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XVI.

Noch immer stand Eva an dem Fenster ihres Boudoirs, die Hände halten den Griff an seinem Kreuz umschlungen: sie mußte etwas fassen, sich an etwas halten, da alles um sie her zu wanken, der Boden unter ihren Füßen zu weichen begonnen hatte. Der Wind schüttelt draußen an den Zweigen; was eben noch purpurn und goldig im Sonnenlicht geleuchtet, fällt, welkes Laub nur, auf die Straße; in wirrem Tanz treibt sein kalter Atem Staub und Steine, Blätter und Schmutz durcheinander: eine entsprechende Begleitung zu den Empfindungen, dem Kampf in ihrer Brust.

O, es war furchtbar! Wie hat dieser Mann sie beleidigt; was alles hat er ihr gethan! Gott, o du mein Gott! – Groll und Empörung mischen sich dem Kummer – die Sinne drohen zu schwinden. Mechanisch löst sie die Schildkrotnadeln mit den dicken Knöpfen aus dem Haar, es war, als ob mit dessen Knoten der fürchterliche Druck sich löste über ihrer Stirn. Sanft fluten die goldigen Massen jetzt um ihre Gestalt, das einzige, was er schön an ihr gefunden hat. Und nun ist es ihr, als fielen die Strähne aus seiner Hand, wie bei dem Spiel in guten Stunden. Wilder treibt der Wind draußen seinen Tanz; sie sieht es nicht, Thränen verdunkeln den Blick; und nun, wie durch einen verklärenden Schleier hindurch sieht sie – nur ihn: wie noch eben sein Arm sie umschlungen; wie er dastand, bestürzt und erschrocken über sich selbst, mit der Bitte der Reue im Ton und im Blick.

Und wie der Mond, je höher er über die Berge steigt, um so kleiner erscheint, während doch sein Licht immer leuchtender die Erde umfängt, jede herbe Linie sänftigend, jedes Dunkel erhellend: so ringt sich die Liebe in ihrem Herzen wieder empor, höher, immer höher. Jetzt sieht sie den Gatten nur noch, wie sie ihn zuerst und einst geliebt, während sie sich selbst immer elender, erbärmlicher, unbedeutender erscheint.

»Meine gnädigste Frau« – klang es vor Evas Ohr – Kanstedt war eingetreten.

Helwig von Kanstedt hatte treulich gehalten, was er sich und den Rodenheims in jener schreckensvollen Stunde gelobt; er hatte sich in dem Leid, das so verwirrend hereingebrochen, als wahrer Kamerad und Freund des armen Thilo bewährt.

Er hatte seine Schwester gebeten, daß sie komme, um sich der Führung des Hauses und der Kinder anzunehmen. Fräulein Elisabeth, welche von den Schulzens weg wieder nach England gegangen war und nun grade zu Besuch bei Verwandten in Deutschland weilte, hatte sich sofort den Wünschen des Bruders zur Verfügung gestellt. Und in der That hätte dieser niemand passender an die Spitze des mehr als verwaisten Hauses stellen können als das kluge, gute und thatkräftige Mädchen. Aber er selbst war auch nicht müde geworden, nach dem Kameraden zu sehen, der Schwester eine helfende Hand in den ihr so völlig fremden Verhältnissen zu bieten.

Wenn nun Helwig auch Mann genug war, um sich zu sagen, daß trotz dem Kopfschütteln der Menschen und trotz allem, was er mehr wußte als diese kopfschüttelnden Menschen, bei dem Tode der blühenden, glücklichen Frau doch wohl das Beste eingetroffen sei: erschüttert hatte es ihn doch bis ins Mark. Der ganze Jammer über die Unzulänglichkeit alles Seins hatte ihn so recht im Innersten erfaßt. Bitter wie nie hatte er dabei empfunden, daß er trotz alledem und alledem, trotz Beruf, Arbeit, Carriere, Stellung und sogenannter Freunde allein im Leben geblieben war; sehnsüchtig wie nie, daß nur ein Wesen, welches mit uns denkt und fühlt, ein Herz, das wir ganz und unbedingt zu eigen nennen, uns alle nicht weg zu bringenden Kalamitäten des Daseins vergessen läßt. Mehr als je empfand Helwig heute das Bedürfnis, sich wenigstens einmal auszusprechen; ja, wie ein Verhungernder nach dem Stück Brot, das ihn retten soll, sehnte er sich nach verständnisvoller Teilnahme. Unwillkürlich trieb es ihn zu Eva; er hatte sie lange nicht gesehen, und heute Morgen hatte sie so bitterlich geweint! In der Sorge um sie vergaß er bald, daß er eigentlich etwas wie tröstliche Erleichterung für sich selbst zu suchen wünschte.

»Noch immer in Thränen?« fragt er weich, nachdem sie einige Worte der Begrüßung gewechselt.

