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Die Sonne stand schon über den Gipfeln der hohen Bäume, als ich neugestärkt erwachte. Ich dehnte und streckte mich zwischen den weichen Decken – als ob ich vorausgewußt hätte, daß es nun für einige Wochen mit dem faulen Leben vorbei war.
Auch in Capitania erregte unsere Absicht, in das Indianergebiet zu reisen, allgemeines Kopfschütteln. Jeder kannte eine andere Geschichte von Menschen, die dort auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren. Kein Mensch war zu bewegen, uns in das Gebiet zu begleiten. Da tauchten mittags zwei Indianer auf, die an einem Nebenflüsse des Rio Manu, dem Rio Amigos, zu Hause waren. Diese Leute sammelten Harz und brachten es zum Verkauf in die Grenzsiedlungen. Ihre spanischen Sprachkenntnisse waren zwar nicht weit her, aber es gelang unserm Felipe doch, sie als Führer zu gewinnen. Nur machten sie Einwendungen wegen unserer Packtiere. Die könnten nicht mitgenommen werden, da die Reise größtenteils zu Wasser zurückgelegt werden sollte.
Von den Tieren wollte ich mich jedoch nicht trennen, solange es nicht dringend nötig wurde. Um aber die Verhandlungen nicht scheitern zu lassen, versprach ich den Indianern die Maultiere als Geschenk, sobald wir die Flußreise antreten würden. Diese Großmut kam ihnen so unerwartet, daß sie sich das Anerbieten mindestens zehnmal wiederholen ließen. Dann mußte noch darauf geraucht werden. Und als auch diese Zeremonie überstanden war, gab der eine – besonders begeistert – noch nicht Ruhe, bis ich mit ihm Blutsbrüderschaft gemacht hatte. Er ritzte mit seinem Messer meinen Arm und sog den hervorquellenden Blutstropfen aus. Dann hielt er mir seinen Arm hin, drückte mir sein Messer in die Hand, und wohl oder übel mußte ich seinem Beispiel folgen, wollte ich ihn nicht tödlich beleidigen. –
Nun nahmen wir Abschied von unserm ehrwürdigen Gastgeber und von dem Bismarckverehrer und seinen Getreuen. Eine halbe Stunde später befanden wir uns bereits im Dunkel eines Urwaldes, der nicht ahnen ließ, daß wenige Kilometer hinter uns die Zivilisation ihren vorgeschobensten Posten hatte.
Die Indianer gingen voran. Ohne sich nach uns auch nur ein einziges Mal umzuschauen, schritten sie stumm durch lichte Baumbestände und durch Dickichte, deren lange Dornen uns böse zusetzten. Die Indianer mit ihren ungeschützten Beinen schienen den Schmerz gar nicht zu fühlen. Gegen Mittag kreuzte ein rasch fließender Bach unsern Weg. Unsere Führer entledigten sich stillschweigend ihres einzigen Kleidungsstückes, schlangen es turbanartig um den Kopf und stiegen ins Wasser, das ihnen bis unter die Arme ging. Drüben schüttelten sie sich wie die Pudel. Stumm streiften sie das Beinkleid wieder über und schritten weiter, es uns überlassend, wie wir nachkommen konnten.
Ihr Benehmen ärgerte mich. Mensch und Tier waren hungrig, und ich wollte rasten, um das mitgenommene Fleisch zu braten. In der Hitze hielt es sich nicht länger.
Auf mein lautes Rufen antworteten sie überhaupt nicht, und als ich ihnen endlich Felipe nachschickte, der ihnen klarmachen sollte, daß wir essen wollten, kam nur der eine zögernd und mißvergnügt mit. Der andere hatte einfach achselzuckend seinen Marsch fortgesetzt. Nach indianischen Begriffen war diese Mittagspause ein unnötiger Zeitverlust, denn die Indianer essen auf großen Wanderungen nur morgens vor dem Aufbruch und abends vor dem Schlafengehen. Ich habe mir später diese im Grunde einzig vernünftige Sitte auch zu eigen gemacht. Für diesmal erreichte ich mit Mühe und Not, daß der eine Indianer – mein »Blutsbruder« – auf uns wartete.
In einer Art wurden wir für unser Säumen bestraft, denn wir mußten dafür noch über eine Stunde lang nach Sonnenuntergang durch den finstern Wald stolpern, ehe wir das Lagerfeuer des vorangegangenen Indianers erreichten. Dieser hatte inzwischen für Nahrung gesorgt. Einige große Hühnervögel brieten am Feuer. Wir ließen uns den Braten trefflich munden. Nachdem wir unsere Tiere versorgt hatten, wickelten wir uns in unsere Decken und waren bald sanft entschlummert.
