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Als die Mauren noch in Spanien herrschten, lebte in Granada ein sehr reicher maurischer Kaufherr, namens Sidi Numan, der hatte eine einzige Tochter Halilah. Diese Tochter wurde auf das beste erzogen, nicht nur in allen weiblichen Künsten und Fertigkeiten, sondern auch in vielen männlichen Wissenschaften. Indem Sidi Numan deshalb vorzügliche Lehrer für ihren Unterricht kommen ließ, verfiel er unter anderem darauf, einen jungen christlichen Ritter zu bitten, daß er sie das Mandolinenspiel lehre, der ein berühmter Meister im Gesang und Spiel war und sich damals um andere Geschäfte einige Zeit in Granada aufhielt. Der Ritter, welcher Pedro hieß, sagte aus Höflichkeit zu und kam an bestimmten Tagen in das Haus des Sidi Numan, und Halilah machte schnelle und große Fortschritte in der Kunst.
Weil nun die beiden jungen Leute oft nahe beisammen waren und nur eine uralte, geschwätzige Sklavin ihr Betragen beaufsichtigte, welche Halilah sehr liebte und für Pedro selbst eine Zuneigung empfand, also, daß sie ihn Halilah beständig anpries, geschah es natürlich, daß die beiden eine heftige Liebe zueinander faßten; dieselbe war ihnen aber ganz unbewußt, weil sie gar keine Schwierigkeiten hatten, einander zu betrachten und Gespräche zu tauschen. Sidi Numan jedoch, als ein sehr schlauer und vielerfahrener Mann, merkte bald, was geschah; war indessen nicht traurig darüber, wiewohl der Ritter anderen Glaubens war und dazu arm, denn auch er hatte zu dem schönen und edeln Jüngling eine Zuneigung gefaßt, und freute sich, Enkelkinder von ihm zu bekommen, dachte auch, daß er sein Geschäft werde übernehmen können. Weil er nun der Meinung war, der Ritter wage nicht zu ihm zu reden, so wollte er ihm durch scheinbar unbeabsichtigte Worte sein Bedenken nehmen und dergestalt Mut machen. Begann also bei einer passenden Gelegenheit folgendermaßen:
»Ich habe in meinen jungen Jahren und auch später auf meinen Reisen viele und verschiedene Länder gesehen und die Menschen kennen gelernt, welche sie bewohnen; so bin ich zusammengekommen mit Heiden, Juden, Feueranbetern, Christen und den Bekennern des Buddha. Da habe ich gefunden, daß nur geringe Unterschiede sind zwischen ihnen und den Bekennern des Propheten, und vielleicht sind diese Unterschiede mehr der besondern Art des Landes, des Bodens, der Berge, der Bespülung durch das Meer und Standes der Sonne geschuldet, wie dem verschiedenen Glauben, aus diesem Grunde denke ich, daß es zwar eine einzige Gottheit gibt, aber wie die heißt, das weiß niemand, und jedes Volk verehrt sie unter dem Namen und in der Form, wie es von seinen Vorfahren gelernt hat, also, daß meine und Halilahs Religion und dein Glaube nur der äußern Meinung nach verschieden wären, in Wahrheit sich aber auf dasselbe göttliche Wesen bezögen. Ein anderer Unterschied aber ist mir aufgefallen zwischen den Menschen, so viele ich gesehen habe, der schien mir viel wichtiger, wie alles sonstige Trennende. Die einen Menschen sind klug und gewandt und verstehen, daß sie bei diesen so sein müssen und bei jenen anders, und haben gelernt, daß das Wichtigste im Leben das Besitzen ist und das Zweitwichtigste das Erwerben, wodurch wir Besitz erlangen und erhalten; denn wer besitzt ist ein Herr und wer nicht besitzt ist ein Sklave. Die andern Menschen aber sind störrisch und unbeweglich und halten es für eine Schande und Unmöglichkeit, nicht immer dieselben zu sein, kümmern sich nicht um Besitz und Erwerb, sondern leben, wie es ihnen gut dünkt und ihrem leeren Hochmut angemessen scheint. Solcher Männer, denn bei den Frauen findet man diese Gemütsart selten, gibt es am meisten im Ritterstande; aber auch Söhne reicher Kaufleute habe ich oft in dieser Torheit beharrend gesehen. Ihr aber, lieber Sohn, seid ein tüchtiger und ernster Herr, welcher wohl weiß, daß die wirklichen Dinge größeren Wert haben wie die erträumten.«
