Ferdinand Emmerich
Jenseits des Äquators
Ferdinand Emmerich

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Sechzehntes Kapitel

Die Todesfahrt

Die Ibbarros spüren uns auf. – »Feuer!« – Die Kanusperre. – Das Gewitter greift ein. – Wir treiben!

Zwei Tage später, an einem schwülen Tage, dessen Morgendämmerung schon einen bösen Verlauf vorhersehen ließ, brach in den Vormittagsstunden ein fürchterliches Gewitter aus, das den Chilive in wenigen Minuten bis auf den Grund aufwühlte. Blitz auf Blitz schoß aus den tintenschwarzen, tiefhängenden Wolken, und ein Sturm fegte über die Erde, als sei das Jüngste Gericht angebrochen. Unser Einbaum war beim ersten Anprall der Wogen voll Wasser geschlagen. Hätte uns das Unwetter auf dem Strom erfaßt, so wäre keiner von uns gerettet worden.

Wir zogen das Fahrzeug auf die Insel und drehten es um. Gleichzeitig bereiteten wir uns auf das Schlimmste vor. Unsere wertvollsten Sachen: Gold, Paß, Kreditbrief, Uhr und vor allem einige Kugeln bargen wir in dem wasserdichten Gürtel, der uns nie verließ. – Diese Gürtel bestehen aus einem langen Darm, der mit Stoff umhüllt ist. Sie sind leicht und verursachen keinerlei Beschwerden am Körper. Um die Brust legten wir die Büchsen. So standen wir in dem fürchterlichen Unwetter über eine Stunde auf einem Fleck. Unsere Insel hob und senkte sich. Ein Wanken und Krachen ging durch das Erdreich, und jedesmal, wenn ein dahertreibender Baumstamm gegen die untere Ecke stieß, erwarteten wir, daß sie auseinanderreißen würde.

Zwei leere Kanus sahen wir in dem tosenden Wirbel der Strömung vorübertreiben. Eben machte ich eine Bemerkung über die Unmöglichkeit, sich aus dem tollen Strudel durch Schwimmen zu retten, als vier Männer aus dem Wasser auftauchten und prustend und sich schüttelnd auf die Insel sprangen. Noch verbarg uns das dichte Gebüsch. Wir hatten daher Muße, uns die narbenbedeckten Körper der Indianer genau zu betrachten. In der nächsten Minute jedoch entdeckte der scharfe Sinn des einen Wilden unsere Anwesenheit. Er bog die Büsche auseinander und stieß einen lauten Ruf der Überraschung aus, in den seine Gefährten einstimmten. Mißlaunig gemacht durch den strömenden Regen, fand keiner von uns ein Wort des Willkommens. Wir blickten uns stumm in die Augen, und jeder erwartete von dem andern die erste Anrede. Der Zustand währte wohl eine Minute. Dann rief einer der Wilden seinen Gefährten ein paar Worte zu. Sie betrachteten uns noch einmal mit einem umfassenden Blick, prüften auch wohl das umgestürzte Kanu und verschwanden kopfüber im Wasser. Erst in weiter Entfernung tauchten die Köpfe wieder auf.

»Das sind Jibarros«, sagte Felipe. »Ich erkannte sie an dem Zeichen unter dem Auge. Genau dasselbe wiesen auch die Toten auf.«

»Nun, dann werden wir die Bande bald auf dem Halse haben. Die vier werden natürlich das Dorf alarmieren und uns beim Vorüberfahren einen warmen Empfang bereiten lassen.«

»Dann aber wollen wir nicht mit den Kugeln sparen, Don Fernando«, sagte der Doktor. »Es geht um unser Leben, und das geringste Mitleid kostet uns die Haut – und die brauche ich noch sehr nötig.«

»Ich lade Rehposten in beide Läufe«, erwiderte ich. »Die groben Schrote wirken bei Massenangriffen besser und machen auch einen nachhaltigeren Eindruck. Die Kugel wirft nur einen um. Die Rehposten jedoch günstigen Falles zwölf.«

So schnell, wie es gekommen, war das Unwetter auch vorübergebraust. Bald brannte die glühende Sonne in gewohnter Kraft und hüllte uns in eine Wolke von Wasserdampf. – Wir machten das Kanu flott. Um es vor dem Kentern zu schützen, bediente ich mich der Vorrichtung, die ich bei den Wilden der Südsee bewundert hatte. Ich befestigte zu beiden Seiten des Bootes, in einem Abstand von etwa einem Meter, einen Baumstamm. Dieser war durch Querstangen mit der Bordwand verbunden und sicherte dem Fahrzeug selbst bei hohem Wellenschlag eine gewisse Stabilität. Die Gefahr des Kenterns war durch diese Ausleger beseitigt, und sie ermöglichten uns außerdem ein sicheres Zielen.

