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Die Grillen sangen zwischen dem Gras des Landwegs, am Rick standen Kühe bis über die Schenkel im Wasser und schleckerten.
Uff-uff.
Das ist soviel, als wenn wir sagen: »Gut oder delikat.«
Die Junisonne spiegelte sich in ihren weiß- und braungescheckten Rücken, und auf der Wiese herrschte eine erbitterte Schlacht zwischen braunen und grünen Käfern. Ganz fern, bei einer grünmoosigen Pfütze, wandelte ein alter Storch, der bei jedem Schritt ernsthaft mit dem Kopf nickte, als wäre er sehr mit dem Gesumm und dem Dunst des Sommers und der ganzen schläfrigen Stille einverstanden.
Aber schwer ist es, sehr schwer, zwischen den ausgefahrenen Geleisen des Feldwegs vorwärts zu wandern, zumal wenn ein alter, knarrender Wagen vor dir herfährt, den vier altersschwache Gäule kaum durch den Staub vorwärtszuziehen vermögen.
So setzte ich denn die letzte müde Kraft ein, bis ich neben dem Gefährt herschritt.
Der Kutscher, der auf seinem Bock herumschlotterte, hatte bereits einen schiefen Blick auf den Wandersmann geworfen.
»Na?« knasterte er.
Ich sah auf.
»Potz – Blitz.«
Wir hatten uns erkannt, und zum Gruß stieß er ein bißchen an seine Mütze. Sonst konnte ich keine besondere Freude an ihm über unser Wiedersehen entdecken. Doch hielt er immerhin mit zitternden Händen seine Schimmel an: »Hüh – – purr.«
»Hast noch ümmer kein Geld,« fragte er, sich über den Bock herabneigend, »für einen eigenen Wagen?«
Darauf konnte ich nur betrübt den Kopf schütteln und erwidern, daß mein Geschäft noch immer nicht soviel abwerfe. Der Alte hob die Hand zu dem zahnlosen Munde und wackelte hin und her: »Je, dein Vater war doch ein Handelsherr und ein Schiffsreeder, was is nu mit dir?«
»Leider Gottes, ich bin dämlich aus der Art geschlagen.«
»Ja, ja,« murrte der Alte, »Schnurrerwaar,« und damit rückte er brummend zur Seite, was von jeher die Erlaubnis bedeutete, neben ihm Platz zu nehmen.
Weiter ging's durch den summenden Sommertag.
»Warum fährst du jetzt mit vier Pferden?« hob ich an. Aber diese Frage stimmte den Kutscher sichtlich verdrießlich.
»Je,« kaute er und schlug auf die Tiere ein. »Warum? Es soll jetzt alles schnell gehen auf der Welt, aber es kommt nichts dabei raus, hü.«
Die Schimmel trabten zu.
Da gedachte ich dem Gespräch eine andere Wendung zu geben: »Schöner, kurzer, fetter Dung, den du da fährst,« lobte ich. »Für wen ist der?«
»Für Hann Klüth.«
Ich glaubte, ich hätte nicht recht verstanden und forschte zum zweitenmal: »Für wen?«
Der Alte sah mich mit seinen eingesunkenen, triefenden Augen mißfällig an: »Ich sagt' dir ja, für einen ordentlichen Mann,« keuchte er, indem er wieder in sich zusammensank, »für Hann.«
Aber ehe ich mich noch von meinem Erstaunen erholen und einwerfen konnte, ob Hann denn seit den vier Jahren, die ich ihn nicht gesehen, Landwirtschaft betriebe, streckte der Kutscher seine dürre Hand aus und zeigte auf die hohen Binsen am Fluß.
»Kuck,« machte er mich aufmerksam.
Hinter der grünen Wand, deren Silberfasern im Sonnenschein blitzten, hob sich ein Angelschacht, und nun knurrte und lachte der Alte wirklich in sich hinein und schüttelte sich und stieß mich in die Seite. »Maust all wieder Aale,« flüsterte er. »Aber sie kriegen ihn nich, weil er selbst ein Aal is. –« »Ho!« schrie er dazwischen und hieb nach den Stauden. »Soll mich doch wundern, was er diesmal für eine Ausred parat hat.«
Und wirklich, bei dem Lärm hinkte aus dem Gestrüpp eine merkwürdige Gestalt heraus. Die trug einen leinenen Beutel in der Hand, an den Füßen steckten ihr kolossale Filzschuhe, und über die schmucke Lotsenuniform ringelten sich unter der Tressenmütze lange, weiße Haarsträhnen herab, die dem Antlitz gewiß etwas Ehrwürdiges verliehen hätten, wenn es nicht gar so trinkrot und listig gewesen wäre.
