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Nachdem Louis Napoleon die Republikaner und Legitimisten, seine ehemaligen Gönner, denen er zum guten Teil die Erhebung auf den Präsidentenstuhl der französischen Republik verdankte, durch den Staatsstreich grausam über seine vermeintliche Inferiorität enttäuscht hatte, bildete sich bald genug eine Opposition, die den Bonapartismus an der Wurzel, in der Person Napoleons I., zu treffen und zu vernichten suchte. Lamartine veröffentlichte seine »Geschichte der Restauration«, Graf d' Haussonville seine Studien über das Konkordat, Oberst Charras seine »Geschichte des Krieges von 1815«, Ampere seine »Römische Geschichte« – alle in der Absicht, den Ruhm des großen Korsen zu untergraben. Und da vor allem Thiers' »Geschichte des Konsulats und des Kaiserreichs« den Napoleonkultus geschaffen hatte, so schrieb Barni, um die Wirkung jenes Werkes zu paralysieren, sein » Napoleon et son historien«, Quinet den »Feldzug von 1815«, Lanfrey seine »Geschichte Napoleons I.«.
Neben Lanfrey fand die Reaktion gegen den Napoleonismus ihre eifrigsten Verfechter in zwei Romanschriftstellern: Emile Erckmann, geboren 1822 in Pfalzburg, und Alessandre Chatrian, geboren 1826 in Boldestenthal bei Pfalzburg im Nieder-Elsaß. Mit unermüdlichem Eifer widmeten diese beiden sich der Aufgabe, das Nutzlose, Gefährliche und Kostspielige der » gloire« und im Gegensatz dazu die Vorteile des Friedens darzutun, »die Jugend über die Eitelkeit des Kriegsruhms aufzuklären und ihr zu zeigen, daß nur Frieden, Freiheit und Arbeit glücklich macht«.
Es ist hier nicht der Ort, die Berechtigung dieser Tendenz gegenüber Napoleon zu untersuchen, d. h. die Frage zu erörtern, ob und warum die politische Moral von der gewöhnlichen Moral abweichen dürfe oder müsse – kurz, das Publikum hat sich zugunsten der Erckmann-Chatrianschen Romane entschieden. Und selbst diejenigen, welche mit Thiers der Ansicht sind, daß Napoleon nicht berufen war, »eine Freiheit zu begründen, die noch nicht existieren konnte, sondern die Revolution fortzusetzen unter monarchischen Formen«, die in seinen Kriegen etwas anderes sehen als bloße Raubzüge, auch diese haben den Werken der Elsässer Geschmack abgewonnen.
Der Grund dafür liegt darin, daß Erckmann und Chatrian es verstanden, die Tendenz dem künstlerischen Interesse unterzuordnen und die Polemik, die immer von der Tendenz unzertrennlich ist, in den Schranken weiser Mäßigung zu halten. Mit feinstem Takte wissen sie jede Beleidigung des Gegners durch unmotivierte Tiraden zu vermeiden. Nirgends begegnen uns Seiten, über die man die Achseln zucken müßte wie bei Lanfrey. Sogar an Stellen, wo die Tendenz oder eine Polemik, die dem Leser nicht behagt, scharf hervortritt, wissen die Autoren sie zu mildern durch die Figuren, denen sie sie in den Mund legen.
Dieser Umstand mildert einigermaßen die Größe des Vergehens, das die beiden Elsässer sich nach dem Kriege von 1870/71 gegen Deutschland zuschulden kommen ließen. Erckmann-Chatrian hatten in den sechziger Jahren ein bedeutendes Publikum bei uns gefunden und waren von unseren Kritikern stets mit sympathischer Milde behandelt worden; wie war man daher erstaunt in Deutschland, sie jetzt plötzlich in den vordersten Reihen der indirekten Revancheprediger zu sehen. Allerdings hüteten sie sich, die Friedenspredigt aus ihrem Programm zu streichen, aber während in ihren früheren Schriften der große Kaiser als die Wurzel alles Übels figurierte, wählten sie jetzt das deutsche Volk zum Sündenbock und stellten namentlich Preußen als den Störenfried dar, dessen barbarischer Kriegslust weder Ruhe noch Eigentum der lammfrommen grande nation heilig gewesen wäre. Sie ließen kein gutes Haar an uns, zum Danke ließen unsere Kritiker auch kein gutes Haar an ihnen – beide Parteien schütteten das Kind mit dem Bade aus.
Denn, wie gesagt, die Erckmann-Chatrianschen Romane haben zum Teil einen künstlerischen Wert, der unabhängig ist von der Tendenz. Er beruht auf der Art ihrer Charakter- und Sittenschilderungen. Wie Souvestre einst die Bretagne, haben die beiden das Elsaß zu ihrer literarischen Domäne gemacht. Und sie kennen ihr Besitztum durch und durch: von der Wohnung des Herrn de La Vablerie-Chamberlan in Pfalzburg bis zur Hütte des alten Adam Schmitt in Anstatt. Und wie mit den Häusern und der Landschaft, sind sie auch mit den Bewohnern vertraut. Sie gehen sozusagen bei deren Schilderung ganz in ihnen auf, denken und fühlen wie sie, und daher begegnet uns nirgends ein Mißklang zwischen der Gefühls- oder Ausdrucksweise und der gesellschaftlichen Stellung ihrer Figuren, wie etwa in den Dorfgeschichten der Sand.
Die »Geschichte eines Anno 1813 Konskribierten« erfreut sich bei uns besonderer Beliebtheit. Neben dem Interesse, das die Erzählung an sich erregt, mag dazu besonders der Umstand mitwirken, daß die Handlung sich auf vaterländischem Boden bewegt – wir haben uns daher auch eine Berichtigung einzelner geographischer Versehen des Originals angelegen sein lassen – und daß uns die große Zeit der Befreiungskriege in neuen und packenden Bildern hier von einem Ausländer wieder vor Augen geführt wird. Allerdings trifft uns ab und zu ein Seitenhieb, und namentlich die armen Sachsen läßt Joseph Bertha wegen ihres Abfalls während der Schlacht bei Leipzig (vgl. Abschnitt 19) seinen Zorn fühlen – er vergißt dabei, daß sie eben die passende Gelegenheit abwarten mußten, um nicht sich und ihren Herrscher nutzlos preiszugeben –, aber diese Ausbrüche sind so natürlich, so durch den Charakter Berthas als Franzose bedingt, daß die Erzählung gekünstelt erscheinen würde, wenn sie fehlten. Die Entrüstung des Besiegten ist durchaus natürlich. Zudem verhehlen die Autoren keineswegs, daß unser Krieg ein gerechter, unser Sieg ein notwendiger war nach dem Gesetze, nach dem sich die Menschheit fortentwickelt. Man lese nur die Rede des Pfarrers von Schweinheim im 11. Abschnitt. Die Revolution, Napoleon hatten ihre Sendung erfüllt – »jetzt ist es an uns, von Freiheit und Vaterland zu reden!« sagte der Alte ... »Ihr habt an eurer Spitze den größten Feldherrn der Welt, wir aber haben die ewige Gerechtigkeit für uns ... Mögen die Könige ein Bündnis mit euch schließen, die Völker werden nichtsdestoweniger gegen euch sein.« Diese Anerkennung der Gerechtigkeit unserer Sache von seiten des Gegners wird und muß jedem genügen.
Robert Habs.