Der laute Schrei eines Maultieres weckte mich. Felipe sprang gleichzeitig mit mir auf und schürte das Feuer zu heller Flamme. Als ich mich der Mula näherte, hörte ich Knacken in den Zweigen und glaubte einen Schatten davonspringen zu sehen. Fragend blickte ich auf den Indianer, der aufgerichtet auf seinem Platze saß und seine Augen in die Finsternis bohrte.
Ich schälte meine Büchse aus der Decke und stand auf. Dabei erhaschte ich einen Blick, den die beiden Indianer untereinander austauschten, und war nun auf meiner Hut. Mein erster Schuß vor den Augen der Indianer mußte ein Treffer sein. Sie sollten überzeugt werden, daß ich die Büchse nicht zum Vergnügen mitnahm.
Ich schlich leise am Lager des Doktors vorbei in den Wald und raunte ihm auf französisch zu, genau auf die Indios achtzugeben. An einem riesigen Baumstamm nahm ich Aufstellung und erwartete die Rückkehr des ungebetenen Besuchers. So verging wohl eine halbe Stunde. Die vier Mann am Feuer lagen wieder ausgestreckt in ihre Decken gehüllt. Keiner bewegte sich, obschon jeder wach war. Eine Wolke des Mißtrauens schwebte über der Gesellschaft.
Wieder schnaubte die Mula und witterte ängstlich in den Wald. Geräuschlos ließ ich mich aufs Knie nieder und hob die Büchse. Da sah ich, wie ein Körper schattengleich über den Erdboden strich. Er zeigte mir seine rechte Seite, doch hatte ich kein freies Schußfeld, obwohl mir der Schein des Feuers ein Zielen ermöglichte. Leise pfiff ich. Wie der Blitz funkelten mir zwei glühende Augen entgegen. Der Körper wollte sich heben – zu spät! In den Knall mischte sich das Todesgebrüll des Raubtieres. Sofort wurde es im Walde lebendig. Das brüllte, kreischte, schrie und zeterte, als ob eine Hölle losgelassen wäre. Die gesamten Urwaldbewohner waren aus dem Schlafe geschreckt und gaben ihrem Zorn darüber lautesten Ausdruck. Besonders die Affen taten sich dabei hervor.
Der Doktor hatte bei dem Schuß einen Feuerbrand ergriffen und beleuchtete meine Beute. Es war ein riesiger Jaguar. Meine Kugel hatte ihn genau zwischen die Augen getroffen, und ich freute mich über den Eindruck, den der glückliche Schuß bei den Indianern hervorrief. Ihre Blicke drückten ungläubiges Staunen aus und schwankten zwischen mir und meiner Büchse. Sie schienen im Zweifel, wem sie das Verdienst an dem gelungenen Treffer zuschreiben sollten.
Es dauerte lange, ehe ich wieder einschlafen konnte. Der Doktor hatte mir versprochen zu wachen, um unsere beiden Gefährten im Auge zu behalten. Sie schienen jedoch keine bösen Absichten oder sie mindestens hinausgeschoben zu haben. Eben, als ich die Augen aufschlug, erhob sich der eine und verschwand zwischen den Bäumen. Der andere sammelte dürres Holz und fachte das Feuer zu heller Flamme an. Da wir unsere Tiere bald abgeben mußten, beschlossen wir, unsere Vorräte zu verzehren. Der Indianer fiel von einem Erstaunen ins andere über die Konservenbüchsen und sonstigen Geräte der Zivilisation. Er rührte auch nichts von dem ihm Dargebotenen an. Nur den heißen Kakao trank er mit Genuß. Hinter seinem Rücken nahmen wir noch einen Schluck Rum. Den gönnten wir unserm Indio doch nicht.
Sein Gefährte erschien mit fünf Hokohühnern von der Größe eines Truthahnes. Auf unsere verwunderte Frage erfuhren wir, daß der Indianer diese schmackhaften Vögel mit Steinwürfen erlegte! Und wir fehlen sie oft mit der Kugel, die sich in dem aufgepluderten Gefieder nur schwer an der richtigen Stelle anbringen läßt!