Oll Kusemann war's, der mir sofort mit lautem Freudenruf die Hand heraufreichte, um dann wehmütig den Kopf zu schütteln.
»Kuck, Jünging, was aus mir hübschen jungen Mann geworden is. Die Jahren, die Jahren. Und das Reißen. Sieh, und die Pension, die sie mir ausgesetzt haben, is auch nich zum Fettwerden.«
»Aber Aale?« fragte lauernd der Kutscher, während er auf den Beutel zeigte, in dem es sich regte.
Der Lotse jedoch sah wie ein gekränktes Kind aus: »Was, Aale? Da is nichts als Fleisch drin,« widersprach er ehrwürdig. »Damit geh ich die armen, hungrigen Biester füttern, weil ich's nich mit anhören kann, wenn sie zur Sommerzeit so schmatzen, ohne was zu finden. Ich hab' mal ein zu weiches Herz.«
»Nu hör eins,« grinste der Kutscher, worauf er in solch gewaltiges Keuchen und Knistern ausbrach, daß ich ihn beruhigend auf den Rücken klopfen mußte. Inzwischen war oll Kusemann ebenfalls auf den Bock geklettert, und ich saß nun zwischen den beiden, wobei sie sich jedesmal wechselseitig zuzwinkerten, so oft ich wieder nach Hann zu fragen begann. »Ja, was meinst du woll?« reizte mich oll Kusemann geheimnisvoll, »was aus ihm geworden is?« Und der Mistkutscher starrte auf den Weg, nickte vor sich hin und murmelte befriedigt: »Hat die Zeit alles machen lassen. Was sagt' ich ümmer: Die Jahren tun's.«
So reizten sie mich und machten mich neugierig, bis ich endlich ganz kopfscheu vor mich hinsprach: »Ja, was kann sich denn hier Großes mit Hann ereignet haben? Hat wahrscheinlich schlecht und recht und still, wie bisher, vor sich hingelebt und ist am Ende Klaus Muchows Bootsmann geworden. Ja, so denk ich mir's. Und nun fangen sie zusammen Fische. Recht viele. Und Klaus Muchow sagt dazu ›Eierkauken‹. Und Line wird gesundet sein, und nachdem sie sich wieder auf sich selbst besonnen, dürfte sie Hann und das kleine Fischernest, in das sie doch gar nicht paßte, wie ihr mir zugeben müßt, verlassen haben, vielleicht, um Bruno in Amerika aufzusuchen, oder um ihren alten Wunsch wahrzumachen, sich einer wandernden Schauspielertruppe anzuschließen. Denn dazu hatte sie doch nun einmal das heiße Blut.«
»Hatte sie dat?« warf der Mistkutscher hämisch dazwischen, während er auf den Lotsen schielte – »Hm, bist ein dummer Bengel.«
»Wieso?«
»Die Jahren – die Jahren.«
»Und fort is sie also nach Amerika?« schob oll Kusemann zweideutig ein.
Ich begründete meine Ansicht damit, daß Hann und Line doch so schlecht zueinander gepaßt hätten, weil sie ihm in allen Dingen zu sehr überlegen gewesen.
»Ach so,« nickte der Lotse mit den weißen Locken, und nachdem die beiden wieder einen verständnisinnigen Blick getauscht, streichelte mir der Kutscher ein bißchen herablassend übers Knie: »Na, schreibst du noch immer Schriften?« kam's aus seinem lallenden Munde.
»Zuweilen.«
»Und kommen da auch Menschens vor?«
»Freilich.«
»Kuck,« schloß der Alte, schüttelte den Kopf, als wenn er etwas nicht recht begriffe, und strich über den eisigen Zottelbart. – »Na, meinetwegen; aber nu sieh da mal grad' aus.«
Ja, das war in der Tat ein befremdender Anblick. Statt der hölzernen Notbrücke zwischen Moorluke und dem Nachbardorf dehnten sich jetzt ein paar stattliche Steinbogen, und in der Mitte erhob sich ein schlankes Balkengerüst, das einem Fallgatter derartig gestattete, auf und nieder zu gleiten, daß die Meerschiffe ungehindert durch die Brücke in den Hafen passieren konnten.
Wir karrten hinüber.
Vor dem Wärterhäuschen stand eine untersetzte Gestalt, um uns den Brückenzoll abzunehmen.
Auch eine neue Einrichtung.