Die Arbeit kostete viel Schweiß in der drückenden Hitze. Wir ließen sie uns indessen nicht verdrießen, denn nun durfte auch nicht das kleinste außer acht gelassen werden. Die Fahrt, die wir jetzt antraten, konnte die gefährlichste werden, die wir je gemacht. Wenn uns auch die Feuerwaffen eine gewisse Überlegenheit über die Wilden sicherten, so sind doch »viele Hunde des Hasen Tod«. Und die Jibarros sollten sehr zahlreich sein.

Wir klopften einen Lehmklumpen auf und verzehrten den kalten Entenbraten. Die Hitze lag drückend auf dem Wasser, und der Horizont hatte sich in eine grüngraue Dunstschicht eingebettet. Ich legte meinen Tropenhut über mich auf das heckenartige Buschwerk und beugte mich nieder, um meinen Becher mit Wasser zu füllen. Plötzlich vernahmen wir einen hohlen Klang. Mein Hut fiel von dem Busch herunter und blieb zu meinen Füßen liegen – er war von einem gefiederten Pfeil durchbohrt!

»Alle Wetter«, rief ich und warf mich zu Boden. »Kommt herunter von euerm Sitz und nehmt die Büchse – die Wilden sind da.«

Kaum war das Wort gesprochen, da gellte ein wilder Schrei über die Insel. Von der Spitze her sprangen Indianer auf uns zu. In der Rechten die schwere Keule schwingend, stürzten sie mit wutverzerrten Zügen durch das Unterholz, während vom Wasser her eine Anzahl Pfeile über unsere Köpfe schwirrte.

»Feuer!« schrie der Doktor.

Sechs Schüsse sandten das tödliche Blei in den Haufen der Angreifer, die wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzten. Ein Geheul der Wut oder des Schreckens über den unerwarteten Empfang wälzte sich aus todwunden Kehlen und pflanzte sich über das Wasser fort. – Dort lag nunmehr die größere Gefahr für uns. Ich überließ es Felipe, die Insel von den Wilden zu säubern, und eilte mit dem Doktor der Stelle zu, wo wir die Kanus der Wilden vermuteten.

Sie flohen bereits. Acht Einbäume hingen aneinandergekoppelt im Strom. Noch warf sie der Strudel im Kreise herum – da pfiff unser Schrothagel über die Köpfe der Insassen und warf noch manchen Krieger kampfunfähig in die Boote zurück.

»Die sind fertig!« rief ich aus, als ich mich überzeugt hatte, daß kein Wilder mehr auf der Insel war. »An die Viertelstunde will ich denken, solange ich lebe. Die braunen Räuber lassen uns jetzt sicher in Ruhe.«

»Quien sabe!« erwiderte Felipe achselzuckend. »Hoffentlich finden sie die Genossen nicht, die ihnen der Fluß jetzt zuträgt, sonst stehe ich für nichts.«

»Was wollen sie denn machen ....«

»Nun, weiter nichts, als uns das Fell abziehen«, fiel mir der Doktor trocken in die Rede. »Jetzt sind sie gewarnt. Einen offenen Angriff wagen die Jibarros nicht mehr. Sie werden uns aber auch nicht mehr aus den Augen lassen und uns bei der ersten günstigen Gelegenheit überfallen. Dann möchte ich Sie bitten, Don Fernando, mich sofort zu erschießen, damit ich die Marter nicht auszuhalten habe.«

»Dieselbe Bitte habe auch ich, Don Fernando«, warf Felipe ein.

