Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10.

Erst in Frankfurt lernte ich das Soldatenleben kennen. Bis dahin war ich nur einfacher Rekrut gewesen, jetzt wurde ich Soldat. Ich spreche hier nicht vom Exerciren, nein! Die Art und Weise, wie man auf Commando Augen rechts! und Augen links! machen, Vordermann halten, beim Laden die Hand an den untern oder den Mittlern Gewehrring legen, anschlagen und Gewehr auf! machen muß – das lernt man mit gutem Willen in ein oder zwei Monaten. Aber ich lernte Disciplin d. h. daß der Korporal immer Recht hat, wenn er mit dem Soldaten, der Sergeant, wenn er mit dem Korporal, der Feldwebel, wenn er mit dem Sergeanten, der Seconde-Lieutenant, wenn er mit dem Feldwebel spricht, und so fort bis zum General-Feldmarschall – sollte auch der Vorgesetzte behaupten, daß zwei und zwei fünf sei, oder daß am hellen, lichten Tage der Mond scheine.

Das will einem schwer in den Kopf, aber ein Ding erleichtert einem das Verständniß nicht wenig: nämlich eine Art Placat, welches in den Stuben angeschlagen ist, und welches von Zeit zu Zeit vorgelesen wird, um einem das Begriffsvermögen zu stärken. Dies Placat setzt Alles voraus, was zu thun einen Soldaten gelüsten kann, wie z. B. in die Heimat zurückzukehren, den Dienst zu verweigern, sich seinem Vorgesetzten zu widersetzen u.s.w., und das endet immer mit dem Tode oder zum Wenigsten mit fünf Jahr Galeerenstrafe.

Am Tage nach unserer Ankunft in Frankfurt schrieb ich an Herrn Goulden, Katherine und Tante Gredel – und man kann sich denken, mit welcher Rührung und Ergriffenheit. Indem ich mich so gegen sie aussprach, war mir, als ob ich noch immer bei ihnen wäre. Ich erzählte ihnen von den Strapazen, von den Wohlthaten, die mir in Mainz zu Theil geworden, und von dem Muthe, dessen es bedurfte, um mich vor dem Liegenbleiben zu bewahren. Auch schrieb ich ihnen, daß ich Gott sei Dank immer munter und gesund sei, mich kräftiger fühle als vor dem Ausmarsche und sie viel tausendmal umarme und küsse.

Ich schrieb auf unserer Stube, mitten unter meinen Kameraden, und die Pfalzburger trugen mir Grüße für ihre Familie auf. Kurzum, es war ein schöner Augenblick.

Dann schrieb ich auch nach Mainz an die braven Leute in der Kapuzinerstraße, die mich gewissermaßen vor der Verzweiflung gerettet hatten. Ich setzte ihnen auseinander, daß der Sammelruf mich an jenem Morgen zu unverzüglichem Aufbruch genöthigt und ich gehofft hätte, sie wiederzusehen und ihnen meinen Dank abzustatten, daß sie mir aber, da das Bataillon auf der Stelle nach Frankfurt abgegangen wäre, verzeihen möchten.

Am Nachmittage desselben Tages wurden wir eingekleidet. Einige Dutzend Juden drängten sich bis unter die Arkaden, und Jeder verkaufte seine Civil-Effekten an sie. Ich behielt nur meine Hemden, meine Strümpfe und meine Schuhe. Die Italiener hatten große Noth, sich diesen Händlern verständlich zu machen, die Alles für ein Nichts an sich bringen wollten, die Genueser aber waren eben so gerieben wie die Juden, und daher dauerten die Erörterungen und Auseinandersetzungen bis in die Nacht. Unsere Korporale wurden jetzt mehr als einmal traktirt; man mußte sie sich zu Freunden machen, da sie uns Morgens und Abends auf dem schneebedeckten Hofe im Exerciren übten. Die Marketenderin Christine saß dabei immer in ihrem Winkel, die Feuerkieke unter den Füßen, und widmete allen jungen Leuten von gutem Herkommen – so nannte sie nämlich diejenigen, die etwas drauf gehen ließen – die gebührende Aufmerksamkeit und Achtung. Wie Viele von uns ließen sich da nicht bis zum letzten Heller ausziehen, um sich »junge Leute von gutem Herkommen« nennen zu hören! Später waren sie natürlich nur noch Lumpenpack! aber was wollt ihr? Die Eitelkeit! ... die Eitelkeit! ... sie verdirbt das ganze menschliche Geschlecht vom Rekruten bis zum General.

