Ferdinand Emmerich
Jenseits des Äquators
Ferdinand Emmerich

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Elftes Kapitel

Der weiße Puma

Allein mit den Muli unterwegs. – Vollmondnächte sind gefährlich. – Felipe schleicht sich an. – Kampf mit dem weißen Puma.

Der Morgen brachte uns den Sonnenschein zurück. Das Wasser hatte sich verlaufen, und eine grünende Wiese trennte mich von dem in rauschenden Sprüngen dahinschießenden Fluß. Mein Begleiter war verschwunden. Da ich ihn auf der Jagd vermutete, beeilte ich mich nicht sehr mit dem Beladen der Muli. Zum Zeitvertreib versuchte ich unterdessen die Feuererzeugung auf indianische Art. Es gelang mir jedoch nicht – nur die unbequemen Blasen an den Händen trug ich davon. Ich griff daher zum Feuerstein und Zunder, den ich in der Dunkelheit nicht gefunden hatte und den ich jetzt gern dem Indianer vorgeführt hätte. Doch der blieb verschwunden. Auf der Streife nach ihm schoß ich ein paar Wildenten, die mir zum Morgenkaffee herrlich schmeckten.

Gegen Abend des zweiten Tages sichtete ich inmitten eines lichten Waldes hellen Feuerschein. Bald erkannte ich in den das Lager umkreisenden Gestalten meine Gefährten. Die Gesellschaft hatte Zuwachs bekommen. Weitere drei Indianer hatten sich eingefunden, und man wartete nur auf mein Erscheinen, um die Fahrt fortzusetzen. – Die drei Neuankömmlinge schienen bisher weder Weiße noch Pferde gesehen zu haben. Wenigstens betrachteten sie mich und meine Maultiere so gründlich und eingehend, als ob sie Geschöpfe einer andern Welt vor sich sähen.

Nach den Erklärungen des Doktors sollten große Stromschnellen im Laufe des Tages zu erwarten sein. Zu deren Umgehung habe man die fremden Indianer herbestellt, damit sie beim Transport des Fahrzeuges mit Hand anlegten. Ungläubig hörte ich diese Mitteilung an. Mein spanisch sprechender »Blutsbruder« saß unweit davon und lächelte fein vor sich hin, indem er mir einen spöttischen Blick zuwarf. Ich richtete daher die Frage an ihn, wie er denn die Stammesbrüder benachrichtigt habe.

»Quien sabe!« war die Antwort. Den Ausdruck, der einen oft zur Verzweiflung bringt und der doch so praktisch ist, hatte er auch schon gelernt! Als ich aber in ihn drang, zeigte er mir, wie man sich bei den Caupolicans verständigt. Er nahm einen Holzstab, spaltete ihn oben mit einem Messer und schob in diesen Schnitt zwei verschiedene größere Blätter. Hierauf holte er sich ein grünes Schilfrohr, an dem er die Krone derart wegschnitt, daß nur noch ein Büschel der messerförmigen Blätter wie ein Kranz stehenblieb. Diese beiden Pflanzenteile wurden nun derart zusammengebunden, daß das Schilfrohr aufrecht im Wasser trieb, während der Stab schwamm. Mittels einer Nußschale wurde ein Gewicht unter dieses eigenartige Fahrzeug befestigt.

»Ein Mann und eine Frau werden kommen und uns Früchte bringen«, sagte der Indianer, als er es den Wellen übergab.

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Wie sollte das gebrechliche Gestell den vielen Strudeln und Stromschnellen entgehen, die der Flußlauf noch bergen mußte.

Die Reisegesellschaft brach auf und ließ mich allein. Felipe wäre lieber mit mir geritten, aber er war bei den andern nötiger, und so redete ich ihm – ungern genug – zu, er möge mit ihnen fahren.

Heute überholte ich die Flußreisenden. Eine ebene Steppe bot Gelegenheit, endlich einmal wieder im raschen Tempo zu reiten. Ich schnitt einige ausgedehnte Krümmungen des Flusses ab und erreichte schon kurz nach Mittag das felsige Gelände. In einer Entfernung von etwa hundert Meter ritt ich an den Gefährten vergnügt vorbei. Während sie sich im Schweiße ihres Angesichts mit dem Transport des Bootes über die Felsplatten abquälten, konnte ich diesmal trocken und bequem reisen. Abends lagerte ich in der Nähe eines wild schäumenden Baches. Wohl hätte ich den Übergang noch versuchen können, aber der ungeheure Reichtum an jagdbaren Vögeln weckte den Jäger in mir. Kaum lagen die Muli, ihrer Last ledig, in dem fetten Grase, als es auch schon knallte. Nach wenigen Schüssen hatte ich Rebhühner genug, um auch die Gefährten damit sättigen zu können.