Der Mann hob das Haupt. Und da – – –
»Gott im Himmel!« rief ich verblüfft.
»Bist du auch wieder einmal da?« sprach Hann mit schöner philosophischer Ruhe, denn das ist der oberste Grundsatz der Gilde, zu der Hann gehörte, sich durch nichts aus dem Text bringen zu lassen. »Wie geht's?«
Aber ich konnte mich noch immer nicht von meiner Verwunderung erholen, und so rief ich denn einmal über das andere von meinem Bock hinab: »Menschenskind, nu sag' mal bloß, was machst du denn eigentlich hier?«
»Ja,« sagte Hann in seiner erschöpfenden Weise, »ich nehm hier den Leuten für einen guten Gedanken, den nich ich, sondern eine andere gehabt hat, das Geld ab. Es macht für jeden von euch fünf Pfennig und für den Wagen dreißig.«
»So is es,« schoß oll Kusemann wehmütig dazwischen, wobei er ausspuckte. »Und es is ein hübsches, ruhiges Geschäft, wobei er nich so mager wird, wie gewisse andere Leut, sieh mal da – –«
Damit zeigte er nach der Stelle am Ufer, wo früher das unscheinbare Häuschen der Klüths gestanden hatte, das in den Zeiten der Not an einen Bartscherer verkauft worden war. Wie war das jetzt hübsch herausgeputzt, mit einem Anbau versehen und hell angestrichen.
»Das mußt du mir erzählen,« rief ich und sprang kurz entschlossen vom Wagen, von dem nun auch oll Kusemann unter Ach und Weh heruntergeklettert war. So blieb denn nur der alte Mistkutscher, den Professor Asmus Zeit seines Lebens für einen Gott gehalten, auf seinem Gefährt, und er nickte schlotternd vor sich hin, stierte geradeaus zwischen den Köpfen seiner vier Pferde hindurch und ließ endlich die Worte fallen: »Na, denn laß dir von Hann erzählen, 's is ein Mensch. Und das is nich wenig. Und vielleicht wirst dir aus seinen Reden einen Vers machen, wie es oft ganz anders kommt, als man so meint. Denn, Jünging, die menschlichen Meinungens kommen auch in die Jahren und verfaulen, und 's wär' gut, ich hätt' eine Menge von diese verfaulte Dinger all hier in meinen Wagen. Na, aber nu werd' endlich klug.«
Dies hervorkeuchend, trieb er seine Gäule über die Brücke und richtete sich auf und schwang, weit ausholend, die Peitsche.
»Hüh!«
Da saßen wir nun in Hanns Wärterhäuschen, das so eng und winzig war, daß außer dem Brückenmann nur ich noch auf dem zweiten Holzstuhl Platz nehmen konnte.
Hinten durch das Guckfensterchen leuchtete wie ein grünes Feld mit weißen Blumen die See, während unter unseren Füßen leise der Fluß plätscherte.
Das klang so wohltuend, heimlich und gemütlich. Dazu noch die blauen Tabakswolken, die sich um oll Kusemann herumwiegten. Es war kein Wunder, daß ich mich heimisch fühlte.
»Ja,« sagte Hann, »so is es gekommen. Da is vor allen Dingen die Brücke, über die du wohl hauptsächlich was in Erfahrung bringen willst. (Er glaubte das wirklich.) Ja, sieh, an dem einen Pfeiler steht mit Kupferbuchstaben geschrieben: »Erbaut vom Konsul Hollander 1897.‹ Und das verhält sich wirklich so. Line hat es sich ausgedacht, und der Herr Konsul hat es ausgeführt. Und das hing so zusammen. Du mußt nämlich wissen, daß sie mir lange Zeit keine Ruhe ließ, ich hätte nich die richtige Beschäftigung für mich, für den Fischfang wäre ich viel zu langsam, ich ließ mir alle anderen zuvorkommen und noch viel so was ähnliches Gutes. Und eines Tags, als wir beide hier grade über die alte Notbrücke spazierten, an der ein Schiff lag, das wieder viel zu hoch fürs Passieren war, sieh, da hatte sie mit einmal den Einfall mit der Klappbrücke. Und