Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9.

Am andern Morgen erwachte ich gegen sieben Uhr. Ein Trompeter an der Ecke der Kapuzinerstraße blies zum Sammeln; Alles regte sich: man hörte Pferde, Wagen und Menschen vorüberziehen. Mir thaten die Füße zwar noch etwas weh, aber im Vergleich zu den vorigen Tagen war das nichts. Als ich reine Strümpfe angezogen hatte, fühlte ich mich wie neu geboren. Ich war fest auf den Beinen und sagte zu mir selbst: »Wenn das so fortgeht, Joseph, wirst du der reine Springinsfeld. Nur der Anfang ist schwer.«

In dieser glücklichen Stimmung kleidete ich mich an.

Die Bäckerfrau hatte meine Schuhe, nachdem sie dieselben mit heißer Asche gefüllt, damit sie nicht zusammenkröchen, zum Trocknen neben den Ofen gestellt. Sie waren gut geschmiert und glänzten.

Endlich nahm ich meinen Tornister auf den Rücken und stieg, ohne mir Zeit zu nehmen, den braven Leuten, die mich so gut aufgenommen hatten, meinen Dank abzustatten, die Treppe hinunter. Ich gedachte dieser Pflicht nach dem Appell zu genügen.

Auf dem Platze am Ende der Straße standen schon viele von unsern Italienern wartend und zähneklappernd um den Springbrunnen herum. Fürst, Klipfel und Zebede kamen einen Augenblick später an.

Auf der ganzen einen Seite des Platzes erblickte man nichts als Kanonen und Laffeten. Badische Husaren, unter denen sich auch einige Trainsoldaten und Dragoner befanden, führten ihre Pferde zur Tränke.

Uns gegenüber lag eine Kavallerie-Kaserne, so hoch wie die Pfalzburger Kirche, und auf den andern drei Seiten des Platzes erhoben sich alte, spitzgieblige, mit Sculpturen geschmückte Häuser wie in Zabern, nur waren sie weit größer. Ich hatte noch nie dergleichen gesehen. Als ich mich aber aufmerksam umsah, begannen die Trommeln zu wirbeln. Jeder nahm seinen Platz im Gliede ein. Hauptmann Vidal eilte mit dem Mantel auf der Schulter herbei. Aus einer Thorwölbung uns gegenüber kamen Wagen zum Vorschein, und man schrie uns erst auf Italienisch, dann auf Französisch zu, man würde die Waffen vertheilen, und Jeder müsse beim Aufrufen seines Namens vortreten.

Die Wagen hielten zehn Schritt vor uns still, und der Appell begann. Jeder trat ans dem Gliede, sobald die Reihe an ihn kam, und empfing eine Patrontasche, einen Säbel, ein Bajonett und eine Flinte. Man hing sich das über die Blouse, den Rock oder den Kittel, und so sahen wir mit unsern Hüten, Mützen und Waffen wie eine wahre Räuberbande aus. Ich empfing eine Flinte, die so groß und schwer war, daß ich sie kaum schleppen konnte. Und da die Patrontasche mir beinahe bis auf die Waden herabhing, zeigte mir der Sergeant Pinto, wie man die Riemen kürzer schnallt. Das war ein braver Mann.

Alle diese Wehrgehänge, die mir kreuzweis über die Brust liefen, schienen mir etwas Schreckliches, und ich sah nun wohl ein, daß unsere Noth nicht so bald ein Ende haben würde.

Nachdem die Waffen vertheilt waren, näherte sich ein Munitionswagen, und man gab jedem von uns fünfzig Patronen, was nichts Gutes verkündete. Dann, anstatt uns abtreten zu lassen und uns in unsere Quartiere zu schicken, wie ich erwartete, zog Hauptmann Vidal seinen Degen und commandirte:

»In Gliedern rechts um! ... Vorwärts! ... Marsch!«

Und die Trommeln begannen zu wirbeln.

Ich war untröstlich, daß ich meinen Wirthsleuthen nicht einmal für das Gute danken konnte, was sie an mir gethan hatten. »Sie werden dich für einen Undankbaren halten!« sagte ich zu mir selbst. Doch ich mußte wohl oder übel mit den Andern weiter.

Wir marschirten durch eine lange, gewundene Straße und befanden uns plötzlich außerhalb des Glacis am Ufer des Rheins, der in unabsehbarer Weite mit Eis bedeckt war. Auf dem gegenüberliegenden Ufer erhoben sich hohe Berge und auf diesen altersgraue, verfallene Schlösser, die den Burgen Haut-Bar und Geroldseck in den Vogesen glichen.

Das ganze Bataillon stieg nun zum Rhein hinunter, den wir überschritten. Es war ein prächtiger, blendender Anblick. Wir befanden uns nicht allein auf dem Eise: fünf- oder sechshundert Schritte vor uns bewegte sich ein Pulvertransport, der von Trainsoldaten geleitet wurde, auf der Straße nach Frankfurt zu. Das Eis war übrigens nicht glatt, sondern mit einer Art Rauhreif bedeckt.

Nachdem wir auf dem andern Ufer angelangt waren, ließ man uns einen Weg einschlagen, der sich zwischen zwei Berghalden hinzog.