Während dieser Zelt kamen täglich neue Rekruten aus Frankreich und aus Polen Karren voll Verwundeter an. Welches Schauspiel vor dem Heiligen Geist-Spitale auf der andern Seite des Flusses! Es war ein endloser Zug! Alle diese Unglücklichen hatten erfrorene Gliedmaßen: dem Einen war die Nase, dem Andern die Ohren, einem Dritten ein Arm, einem Vierten ein Bein erfroren, und man legte sie daher in den Schnee, damit sie nicht in Stücke fielen. Ihre Kleidung war die elendeste, die man sich denken kann: Weiberröcke, abgeschabte Pelzmützen, eingedrückte Tschakos, Kosakenmäntel u.s.w. Um die Füße hatten sie Taschentücher oder Hemden gewickelt. Nur mit Mühe kletterten sie von den Wagen herab und schauten Einen dabei mit ihren eingesunkenen Augen und wirr um das Gesicht hängenden Haaren an wie wilde Thiere. Die Zigeuner, die ihr Nachtquartier in den Wäldern haben, hätten Mitleid mit ihnen gehabt! Und doch waren das noch die glücklichsten, da sie dem Tode entronnen waren, während Tausende ihrer Kameraden im Schnee oder auf den Schlachtfeldern ihr Ende gefunden hatten.

Klipfel, Zebede, Fürst und ich besuchten die Unglücklichen. Sie erzählten uns das ganze Unglück von der Eroberung Moskaus ab, und ich sah nun wohl, daß das fürchterliche neunundzwanzigste Bulletin nur die Wahrheit gesagt hatte.

Diese Erzählungen brachten uns gewaltig in Harnisch gegen die Russen. Mehrere von uns sagten: »Ha! wenn's nur bald wieder losginge! Diesmal sollen sie ordentliche Schläge besehen ... es ist noch nicht aller Tage Abend!« Ihre Wuth steckte sogar mich an, und zuweilen dachte ich: »Joseph, bist du denn jetzt verrückt? Die Russen vertheidigten ihr Land, ihre Familien, Alles, was dem Menschen am heiligsten auf Erden ist. Hätten sie es nicht gethan, so würde man sie mit Recht verachten.«

Um diese Zeit fiel noch etwas Außergewöhnliches vor.

Ihr müßt nämlich wissen, daß mein Bettkamerad Zebede der Sohn des Pfalzburger Todtengräbers war, und daß wir ihn daher zuweilen unter uns: »Todtengräber« nannten. Von uns ließ er sich das gefallen. Als er aber eines Abends nach dem Exerciren über den Hof ging, rief ihm ein Husar zu:

»He da! Todtengräber! hilf mir diese Strohbündel fortschaffen!«

Zebede drehte sich um und erwiderte ihm:

»Ich heiße nicht Todtengräber, und Sie haben Ihre Strohbündel selbst zu tragen! Halten Sie mich etwa für einen Dummkopf?«

Darauf schrie der Andere noch lauter:

»Rekrut, willst du wohl herkommen, oder nimm dich in Acht!«

Zebede mit seiner Habichtsnase, seinen grauen Augen und dünnen Lippen war durchaus keine sanftmüthige Seele. Er ging auf den Husaren zu und fragte ihn:

»Was sagen Sie da?«

»Ich sage dir, du sollst diese Strohbündel fortschaffen, und das schnell – verstehst du, Rekrut?«

Es war ein Alter mit Schnurrbart und dickem, rothen, kurz geschorenen Backenbart, wie er in Chambord Mode ist. Zebede packte ihn an der einen Hälfte des Backenbarts, der Andere aber gab ihm ein Paar tüchtige Ohrfeigen. Trotzdem blieb eine Handvoll Haare in Zebede's Händen, und da der Streit eine Menge Menschen herbeigezogen hatte, sagte der Husar, indem er mit dem Finger drohte:

»Rekrut, morgen früh wirst du von mir hören.«

»Schön,« entgegnete Zebede, »wir werden sehen. Auch Sie werden von mir hören, Alter.

Dann kam er sogleich zu mir, um mir die Geschichte zu erzählen, und ich, der ich wußte, daß er nie auch nur eine gewöhnliche Hacke gehandhabt hatte, zitterte unwillkürlich für ihn.

»Höre, Zebede,« sagte ich, »da du nicht desertiren kannst, bleibt dir jetzt nichts Anderes übrig, als den Alten um Verzeihung zu bitten. Denn diese Veteranen sind Alle auf fürchterliche Hiebe eingeübt, die sie aus Aegypten, Spanien und anderswoher mitgebracht haben. Glaube mir! Wenn du willst, borge ich dir einen Thaler, damit du eine Flasche Wein für ihn bezahlen kannst – das wird ihn besänftigen.«

Er aber runzelte die Stirn und wollte von nichts hören.

»Ehe ich mich entschuldigte, würde ich mich lieber auf der Stelle aufhängen,« sagte er. »Ich schere mich den Teufel um alle die Husaren zusammen genommen! Wenn er gute Hiebe kennt, so habe ich lange Arme und an der Spitze meines Säbels ebenfalls Hiebe sitzen, Hiebe, die ihm eben so gut in die Knochen, als mir die seinen ins Fleisch schneiden werden.«

Er war noch empört über die Ohrfeigen.

Gleich darauf kamen der Fechtmeister Chazy, der Korporal Fleury, Klipfel, Fürst und Leger. Sie Alle gaben Zebede Recht, und der Fechtmeister behauptete, die Ohrfeigen könnten nur mit Blut abgewaschen werden, und es wäre eine Ehre für die neuen Rekruten, sich zu schlagen.

Zebede entgegnete, die Pfalzburger hätten noch nie vor einem Aderlasse Furcht gehabt, und er wäre bereit. Der Fechtmeister begab sich darauf zum Compagnie-Chef Florentin, dem prächtigsten Menschen, den man sich nur denken kann; er war groß und hager, hatte eine geradlinige Nase und breite Schultern und in der Schlacht bei Eylau das Kreuz der Ehrenlegion erhalten. Der Hauptmann fand es sehr einfach, daß man sich wegen einer Ohrfeige duellire. Er meinte sogar, das würde ein gutes Beispiel für die Rekruten sein, und wenn Zebede sich nicht schlage, wäre er nicht würdig, noch ferner dem dritten Bataillon des sechsten Regiments anzugehören.

Ich konnte die ganze Nacht kein Auge schließen. Ich hörte meinen Kameraden neben mir schnarchen und dachte: »Armer Zebede, morgen Abend wirst du nicht mehr schnarchen!« Es schauderte mich, neben einen solchen Menschen gebettet zu sein. Gegen Morgen war ich endlich etwas eingeschlafen, als ich plötzlich einen kalten Luftzug verspüre. Ich öffne die Augen, und was erblicke ich? Den alten, rothbärtigen Husaren, der unsere Bettdecke weggezogen hatte und rief:

»He da, aufgestanden, Faulpelz! Ich will dich lehren, mit was für Holz ich mich wärme.«

Zebede richtete sich auf und erwiderte:

»Ich schlief, Veteran, ich schlief.«

Als der Andere sich Veteran nennen hörte, wollte er über meinen Kameraden herfallen, zwei lange, große Schlingel aber, die ihm als Zeugen dienten, hielten ihn zurück, und außerdem waren auch alle Pfalzburger auf dem Platze.

