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Es war ein sehr einfaches, beinahe ärmliches Stübchen, in dem der Konsul Hollander an diesem Neujahrsmorgen seinem Hamburger Vertreter auf einem derben Holzstuhl gegenübersaß. Er selbst steckte noch in seinem weiten orientalischen Schlafrock, unter dem sich die weißen Unterhosenbänder lustig über ausgetretene grüne Pantoffeln herabschlängelten; auf dem Haupte trug er eine schwarzseidene Mütze, und von Zeit zu Zeit fuhr er sich verdrießlich über seine unrasierten, stoppeligen Wangen, als ob er sich heute ganz besonders unbehaglich fühle. Und doch hatte er nicht den geringsten Grund zu dieser üblen Laune. Befanden sich doch die Abrechnungen des jungen Herrn mit dem hübschen braunen Schnurrbart und der streng englischen Toilette in bester Ordnung. Und wenn auch die Reisespesen des Vertreters ungewöhnlich hoch waren – – – »Schockschwerenot – nobel, nobel,« murmelte der Konsul, während er heftiger seine Stoppeln rieb, so brachte er doch auf der anderen Seite Abschlüsse und Bestellungen für die Werft heim, wie sie der Chef schon so lange nicht mehr in Händen gehalten hatte.
»Sieh mal an! – Die asiatische Linie bestellt also doch den Sechstausend-Tonnen-Schraubendampfer? Hm – und die Holländische Heringskompanie zehn Fischerkutter!? Puh – schockschwerebrett.«
Dem Konsul träufelte das Auge. Er wischte es mit der Hand und sah wieder auf das Blatt. Aber die Bestätigungen der Abschlüsse blieben stehen; aufrecht, in der schönen, lateinischen Schrift Brunos verzeichnet.
»Merkwürdig.«
Und wieder blinzelte der Werftbesitzer über das Blatt fort auf seinen jungen Untergebenen, der ihm so frisch und adrett gegenübersaß, und wieder faßte ihn die Unbehaglichkeit so stark, daß er sich fast die Backe wund rieb.
»Akzeptable Preise,« murmelte er von neuem und spuckte aus. Dann warf er die Papiere auf den schmalen Klapptisch, der seinem Feldbett gegenüber an der Wand angebracht war, und fuhr seinen Angestellten mit voller Grobheit an.
Länger konnte er sich nicht mehr bändigen.
»Sagen Sie mal, wie machen Sie das eigentlich?«
»Wie ich das mache, Herr Konsul? Ich verstehe nicht recht.«
Um Brunos frische Lippen zuckte ein Lächeln. Hollander verzog die Stirn.
»Mir ist ganz ernsthaft zumute. Ich meine, wie alt sind Sie denn nun eigentlich mit der Wurzel?«
»Vierundzwanzig, Herr Konsul.«
»Nicht zu glauben – also ganze vierundzwanzig – So!? – Kuck mal an! Ja, hat sich denn im Ernst die Welt so verjüngt, oder sind Sie wirklich der Ausnahmemensch, für den Sie sich ja, wie ich Ihnen früher immer gesagt habe, heimlich halten?«
Bruno blieb ruhig sitzen, während der Konsul mit flatternden Hosenbändchen in der Stube auf und nieder schlurfte. Und doch färbten sich die Wangen des jungen Mannes glühend rot, seine Augen erhielten förmlich einen fieberischen Glanz, denn jetzt äußerte endlich, endlich, der grobe, massive Mann dort offen und ehrlich, was während Brunos langer Lehrzeit stets wie eine kalte Wolke zwischen ihnen gelagert hatte. Dieses stille, heimliche, lauernde Mißtrauen, das sich vergrößerte, je schneller und überraschender sich die spielende Tüchtigkeit des Lehrlings entfaltete, je mehr ihn die anderen Angestellten bewunderten und anstaunten. Aber warum? Warum? Das konnte sich Bruno, den es stets mit Gier, mit Unabwendbarkeit vorwärts gezogen, auch heute nicht entschleiern.
Glühend rot überzog es seine Wangen, mit zitternder Stimme und lächelndem Munde sagte er: »Herr Konsul, Sie sagen mir das in der ersten Stunde meiner Heimkehr von dem Posten, auf den Sie mich selbst gestellt. Ich muß also annehmen, daß ich niemals Ihre volle Zufriedenheit besessen habe und sie auch heute noch nicht besitze.«
Der Konsul blieb stehen, zupfte abgewandt an seinem Bett herum, klappte mit den Pantoffeln und schlug endlich ungeduldig auf das Kopfkissen.– –» I was, Zufriedenheit,« knurrte er barsch heraus. »Was brauchen Sie sich aus meiner Zufriedenheit zu machen? – Sie leisten ja das Ihrige. – Das ist es eben. – Na, ich muß mir mal Luft machen. Sie nehmen mir das nicht übel, oder, wenn Sie's tun, dann kann ich mir auch nicht helfen. – Also kurz und gut. Sie leisten genug, verstehen Sie, ich meine, was den Erfolg betrifft; diese beiden Abschlüsse zum Beispiel hier, besonders der aus Holland, an dem haben andere Angestellte von mir durchaus vergebens herumgedoktert; aber Sie? – Sie kommen einfach und haben so eine Art, den Leuten Geschichten vorzuerzählen, die Vorsichtigsten so zu blenden, daß – – –«
Bruno klopfte das Herz. Was er da von seinem Charakter vernahm, erschreckte ihn unwillkürlich: »Herr Konsul,« unterbrach er stockend, »Sie wollen mir doch nicht vorwerfen, daß ich Ihre Kunden durch lügenhafte Berichte täusche?« Seine Rechte schloß sich dabei krampfhaft um die Ledermappe.