Jeder von uns bekam ein ganzes Huhn zugeteilt und mußte es natürlich auch selbst rupfen und zubereiten. Nach einer halben Stunde entstieg es knusprig gebraten der Asche, und dann begann schweigend das Mahl. Selbstredend mußte der Hühnerjäger auch einen Becher Kakao haben. Allein konnten wir ihn jedoch nicht trinken lassen, und so bekam unser an sich schon überladener Magen wiederum zwei Becher des nährenden Getränkes. Damit waren wir aber auch für den ganzen Tag mehr als satt und ohne irgendwelche Überredungskünste für die indianische Mahlzeiteinteilung gewonnen.
Am Abend des dritten Tages lagerten wir in einem felsigen Tal. Donnernd tönte ein Wasserfall durch die rauschenden Wälder und erfüllte die bis dahin drückend-schwüle Luft mit angenehmer Kühle. Wir hatten den Rio Chilive erreicht, dessen Fluten sich in den Rio Manu ergießen sollen.
Von hier aus sollte die Wasserfahrt beginnen. Während der Doktor mit dem einen Indianer in den Wald ging, um Fleisch für das Abendessen zu besorgen, sah ich mir den Fluß etwas näher an. Seine Ufer sind an seinem Ursprung felsig. (Wenn man es als Ursprung bezeichnen darf, daß ein halbes Dutzend Wasserfälle sich zu einem einzigen Lauf vereinigen.) In der Mitte des etwa sechs Meter breiten Bettes deuteten schäumende Strudel Hindernisse an, die einem Boot gefährlich werden konnten. Ich teilte das meinem Blutsbruder auch mit. Der aber lächelte nur leise und meinte, daß man jedesmal, wenn das Kanu umkippe, auch gleich wieder darin säße, denn die Strudel drehten es von selbst wieder um.
»Gibt es denn viele Strudel in dem Flusse?«
Nun lachte der braune Geselle laut. Er warf die Hände ausgebreitet in die Höhe und wirbelte sie in schneller Drehung hin und her. Ich übersetzte das in »Unzählbare« – womit ich, wie sich später herausstellte, das Richtige getroffen hatte.
Am folgenden Morgen lag auf einmal das bewußte Kanu am Ufer. Aus irgendeinem uns unbekannt gebliebenen Versteck hatte man es hervorgeholt. Das Ding bestand aus einem dicken Baumstamm. Bei einer Länge von etwa fünf Meter war es zu zwei Dritteilen ausgehöhlt. Der dadurch entstandene sechzig Zentimeter breite und einen Meter tiefe Raum sollte uns fünf Männer und eine Ladung Gepäck aufnehmen.
»Und wo bleiben die Tiere?«
Die Antwort auf diese Frage bewies so recht, wie wenig Kenntnis diese Grenzindianer von den bei ihnen nicht vorkommenden Einhufern haben: »Die müssen am Ufer nebenherlaufen oder schwimmen!« gab mein »Blutsbruder« ganz ruhig zur Antwort.
»Und wie weit ist der Weg noch bis zu euerm Lager?«
»Dreimal Nacht und viermal Sonne«, lautete der Bescheid.
»Na, Doktor, das kann ja nett werden«, sagte ich zu meinem Kollegen. »Vier Tage in dem Einbaum sitzen, ohne Schutzdach, ohne Bewegungsmöglichkeit – das halte ich nicht aus.«
»Ich glaube, Don Fernando, wir werden mehr Bewegung haben, als uns lieb ist«, warf Felipe lachend ein. »Nach dem, was die Indianer erzählen, werfen wir mindestens achtmal am Tage um, und ein paarmal dürfen wir den Baum über die Ufer tragen, weil die Stromschnellen für die Kanufahrt ein Hindernis bilden.«
»Nein, da ziehe ich doch den Landweg vor. Wenn die Muli nebenherlaufen müssen, können wir es ja auch«, erwiderte ich. »Übrigens möchte ich erst einmal ein Stück weit probefahren, damit ich sehe, wie der Baum im Wasser liegt. Rufe den Braunen mal her, Felipe, und dann fährst du mit. Wenn wir kentern, ziehst du mich an Land, denn ich schwimme schlecht.«
Der Indianer trieb mit einem primitiven Ruder den Kahn bis zu einer günstigen Landestelle. Dort nahm er Felipe und mich an Bord und stieß das Boot ab. Im Uferwasser schoß es wie ein Pfeil vorwärts. Dann faßte es die Strömung und legte es quer. Der Indianer stand vorn im Bug und gab sich alle Mühe, den Vordersteven wieder in das ruhige Wasser zu lenken. Er rief uns auch alles mögliche zu. Da wir aber weder Ruder noch Stangen hatten, konnten wir nichts tun, um ihm zu helfen. Und so kam, was kommen mußte. Der schon erwähnte Strudel faßte den Baum, drehte ihn einige Male um seine Achse und warf ihn um. Wir wurden kopfüber in die kühle Flut getaucht. Im Wasser noch fühlte ich mich in drehender Bewegung herumgewirbelt. Mein Kopf stieß hart an Steine, mein Rücken wurde über sandigen Grund gescheuert – dann stand ich, ich weiß nicht wie, auf meinen Füßen und hörte das schallende Lachen des Doktors. Das Wasser ging mir bis an den Hals. – Weit drunten schwamm der Kahn, den der Indio schon wieder aufgerichtet hatte. Eben krabbelte Felipe etwa hundert Meter abwärts an Land. – Ich rief ihn. Dann mußte er nochmals ins Wasser, um dessen Tiefe zu prüfen. Nun endlich konnte auch ich das Ufer erreichen.