»Es ist allerdings eine fatale Situation, in der wir uns befinden, aber darum brauchen wir noch nicht zu verzweifeln. Noch ist Rettung ....«

»Ich möchte wissen, wo?« unterbrach mich hastig der Doktor. »Stromabwärts kommt kein Fisch ungesehen durch. Die beiden Ufer sind scharf bewacht. Gegen den Strom können wir nicht fahren, also?«

»Also – machen wir mal zuerst das Boot klar! Herrgott, es gibt ja kein anderes Mittel als den Kampf. Und ehe ich mich ruhig abschlachten lasse, mache ich doch wenigstens den Versuch zum Durchbruch. Entern können sie uns wegen der Ausleger so leicht nicht, und auf alles, was sich in Schußnähe zeigen wird, feuern wir, ohne erst die gefiederten Grüße abzuwarten.«

»Nun ja, machen wir denn das Boot klar und – aber, um Gottes willen, was ist denn das?« unterbrach sich der Doktor, indem er schreckensstarr flußabwärts deutete.

Dort lag wie eine Mauer Kanu an Kanu quer über dem Strom. Wohl an die hundert Einbäume krochen langsam heran. Kein Mensch war in den Booten sichtbar. Sie wurden wahrscheinlich schwimmend vorwärts gedrängt. Nur die Stelle der stärksten Strömung war unbesetzt.

Ich nahm das Fernglas und suchte die Wasserfläche ab. Richtig! Neben jedem Kanu bewegte sich ein schwarzer Punkt im Wasser. Ein herrliches Ziel für einen Kugelschuß! Ich schätzte die Entfernung auf etwa zweihundert Meter und forderte den Doktor auf, seine Kunst zu zeigen, sobald er den Punkt genau wahrnähme.

Drei Schüsse mit einem Treffer hatte ich gefeuert, da begann es zu regnen, mit solcher Gewalt, daß die Flut hoch aufspritzte. Zugleich zerfetzte ein grüner Blitz das Firmament. Der Wasserspiegel kräuselte seine kurzen Wellen mit weißen Köpfchen, die wie kleine Papierfetzen davonflogen. Krachend wälzte sich der tosende Donner vom Gebirge herab ....

In die Kanusperre kam Leben. Zwei, drei schlugen voll und sanken. Die Schwimmer hoben den nackten Leib aus dem Wasser – um durch unsere Kugeln zurückgeworfen zu werden. In Unordnung löste sich die Flottille auf und war unsern Augen durch den Regenvorhang bald entzogen.

Der Himmel wurde schwarz. Tiefe Nacht lagerte sich auf die Erde. Am Firmament bildeten sich ringsum Feueressen aus den zahllosen, ohne jede Unterbrechung herniederfahrenden hellen Blitzen. Ein Getöse brauste durch die Luft, das jede Verständigung unmöglich machte. Ein echtes Tropengewitter!

Die rasende Windsbraut schleuderte wahre Wasserberge über die Insel. Entwurzelte Riesenstämme tauchten urplötzlich vor uns auf und schoben sich hoch hinauf in die splitternden Büsche des Eilandes. Bei dem grellen Licht der Entladungen konnten wir das kochende Flußbett bis an die Ufer übersehen. Hier tauchte ein Kadaver aus den Fluten, dort trieben ganze Baumgruppen vorbei. Eine schlanke Königspalme schwamm kerzengerade daher.

Ein gewaltiger Ruck ging durch die Insel. Die Palme, die unter dem Wasserspiegel ihr Erdreich mit sich führte, hatte unsere rechte Seite mit großer Gewalt getroffen. Sie blieb an uns hängen und neigte die schöne Krone tief hinunter in die zerrissenen Äste »unserer« Bäume.

Auf einmal glitt mit rasender Schnelligkeit eine lange Waldpartie an uns vorüber. In das Tosen des mit unverminderter Heftigkeit wehenden Sturmes mischte sich das dumpfe Rauschen von Urwaldriesen ....

»Doktor, ich glaube, wir treiben!« rief ich, indem ich die Gefährten unter den schützenden Fellen hervorholte. »Sehen Sie nur den Wald an – und dort die Felsen! Wir treiben wahrhaftig, und zwar mit großer Geschwindigkeit. Großer Gott, das ist das Ende!«

Das Wetter wütete über dem Fluß und warf gewaltige Wassermassen gegen die ungeschützten Ufer, hier große Fetzen aus den Rändern reißend, dort mit alles vernichtender Gewalt über Ebene und Steppe fegend. Was sich in den Weg stellte, mußte fallen oder folgen.

Mit gemischten Gefühlen sahen wir unserer rasenden Fahrt zu. Oft stieß unser Inselfleck hart auf den Boden auf. Schäumend brauste dann die Flut über uns hin und drückte uns bis an die Brust ins Wasser. Die nächste Woge riß uns wieder los und warf uns in tollen Kreisbewegungen in die Hauptströmung. Wir bemerkten das an der Leichtigkeit, mit der wir dahinjagten.