»I bewahre, fällt mir gar nicht ein,« fuhr der Werftbesitzer fort, während er wieder auf das Kissen schlug. – »Lügen!? – I wo, so dumm werden Sie doch nicht sein. Nein, aber Sie besitzen so eine Einbildungsgabe, so eine – na, wie drück' ich mich aus? – solch eine Kraft in Ihren Schilderungen, daß Sie einen ordentlich zwingen, alles das zu sehen, was Sie sich selbst dabei vorgestellt haben.«
»Und das wäre etwas so Schlimmes?« brachte Bruno staunend hervor.
Er wollte die Achsel zucken. Aber er vermochte es nicht. Immer enger und drückender legte sich ihm die Unruhe ums Herz, ein leises Frösteln überlief ihn. Er konnte sich durchaus nicht mehr zwingen, alles das kindisch zu finden, was der verbitterte Mann dort vorbrachte.
»Schlimmes?« wiederholte Hollander ärgerlich, wandte sich nach ihm um und ließ sich schwerfällig vor dem jungen Mann auf den Holzstuhl nieder. »Ja, das weiß ich auch nicht. – Es ist vielleicht nur der Anfang. Ich will Ihnen, lieber Klüth, mal ganz reinen Wein einschenken. Während Ihrer ganzen Lehrzeit hab' ich Sie beobachtet. Das wissen Sie. Und da frage ich Sie: Haben Sie jemals ordentlich gearbeitet? – Nein! War auch nicht nötig. Ihnen ist alles angeflogen. Warenkenntnisse, technische Erfahrung, Handelsrecht, Sprachen und so weiter! Alles so im Handumdrehen! Von einem Posten zum anderen sind Sie aufgerückt. So im Flug – wenn auch heimlich gegen meinen Willen. – Aber ich konnte nicht recht was Stichhaltiges dagegen einwenden. Und nun kommen Sie nach der Hamburger Vertretung, die auch gut ausgefallen ist – sehr gut sogar, in mein Geschäft zurück, und wenn mich nicht alles trügt, dann haben Sie es jetzt auf die Prokura abgesehen. Sie möchten also jetzt mein Vertreter werden, dessen Unterschrift gilt wie die meinige. – Nicht wahr, Sie wollen jetzt auch unterzeichnen: ›Johann Christian Hollander‹? Sagen Sie mal aufrichtig, Klüth – ist es nicht so?«
Bruno sprang auf. Er fühlte, daß er an sich halten müßte, daß nur kalte, geschäftliche Nüchternheit hier zum Ziele führen könnte, allein die verletzende Art des Mannes, sein unverhohlenes Mißtrauen, das den Jüngeren all die langen Jahre hindurch immer und immer wieder aus diesen grauen Augen umlauert hatte, das ließ ihn jetzt alle Mäßigung vergessen. Was hatte er auch zu fürchten? Was sich vorzuwerfen? Waren nicht alle seine Gedanken stets auf den Vorteil dieses alten Sonderlings und seines Geschäftes gerichtet gewesen?
Mit vollem Feuer, mit blitzenden Augen sprang er auf, und lauter und kräftiger, als wohl je ein Angestellter dem alten Hollander eine Antwort zu erteilen gewagt, rief er mit heißer, zorniger Stimme: »Ja, Herr Konsul, da wir nun einmal so weit halten, so sind mir die möglichen Folgen auch gleichgültig. Jetzt sollen Sie es wenigstens erfahren. Ja, die besten Jahre meiner Entwicklung haben Sie mir verbittert. Sie allein. – Nie ein Wort der Anerkennung, immer dieses Herumspähen, als hätte ich keinen anderen Gedanken, als gelegentlich einmal Ihre Kasse auszuplündern – – –«
»Klüth,« rief der Alte dazwischen, doch der andere achtete nicht darauf.