»Wir wollen sehen ... wollen sehen ... schnell! schnell!« ... schrie der Alte.

Aber Zebede kleidete sich ohne alle Ueberstürzung an. Nach einigen Minuten fragte er:

»Wird es uns auch gestattet werden, das Quartier zu verlassen?«

»Hinter dem Arrestlokal ist Platz genug zum Schlagen,« erwiderte einer von den Husaren.

Es war das ein mit Brennnesseln bewachsener Fleck hinter dem Wasserfang der Arreststube, den eine Mauer einschloß, und den man von unsern Stubenfenstern aus sehr gut sehen konnte, da er gerade darunter nach dem Flusse zu lag.

Zebede zog seinen Mantel an und sagte, indem er sich an mich wandte:

»Joseph, und du, Klipfel ... ich wähle euch zu meinen Zeugen.«

Ich aber schüttelte den Kopf.

»Nun, dann komm du mit, Fürst!« sagte er.

Und Alle stiegen zusammen die Treppe hinunter.

Ich hielt Zebede für verloren. Das schmerzte mich tief und ich dachte: »Seht, nicht genug, daß die Russen und Preußen uns niedersäbeln, nun bemengen sich auch noch die Unsern damit!«

Die ganze Stube stand an den Fenstern, nur ich blieb hinten auf dem Bette sitzen. Nach fünf Minuten machte mich das Klirren der Säbel unten todtenblaß: ich hatte keinen Tropfen Blut mehr in den Adern.

Aber das dauerte nicht lange, denn plötzlich rief Klipfel:

»Touchirt!«

Nun weiß ich nicht, wie ich ans Fenster kam, als ich aber den Andern über die Schultern blickte, sah ich, wie der Husar an der Mauer lehnte und Zebede sich mit blutgeröthetem Säbel aufrichtete: er war während des Kampfes auf die Kniee gefallen. Der Säbel des Alten, der beim Stoße weit ausfiel, war über seine Schulter hingefahren, und er hatte, ohne eine Secunde zu verlieren, den seinen dem Husaren in den Leib gestoßen. Wenn er nicht das Glück gehabt hätte, auszugleiten, würde der Alte ihm das Herz durchbohrt haben.

Das Alles sah ich mit einem einzigen Blick.

Der Husar sank gegen die Mauer, seine Zeugen hielten ihn bei den Armen aufrecht, und Zebede, der todtenblaß geworden war, sah seinen Säbel an, wahrend Klipfel ihm den Mantel hinhielt.

Gleich darauf schlug man Reveille, und wir gingen zum Früh-Appell hinunter. Es war das am 18. Februar. Am selben Tage erhielten wir Ordre, uns marschfertig zu machen, und marschirten von Frankfurt nach Seligenstadt, wo wir bis zum 8. März blieben. Alle Rekruten wußten jetzt mit dem Gewehre und dem Exerciren in Zügen umzugehen. Von Seligenstadt marschirten wir am 9. März nach Schweinheim, und am 24. März 18l3 vereinigte sich das Bataillon mit der Division in Aschaffenburg, wo der Marschall Ney uns Revue passiren ließ.

Der Hauptmann der Compagnie hieß Florentin, der Lieutenant Bretonville, der Bataillons-Commandeur Gemeau, der Bataillons-Adjutant Vidal, der Oberst des Regiments Zapfel, der General der Brigade Ladoucette, und der General der Division Souham – das muß jeder Soldat wissen, wenn er nicht wie ein Blinder umhermarschiren will.


 << zurück weiter >>