Auf einmal kam mir ein Gedanke. Auf der Heckseite unseres Inselfahrzeugs hing ein breitwipfliger Palmbaum, dessen Krone schäumend das Wasser durchfurchte. Wenn ich mit dem steuern könnte! Ich zog mich bis zu der sperrigen Wurzel entlang und lehnte mich mit aller Kraft gegen den Stamm, um ihm und damit dem ganzen Erdstück einen andern Kurs zu geben. Das flammende Wetterleuchten ließ mich den Fluß auf eine weite Strecke hin erkennen.

Mühsam zwängten wir uns gegen den wütenden Sturm zu dem Palmbaum hinüber. Tastend suchten wir das Wurzelwerk, an dessen kräftigsten Ausläufer wir den Indianer gefesselt hatten. Ein leuchtender Blitz fuhr über das Firmament. Aber unsern Gefangenen suchten wir vergebens. Der hing, von Freundeshand befreit, längst an einem andern Ausläufer unseres lebendigen Fahrzeuges und suchte des verhaßten Weißen habhaft zu werden.

Die aufgehende Sonne beleuchtete eine endlose Wasserfläche. In schnellem Lauf trieben wir, inmitten eines Chaos von Trümmern, einer fernen Küste zu. Hinter uns und zu beiden Seiten deuteten dunkle Linien festes Land an, sonst hätte man sich in der offenen See wähnen können.

Nachdem wir uns überzeugt hatten, daß kein Feind mehr auf der Insel verborgen sein konnte, stellten wir uns die Frage: »Wo sind wir?« Die Antwort darauf wußte natürlich keiner von uns. Die Annahme lag nahe, daß wir den Chilivefluß verlassen hatten und auf der Bahn irgendeines größeren Stromes dahintrieben. Das bewies auch der Kurs, der gestern abend nordöstlich und nun südlich lag. Noch erschwerte der nasse Nebel einen Ausblick auf die Kordillerenkette. Auch die Wasser des Flusses erlaubten keinen Schluß, da alles in einer gelben Schlammfarbe zusammenlief.

Solange das nach oben unsichtige Wetter anhielt, konnten wir nichts anderes tun, als unsern Magen stärken und dann die Insel von den toten Körpern befreien. Als wir das Dickicht soweit zusammengehauen hatten, daß wir die Leichen loslösen konnten, drehte der Strom den Kopf des einen Mannes nach oben. Er trug das Zeichen der Jibarros!

In den Vormittagsstunden verlangsamte sich die Fahrt. Die Strömung nahm an Ausdehnung zu, und wir durften nicht mehr daran zweifeln, daß wir das Gebiet der Jibarros und der Pumayas längst hinter uns hatten. Die Karte zeigte in dem ganzen, von uns durchfahrenen Gebiet weiße Lücken mit punktierten Linien (in der Forschersprache: unbekanntes Land). Nach dem Einfluß des ebenfalls von Westen kommenden Stromes Inambari heißt der große Flußlauf Rio Madre de Dios, und in dessen Oberlauf mußten wir uns befinden.

Mehr und mehr verengte sich das Flußbett: Von Westen nahmen wir einen kleinen Nebenfluß auf, dessen Wasserdruck uns an das linke östliche Ufer versetzte. Dort liefen wir mit unserer Insel, angesichts der Einmündung eines sehr breiten Stromes, auf eine Sandbank und blieben etwa fünfzig Meter vom Lande entfernt sitzen. Die Ufer sandten ihre undurchdringlichen Urwälder bis dicht an den ruhigen Wasserspiegel, und mit dem Glas konnten wir deutlich erkennen, daß sich auf dem weißen Sand viele Krokodile sonnten.

Mittags leuchtete von allen Seiten die prachtvolle Kette gewaltiger Gebirge herüber. Zwei Schneeriesen verhüllten ihre Kuppen noch in Wolken, über dem Kranz der andern Berge spielte das gleißende Sonnenlicht. Bei der Fülle der von allen Himmelsrichtungen emporstrebenden Gebirgsmassen konnten wir uns noch weniger über unsern ungefähren Stand orientieren als vorher.

