat und noch verbindet.

Noch einmal und kräftiger schließen sich seine Finger um des Kameraden Hand, 's ist scheußlich! murmelt er dabei. Seine Stimme aber hat einen viel vollern, natürlichern Klang als gewöhnlich, wenn er in bester Laune seine Pikanterien zum Besten giebt, und »brillant« ist! – Galt das Wort dem Freund oder der folgenden gleichsam tröstenden Bemerkung: »Einmal gehen wir alle doch den gleichen – ›standesgemäßen‹ Weg!« –

Der arme Helwig aber hatte, was jetzt seine Augen sahen, nicht für möglich gehalten!

Er war unter ähnlichen Verhältnissen wie Adele erwachsen, nur daß diese in der Kanstedtschen Familie eine entgegengesetzte Wirkung übten als bei Waldegges und somit die als unerschütterlich behauptete Theorie, daß gleiche Verhältnisse immer auch gleiche Charaktere erzeugen, mal wieder ein Schnippchen geschlagen bekam. Da Frau Kanstedt genötigt war, mit den Kindern zurückgezogen zu leben, hatten diese um so mehr Zeit, ihre Fähigkeiten und Talente auszubilden; schlossen sie sich um so dankbarer an die Mutter an, welche wie sie keine Mühe scheute, ihnen das Haus behaglich zu machen, auch in der sorgfältigen Ueberwachung und Erziehung ihrer größten Güter, Helwig und Elisabeth, nimmer zu ermüden schien. Mußten auch die Kinder sparen und zuschauen lernen bei vielem, was andere in reichem Maße besaßen, so fanden sie doch dafür einen köstlichen Ersatz in dem Familienleben, welches ihrem in dieser Richtung entwickelten Sinn das Höchste blieb, ohne daß sie darum für irgend ein Vergnügen stumpf geworden wären. Im Gegenteil: das durchaus nicht Alltägliche solcher Ereignisse erhielt sie frisch und empfänglich für jeden Genuß; das glückliche Gefühl, das Beste unveränderlich ihr eigen zu nennen, bewahrte sie vor der schädigenden Sucht, sich in anderm thörichten Verlangen zu verzehren. Bei Kanstedts wollte niemand mehr scheinen als man war; man richtete sich ein, hatte sich lieb und war glücklich damit!

So war es geblieben, als Helwig die Sekunda mit dem Kadettenhause vertauschte, und die Ferien – ob man auch zu Haus keinen bessern Küchenzettel einhielt als in Lichterfelde, die Tage sich dort eben so ähnlich sahen wie hier und einförmig schienen wie die Mauern auf dem Exerzierplatz: die Ferien zu Haus waren doch der Lichtpunkt im ganzen Jahr!

Und die Erinnerung an das Leben im Elternhaus hatte auch den zum Mann reifenden Jüngling nicht verlassen, als die Mutter gestorben, Schwester Elisabeth nach England gegangen war, um eine Stelle als Erzieherin zu bekleiden. Ohne daß er es wußte, umschwebten sie ihn, nicht unähnlich guten Engeln: Denn jede Erinnerung hat ja noch ein zweites Gesicht, die Sehnsucht, und eine gute Sehnsucht ist ein kostbarer Schutz, ein treuer Führer für manch einsames Leben.

Vor etwa anderthalb Jahren hatte Helwig Kanstedt Fräulein von Waldegge kennen gelernt. Sehen und lieben waren eins gewesen. Er hatte das schöne Mädchen verehrt, warm, leichtherzig, ohne Vor- und Nachgedanken, froh und genügsam, von dem Augenblick erfüllt, wie eben ein rechter Mann seines Alters liebt.

Dann war das Wort gefallen; in stillem Einverständnis waren sie beide am Schlusse jener verlängerten Mittagspartie von einander geschieden.

