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Als die Sonne ihre Strahlen schräg auf den Wasserspiegel senkte und blendenden Glanz über den Fluß breitete, sichteten wir mitten in dem wohl kilometerbreiten Bett eine kleine Insel. Das war ein ideales Nachtlager für uns.
Mit einem Gefühl der Befreiung aus hartem Frondienst begrüßten wir das Knacken, mit dem sich unser Fahrzeug, vom Strom getrieben, tief in den buschbesetzten Rand der Insel einbohrte. Felipe betrat als erster das Land und begann, die Umgebung zu erkunden. Schon nach wenigen Schritten hörten wir seinen Ruf. Gleich darauf erschien er wieder mit einigen Enteneiern.
»Kommen Sie, amigos, helfen Sie mir sammeln«, rief er, »hier ist Nest an Nest. Wenn erst die Vögel zurückkehren, finden wir auch Fleisch für einige Tage.«
Vergessen war die Müdigkeit. Der nur unvollkommen befriedigte Magen verlangte sein Recht. Ei auf Ei wurde aus den Nestern genommen. In einer mit Wasser gefüllten Dose prüften wir jedes einzelne Stück auf seine Frische, und bald rundete sich der Vorrat im Boot.
Mit Zunder und Feuerstein brachten wir in kurzer Zeit ein lustiges Feuer zum Flammen, an dem jeder auf seine Art geschäftig hantierte. Unsere »Universalkochtöpfe« lieferten uns bald hart- und weichgekochte Eier. Felipe braute sich mit Hilfe einer Handvoll gestoßener Maiskörner eine dicke Eiersuppe. Mindestens zwanzig Eier wurden mit wenig Wasser und einer tüchtigen Handvoll Mais in den Topf geschlagen. Als die Masse zu einer dicken gelben Brühe zusammengerührt war, kam eine ausgiebige Prise spanischer Pfeffer und etwas Salz hinzu, und die Suppe war fertig.
Noch während des Essens stellte sich ein Schwarm Enten ein. Die Vögel umkreisten die Insel anfangs mit scheuem Geschrei. Bald aber kamen sie herbei und hockten sich mit einigen scheltenden Lauten auf ihre Nester. Bei seinem Rundgang um die kleine Insel war Felipe auch auf eine Affenfamilie gestoßen. Sie bestand aus einem alten Paar und zwei Jungen. Wie diese Tiere hierher gelangt sein konnten, verursachte uns beiden manches Kopfzerbrechen. Des Rätsels Lösung fand sich später. An jenem ersten Abend zwang wohl das Mitteilungsbedürfnis unsere Nachbarn zu einem Annäherungsversuch. Das alte Weibchen kam behutsam in unsere Nähe und begann eine längere Rede, in der uns vermutlich eine rührende Leidensgeschichte erzählt wurde. Wenigstens machte die alte Dame dabei ein Gesicht, das weniger hartgesottene Gesellen zu Tränen gerührt hätte. Bei uns kam sie aber nicht auf ihre Rechnung. Die Äffin schnitt derartig komische Grimassen, daß wir laut herauslachen mußten. Während dieser ganzen Unterhaltung saß der Herr Gemahl auf einem etwas höher gelegenen Ast und unterstützte die Rede seiner Gattin durch gelegentliche Zwischenrufe. Die Jungen beschäftigten sich unterdessen mit der Säuberung des Körpers durch die uns allen bekannten Bewegungen. – Wie wir es in Europa gelernt haben, so fertigte ich auch hier die Bittsteller ab. Ich reichte der alten Schachtel einen noch ganz durchweichten Maiskolben, den sie nach langem Zureden aus meiner Hand nahm. Die Frucht war ihr aber sichtlich unbekannt. Sie roch daran, prüfte mit Zunge und Zähnen den Geschmack, verzog mißbilligend die Nase und ließ es geschehen, daß Gemahl und Kinder die seltene Gabe in das Innere der Insel entführten. Bald verschwand auch sie. Wir wähnten uns in diesem Versteck in Sicherheit. Alles Leben auf der Insel deutete darauf hin, daß Menschen sie nicht aufzusuchen pflegten. Immerhin durften wir uns nicht alle zu gleicher Zeit dem Schlafe hingeben. Da aber jeder von uns vor Müdigkeit beinahe umfiel, losten wir die vier Wachen aus. Mich traf die erste. Es war ein fürchterlicher Kampf mit dem Schlaf, den ich bis zehn Uhr auszufechten hatte. Felipe löste mich schlaftrunken ab. Er vertrieb sich die Zeit bis zum Aufgang des Mondes damit, daß er sämtlichen Enten hinter den nächstgelegenen Büschen die Hälse umdrehte und sie rupfte. Diese Arbeit mußte der Doktor fortsetzen, als er um ein Uhr geweckt wurde. Auch auf mich trafen noch etwa ein halbes Dutzend Vögel, mit deren Entfiederung ich die Zeit bis vier Uhr ausfüllte. Dann hätte ich noch zwei Stunden schlafen dürfen. Ich zog es aber vor, den im Mondlicht rasch vorüberfließenden Strom zu betrachten, auf dessen ruhiger Fläche sich zarte, duftige Nebel bildeten, die über jedem Strudel in drehende Bewegung gerieten und sich so vom Wasserspiegel loslösten, um in den Morgenhimmel emporzusteigen. Dort trieb sie eine leise Brise der dunklen, gewaltigen Gebirgskette zu, die uns den Weg zum Ziel drohend zu versperren schien.
