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Mit Absicht hatte Asbjörn Krag diese Berichtigung in so bedeutungsvoller Weise ausgedrückt. Mr. Nelson antwortete nicht sogleich, blickte den Detektiv jedoch forschend an. Sogar Lady Holmes erhob den Kopf und Krag fing einen verwunderten und vorwurfsvollen Blick aus ihren großen, traurigen Augen auf.
Dann aber lachte Nelson laut und höhnisch auf.
»Vergessen Sie nicht, was Sie heute nacht gehört haben. Bitte beachten Sie, daß ich Ihrem Wunsche gemäß keine Drohung angewandt habe; es steht Ihnen jedoch frei, meinen Worten die Bedeutung beizulegen, von der Sie das Gefühl haben, sie sei die rechte. – Vergessen Sie nicht, daß ein Mann, der das ausgerichtet hat, was ich heute nacht tat, nicht mit sich spaßen läßt.«
Indem er den Sanftmütigen markierte, antwortete Krag: »Gerade dieser Ansicht habe ich ja Ausdruck verleihen wollen. Versuchen Sie doch nicht, mir einreden zu wollen, daß Sie einzig und allein aus dem Untersuchungsgefängnis entwichen sind, um mit Lady Holmes und mir zusammenzutreffen.«
»Nein, auch um die Kleidung zu wechseln,« entgegnete Nelson.
Krag wies auf das Schlafzimmer.
»Dort befinden sich Anzüge in großer Auswahl; nicht nur Fracks und Smoking, auch Jackettanzüge und dergleichen. Warum haben Sie sich denn die Mühe gemacht, sich anderswo umzukleiden?«
Nelson wußte diese Frage nicht sofort zu beantworten. Indem er jedoch die Asche seiner Zigarette so herausfordernd wegknipste, daß sie zwischen Krags Stiefel zu Boden fiel, sagte er: »Sie haben also schon die Wohnung untersucht. – Haben Sie etwas gefunden?«
»Nicht das geringste,« lautete die Antwort. »Meiner Meinung nach wird sich hier auch nichts finden.«
»Na, wo denn?« »Zunächst dort, wo Sie sich umgekleidet haben.«
»Bitte, es steht Ihnen frei, dort nachzusehen.«
»Dann dürfte ich wohl um die Adresse bitten?«
»Das dürfen Sie. Von mir werden Sie sie aber nicht erfahren,« erwiderte Nelson. »Einiges will ich Ihrem Scharfsinn denn doch überlassen.«
»Ich werde die Adresse schon ausfindig machen,« sagte Krag. »Ich bezweifle aber den Nutzen der Anstrengung. Ihnen stand eine ganze Stunde zur Verfügung, und ich glaube annehmen zu dürfen, daß Sie diese Stunde gut ausgenutzt haben. Beweismaterial werden Sie vermutlich vernichtet haben.«
Mr. Nelson lachte; was Krag sagte, schien ihm unbändigen Spaß zu machen.
»Davon können Sie sich ja selbst überzeugen, wenn Sie die Wohnung gefunden haben. Das kann Ihnen ja nicht schwer fallen. Sie haben nur nötig, darauf zu achten, wo der Polizei das Verschwinden eines Mieters oder Pensionärs gemeldet wird.«
Krag stellte sich im höchsten Grade verwundert. »Das überlegte ich gerade,« sagte er. »Wie sind Sie scharfsinnig!« Der Ton, in dem dies gesagt wurde, klang jedoch so, daß Nelson den Mund zu einem ironischen Lächeln verzog. Er erhob sich.
»Mit unserer Auseinandersetzung sind wir nun wohl am Ende,« sagte er. »Das sage ich Ihnen aber noch: mischen Sie sich nicht in die Angelegenheit eines Liebenden. Ist es Ihnen nie passiert, daß Sie wenigstens die Lust dazu verspürten, eine andere Wohnung zu haben als die, die von Menschen für die Ihre angesehen wird? Ich meine ja nicht Ihretwegen, sondern ...«
Nelson führte den Satz nicht zu Ende, Lady Holmes hatte sich erhoben und durch einen nervösen Griff um seine Hände ihn zum Schweigen gebracht. Sein Gerede war ihr Pein.