»Guten Tag, Don Fernando!« lachte der Doktor, als er mich in meinen triefenden Kleidern, vor Kälte klappernd, den Hang hinaufklettern sah. »Wie denken Sie über die Kanureise nach dieser Probefahrt?«
»Die wird gemacht, Doktor«, erwiderte ich, indem ich meine Kleider abstreifte und sie in die Sonne legte. »Die wird gemacht! Und zwar teilen wir uns in die Arbeit. Sie, Doktor, fahren bei Tage mit den Indios, und Felipe und ich schlafen nachts in dem Boot. Wir beide reiten bei Tage, und Sie mit den andern genießen die Gesellschaft der Muli nachts. – So hat jeder seinen Teil.«
Die beiden Indianer konnten erst gar nicht verstehen, daß ich nicht mit dem Boot fahren wollte. Schließlich begriffen sie meine Weigerung, als ich ihnen erklärte, daß ich nicht schwimmen könne und daß mindestens einer von uns bei den Tieren bleiben müsse. Die liefen doch nicht allein am Ufer entlang. Der Doktor aber mußte in den sauren Apfel beißen, denn ganz allein wollten wir unser Gepäck den Indianern doch nicht überlassen. Felipe jedoch wußte es durchzusetzen, daß er bei der ersten Stromschnelle zu mir ans Land kam.
Ich kam mit meinen Maultieren in dem unebenen Gelände natürlich lange nicht so schnell vorwärts wie die Kanuleute auf dem Flusse. Wälder und Hügel stellten sich mir hindernd in den Weg. Zahlreiche Wasserläufe mußten durchwatet werden. Deren Ufer boten oft ungeheuere Schwierigkeiten. Hatte ich eine passende Stelle gefunden, an der ich in das Bett hinunterreiten konnte, so stand ich drüben ratlos vor einer glatten Uferwand oder vor einem Dornendickicht, durch das keine Ratte, geschweige denn drei Maultiere sich den Weg zu bahnen vermochten. Dann ritt ich stromauf und stromab, bis eine günstigere Stelle mir endlich den Weitermarsch ermöglichte.
Als die Dämmerung des ersten Tages dieser Wanderung nahte, saß ich gerade wieder mitten in einem tiefen Bacheinschnitt. Ich hatte mich schon über eine Stunde mit der Ersteigung des jenseitigen steilen Ufers abgequält, hatte alles versucht, um wieder den Rückweg zu finden, um wenigstens auf trockenem Boden die Nacht zuzubringen – da brach eines jener Gewitter los, wie sie nur die Tropen kennen. Der Himmel schüttete den Regen in unfaßbaren Mengen herab. Bald hob sich der Wasserstand des Baches. Fernes Rauschen erschütterte die Luft. In den Uferbüschen krachte und knackte das dürre Gezweig. Und dann kam mit Windeseile eine meterhohe Wasserwand schäumend herangestürzt. Wie mit Zentnergewichten drückte sie mich gegen das Ufer, an dem ich zum Glück an einer freiliegenden Wurzel einen Halt fand. Donnernd und zischend riß mich die Flut in tollem Spiel umher. Bald lag ich fest in den Lehm gepreßt, bald fühlte ich mich aufgerissen und fortgeführt. Mit eisernem Griff hielt ich meine Wurzel fest. Wenn mich dann die abgelenkte Strömung eine Minute Luft schöpfen ließ, brach ich das verschluckte Wasser wieder aus und spähte nach Rettung aus diesem rasenden Kessel. – Einmal trieb eine große Wildkatze dicht an mir vorbei. Ertrunken. Bald folgten Baumreste, totes Kleingetier. Die Beute des raubgierigen Wassers...