Als dann das emporsteigende Tagesgestirn die höchsten Firnspitzen vergoldete, wich auch von dem Spiegel des Chilive die Nacht. Der muntere Weckvogel ließ sein »Dios de ti!« erschallen, und nun regte sich das Leben im fernen Urwald und auf dem Fluß. Scharen hungriger Wasservögel ließen sich auf den Strom nieder und begannen ihre Jagd. Die Enten auf unserer Insel, immer noch zahlreich genug, erhoben sich zum Fluge in die moorigen Glasflächen des linken Ufers, während droben im weißen Äther ein Raubvogelpaar seine Kreise zog.
Heute war Ruhetag. Unsere Kleider und manches Gepäckstück mußten getrocknet werden. Unsere Körper verlangten Ruhe und Erholung. Beinahe wäre unser »Staatsanzug«, der bedenkliche Neigung zum »schimmeln« zeigte, bei der Gelegenheit in unrechte Hände gekommen. Denn als der Doktor die einzelnen Stücke an den Bäumen aufgehängt hatte, erschien der Affe plötzlich aus einem Wipfel und streckte begehrlich den Arm nach der europäischen Herrlichkeit aus. Wir konnten jedoch mit dem besten Willen seine Wünsche nicht erfüllen und mußten uns mit dem Affen die halbe Stunde lang, die die Anzüge zum Trocknen brauchten, herumärgern. Bequemer war es mit den übrigen Kleidungsstücken. Wir zogen sie naß an und trockneten sie am Körper.
Nach dem Frühstück verschönerten wir uns gegenseitig. Einer schnitt dem andern Haare und Bart. Der Äffin, die der Prozedur mit prüfendem Blick zuschaute, schienen wir zu gefallen. Ihr Gemahl schmollte noch mit uns. Oder fürchtete er, daß seine gestrenge Gemahlin auch seinen spärlich behaarten Schädel in eine ähnliche Behandlung nehmen könnte?
Dann kam das seit vielen Tagen vernachlässigte Tagebuch an die Reihe. Es mußte nachgetragen werden. Bei unsern ereignisreichen Fahrten dauerte eine solche Arbeit recht lange. Anläßlich dieser Forscherpflicht mußte ich mit dem Doktor einen Streit ausfechten. Er war mit seinen Eintragungen weit im Januar, und nach meinem Kalender schrieben wir den 21. Dezember. Später stellte es sich heraus, daß ich mich um neununddreißig Tage geirrt hatte! Auf so langen Reisen in unzivilisierten Ländern kommen derartige Irrtümer häufig vor, da man oft monatelang gar keine Gelegenheit findet, die Daten zu vergleichen. Mit dem Stellen der Uhr kann man sich nach dem Stand der Sonne richten. Kennt man den ungefähren geographischen Punkt, so ist die Zeit leicht gefunden.
Dem Mittagessen sahen wir beiden naturalistas mit gespannter Erwartung entgegen. Felipe hantierte geheimnisvoll um die Feuerstelle und schlich mit einem Gesicht umher, als ob er die größte Überraschung für uns vorbereite. In der Tat konnten wir einen Ausdruck der Bewunderung nicht unterdrücken, als wir feierlich »zu Tisch«, in diesem Falle an die Bordwand, gerufen wurden. Es gab Schildkrötensuppe, gerösteten Fisch, Spiegeleier und gebratene Enten. Letztere waren auf Waldläuferart zubereitet worden. Man nimmt die Eingeweide heraus, schneidet Kopf und Füße ab und wickelt den Rumpf des Vogels in eine dicke Lehmschicht. Diesen Klumpen wirft man in die glühende Asche. Nach etwa einer Stunde ist der Lehm hart gebrannt und wird rissig. Nun schlägt man den Klumpen entzwei. Haut und Federn sitzen im Lehm, und das weiße Fleisch liegt gar vor uns. Die so zubereiteten Vögel sind bei weitem schmackhafter als die am Spieß gebratenen. Denn so geschickt man auch im Laufe der Zeit in der Bratkunst wird, es bleibt doch immer eine primitive Geschichte. Originell ist, daß bei solchen »Diners« in der Wildnis nur zwei Geschirrstücke vorhanden sind. Ein Blechteller und ein Blechtopf. Ersterer dient auch als Bratpfanne; in dem Topf kocht man alles, was sonst noch vorkommt, und das ist oft sehr vielgestaltig.