Sie redeten von der Toten. Er kann sich denken, was Eva bei diesem Scheiden so furchtbar ergriffen hat. – Und das wohlthuende Gefühl, daß eines bei dem andern ein Echo findet für sein Empfinden, kommt über sie beide, sie schweigen in Frieden.

Denn Eva war zu ehrlich, um eine Scheinkonversation zu beginnen – und zur Heldin hat sie einmal wirklich durchaus kein Talent. Wie Blätter, Staub und Steine gegen die Fenster, so wirbelten ihre Gedanken durcheinander: Zorn, Groll, Empörung lehnten sich auf gegen ein unaussprechliches Etwas, dem trotzdem wieder ihre Seele, als habe sie eine höhere Macht bezwungen, entgegentrieb.

Eine namenlose Angst kam über die junge Frau; es war, als sei es unmöglich, Ordnung in dieses Chaos der Empfindungen zu bringen. Unbewußt tastete sie nach einer helfenden Hand. – Und Kanstedt ist ja auch Heinos Freund! – Und wenn, wenn es geschehen sollte – so würde er es doch erfahren. Er wußte ja schon so viel. Sie neigte das Haupt; ihr Herz krampfte sich zusammen unter der Schmach. Doch wunderbar, die Erinnerung, die sie immer wieder vor ihm scheuen gemacht, bringt ihn auch wieder näher.

»Was halten – wie denken Sie über die Scheidung, Herr von Kanstedt?« fragt Eva plötzlich. – Es klingt so zaghaft, daß er sofort bemerkt, daß hier ein gefährliches Gespräch eröffnet wurde.

Er wollte das Gespräch verrücken: »Das ist ein Thema, Gräfin, über welches die Unterhaltung in Gesellschaft grade so verboten werden sollte wie über Politik, Religion und etwa Richard Wagner –« er zwang sich zum Scherz.

Auch Eva mühte ihre Lippen zu einem Lächeln; doch die Thränen traten von neuem in ihre Augen: »Wir sind ja eben nicht ›in Gesellschaft‹. – Seien Sie gut, Herr von Kanstedt, Sie haben mich schon über so vieles belehrt. Was halten Sie davon? bitte!«

Es schien, die Sache ließ sich nicht umgehen.

»Im allgemeinen, meine gnädigste Frau,« begann er, und immer ernster wurde sein Ton: »halte ich die Ehe, weil deren Voraussetzung und Grundlage die Liebe ist, für unauflöslich ihrer inneren Natur nach, unantastbar in ihrem Recht und Gesetz, wie unwandelbar in ihrem Ziel, gleich der Liebe selbst ...«

»Und im besonderen?«, fragte die junge Frau kaum hörbar.

»Im besonderen«, nahm er auf, wie unbewußt für sie seine Gedanken klärend unter dem Schatten, den seine eigene Erfahrung darüber geworfen; »im besonderen, allerdings, zumal heute, da die Ehe oft zu einer Flagge geworden ist, unter der allerhand Schmuggel sein Wesen treibt, ist es schon möglich, daß auch ihre Form wie ein Hohn zu ihrer Bedeutung erscheint: ihr Recht sich in Unnatur verkehren kann.«

»Nicht wahr,« unterbrach ihn Eva schnell, »wenn ein Mann seine Frau nicht liebt; wenn sie ein Hindernis bildet zu seinem Glück, anstatt ...«

»Ja, ja« – kommt sie ihm zuvor, ihre Wangen brennen, ihr Atem fliegt – die arme kleine Frau, die wirklich nur ein Weib und keine Heldin ist, bricht in Schluchzen aus: »Wir werden uns scheiden lassen!«

Er prallte zurück. Ohne sich über die bei diesem Wort seine Seele durchstürmenden Gefühle Rechenschaft geben zu können, trat er entschiedener dagegen auf: »Das werden Sie nicht! Das kann Heino nicht wollen!«

Eva aber auf der Höhe des Kampfes, der Erregung, hatte alles andere vergessen; auch die Schmach, die ihr angethan war.

»Heino hat mich gebeten ...«

Wie zu einer Statue geworden steht Kanstedt da. So weit also ist es doch mit dem Manne gekommen, den er Kamerad und Freund genannt; Leichtsinn, Genußsucht und Egoismus haben wirklich auch den letzten Funken selbst vom »anständigen Menschen« in ihm getötet. Es ist entsetzlich!

Ob auch der Mulatte der englisch-orientalischen Witwe kein Deutsch redete, die Gouvernante mit niemand sprach, die Dienerschaft einen Lohn empfing, den keiner durch ein unnützes Wort auf das Spiel zu setzen gewillt war, ganz unbemerkt waren doch des Rittmeisters Besuche in der Villa nicht geblieben, wo die exotischen Blumen auf den Treppen blühten, die schöne Frau in ihrem Heim saß, nicht unähnlich einer Spinne, webend und lauernd auf ihren Fang. Kanstedt ahnte den Zusammenhang der Dinge.