Kaum zehn Minuten dauerte diese Sintflut. So rasch wie sie gekommen, lief die Flut wieder ab. Helles Mondlicht beleuchtete die Stätte der Verwüstung. Halb ertrunken, richtete ich mich auf. Wo waren die Maultiere? Als das erste Donnern der heranstürmenden Flut hörbar wurde, hatten sie sich in Trab gesetzt, flußabwärts. Jetzt stolperte ich ihnen nach. Die vor kurzem noch kristallhellen Wasser waren in eine trübe, schlammige Brühe verwandelt, die mir bei jedem Schritt ins Gesicht spritzte.
Längere Zeit hatte ich mich so weitergearbeitet. Die Ufer blieben unverändert steil, so daß ich an eine Rettung meiner Tiere schon nicht mehr dachte. Da endlich breitete sich vor meinen Augen eine weite Wasserfläche aus, in deren Mitte wie eine riesige Kröte eine felsige Insel lag. Von dieser schwarzen Platte führte ein schmales Band bis an den Fluß. – Eben wollte ich in meiner Freude ein lautes Hurra schreien, da bemerkte ich, wie sich drei, vier Schatten auf diesem Bande nach dem Flusse zu bewegten. Ich nahm die Büchse herunter und schlich mich an. Es waren Hirsche, die zur Tränke wollten. Da ich ziemlich frei stand, fürchtete ich, nicht zum Schusse zu kommen. Der erste Hirsch warf auch windend den Kopf. Sie zogen jedoch ruhig weiter und standen bald auf kaum zwanzig Schritte von mir wie angenagelt. Daraus schloß ich, daß ihnen Menschen ziemlich unbekannt waren. Ich hob die Büchse. Ich hatte Hunger und mußte eines der herrlichen Tiere leider töten.
»Klapp – klapp!« Beide Läufe versagten. Ich nahm neue Kugelpatronen. Wieder zwei Versager! – Als ich nun den Revolver hervorholen wollte, mußte den Hirschen doch wohl eine böse Ahnung aufgestiegen sein. Sie sprangen auf den Streifen zurück und waren bald im Walde verschwunden. – Ich hielt erst mir und dann meiner Flinte eine eindringliche Standpauke. Und dann wandte ich den Kopf.
Da hob sich mitten im Wasser eine Gestalt von dem hellen Spiegel ab. Ein Indianer. Lauschend beugte er den Kopf vor. Minutenlang stand er wie aus Stein gemeißelt, regungslos. Nur die Schleuder in seiner Rechten warf zitternde Streifen auf die gleißende Fläche.
Ich erschrak. Eben noch hatte ich feststellen müssen, daß mich meine gute Büchse im Stich ließ, und jetzt hing vielleicht von einem Schuß mein Leben ab. Zum Glück deckte mich dichtes Gebüsch. Während ich lautlos niederkniete, lockerte ich den Revolver. Er war naß wie alles, was ich an mir trug. Wenn auch diese Waffe versagte, stand ich wehrlos da. Und dieses Gefühl ist mir immer das fatalste gewesen.
Der Indianer setzte sich in Bewegung. Obwohl er im Wasser watete, drang auch nicht das geringste Geräusch seiner Schritte an mein Ohr. Er schlug die Richtung nach der Insel ein. Auf dem Lande angekommen, beugte er sich nieder und prüfte den Boden. Darauf schob er wieder lauschend den Kopf vor und machte einige unschlüssige Schritte, als ob er überlege, wohin er gehen solle. Er wandte sich der Insel zu.
Ich atmete erleichtert auf. So schwach auch der Laut war, der Indio mußte ihn vernommen haben, denn er blieb mit einem Ruck stehen und lauschte wieder. Ich hielt also den Atem an, bis die dunkle Masse der Büsche hinter der Inselfläche die Gestalt meinen Blicken entzog. Mein erstes war nun, die Waffen wieder in Ordnung zu bringen. Bald mußte ich jedoch einsehen, daß die Patronen, die ich bei mir trug, sämtlich verdorben waren. Ersatz fand sich im Gepäck, das die Maultiere trugen. Aber wo waren die jetzt?