Mitten in der Nacht weckte mich das Wiehern einer Mula. Der Mond stand hoch am Himmel und zeichnete gespenstische Schatten in das Gras. Gewohnheitsmäßig nahm ich die Büchse schußfertig zur Hand und lauschte. Die Mula hatte die langen Ohren nach vorn gerichtet und blies leise durch die Nüstern. Der laue Wind mochte ihr eine Witterung zugetragen haben, die ich nicht wahrnehmen konnte.

Es ist so ein eigenes Gefühl, wenn man in einem unbekannten Landstrich allein im Walde lagert. Die Natur ringsum scheint im tiefsten Schlaf zu liegen. Eine fast fühlbare Stille umgibt uns. Nur ab und zu dringt ein Laut von irgendwo herüber. – Und wenn man dann genauer mit der Natur vertraut wird, so bemerkt man, daß sich hinter dieser Stille ein hastiges, unendlich tätiges Leben verbirgt. Tausende von Insekten und Kleintieren suchen ihre Nahrung im Urwald zur Nachtzeit. Die großen Raubtiere wählen ebenfalls die Finsternis zu ihren Streifzügen. Manche Affenarten schwingen sich lautlos von Baum zu Baum. Große Eulen überfallen ihre Opfer im Schlafe ... Dem einsamen Wanderer verrät sich dieser Lebenskampf durch einen letzten Schrei des Opfers oder durch die schnelle Flucht des Mörders mit seiner Beute – durch Krachen und Brechen der Zweige. – Da der persönlichen Sicherheit des Reisenden nur in den allerseltensten Fällen eine Gefahr durch die Urwaldbewohner droht, so gewöhnt er sich bald an diese stets wiederkehrenden Laute. Unbekümmert zieht er seine Decke fester und schläft weiter.

Anders ist es in Vollmondnächten. Zu dieser Zeit wird den beutegierigen Waldbewohnern die Jagd erschwert. Die Natur hat es so eingerichtet, daß das Opfer seinen Mörder meistens mit den Augen wahrnehmen kann, während ihm Gehör und Witterung die Annäherung nicht melden. Dadurch wird es am Tage wie in hellen Nächten den meisten Räubern schwer, ihre Beute zu überraschen. Hat nun ein hungriger Jaguar oder Panther in der Nacht keine Beute gemacht, so mag es wohl vorkommen, daß er einen schlafenden Menschen angreift, obwohl ich persönlich daran zweifle. Ich selbst habe in den fünfunddreißig Jahren meiner Weltwanderung wohl weit über tausend Nächte im Walde geschlafen, aber nie ist es mir passiert, daß ein wildes Tier sich an mir vergriffen hätte. Zwei Fälle ausgenommen, von denen ich gelegentlich berichten werde. In beiden Fällen erfolgte auch kein Angriff, sondern nur ein »Beschnuppern«. Natürlich darf man das Tier nicht reizen oder sonstwie in den Glauben versetzen, es müsse sich verteidigen.

Doch zurück zu meinem Lagerplatz. Vergeblich bemühte ich mich, die Ursache der Aufregung bei meinen Maultieren zu ergründen. Ich war in der denkbar günstigsten Lage und konnte den Blick frei um mich schweifen lassen. Auch störte nichts die nächtliche Stille, denn das Rauschen des fernen Wassers verlief so gleichmäßig, daß das Geräusch die Stille eher betonte.

Da sah ich eine Bewegung zwischen den Bäumen. Ein Schatten huschte von Stamm zu Stamm, immer auf mich zusteuernd. Das Maultier witterte die Gestalt ebenfalls. Es blies den Atem hörbar von sich und sprang auf, indem es ein paar Schritte vorwärts zu machen suchte. Nun stellte ich mich hinter den Sattel und legte die Büchse darauf. Ich wollte schießen, sobald ich festgestellt hatte, daß ich ein Tier vor mir hatte. Näher kam der Schatten. Beim letzten Baum erkannte ich die Umrisse eines Menschen, der sich platt auf den Boden warf und dort regungslos liegenblieb. Bald darauf vernahm ich einen rauhen Laut, wie ihn Raubtiere auszustoßen pflegen.