Noch hatte er Adele nicht wieder gesehen – die Gesellschaft hatte keine Gelegenheit dazu geboten; bei einem Besuche bei Waldegges aber war die kluge Mama allem zuvorgekommen und nicht zu Haus gewesen. Es that ihm leid; doch in seiner gehobenen Stimmung bekümmerte es ihn weiter nicht. Nein, es kümmerte ihn nichts, gar nichts! Ein paar Jahr warten – er fürchtete sich nicht vor etwaigen spöttischen Bemerkungen über den Jakobsdienst – ach, er hätte gewartet und gedient, wie weiland der Erzvater selber, und hätte sich vielleicht noch gefreut, daß es ihm gegeben ward, so seine Treue zu erweisen, sein Glück zu erdienen! Ebensowenig wurde ihm vor einem Leben in Sparsamkeit und Zurückgezogenheit bange. Das erste war nicht schlimm, auch Adele mußte ja in der innern Wirtschaft daran gewöhnt sein; was das letztere betraf, so dünkte es ihn erst recht schön, dann etwas mehr von einander zu haben als so viele Leute, die heiraten, um recht eigentlich auseinander zu gehen. Später, oh, er würde tüchtig sein und Carriere machen: sie sollte es schon behaglich haben, seine liebste Frau, und keine Sorge, keine Falte sollte je in das reizende Antlitz ziehen. Es schien, sie wollte die Sache noch ein wenig geheim halten. – Nun, solch ein heimliches, still verschwiegenes Einverständnis hatte auch seinen Reiz; kurz, es war alles entzückend, entzückend wie – sie selbst!

Alle Frühlingslieder, die er so gehört hatte, schwirrten ihm durch den Sinn, sein einfaches Zimmer in der Kaserne ward ihm zum Paradies; Engelköpfchen schwebten darin herum, die alle der Geliebten Züge trugen; froh und leicht flog seine Feder über das Papier bei dem Jahresaufsatz; arbeitete er doch von nun an für die Geliebte mit!

Nun, auf einen Schlag hatte sich alles das gewandelt. Nein, er hat das nicht für möglich gehalten! Er war nicht Weltmann genug, die Welt nach dieser Seite zu schätzen. Ebensowenig hat er auch schon gelernt, sich für dieselbe mit Meisterschaft zu beherrschen. Er hat Mut und Kraft, noch aber ist er kein »Held« – denn auch das Heldentum wird nicht geboren, sondern erst mit dem Leben groß gezogen.

Darum erwies er sich auch eben nur als ein ganz gewöhnlich schwaches Menschenkind, wie es unter der Wucht seines Schicksals zusammenbricht; er konnte Adele nicht begegnen, ihr nicht ins Auge sehen, überhaupt niemandem, niemandem. Er stürmte fort, nach Haus. Er warf sich, wie er war, angekleidet aufs Bett, seine Arme krampften sich in die Kissen; er schlug mit dem Kopf gegen die hölzernen Pfosten, er stöhnte und schluchzte den ersten großen Schmerz seines jungen Herzens aus.

Die Nacht ging vorüber, immer noch lag Helwig da – er hatte kein Auge geschlossen; jede Fiber schmerzte in seinem Hirn. Doch die Stürme gehören zum Frühling, wie der Regen zum Mai; Maienregen aber macht wachsen, wie der Volksmund sagt.

Langsam endlich erhob sich der junge Offizier; müde, zerschlagen noch in allen Gliedern, doch schon mit sicherm Blick und einem festen Zug um den Mund. Er war ein Mann geworden, ein ganzer Mann – trotz seiner knappen fünfundzwanzig Jahre. Schwer rollt eben noch eine einsame Thräne die Wangen herab. Männerthränen graben Spuren.

Und es ist, als ob damit der letzte Schimmer in seinem Antlitz erlischt von einer Jugend, die mit sorglos fröhlichem Sinn dem Leben entgegen gegangen, als wäre es eitel Herrlichkeit und Freude; die mit nimmer wankendem Mut gehofft auf das Glück, als müsse es kommen, so gewiß wie die Sonne nach den Wolken; mit unerschütterlichem Vertrauen geglaubt an das Gute und Edle in dem Menschen, als müsse es sein, so gewiß als er selbst war. Unsägliche Bitterkeit füllt seine Seele über den schmählichen Handel, über die Ohnmacht, die Erbärmlichkeit und Niedertracht des Herzens gegenüber dem Geld und allem, was zu dem äußern Glanz des Lebens gehört.