Der unschuldige Herr Pedro verstand nicht, was Sidi Numan mit der Rede sagen wollte, und obwohl Halilah in großer Angst ihm heimlich unterm Tisch auf den Fuß trat, welches das erste Zeichen ihrer Liebe zu ihm war, sagte er doch fröhlich und unbekümmert seine andere Meinung, denn er dachte, Halilahs Fuß sei nur durch Zufall auf den seinen gekommen. Er erwiderte aber folgendermaßen:
»Ihr seid ein alter und erfahrener Mann, und es schickte sich schlecht für mich, wenn ich Euch meine jugendliche Rede entgegensetzen wollte, Eure Gedanken zu ändern. Aber da ich doch eine andere Meinung über diese Dinge habe, so will ich sie Euch nicht verbergen; denn ich habe gesehen, daß, auch ungerechnet Erfahrung und Klugheit, alte Leute oft anders denken, wie wir jungen, weil sie mehr auf das Nützliche achten wie wir und weniger gläubig sind; und vielleicht werde ich selbst als alter Mann Eurer Ansicht sein, welches mir jedoch nach meiner heutigen Verfassung recht schmerzlich wäre. Und was nun erstlich den Glauben betrifft, so lasse ich es dahin gestellt, ob es Gott beliebt hat, sich verschieden zu offenbaren nach der verschiedenen Art und Kraft der Menschen; aber ich meine, ein jeder muß den Glauben für richtig halten, den er von seinen Eltern geerbt hat, jeden andern aber für falsch, denn sonst ist er ein untreuer Mann; weil er nämlich so viele Wohltaten genossen von seinem Gott, welcher ihm doch gesagt hat, daß sein Glaube allein wahr ist, und nichts weiter verlangt für seine Wohltaten als die Treue solchen Glaubens; ebenso, wie wenn ich einen weltlichen Herrn habe, der mir Geld gibt oder Land, so muß ich ihm allein gehorchen und darf nicht denken, andere seien auch Herren. Nun kommt aber noch dazu, daß nach meiner Meinung unser Glaube viel besser ist, denn der Eurige (andere aber, heidnischen und Feuerglauben kenne ich nicht), denn wir haben einen Versöhner mit Gott in Gottes Sohn, Ihr aber müßt, wie ich wenigstens denke, verzweifeln in Euern Sünden; dazu meint Ihr, die Frauen hätten keine Seele, während sie doch eine viel schönere und edlere Seele haben wie wir Männer, welche in der Not und Gefahr des Lebens hart und unbillig werden. Was nun das andere betrifft, von den zweierlei Menschen, so habt Ihr recht und es liegt der Unterschied im Geblüt. Aber ich denke, daß ein reicher Mann wohl seinen Besitz bewahren und schützen soll und ein Armer sein Brot auf ehrliche Weise verdienen, aber wer zu eifrig ist im Erwerb, der ist meistens unedel, und weit entfernt, ein Herr zu werden durch das Geld, wird er nur ein Leibeigener seines Mammons und zieht auch noch andere nach sich durch solche Niedrigkeit. Denn frei ist man wohl leichter, wenn man reich ist, aber auch der Arme, wenn er adlige Gesinnung hat, kann ein freier Mann sein.«
Als Don Pedro so gesprochen hatte, stand Sidi Numan auf, und seine Augen blitzten böse; er strich seinen langen Bart mit der Hand, welche vor Ärger zitterte, grüßte den Ritter mit großer Ehrerbietung und ging fort. Halilah begann bitterlich zu weinen und sprach dann zu Pedro, daß er schnell fliehen müsse aus Granada, denn ihr Vater werde ihm nachstellen und nicht ruhen, bis er ihn habe ermorden lassen. Hierüber, wie über alles andere war der Ritter sehr verwundert und fragte nach dem Grunde. Da sagte sie, daß er ihren Vater tief beleidigt habe; denn als Sidi Numan geredet, sei ihr selbst ganz kalt geworden, weil sie sich geschämt über solch niedrige Gesinnung; er aber, Don Pedro, habe sich gewiß über diese Niedrigkeit gar keine Gedanken gemacht und ihm ganz harmlos geantwortet, denn er lebe in einer anderen Welt und betrachte einen anderen Menschen ganz gleichgültig, wie eine Mauer oder einen Baum: das sei ihrem Vater klar geworden, daß er ihn immer verachtet habe und noch verachte, wennschon ihm das selbst nicht bewußt sei; und dadurch habe er einen tödlichen Haß auf ihn geworfen.