Um der lästigen Spannung ein Ende zu machen, rief ich den Schatten an. Sofort begann sich der Mensch zu bewegen und rollte mehr als er kroch in die Nähe meines glimmenden Feuers.

»Felipe, Mensch, bist du verrückt geworden? Um ein Haar hätte ich dich erschossen!«

Ohne auch nur die Stellung zu verändern, winkte er mir, leiser zu sprechen. Er flüsterte erregt: »Oh, Don Fernando, dort steht ein Prachttier. Schneeweiß mit rotfunkelnden Augen. Rasch, schießt es, damit wir das herrliche Fell bekommen.«

Ein weißes Tier? Blitzschnell gingen mir alle bekannten Tropentiere durch den Kopf. Ein weißes war nicht darunter. Aber der Forscher war in mir geweckt. Vorsichtig kroch ich hinter Felipe an den Waldrand und ließ mich willig einige Baumreihen weiterschleppen.

»Dort!« Zitternd deutete er auf einen großen weißen Körper.

Ich erhob mich. Lautlos schob ich mich hinter den mannshohen Wurzeln einer Bertholettia in die Höhe. - Richtig, da lag ein Raubtier und verzehrte einen Vierfüßler, dessen braunes Fell die Farbe des Räubers noch mehr unterstrich. Noch waren wir nicht bemerkt, so vertieft war das Tier in seine Mahlzeit.

Um den Kopf gut treffen zu können, mußte ich meine Stellung verändern. Ich bewegte mich einen Schritt rückwärts und trat dabei auf einen dürren Ast. Blitzschnell stand das Raubtier auf seinen Füßen. Nur kurz windete es und machte einige Schritte vorwärts. Jetzt stand es kaum zehn Meter vor mir.

Ein Puma. Aber so etwas an Körpergröße war mir an diesen Tieren noch nicht vorgekommen. Es war sowohl in Farbe wie in Größe ein Prachtstück.

Während der Sekunden, die ich unwillkürlich der Betrachtung des Räubers widmete, nahm dieser schon die Angriffsstellung ein. Der schöne Körper preßte sich hart an den Boden. Wie Messerschneiden lagen die großen Krallen zu beiden Seiten des geduckten Kopfes. Der erhobene Schweif peitschte wütend das dürre Laub. Aus dem halbgeöffneten Rachen schimmerten in blendendem Elfenbeinton die gewaltigen Zähne. Die Ohren zuckten nervös hin und her, und aus den rotglühenden Augen schossen Blitze ... Langsam krümmte sich der Rücken, stemmten sich die Pranken zum Sprunge ...

»Schießt, um Gottes willen!«

Felipes Ruf war noch nicht verklungen, da krachte der Schuß. In demselben Augenblick sauste der riesige Körper auf uns zu. Ein lauter Schrei meines Gefährten – und von der stinkenden, zuckenden Masse des todwunden Raubtieres bedeckt, wälzten wir uns auf dem Boden. Ein Strom heißen Blutes rieselte mir über Kopf und Hände...

Mühsam befreite ich mich von der Last. Die hohen Wurzeln hatten einen Schutzwall um mich gebildet und das Gewicht des Tieres abgehalten. Felipe war weniger glücklich gewesen. Nach Jägerart, nach dem Schusse das Messer bereit haltend, fing er den Puma im Sprunge auf. Die Wurzeln, die mich schützten, wurden ihm hinderlich. Als er nach dem Stoß zurückspringen wollte, kam er zu Fall und geriet unter die Fänge des Räubers, die sich in einem letzten Krämpfe in sein Fleisch schlugen.

So war es mir unmöglich, ihn zu befreien. Erst mußte der Kadaver von den Wurzeln gewälzt werden. Dazu reichten die Kräfte eines Mannes kaum aus, denn das Tier hatte ein gewaltiges Gewicht. Ich rief dem Gefährten Mut zu und beugte mich nieder, um die Krallen aus seinem Fleisch zu ziehen. Als ich eben mit meinem gesamten Körpergewicht das Tier nach einer Seite drängte, erschütterte ein fürchterliches Gebrüll den Wald. Aufblickend gewahrte ich, kaum zwanzig Schritte entfernt, einen zweiten Puma, anscheinend das Männchen, das auf der Suche nach seiner Gefährtin war.