»Unmöglich!« Wie ein Stöhnen drang es über seine Lippen – das Ärgste, was ein Mann seinem Weibe anthun kann, sollte der armen kleinen Eva angethan werden. Unmöglich! Das darf Heino nicht, bei seiner Ehre nein, und tausend mal nein! Und Helwig als ein Mann dachte auch sofort an die äußern Folgen dieses Schrittes. »Wissen Sie auch, Gräfin, was das bedeutet, eine geschiedene Frau: verlassen, allein, ohne Stellung, ohne Schutz, stets beargwöhnt, meistens gemieden.«

Eva war doch eine Frau geworden, die den Mut zum Denken und Entgegnen gefunden, wo es galt, das, was sie für recht oder richtig erkannt, zu behaupten.

»Warum sagen Sie mir das, Herr von Kanstedt? Das sind ja lauter Erwägungen, die Sie selbst am wenigsten in Ihrem Handeln beirren würden.«

Betroffen sah er sie an, die ihn so gut zu kennen schien, besser als er sich selbst kannte.

»Was kann mir daran liegen, was die Welt denkt, und die Leute sagen?« fuhr Eva fort. Wieder fliegt ihr Atem, die Wangen glühen: »das ist ja nur Schein. Aber es ist eine Schmach, bei einem Manne zu beharren, der uns mit jedem Atemzuge von sich fortwünscht; einen Mann in Fesseln zu erhalten, denen die Weihe fehlt; deren Recht nur leere Form geworden ist; deren Zweck aber sich in ihr Gegenteil, das Hindernis für sein Glück, gewandelt hat. Nein, und tausendmal nein! Ich fürchte mich nicht. Ich nehme es auf mich, alles, alle Schuld und alles Leid!« – Hochaufgerichtet steht sie da, einen wunderbar edeln Ausdruck in ihren Zügen, der sie zur verklärten Schönheit erhebt.

Seltsam, als müsse er frei, ganz schuldlos und unbeteiligt sein an jenem Entschluß, treibt es ihn immer von neuem, dagegen zu reden, zu hindern, was er doch im Grunde billigen, ja, bewundern muß.

»Ist Ihnen bekannt, daß Heino dann wieder heiraten kann, Gräfin,« fragte er in einem Ton, so trocken, als wolle er ihr nur das Gesetz erklären.

Da sinkt Eva zusammen – sie weint bitterlich. – »Doch, gewiß,« sie versucht sich zu fassen: »Das Ärgste will ich dulden. Denn sehen Sie, Herr von Kanstedt, Heino hat mich nie geliebt. Er hat – es war nicht schön – aber ich grolle, ich zürne nicht mehr. Ich bin auch nicht so empört, als ich sein möchte und auch müßte. Ich bin gar nicht stolz. Ich bin eine arme, unbedeutende Frau; ich konnte ihm ja nicht genügen. Aber – hier schnellt sie empor – ich habe ihn geliebt! Diese Liebe hat mir eine unendliche Seligkeit gegeben. Ich habe gelobt, alles zu thun für sein Glück – und aus Liebe auch nur gebe ich ihn frei!«

Mit ausgebreiteten Armen steht sie da, das Antlitz emporgehoben, das Auge verklärt in der eigenen Seelengröße; wie ein Glorienschein fließt das reiche Haar ihr um Haupt und Gestalt.

Als würde ihm eine Offenbarung, meint jetzt Helwig Kanstedt zu begreifen, woher ihm eine Hülfe gekommen, auf daß er sich treu bleibe in dem, was er als seine Pflicht und seine Ehre erkannt; auch warum jene Liebe sterben mußte, die einst mit täuschendem Schein seine Seele in Fesseln geschlagen hatte, während ihr der Nerv ihres eigentlichen Wesens gefehlt hat.

»Sie sind eine Heilige, Gräfin,« sagte er leise, »ich beuge mich vor der Kraft Ihres Herzens. Nur eins versprechen Sie mir: daß ich Ihr Freund bleibe in dem Leben, welches Sie auf sich nehmen wollen. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie eines Rates, eines Dienstes bedürfen.«

»Ja,« gab sie tonlos zurück. All der Glanz in den blauen Augen war erloschen, jeder verklärende Schimmer aus dem bleichen Gesichtchen gewichen. – »Ich habe ja nun niemand mehr.« – Die Arme sanken herab, sie reichte ihm die Hand.

Und als er diese kleine zitternde Hand jetzt hält in seinen beiden, da fühlt er sich gehoben in sich selbst, weit über alle Kleinlichkeit, Gemeinheit, alle Schäden und Gebrechen, allen Jammer des Daseins hinaus in jene reine, befreiende, himmlische Seligkeit, welche immer die Geburt und die Erkenntnis der echten Liebe begleitet.

Leider, auch diesmal war das Geschick gegen Helwig, aber er schwor sich auf ihrer Seite zu stehen bei dem was unvermeidlich geworden, den Weg der einsamen Frau zu ebnen, soweit es in seiner Macht stand.


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