Wir marschirten in dieser Weise fünf Stunden lang. In den Krümmungen des Gebirges erblickten wir bald zur Rechten, bald zur Linken zahlreiche Dörfer, und Zebede, der neben mir marschirte, bemerkte:

»Da es denn einmal marschirt sein muß, ist's mir lieb, daß es in den Krieg geht. Wir werden wenigstens alle Tage etwas Neues sehen, und wenn wir so glücklich sind, wieder nach Hause zu kommen, werden wir alles Mögliche erzählen können.«

»Gewiß,« entgegnete ich ihm, »aber mir wäre es doch weit lieber, wenn ich weniger zu wissen bekäme. Ich möchte lieber für meine eigene als für Rechnung Anderer leben, die ruhig zu Hause sitzen, während wir hier im Schnee herumwaten.«

»Du bringst den Ruhm nicht in Anschlag,« erwiderte er. »Er bedeutet aber doch etwas, der Ruhm.«

Und ich gab darauf zur Antwort:

»Der Ruhm ist nicht für uns, Zebede, sondern für Andere, die dabei gut leben, gut essen und gut schlafen. Wie man aus den Zeitungen ersieht, haben sie Bälle und Vergnügungen und den Ruhm noch obendrein, sobald wir ihn mit unsern Knochen, durch Schweiß und Hunger errungen haben. Die armen Teufel wie wir, die man zwingt, ins Feld zu ziehen, haben nicht viel Ehre davon, wenn sie am Ende zurückkommen, nachdem sie die Lust zur Arbeit und manchmal wohl auch ein Glied verloren haben. Eine Menge ihrer früheren Kameraden, die nicht tüchtiger waren als sie und wohl gar weniger gut arbeiteten, haben inzwischen in den sieben Jahren Geld verdient, ein Geschäft eröffnet, die Geliebten der Andern geheirathet, haben schöne Kinder, sind angesehene Männer, Stadträthe, vornehme Leute. Und wenn nun diejenigen, welche von der Jagd nach dem Ruhm und vom Menschengemetzel zurückkehren, mit ihren Chevrons auf dem Aermel vorübergehen, sehen jene sie über die Achsel an, und haben sie unglücklicher Weise eine rothe Nase, weil sie, während die Andern Wein schlürften, Schnaps tranken, um sich bei Wind und Wetter und auf den Eilmärschen zu erwärmen, so sagen sie: »Es sind Trunkenbolde!« Und jene Rekruten, die nichts Anderes verlangten, als zu Hause zu bleiben und zu arbeiten, werden am Ende eine Art Bettler! Das ist meine Ansicht von der Sache, Zebede. Ich finde das Alles nicht ganz recht und billig und sähe lieber, die Ruhmgierigen gingen selber in den Kampf und ließen uns in Frieden.«

Darauf erwiderte er mir:

»Ich denke ganz so wie du. Da wir aber einmal gefaßt sind, ist es besser, wir sagen, wir schlügen uns für den Ruhm. Man muß immer die Ehre seiner Stellung wahren und den Leuten den Glauben beibringen, man befinde sich wohl darin. Sonst wäre man im Stande, Joseph, und machte sich noch lustig über uns.«

Während wir über diese und einige andere Dinge unsere Gedanken austauschten, erblickten wir endlich einen großen Strom, was nach Aussage des Sergeanten der Main war, und an dem Strome ein Dorf, durch welches uns der Weg führte. Wir wußten den Namen des Dorfes nicht, machten aber Halt dort.

Wir traten nun in die Häuser, und jeder konnte sich Schnaps, Wein und Fleischwaaren kaufen. Wer kein Geld hatte, aß sein Schwarzbrot und sah den Andern zu.

Gegen sechs Uhr Abends gelangten wir nach Frankfurt. Diese Stadt ist noch älter als Mainz und voller Juden. Man führte uns nach einem Orte Namens Sachsenhausen, wo das zehnte Husarenregiment und badische Jäger in einer Kaserne lagen. Wie ich mir habe erzählen lassen, war das alte Gebäude früher ein Hospital gewesen, und ich glaube es gern, denn im Innern befand sich ein großer Hof mit gemauerten Arkaden. Unter diese Arkaden hatte man die Pferde eingestellt, und darüber wohnten die Mannschaften.

Durch zahllose Gassen, die so eng waren, daß man kaum die Sterne zwischen den Schornsteinen sah, gelangten wir endlich an den Ort unserer Bestimmung. Der Hauptmann Florentin und die beiden Lieutenants Clavel und Bretonville erwarteten uns. Nach dem Appell führten die Sergeanten uns detachementsweise in die Stuben, die über denen der Badenser lagen. Es waren das große Säle mit kleinen Fenstern. Zwischen den Fenstern standen die Betten.

Sergeant Pinto hing seine Laterne an den Pfeiler in der Mitte der Stube. Dann stellte jeder seine Waffen auf das Wehrgestell und entledigte sich, ohne ein Wort zu sagen, des Tornisters, der Blouse und der Schuhe. Zebede war mein Schlafkamerad. Gott weiß, ob wir müde waren. Nach zwanzig Minuten schliefen wir wie die Todten.


 << zurück weiter >>