Ein entschlossener Zug tritt in das junge Gesicht und läßt seine noch weichen Linien fest, fast herbe erscheinen; nun wird er sparen, viel mehr als bisher – sollte er auch alles, jedes Vergnügen, jedes Behagen entbehren; sollte er auch zu den wenigen gehören, die allein stehen unter der Menge der Kameraden –, damit niemals jene Erbärmlichkeit der Kreatur den Sieg davontrage über die Verachtung, mit der er sich lossagt jetzt und für immer von allem, was je seine Hand zwingen könnte, nach dem Gelde zu reichen. Arbeiten will er, streben im guten Sinne: er will tüchtig sein, etwas machen aus seinem Leben und es sich nicht verderben lassen durch ein Weib.

Kanstedt hat sich für die Akademie gemeldet, erzählt Lieutenant Stille dem Grafen nach ein paar Tagen.

Die Pferde der Offiziere stehen zusammen in einem Stall; der »Stern« des Grafen hält gesattelt vor der Thür; sein Herr ist zum Aufsitzen bereit. – Aha! – Der Graf läßt einen leisen längern Pfiff über seine Lippen gleiten und zupft an den langen lockigen Enden seines Bartes. Schneidiger Mensch, der Kanstedt: mag ihn doch riesig gern!

»Er wird Carriere machen,« sagt der Lieutenant.

»Famos!« meint der Graf und schlägt mit der Reitgerte gegen die hohen Stiefel. »Was ich sagen wollte – kommen Sie heut zu Donners, Stille?«

»Werde wohl, nach dem Theater.«

»Na denn Wiedersehen.«

»Wiedersehen.«

Die feinen Hufe des »Sterns« heben sich vom Boden; er wird in leichten Galopp gesetzt. Der Graf liebt es, ein eleganter Reiter zu sein.

»Famos,« murmelte er noch einmal, »schneidiger Mensch; brav aus der Affaire gezogen!«

Eigentümlich, daß die Gestalt des eleganten Offiziers dabei etwas zusammenrutscht, daß er eben um vieles kleiner erscheint! Jetzt tritt sogar ein müder Ausdruck in sein prächtig schönes Gesicht; er neigt den Kopf – ob man nicht dem Beispiel folgen sollte: arbeiten, streben? –

Damit ist der Park erreicht; die frische Luft, die Bewegung beleben den Reiter. Er klopft den Hals seines Tieres, er hebt sich hoch in den Bügeln; kaum den Sattel berührend, fliegt er auf seinem Renner dahin.

Nein, nein, das Leben flutet viel zu wohlig um ihn her; sein Blut fließt viel zu rasch, zu leicht, um nicht mit Wonne einer jeden Bewegung in dem lockenden Strome zu folgen. Sein Geist ist viel zu findig, um nicht solche heimsuchende Gedanken als Schreckgespenster aus der Rumpelkammer wegzuschelten, seine Laune zu übermütig, um sie nicht mit einem heiteren Wort oder Lachen zu verscheuchen, wie man Spatzen von den Kirschen jagt. Ah bah! Und wer weiß, ob man so nicht besser mit dem Leben fortkommt!

Bewundernd sieht jedermann dem eleganten Kavalier, dem flotten Reiter nach. Vielleicht, daß er dieses für eine Antwort nimmt; höher noch hebt er sich in den Bügeln; weiter noch greift der »Stern« jetzt aus.

»Wie gefällt Ihnen die Uniform?« fragt ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren – ein kleines, unbedeutendes Figürchen in einem weniger hübsch als modern gemachten Kleide – seine Begleiterin. »Mama hat gesagt, ich soll einen Husaren heiraten.«

» Speak English, Miss Evy!« ist die milde Korrektur dieses Geplauders, das deutlich genug das harmlose Kind verrät.

»Da, ein Kaisermantel!« ruft Eva entzückt, und hat über dem Schmetterling den Husaren bereits vergessen.

Als ob der zu diesem gehörte, flatterte er hinter ihm die lange Allee entlang und beide entschwinden den Blicken.

»Halt den Stern gut!« befiehlt der Graf, als er in bester Laune zum Stall zurückkommt, seinem Burschen. Leicht die »Madonna Theresa« trällernd, kleidet er sich um.

Dann, ehe er zu Tisch in die Messe geht, bestellt er noch einen Strauß Marschall Niel-Rosen und rote Nelken bei der ersten Blumenhandlung; man solle es der Scharwienka ins Theater schicken; er hat die erste Tragödin für heute bei Donners zum Abendessen geladen. Damit ist sein Tagewerk für heute geordnet.


 << zurück weiter >>