Da rief Felipe, der sich mit der Freilegung der Seitenwände beschäftigt hatte: »Hallo, da treibt ein Boot!«

Sofort sprangen wir an seine Seite. Ich hob das Glas und sah nun am rechten Ufer des großen, in unsern Strom einmündenden Flusses ein Boot, ein richtiges Kielboot, das mit einer Anzahl bekleideter Männer besetzt war und in unsern Fluß einzulaufen im Begriff stand.

»Gott sei Dank! Dort sind Menschen!« schrie der Doktor überglücklich. »Jetzt hat alle Not ein Ende. Felipe, gib ihnen ein Zeichen!«

»Na, Doktor, ob wir nicht vom Regen in die Traufe kommen, läßt sich noch nicht beurteilen. Es gibt auch bekleidete Indianer, die oft gefährlicher sind als die unbekleideten Braunfelle.«

»Nein, nein, Don Fernando, rauben Sie mir die Hoffnung nicht. Sagen Sie mir, daß wir endlich unter Menschen, in eine Stadt kommen. Gott, wie sehne ich mich danach.«

Mehr noch als die Worte selbst drückte der Ton eine so fieberhafte Angst aus, daß ich stutzig würde. Aufmerksam sah ich in die weitaufgerissenen Augen meines Kameraden, dessen Blicke unruhig hin und her flackerten. Kein Zweifel: hier drohte ein völliger Nervenzusammenbruch – schließlich kein Wunder nach all den Schrecknissen unserer letzten Fahrt.

Ich riß mich zusammen, um mir nichts merken zu lassen, und sagte in beruhigendem Ton: »Gewiß kommen wir wieder in eine Stadt, Don Pio. Vielleicht schon bald. Felipe soll mal ans Ufer rudern und auskundschaften, ob wir unsern Weg nun vielleicht gefahrloser auf dem Lande fortsetzen können. Warten wir aber erst einmal ab, ob das Boot nicht in unsere Nähe kommt.«

Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Es entfernte sich mehr und mehr. Seufzend ließ der Doktor den Kopf sinken und vergrub sein Gesicht in beide Hände.

»Los, Felipe! Sieh zu, daß du uns gute Nachricht bringen kannst, und bald!«

Damit schritt ich zu unserm Einbaum und half Felipe, ihn zu Wasser zu bringen. Fast waren wir damit zustande gekommen, als Felipe plötzlich ausglitt und mit einem unterdrückten Stöhnen zusammenknickte. Er versuchte, sich schnell wieder aufzurichten, sank aber kraftlos zusammen.

»Ich glaube, Don Fernando, ich habe mir den Fuß gebrochen oder sonst so was«, und er fügte einen kräftigen Fluch hinzu.

Schnell nahm ich mein Jagdmesser und schnitt ihm den Stiefel auf. Gebrochen war der Fuß nicht, aber eine böse Verstauchung machte den armen Jungen in diesem ungelegensten Augenblick vollkommen kampfunfähig.

Ich erwies ihm schnell alle zweckmäßige Hilfe. Bald saß er mit einem dicken Verband und mit einem Gesichtsausdruck von bejammernswürdiger Kläglichkeit auf dem Boden und sah ingrimmig zu, wie wir beide den Einbaum fertig machten. Um den Doktor zu beruhigen, aber auch weil der Aufenthalt auf der Insel immer gefährlicher wurde, wollte jetzt ich mich auf den Weg machen.

Dr. Perez war wie ausgewechselt. Am liebsten hätte er mich begleitet. Aber da wir weder Felipe im Stich lassen noch aufs Geratewohl unser Gepäck mitschleppen konnten, blieb er auf energisches Zureden gutwillig zurück.

Ich selbst hatte mich in der Erwartung, auf Menschen zu treffen, so zivilisiert als möglich zurechtgemacht, wobei ich freilich für europäische Begriffe noch verdächtig genug aussehen mochte.

Zwei Stunden nach Mittag war ich reisefertig. Ich hing die Büchse um und drückte meinen Kameraden die Hand.

»Also Kopf hoch, Doktor. Ich denke, das Schlimmste ist überstanden. Vielleicht liegen Sie morgen abend schon in einem richtiggehenden Bett. Inzwischen passen Sie aber gut auf Felipe auf. Und du, mein Junge, hältst dich ruhig, damit du wieder in Ordnung kommst. Du weißt, wie nötig wir dich brauchen!«

Damit stieg ich in den Einbaum und stieß ab. »Abends bin ich sicher zurück!« rief ich noch hinüber.


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