Don Pedro dachte eine Weile nach, und es erschien ihm richtig zu sein, was Halilah sagte. Aber als er sich nun klar machte, daß er plötzlich fliehen solle und alles liegen lassen, was er in Granada hatte, da fühlte er eine heftige Liebe zu Halilah und zugleich ein tiefes Mitleid mit ihr, daß sie zwischen den Mauren bleiben solle, die von allen Frauen niedrig dachten, und dann einen solchen Mann heiraten, der sie nicht ehrte, wie ein Christ sein Weib ehrt, sondern einsperrte, wie eine leichtfertige Buhlerin. Das sagte er ihr nun alles mit ausführlichen Worten, wenngleich unter Stocken und häufigem Erröten. Sie freute sich sehr über seine Liebe und versprach ihm, daß sie mit ihm fliehen wolle, sich taufen lassen, weil sie durch ihn Christum schon lange lieben gelernt, und sein Weib werden. Da wurden die beiden recht ernst, und der Ritter erzählte ihr von seinen alten Eltern und ihrer Zucht und Ehrbarkeit, und von seinem Hause und kniete nieder und betete zu Gott, daß er ihnen helfen möge. Dann verabredeten sie alles zur Flucht, und waren recht getröstet, denn Pedro sagte, daß Gott sie beschützen werde, wenn es sein Wille sei; sollte ihnen aber ein Unheil zustoßen, welches er indessen mit allen Kräften vermeiden wolle, so sei auch das in Gottes Ratschluß gelegen, der am besten wisse, was den Menschen gut sei, auch in scheinbarem Unglück. So ging er von ihr, besorgte in Eile alles, wie es besprochen war, und entwich noch in derselben Nacht heimlich mit Halilah, nachdem er sie auf ein Maultier gesetzt hatte, welches er am Zügel führte; und als der Morgen anbrach und Sidi Numan die Flucht seiner Tochter entdeckte, waren sie schon viele Stunden weit von Granada entfernt und machten Rast in einem dichten Wald, weil sie der Vorsicht halber nur des Nachts reisen wollten. Hier stieß Don Pedro sein Schwert in den Boden, weil der Griff in Kreuzesform gebildet war, und schwur, daß er Halilah nicht berühren werde, bis sie sein eheliches Weib geworden sei.
Sidi Numan aber nahm Leute an und versprach ihnen viel Geld und machte sich auf das Suchen nach den Entflohenen; und in wenigen Tagen erreichte er sie, die unter einem hohen und steilen Felsen saßen und über einem angezündeten Feuer sich Speise bereiteten. Als die beiden die Verfolger nahend spürten, weil sie wußten, daß es keine andere Rettung für sie gab, erklommen sie den Felsen, welcher wie ein Turm in die Höhe stieg, und da immer nur ein Mann auf den schmalen Vorsprüngen des Steins, und sich an Gestrüpp und verdorrendem Rasen festhaltend, heraufzuklettern vermochte, so hoffte Pedro, daß er diesen Zufluchtsort auch gegen viele werde verteidigen können.
Als Sidi Numan die beiden auf der obersten Spitze sah, getröstet nebeneinander stehend, und Halilah hatte dem Ritter die Hand gereicht, da rief er ihnen zu, daß er seiner Tochter, weil sie sein einziges Kind sei, verzeihen wolle, wiewohl sie Schande über sein Haupt gebracht habe, daß er es nie mehr werde hochtragen dürfen; aber sie solle freiwillig den Felsen verlassen und zu ihm herabkommen; Don Pedro aber werde er durch seine mitgebrachten und geschickten Bogenschützen erschießen lassen. Da erschraken die beiden, denn sie hatten nicht daran gedacht, daß die Pfeile sie erreichen würden; und besprachen sich.