Ich machte mich auf die Suche flußabwärts, immer vorsichtig nach dem Indianer sichernd. Doch schon nach fünfzig Schritten hörte der Fluß auf und eine endlose Wasserfläche öffnete sich vor meinen Blicken. Hier und da erhoben sich einzelne Baumgruppen inselgleich aus der silbernen Fläche, und nur weit, weit im Süden drängte sich ein dunkler Wald in den Gesichtskreis.
Ich watete auf das rechte Ufer des Flusses. Es lag viel höher und war mit weichem, saftigem Gras bestanden. Meine Schritte lenkte ich stromauf. Ich übersprang eine größere Rinne und blieb wie gebannt im Schutze eines Pandanus stehen. Seltsame Laute drangen aus den Büschen vor mir. Bald schien es ein Murmeln, bald das Röcheln eines Sterbenden. Ich griff zum Gewehr – ließ es aber wieder sinken! Es war ja nicht geladen ...
Das Geräusch verstärkte sich. Nun glich es dem Aufstoßen eines harten Gegenstandes. Ein leises Schnauben folgte, und dann – mit einem gewaltigen Satz sprang ich mitten in die Rinne zurück – tönte dicht an meinem Ohr der langgezogene Freudenschrei meiner Mula.
Als ich mich von meinem Erstaunen erholt hatte, fiel ich dem Tier buchstäblich um den Hals. Ich drängte es zurück durch den Busch und kroch durch die Öffnung nach. Da lagen friedlich nebeneinander auch die zwei andern Tiere. Sie waren sämtlich vor dem Andrängen der Wasserwand auf das Ufer entkommen. Die Ladung war trocken und wohlbehalten.
Mein erster Griff war nach den Patronen. Eben wollte ich sie in den Lauf schieben, da berührte eine Hand meine Schulter – der Indianer! Unser Indianer, der sich auf die Suche nach mir aufgemacht hatte!
In dem ungewissen Licht hatte ich den Mann nicht erkannt. Während ich ihn für einen Feind hielt, opferte er seine Nachtruhe, um nach dem verirrten Weißen Ausschau zu halten. Oder waren es die Maultiere, denen die Sorge galt?
Der Indianer verstand soviel vom Spanischen wie ich vom Caupolicanischen. So blieb unsere Unterhaltung auf die Zeichensprache beschränkt, die zu den drolligsten Mißverständnissen führte. Schließlich versuchte ich es mit der deutschen Sprache, auf die der Indio in seinem Idiom antwortete, und siehe da – es ging. Wenigstens begriff mein Mann, daß ich gern ein Feuer anzünden wollte. Mich fror erbärmlich in meinen nassen Kleidern. Er nickte eifrig und holte sich zwei Holzstäbe aus den nächsten Büschen. In den einen fingerdicken Stab schnitt er ein kleines Grübchen, legte ihn dann auf den Boden und hielt ihn mit den Füßen fest angepreßt. Nun wurde der zweite Stab ein wenig angespitzt und senkrecht in die Grube gedrückt. Hierauf begann der Mann den über einen halben Meter langen senkrechten Stab mit großer Geschwindigkeit zwischen den Händen zu quirlen. Durch dieses Quirlen erweiterte sich das Grübchen. Ein feiner Staub löste sich, der zu glimmen und zu rauchen begann. Ein geballtes Stückchen Zeug wurde nun in die winzige Glut geschoben. Ich mußte angestrengt blasen, um den Funken zu vergrößern, und gleich darauf hatten wir eine Flamme. Die ganze Operation hatte kaum einige Minuten gedauert. Aber der Mann schwitzte am ganzen Körper, und in seinen Händen bemerkte ich Blasen.
Alle Not hatte nun vorläufig wieder ein Ende. Ich lag an einem hellen Feuer, trank mit meinem Indianer bitteren Kakao und teilte mit ihm und den Maultieren ein paar Maiskolben. Letztere wurden für uns natürlich gekocht. Nach diesem einfachen Mahle brannten wir uns eine Zigarre an. Der Indianer kannte den Tabak in dieser Form noch nicht. Er versuchte ihn aber auch zu rauchen und freute sich kindlich, als er es endlich in unserer Art fertigbrachte. Als der Mond sich dem Untergang näherte, wickelte ich mich in meine Decke und versank bald in tiefen Schlaf.