Während Felipe sich mit der Zurichtung der noch vorhandenen vielen Enten beschäftigte – er legte Lehmklumpen auf Vorrat ein –, untersuchte ich mit dem Doktor die Insel. Sie beherbergte außer den Affen und Enten noch ein Huhn der Gattung Pauxis. Auch dessen Anwesenheit konnten wir uns nicht erklären, bis ich endlich herausfand, daß unsere Insel gar nicht mit dem Grunde des Stromes verwachsen war. Die ganze Fläche war irgendwo vom Ufer losgerissen und von der Gewalt des Flusses entführt worden, bis sie endlich hier auf einer Sandbank strandete. Zweifellos lag der Zeitpunkt der Strandung schon einige Zeit zurück, denn sonst hätten die Enten ihre Brutplätze nicht hierher verlegt. Die Entdeckung war wertvoll für uns, denn die schwimmende Insel sicherte uns einen ruhigen Unterschlupf für einige Tage und war im Falle eines feindlichen Angriffs leicht zu verteidigen. Spuren irgendeines menschlichen Besuches fanden sich auch nicht. Übrigens schwimmen derartige Zeugen verheerender Naturgewalten in all den mächtigen Strömen der Tropenländer herum. Sie sind durchaus keine seltenen Erscheinungen, und der Eingeborene, an dessen Dorf oder Kanu sie vorübertreiben, widmet ihnen kaum einen Blick. Für unser Ruhebedürfnis war der Ort wie geschaffen.
Felipe mußte die Felle gerben. Der weiße Puma war schon steinhart geworden, und es lag die Gefahr nahe, daß das Fell ganz verderben würde. Der Doktor fischte, und ich flickte Kleider, stopfte Strümpfe und bemühte mich, mittels eines Streifens ungegerbter Haut aus den Überbleibseln einer ledernen Fußbekleidung einen Gegenstand zusammenzustellen, der eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Stiefel haben sollte.
Nach dem Mittagsmahl schlug der Doktor Alarm. Weit hinter uns, stromaufwärts, wurden Indianer am Ufer sichtbar. Sie hatten Kanus bei sich und schienen zu fischen. Durch das Fernglas zählte ich fünf Männer in drei Einbäumen. Von unserer Anwesenheit hatten sie offenbar keine Ahnung, denn sie führten keine Waffen und tummelten sich sorglos im Flusse. Zum Glück hatte Felipe unser Feuer bereits gelöscht, sonst hätte uns der Rauch verraten. Natürlich behielten wir die Männer im Auge. Von Minute zu Minute erwarteten wir Anhaltspunkte zu finden, ob die Indianer in der Nähe ihren Wohnort hatten, oder ob sie zu den Canilos gehörten, die anscheinend nomadisierend im Lande umherstreifen. Wir warteten vergeblich. Erst spät am Nachmittag rüsteten sich die Leute zum Aufbruch. Sie sprangen in ihre Kanus, die sie in die Mitte des Stromes ruderten. Dann hockten sie sich auf den Boden des Fahrzeuges und ließen sich treiben. Auf kaum zehn Meter Entfernung führte sie der Strom an unserer Insel vorüber, die sie keines Blickes würdigten. Aus unserm Versteck konnten wir die Wilden genau erkennen. Breitgedrückte, häßliche Gesichter, kupferbraune, sehnige Körper fielen uns sofort auf. Keine Spur von Bemalung ließ die Stammeszugehörigkeit erkennen.
»Nun, Don Fernando, was beginnen wir jetzt?« fragte der Doktor, als die Kanus hinter der nächsten Biegung verschwunden waren.
»Nichts!« gab ich zur Antwort. »Ich denke, wir bleiben noch einen oder zwei Tage hier und segeln dann bei Nacht und Nebel ab. Gar so weit wird doch der ›große Strom‹, den uns die Caupolican-Indianer beschrieben, nicht mehr entfernt sein. Wir benutzen unsere Ruhezeit, um unserm Kahn wieder ein unverdächtiges Äußere zu geben, und fertigten uns ein paar Ersatzruder an. Auch einen Mast möchte ich einsetzen. Wer weiß, ob uns die Abendbrise nicht noch einmal nützlich werden kann. Wenn der in den Chilive einmündende Fluß der Rio Manu ist, dann möchte ich den stromaufwärts befahren. Wir können dann leicht an den Cayalifluß kommen, der mit dem Maranhon in Verbindung sieht ....«
»Halt – stopp!« rief der Doktor. »Gar so leicht geht das doch nicht! Wir wollen lieber nicht weiter als über den nächsten Tag verfügen. Vorerst haben wir mal mit den Jibarros zu rechnen. Kommen wir glücklich an denen vorbei, dann reden wir weiter. Außerdem habe ich auch keine Lust, allzu weit über die brasilianische Grenze zu gehen. Meine Aufgaben beschränken sich auf Peru.«
»Leider weiß ich das. Ich wäre aber gern noch länger in Ihrer Gesellschaft gereist.«
»Wie gesagt, lassen wir diese Fragen einstweilen unerledigt. Wer weiß, was uns das Schicksal vorbehalten hat. Sind wir erst glücklich bei den Pumayas angekommen, dann reden wir weiter.«