Ich brauchte einige Sekunden, um mich zu fassen. Die Büchse hatte ich zum Glück wieder geladen. Als ich sie aber anlegte, tanzte der Lauf förmlich, so hatte mich das Abenteuer erregt. Erst ein Ruf Felipes brachte mich zur Besinnung: »Wenn Ihr den fehlt, Don Fernando, sind wir verloren. Zielt gut, unser Leben liegt in diesem Schuß.«

Ich kam gut ab, besser als das erstemal, denn der Puma fiel mitten im Sprung wie ein Stein zur Erde. Nach wenigen Zuckungen lag er regungslos.

Die Todesangst hatte Felipe übermächtige Kraft verliehen. Er brachte den Oberkörper so weit unter dem Kadaver hervor, daß ich zufassen konnte, ohne befürchten zu müssen, ihm weh zu tun. Nun faßte ich den Puma beim Schweif und zog... Mancher Anstrengung bedurfte es, ehe ich das Tier so weit aufheben konnte, daß Felipe sich befreien konnte. Die Wurzeln waren weit über einen Meter hoch und standen so eng zusammen, daß beide, Mensch und Tier, zusammengeklappt in dem Zwischenraum lagen.

Kaum hatte ich Felipe befreit und die großen Fleischrisse bloß gelegt, da schwand ihm das Bewußtsein. Mit wenigen Sätzen war ich beim Lager. Die Rumflasche verfehlte jedoch diesmal ihre wohltätige Wirkung. Mein Kranker konnte nicht schlucken, und so verfiel ich denn auf ein anderes Mittel. Ich trug ihn in den nahen Bach, nachdem ich ihm die wenigen Kleidungsstücke heruntergerissen hatte.

Die kühlende Wirkung des schnell fließenden Wassers ließen meinen Felipe bald wieder zur Besinnung kommen. Die Wunden waren gleichzeitig gereinigt worden, aber sie bereiteten dem armen Kerl heftige Schmerzen, so daß ich ihn auch bei der Rückkehr zum Lager tragen mußte. Dort verband ich ihn, so gut es ging, und wickelte ihn in die warmen Decken. Sofort schlief er ein.

Der Mond verkroch sich jetzt hinter den Bäumen und schuf so ein Halbdunkel, das mir eine Arbeit an unserer Beute unmöglich machte. Erst der junge Tag ermöglichte mir eine genaue Prüfung unserer seltenen Jagdbeute. Felipe war trotz seiner Wunden nicht zu bewegen, zurückzubleiben. Der seltene Puma erregte sein Interesse. Wir fanden die beiden Kadaver noch unversehrt, obschon sich ein paar Aasgeier in den Bäumen eingestellt hatten. Das Männchen zeigte das gewöhnliche Fell aller Pumas, während das Weibchen ein ausgeprägter Albino – schneeweißes Fell und rote Augen – war. Es war von ungewöhnlicher Größe und Schwere, und als wir die Felle zum Trocknen ausspannten, schien es selbst uns unmöglich, daß beide Tiere einer Familie angehören sollten.

Während die Felle trockneten, nahm ich mir meinen Felipe wegen seines plötzlichen Erscheinens ins Gebet.

»Hast du wieder einmal geglaubt, daß du mich nicht allein lassen dürftest?«

»Quien sabe!« antwortete er lächelnd. »Im Boot sind jetzt noch zwei Indianer mehr, die werden allein fertig, und vielleicht war es doch besser so, ich meine – wegen des Puma...«

»Vielleicht ja«, nickte ich ihm lächelnd zu.

Nun ging unsere Reise zu zweit flotter vonstatten. Auch das Gelände wurde günstiger. Der Chilivefluß zog sich jetzt durch großenteils ebenes Gelände, das uns nur insofern Schwierigkeiten bereitete, als wir in den nächsten zwei Tagen an die zwanzig mehr oder weniger breite Wasserläufe zu überschreiten hatten.

Dann stießen wir wieder mit unseren Gefährten zusammen, die auf uns gewartet hatten. Der »Blutsbruder« sandte mir, als man uns im Lager kommen sah, eine junge Indianerin entgegen, die mir in einem korbartigen Geflecht etwa ein Dutzend herrlicher Früchte brachte. Er freute sich sichtlich, als ich ihm meine Überraschung über den so prächtig arbeitenden Postdienst ausdrückte.

Der nächste Tag führte uns in das Dorf der Indianer.


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