sie beschrieb mir das alles, als ob der Bau schon hier stände. Ganz deutlich. Ja, ja,« setzte er stolz hinzu, »wenn sie so erzählt! – Und dann ging ein Drängen los, und ein Vorstellen, und ein Muteinreden, ich sollte gleich zu dem Konsul in die Stadt, um bei ihm wegen der Brücke vorstellig zu werden. Na, lange Zeit, kannst du dir wohl denken, hab' ich mich dagegen gewehrt; denn der Konsul war schon oft bei mir draußen gewesen, immer mit einem anderen Vorschlag; einmal wollt er mir einen kleinen Hochseekutter bauen, dann wieder eins ging es um vier neue Zesnerboote, aber immer kam es auf Unterstützung heraus, denn ihn mochte wohl das Geld drücken, das er damals von uns bekommen hatte. Aber diesmal setzte Line es durch. Sie hörte nämlich eines Tages auf zu lachen, und weil ich nun fürchtete, sie könnte am Ende wieder krank werden, ging ich richtig zu Hollander hin. Das war ein schwerer Gang,« fuhr Hann fort, während er sich den Schweiß abwischte, »aber kuck, der Konsul wurde ordentlich lustig über meinen Vorschlag, und vier Monate später, da saß ich schon als Pächter hier in dem Verschlag und nahm den Leuten das Geld ab.«
»Kesch – kesch,« warf oll Kusemann ein, wobei er mir bedeutsam zuzwinkerte und sich zugleich auf die Hosentaschen schlug, um mir das Einträgliche von Hanns Geschäft anzudeuten. »Wie sagt doch das schöne Sprichwort? Ein kluges Weib, ein starkes Pferd – ein treuer Hund sind Goldes wert'.« –
»Ein kluges Weib?« wiederholte ich verblüfft. Mir wurde ganz wirr zu Sinn. »Ja, du sprichst immerfort von der Brücke, aber die Hauptsache erzählst du nicht, lebt denn Line noch in Moorluke?«
Hann nickte.
»Und – und – nimm mir's nicht übel, ihr seid doch nicht etwa – –«
»Nein, das nich,« wehrte Hann von sich ab und wurde blutrot.
Aber warum blieb sie dann hier? –Weshalb ging sie nicht fort?«
Hann starrte auf den Lotsen, dessen Gegenwart ihm bei diesem Gespräch offenbar peinlich wurde, und erhob sich: »Ja, siehst du, das is die Frag', die ich mir selbst jeden Tag vorleg. Aber komm,« fuhr er fort. »Du sollst sie sehen, sie hat dich ja immer gern leiden mögen. Und unterwegs erzähl' ich dir noch mehr.«
Oll Kusemann wurde gebeten, in der Zwischenzeit Hanns Stelle einzunehmen, wozu er sich gern bereit erklärte, und als Hann und ich bereits über die Brücke schritten, rief der Lotse mir noch nach, daß ich am nächsten Tage natürlich einen Löffel Suppe bei ihm essen müßte.
»'s gibt Aale!« schrie er in einem Augenblick der Selbstvergessenheit, während er triumphierend den regsamen leinenen Beutel schwang. »Alwining kocht sie in Bier und Zwiebeln. Wat meinst du woll?«
Hann erzählte.
Aber darüber kam er nicht fort, der grübelnde Mensch. Dieses Eine konnte er sich nicht erklären.
Den Brief.
Sie hatte das Schreiben gelesen, damals, als sie so krank lag, und Hann an ihrem Lager den Teufel überwand, da hatte sie gelesen und den Zettel schweigend unter ihr Kissen geschoben.
Hann wartete, aber sie entschied sich nicht. Sie sah ihn nur an, mit einem Blick, der sprach: »Ich bin viel klüger als du«, und lächelte.
Sie wurde gesund, so schnell, wie es keiner geglaubt hatte, sie begann in dem Muchowschen Katen herumzugehen, zu singen, zu springen, ach, ganz ebenso, wie es die kleine Line getan hatte. Und Hanns Herz tanzte mit. Aber dann hämmerte dieses Herz wieder vor Angst, denn der Augenblick des Scheidens mußte ja näherrücken, umso schneller, je kräftiger sich Line fühlte.