Zuerst sagte der Ritter, sie solle dem Willen ihres Vaters gehorchen, denn weil er selbst doch auf jeden Fall sterben werde, so sei es besser, wenn sie wenigstens am Leben bliebe. Die Jungfrau aber antwortete ihm: »Zwei Gründe hindern mich, diesem Rate zu folgen. Erstens sagt mir mein Gewissen, daß ich bei dir bleiben muß, weil ich zu dir gehöre und du mein Herr bist. Zweitens aber, wenn ich auch die Stimme des Gewissens überhörte und mich rettete, dich aber dem Tod ließe, so würde ich sehr lange mich nach dir sehnen und unglücklich sein. Nun heilt zwar die Zeit am Ende solche Wunden, und ich habe beobachtet, daß Menschen, welche ähnliche Schläge des Schicksal erlitten, nach Jahren doch wieder ruhig und glücklich geworden sind. Offenbar aber ist das nur dadurch möglich, daß sie in dieser Zeit ihr Wesen geändert haben, und nach meiner Meinung in der Richtung zum Schlechteren und Niedrigen; denn wenn sie so gut geblieben wären, wie sie gewesen, so wäre doch ihr Gewissen nie beruhigt und sie waren nicht zufrieden geworden mit einem geringeren Glück, nachdem sie ein größeres erhofft. Ich aber freue mich, daß ich jetzt einen hohen Willen habe, und will nicht niedriger werden. Und da auch mir scheint, wie du zu meinem Vater sagtest, daß die Menschen, wenn sie älter werden, in den meisten Fällen sich mehr der Gemeinheit zuneigen wie in jungen Jahren, welches man schon an den Gesichtern der älteren sehen kann, und da ich nicht weiß, ob auch ohne unser gegenwärtiges Unglück, wenn alles gut ginge, meine Seele nicht abnähme, so ist es sogar ein großes Glück, wenn ich jetzt sterben darf. Wenigstens ist das sicher, daß ich dann allem weiteren Unfall enthoben bin, welcher mich doch gewiß noch treffen würde; an allem weiteren Glück aber liegt mir nichts, denn es kann doch nicht schöner und größer sein, als ich es in diesen letzten Tagen empfunden habe.«
Und indem sie auf der Spitze des Felsens klar gegen den Himmel standen, schien es denen unten, als umstieße sie ein lichter Schein; einer der Schützen wies mit dem Finger, schrie und sprach: »Siehe da, zwei Engel des Himmels.« Der Jüngling konnte auf der Jungfrau Worte nichts entgegnen, sondern mußte zugeben, daß sie recht hatte. Deshalb rief er dem harrenden Sidi Numan zu, daß sie seinen Vorschlag nicht annehmen wollten, sondern gewillt seien, zusammen zu sterben. Dann küßte er sie zärtlich und liebevoll auf ihre weiße Stirn, und indem ihnen beiden die Tränen in die Augen traten, weil sie als so junge Leute schon sterben mußten, umarmten sie sich und stürzten sich von dem Felsen herab.
Sidi Numan ritt zu ihren Leichen, welche nicht entstellt waren durch den Sturz, und betrachtete sie lange. Dann hieß er seinen Leuten sie aufrichten und an die Bäume lehnen, und befahl seinen Schützen, ihnen durchs Herz zu schießen. Die Schützen spannten schweigend ihre Bogen, schossen und trafen; der eine aber, nachdem er geschossen, zerbrach sein Gewehr, warf es Sidi Numan vor die Füße und ging fort. Der ergriff des anderen Bogen, spannte ihn nochmals und wollte auf den Fortgehenden anlegen; aber plötzlich wurde sein Antlitz noch blasser, wie es schon war, und er zielte auf die Leiche Halilahs und durchbohrte ihre Brust noch mit einem zweiten Pfeil.