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Qasitthi war eine buddhistische Nonne. Von ihr wird folgende Geschichte erzählt:
Sie hatte als ganz junges Kind den Buddha gesehen, wie er unter einem blühenden Baum voll schwerer und duftender Dolden stand, aufrecht, die Augen über die Welt weg ins Weite gerichtet, ruhig gewordener Gesichtszüge, und die Rechte segnend erhoben. Sie war früh einem Manne verheiratet, einem schönen und stolzen Ritter, dessen Antlitz und Gang Menschen ermutigen konnte zu heldenhaften Taten. Dieser starb in der Schlacht vor dem Feind und hinterließ ihr einen dreijährigen Sohn. Täglich suchte sie in dessen Antlitz nach den Zügen und dem Blick des Vaters.
Da geschah es, daß in das Dorf ein Räuber einritt, ein froher und kühner Mann, der einen purpurfarbenen Anzug trug, mit goldenen Schellen behangen. Singend ritt er auf seinem tänzelnden Roß unter dem geschnitzten und rot bemalten Torbogen hindurch auf den Marktplatz. Die Leute kamen ängstlich aus ihren Häusern und warfen sich vor ihm auf die Erde, und der Dorfälteste bat um Schonung und versprach, alles zu tun, was er verlangte. Er forderte einen Büffel. Da gingen die Leute in den Stall der Quasitthi, weil sie eine Witwe war, banden die beiden Büffel los und brachten sie vor den Räuber. Als dieser aber die Leine ergriff, um sie fortzuführen, trat Quasitthis Knabe vor ihn hin und schalt ihn aus, denn in seinen Adern stoß seines Vaters kühnes Blut. Der Räuber lachte über den Knirps, die Bauern erschraken. Da wurde der Kleine wütend, schwang seine kleine Schleuder und traf den Räuber mit einem Kiesel mitten ins Gesicht, daß ihm das Blut aus der Nase stürzte und den kostbaren Anzug besudelte. Hierüber ergrimmte der, ergriff sein Schwert und spaltete dem Knaben das Haupt.
Als er das kleine Kind blaß in seinem Blute liegen sah, und es rührte sich nicht mehr, da fühlte er Reue und schämte sich. Die Bauern, wie sie merkten, daß er unruhig wurde, gewannen plötzlich Mut, stürzten sich auf ihn und rissen ihn vom Pferde. Er wehrte sich, aber in dem Gedränge konnte er seine Waffen nicht gebrauchen, und als er die erste Wunde durch einen Spaten bekommen hatte, wurden die Bauern immer heftiger, so daß er einsah, er werde nicht Stand halten können. Da befreite er sich von den Nächsten durch geschickte Fauststöße, sprang in einem hohen Schwung über die andern weg und lief fort. Weil ihn die Bauern schnell verfolgten, so wendete er sich zwischen den Hütten und dichtbewachsenen Gärten, daß sie für einen Augenblick ihn nicht mehr sehen konnten, und rettete sich dann in ein Haus.
Durch einen Zufall geschah es, daß dieses das Haus der Quasitthi war. Er stürzte der Frau zu Füßen, bat um Schutz; und weil er ein Ritter schien und sie noch nichts wußte von der Ermordung ihres Söhnchens, so verbarg sie ihn.
Als nun die Leute die Leiche des Kindes brachten und alles erzählten, stand sie eine lange Weile stumm. In dieser Zeit flog ihr das ganze Leben vor den Augen vorbei, wurden ihr die wichtigen Punkte ihres Daseins klar, und öffnete sich ihr Herz.
Es hob sich ihr aber vor der Seele das Bild Gotamas mit den starren Augen, welche geradeaus gerichtet waren, über die Welt hin in das Leere und Weite, und sie empfand, daß auf diesen Punkt, nämlich auf dieses Bild vor ihrer Seele, ihr ganzes Leben geleitet war, und auch später würde, von rückwärts gesehen, dieser Punkt der bedeutsame ihres Seins bleiben.
Nachdem nun aus den vielen Gedanken, Gefühlen und Bildern sich ein fester Entschluß gebildet hatte, rief sie den Räuber und sprach zu ihm:
»Wisse, der Knabe, den du ermordet hast, war mein einziges Kind, und ich bin eine Witwe. Aber ich will dich dennoch nicht den Feinden ausliefern, sondern erwarte du die Nacht und dann ziehe in Frieden. Denn nachdem ich vieles Leid erfahren habe, ist dieses das Schwerste gewesen; aber ich habe ein hohes Bild gesehen, und es ist mir klar geworden, daß ich nun frei gemacht bin von allen Ketten des Lebens, und seit dieser Zeit kann ich, zu meiner eigenen Verwunderung, weder Haß fühlen, noch Rache wünschen; sondern mir ist, als sei das Leben hinter mir ganz grau. Deshalb bin ich jetzt auch ganz glücklich, denn ich fühle keinen Schmerz und werde durch kein Wollen getrieben; nur scheint mir das Leben aller Menschen so sonderbar, denn sie strengen sich an, mühen und ängstigen sich ohne irgendeinen Sinn. Solche Verfassung der Seele wird aber wohl die sein, welche Buddha beschreibt als die erstrebenswerte. Deshalb will ich dankbar sein seinem Bilde, welches in einer langen Erinnerung in mir diese Verfassung der Seele erzeugt hat, und will alles verschenken, was ich besitze, und als eine Nonne fortgehen und betteln vor den Häusern. Steht dir etwas an aus meinem Hause, so magst du es getrost mitnehmen, Geschmeide oder Kleider oder auch Waffen meines verstorbenen Gatten.« Sie hatte aber, während sie diese Worte sprach, geradeaus gesehen, wie ins Leere, und es schien vor ihr die Welt gänzlich versunken, nur ein Punkt noch vorhanden in einer weiten Ferne, auf den sie zuging.