»Ach, wenn du wüßtest,« fuhr Hann fort, während wir an dem Fluß dahinschritten, über den bereits Abendröte sich senkte, »wenn du wüßtest, wie schwer mir damals war, wie ich jeden Tag zu mir sagte: Nun mußt du bereit sein, Hann. Wenn du heut von der See nach Hause kommst, dann wird sie nich mehr da sein, dann is sie dahin gegangen, wohin der Brief sie haben wollte. Aber nichts – sie wurde immer nur munterer, allmählich begann sie auch bei den Muchows herumzuwirtschaften, sie nahm alles in die Hand, auch das Kleinste. Siehst du das kleine Räucherhaus da? Das wurde auch auf ihren Rat von Klaus Muchow und mir gebaut, damit wir darin räuchern sollten. Das brachte schon etwas. Und als nun die Sache mit der Brücke kam, da war Line ganz außer sich vor Freude. Sie sang und sprang, sag' ich dir, Jünging, daß selbst Frau Fiek über sie lachen mußte. Und nun hielt sie Pfennig bei Pfennig zusammen, und jeden Abend, wenn wir vor der Tür saßen, dann kuckte sie auf unser altes Häusing rüber, du weißt ja, das wir mal an Barbier Schultz verkauft hatten, und dann sagte sie immer so bestimmt: ›Nun noch so und so viele Tage, dann kaufen wir's wieder.‹ Und siehst du, Jünging,« schloß Hann, während er auf den nahen Bau wies, an dem sich zarte rote Kletterblumen in die Höhe rankten, »auch darin hat sie recht behalten. Seit zwei Jahren sitzen wir wieder hier. Kuck, der Seitenflügel is neu. Und die Scheune. Denn du mußt wissen, Line will auch Landwirtschaft. Und der große Kartoffelacker da hinten is seit vorigem Jahr angelegt.«
Ein kleiner, flachshaariger Bursche, der etwa drei Jahre zählen mochte, mit roten Pausbacken und schwarzen Augen, lief uns und klammerte sich an Hanns Beine an.
»N'abend, Hann,« sagte der Große.
»Hann heißt er?« fragte ich.
»Ja,« versetzte mein Führer ein wenig verlegen, »Line wollt es so haben. Aber der wird was lernen,« setzte er stolz hinzu. »Er kann all das kleine Einmaleins.«
»Nimm's mir nicht übel, und du wohnst hier mit Line ganz allein?«
Hann blieb stehen und holte tief Atem: »Was denkst du,« gab er zurück, »die Muchows sind mit uns gezogen.«
»Na, und was sagen die Moorluker dazu?«
»Je,« versetzte Hann mit einer wegwerfenden Handdrehung, »woran sich die Leut' hier gewöhnen, das finden sie auch recht.«
»Ganz schön – aber du selbst, Hann, machst du dir keine Gedanken? Wir haben hier doch zusammen in derselben Dorfschule gesessen, Hann, deshalb frage ich dich.«
Da hob Hann sein Haupt, und als sein Blick auf das freundliche Haus fiel, das in Abendröte wie eingebettet ruhte, da starrte er wieder zur Erde und murmelte: »Erklären kann ich's mir nich, aber mir is immer, als stellt' dies bloß einen lieben Traum vor, und es wäre noch nich Zeit zum Aufwachen.«
Ich nahm ihn unter den Arm. »Hör', Hann, das Leben bringt noch Schöneres. Und du wirst bald aufwachen.«
Als der Mond jenseits des Flusses aufstieg und sein luftiges Hängenetz über das Wasser spannte, als die Nachtvögel schwärmten und die Meerluft um das Haus lispelte, da saßen wir drei schweigend auf der Bank neben der Mauer.
»Ist's hier nicht still?« unterbrach Line, die mir lieblicher denn je erschien, die Ruhe.
Wortlos mußte ich nicken.
»Ja,« sagte sie, »das hab' ich nach Hanns Vorbild gelernt. Es ist nicht gut, wenn unsere Wünsche so wild in die Weite irren. Bescheidenheit, Friede und Tätigkeit, das weiß ich jetzt, mehr soll der Mensch nicht erstreben.«
Aber Hann schüttelte das Haupt.
»Ne, Lining, so is das nich. Ich hab' viel über das Glück nachgedacht, aber es is alles falsch gewesen.« Er wandte sich zu mir. »Erinnerst du dich noch, Jünging, wovon wir nachmittag sprachen? – Jetzt weiß ich ganz genau, ohne was ein Mensch gar nich leben kann. Weißt du, was das is? Das is so ein schöner Traum – und so 'ne schöne Hoffnung. Das is das Allerglücklichste und Allerhöchste!«
»Das ist es,« wollte ich eben erwidern, da sah ich, wie Line lächelnd über Hanns Wange streichelte, dabei flüsternd: »Ist er nun ein lieber, dummer Mensch? Oder ist er am Ende gar ein Philosoph?«
Da wußte ich, daß dicht über Hann selbst die Hoffnung schwebe.
Dies ist die Geschichte von Hann Klüth. Sie ist nicht kunstmäßig mit einem Ende versehen, denn sie ist wahr, und das Leben dichtet »ohne Ende«.