»Ich kann Ihnen nur sagen: daß ich darüber nicht wirklich schlecht, nachlässig und ein Duckmäuser geworden« – hier erhob sich die Stimme des Heimgekehrten höher, und er trat heftig einen Schritt auf den Werftbesitzer zu, der unbeweglich, mit vorgebeugtem Haupt vor ihm verharrte, »daß ich darüber nicht wirklich ein Duckmäuser geworden, wahrhaftig, das habe ich einzig und allein meiner von Ihnen so geschmähten guten Laune zu verdanken. Sie aber, Sie haben alles getan, um diese Fröhlichkeit zu unterdrücken. Oder glauben Sie, es wäre mir leicht gefallen, wenn Sie mich die ganze Zeit über, die ich in Ihrem Hause lebte, wie einen lästigen Freiesser in meinem Stübchen im Hinterhaus sitzen ließen, während die meisten meiner Kollegen zu den großen und kleinen Festlichkeiten in Ihrer Familie hinzugezogen wurden? Wie oft hab' ich Tanzmusik gehört und hab' allein gesessen. Das hat mich heiße Tränen gekostet. Heute können Sie es erfahren. Das vergeß ich Ihnen nicht. Herr Konsul.«
Die Stimme des Aufgeregten zitterte, seine Brust hob und senkte sich, und der Prinzipal konnte wahrnehmen, wie Tränen in seinen Augen aufstiegen.
Der Alte knurrte etwas, das wie »Dummheiten« klang, doch man sah, daß er noch mehr hören wollte. Eine Weile herrschte Ruhe in dem kleinen Raum. Beide musterten sich. Endlich hob der Werftbesitzer schief das Ohr, plinkerte mit den Augen und fragte scharf und halb spöttisch: »Na, und was nun weiter?«
»Was weiter? – Oh, mir bleibt nur die Frage: ob Sie mir jetzt den Grund angeben wollen, warum Sie mir den Prokuristenposten, der mir gebührt, vorenthalten? Oder ob es nicht überhaupt besser wäre, wenn wir diesem unleidlichen Verhältnis lieber gleich ein Ende bereiteten?«
Der Konsul zog die Augenbrauen in die Höhe: »Sie wollen gehn?«
»Ja.«
»Hm!«
Er wandte sich, zog mit den schlängelnden Hosenbändchen zum Fenster und kehrte ihm dort den Rücken. Leise trommelte er an die Scheiben. Nicht lange, dann hörte er hinter sich ein seltsames Geräusch, ein tiefes Atmen, ein Schlucken, schließlich ein gewaltsam gebändigtes Schluchzen. Überrascht kehrte sich Hollander zu seinem Besuch zurück. Doch wenn er die aufflammende Natur seines Lehrlings, die ebenso leicht zu unmäßigen Ausbrüchen der Freude, wie zu wild hervorbrechenden Klagen neigte, nicht von früher gekannt hätte, so würde er nur an den bebenden Lippen Brunos erraten haben, was durch die Seele des jungen Mannes stürmte.
Denn äußerlich stand die feine Gestalt unverändert da, nur die braunen Augen flammten noch, wie vorher, vor innerer Erregung.
Wieder verzog der Alte die Stirn. Dann ging er langsam auf seinen Besuch zu, und wie in fernen Gedanken nahm er den Jüngeren an einem Rockknopf, an dem er ihn während des Folgenden energisch hin und her zupfte: »Na, nun wollen wir's gut sein lassen, Klüth, nun beruhigen Sie sich man vorläufig, Sie – verstehen Sie?« – Und während er ihn noch energischer bewegte, fuhr er brummig fort: »Daß Sie heute mal ausnahmsweise nicht lauter Zucker und Sirup von sich gegeben, daß Sie mir sogar ordentlich Grobheiten ins Gesicht geworfen haben, na, nehmens mir nicht übel, junger Herr, das hat mir bis jetzt am allerbesten von Ihnen gefallen! – Wahrhaftig! – Vielleicht, na, hm – bloß das Pistol auf die Brust setzen kann ich nun mal nicht leiden. Nun passen Sie auf. Ich sag' Ihnen die Prokura nicht ab – nur Zeit zum Überlegen will ich haben. Verstanden? Das muß ich. Zwingen lasse ich mich nicht.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt er wieder an das Fenster, um von neuem an die gefrorenen Scheiben zu pochen. Er schien mit sich zu kämpfen, dann fiel es noch so über seine Lippen, seine Tochter Dina würde heute abend ein paar Bekannte zum Tee bei sich sehen, und daß es ihn, den Konsul, freuen würde, wenn Bruno sich dazu einstellen möchte. Fräulein Dewitz und das kleine Ding, wie heißt sie noch? –
»Line.«
Jawohl, die wären auch da. Auch der ältere Bruder von Bruno, der Predigtamtskandidat.
»Na, kommen Sie nun?« fuhr der Werftbesitzer plötzlich auf, als sein Angestellter noch immer schwieg.
Da bewegte sich der Angeredete und fragte mit fester Stimme, wann er das Definitive über seine Stellung hören würde.
Diese Zähigkeit, dieses kaufmännische Festhalten schienen dem Konsul zu imponieren. Mehrmals nickte er nachsinnend mit dem Kopf, dann schlurfte er auf Bruno zu und klopfte ihm eifrig auf den Arm: »Na gut – sehr schön – sich nicht durch Nebendinge aufhalten lassen – ganz richtig. In vierzehn Tagen bescheide ich Sie. Aber nun machen Sie auch, daß Sie fortkommen, Klüth, ich will nun doch in meine Büxen hinein! – Morjen, ja, ja, schon gut – hol' Sie der Deuwel, Adieu!«