Der Räuber erwiderte ihr, er habe bald bemerkt, daß sie die Mutter des ermordeten Knaben sei, und seine Absicht sei gewesen, sie zu töten, denn er habe angenommen, daß sie die Verfolger wieder herbeirufen werde, um ihm einen qualvollen Tod zu bereiten. Was sie aber jetzt gesagt, das verwirre ihn ganz, und sie sei gewiß eine Heilige.
Quasitthi sprach, daß sie durchaus keine Heilige sei, denn weder fühle sie irgendeine Liebe zu andern Menschen, noch koste es sie eine Anstrengung, sich zum frommen Bettlerleben zu wenden; vielmehr erschienen ihr alle andern Menschen unsinnig, weil sie nicht so handeln würden wie sie, und ihre Art als etwas Heiliges auffassen. Freilich müsse sie sich selbst wundern, daß solche Erleuchtung erst jetzt über sie gekommen und sie so lange in einem finstern Tal gewandelt sei.
Als der Räuber diese Worte gehört hatte, empfand er ein plötzliches Überströmen von dem leuchtenden Antlitz der Frau. Er warf den purpurnen Rock mit den goldenen Schellen ab und trat ihn mit Füßen, und dann sprach er: »Auch ich will mir das Haar scheren, und ich will ziehen als Bettlermönch, denn mein Herz ist überdrüssig der leeren Freude.«
Und er tat so, folgte ihr, die voraus ging mit weiten Schritten und in die Ferne schauend, und sie gingen die schmalen Wege zwischen den Feldern, wo arbeitende Bauern sich aufrichteten, die Hand über die Augen legten und ihnen nachschauten; durch die Dörfer huschten ihre nackten Füße, und ihre geschorenen Häupter, geneigt auf die braune Kutte, wurden gesehen vor den ärmlichen Hütten; die Hand streckten sie aus, bittend mit dem hölzernen Napf, sammelten armselige Brocken der müden Arbeiter, ihnen eine Wohltat erweisend durch die Gelegenheit zum Schenken; und auf den blumigen Pfaden des Urwalds wanderten sie, die von den wilden Tieren getreten waren; über ihnen stiegen hoch die gewaltigen Baumstämme, umklammert von Schlingpflanzen, die sich hinschwangen von Baum zu Baum, so hoch, daß sie eben noch den Rücken der Elefanten streiften, des größten Tieres, das diese stillen Pfade ging. Ohne Gespräch wanderten sie.
Aber nach Wochen sprach Quasitthi zu dem Räuber: »Ich höre aus dem Klang deiner Schritte hinter mir, daß deine Gesinnung nicht mehr die gleiche ist, wie an dem Tage, wo du beschlossest, mir zu folgen. Du hast einen Irrtum begangen in deinem Entschluß, denn du bist nicht ein Mensch, welcher bestimmt ist, als ein frommer Bettler zu leben. Deshalb kehre zurück in deine Welt und handle nach dem Drange deines Blutes.«
Der Räuber erwiderte: »Du hast recht, ich scheute mich nur, dir von meiner Unlust zu sprechen. Länger kann ich nicht sein in diesem Leben, denn ich sehne mich, daß mir das Herz weh tut, und ich möchte mein fröhliches Roß wieder haben und meinen purpurnen Anzug, an dem die goldenen Schellen klingeln. Jetzt bin ich beständig traurig, aber ich würde wieder fröhlich sein, wenn ich auf Raub ausritte, und die Leute kommen demütig zu mir und bitten, weil sie nicht wagen, gegen mich zu kämpfen, oder auch, wenn einer sich verteidigt, der schwächer ist wie ich und schlechtere Waffen hat, so freue ich mich. Es hat mir leid getan, daß ich dein Kind ermordet habe im Zorn, und deine Weise gegen mich schien mir etwas sehr Großes. Aber gegen den Drang seines Blutes kann niemand sein Leben führen. Deshalb will ich mich von dir verabschieden mit vielem Dank für die Liebe und Güte, welche du gegen mich gehabt hast.«
So ging der Räuber und führte sein früheres Leben weiter; die Pilgerin aber schritt fürbaß in der Art, die sie angenommen hatte, und wanderte als eine fromme Bettlerin. Beide erreichten die Jahre, welche ihnen bestimmt waren, und dann starben sie, und da war, als ob sie ihre Füße nicht auf die Erde gesetzt hätten, denn der Wind wehte über die Straße, die sie gegangen, und ließ nicht ihre Spur, und es kamen andere Menschen, die gingen auf ihren Straßen und auch deren Spur ist verschwunden.