Augenblicklich war Nelson gereizt. »Sie halten mich für einen Verbrecher,« sagte er. »Nun gut; wie stimmt das aber damit überein, daß ich aus dem Gefängnisse entweiche und wieder dorthin zurückkehre, obgleich ich die Grenze leicht hätte überschreiten können?«
»Weil die Angelegenheit auf ein ganz bestimmtes Rätsel zurückzuführen ist, das ich noch nicht gelöst habe. Ich werde aber die Lösung noch finden!«
Mr. Nelson kniff die Lippen zusammen. »Bitte, wollen Sie mich verhaften,« sagte er. »Es ist Ihre Pflicht; ich bin dem Gefängnis entwichen. Ist Ihnen das schon einmal vorgekommen, daß ein Verbrecher diese Bitte an Sie gerichtet hat?«
»Ihre Bitte soll erfüllt werden. Aber sagen Sie selbst, wird es nicht sonderbar aussehen, wenn wir beide in aller Gemütsruhe nach der Polizei spazieren? Ich denke, wir rufen telephonisch einige Polizeibeamte herbei.«
Bei diesen Worten fuhr Lady Holmes erschreckt zusammen und eilte auf die Tür zu; Nelson hielt sie jedoch zurück. Auf den Apparat weisend, sagte er: »Bitte, machen Sie der Komödie ein Ende!«
Während Krag sich am Telephon zu schaffen machte, nahmen die beiden andern im Nebenzimmer Abschied voneinander. Der Detektiv vernahm, wie Nelson ihr immer wieder sagte, sie müsse der Sache nun ihren Lauf lassen, sie dürfe ja nichts unternehmen, wodurch sie in Gefahr geraten könne. »Warte nur,« sagte er, »ich beabsichtige nicht, in meiner Lage zu verbleiben. Ich habe schon einmal bewiesen, daß ich gehen kann, wenn es mir paßt.«
Weinend versprach Lady Holmes alles, was er verlangte; dann entfernte sie sich. Krag dachte: Wenn sie schauspielert, dann macht sie es besser als irgendeine Verbrecherin, die mir je begegnet ist.
Mr. Nelson betrat das Zimmer in dem Augenblick, wo Krag mit der Polizei verbunden war. Er forderte einen Kriminalbeamten und einen Schutzmann, die so schnell wie irgend möglich kommen sollten.
Nicht ohne Unwillen hörte Mr. Nelson dies Gespräch. »Ich bewundere Ihr Talent, diese Sache zu arrangieren,« sagte er, »Sie hätten eigentlich Theaterregisseur werden müssen. Nichts darf fehlen. Was, zum Kuckuck, sollen denn zwei Schutzleute? Sie wissen ja, daß ich allein gehen würde, wenn es sein müßte. Wozu denn noch Aufsehen erregen?«
Krag verneigte sich; ein Schauspieler hätte es nicht besser machen können: »Für das Kompliment meinen verbindlichsten Dank. Es wird in der Komödie an nichts fehlen. Wir fahren; dann erregen wir kein Aufsehen.«
Einige Minuten darauf vernahm man Lärm und Geräusch von Schritten auf der Treppe. Vor der Etagentür hielten die Schritte inne, und Krag hörte eine tiefe Stimme sagen: »Hier waren ja die erleuchteten Zimmer.«
»Treten Sie näher, Jacobsen!« rief Krag. »Die Türen sind geöffnet.«
Gleich darauf traten zwei Polizisten mit schweren Schritten herein; der in Zivil erschienene Kriminalbeamte Jacobsen und ein uniformierter Polizist. Krag, der Sinn für dramatische Effekte hatte, war auf die Begegnung zwischen Nelson und dem Kriminalbeamten gespannt; Jacobsens Erstaunen übertraf aber seine größten Erwartungen.
Jacobsen wich zurück, als hätte er einen Schlag an den Kopf bekommen und stieß gegen den umfangreichen Bauch des Polizisten.
»Sie sind noch neu im Dienst, Jacobsen,« sagte Krag. »Es könnte geschehen, daß Ihnen noch größere Ueberraschungen als diese begegnen.«
Jacobsen wies jedoch noch immer mit beiden Händen auf Nelson: »Diesen Mann habe ich doch selbst vor einigen Stunden eingeschlossen. Da trug er aber noch Gesellschaftskleidung.«
»Es ist derselbe,« antwortete Krag. »Haben Sie die Fesseln mitgebracht, Jacobsen?«
»Ja, das weiß der Himmel,« entgegnete Jacobsen haßerfüllt und fuhr blitzschnell mit den Händen in die Taschen.
Nelson wehrte sich. »Fesseln?« rief er aus. »Ich verstehe nicht – –«
»Es gehört alles mit zur Komödie. Tun Sie doch dem Regisseur den Gefallen –« Krag hatte indessen nicht nötig, die Antwort abzuwarten; denn in wenigen Sekunden hatte Jacobsen die Eisen um Nelsons Hände gelegt.
Nelson lächelte nachsichtig. »Na, dann nur zu,« murmelte er, »wenn ich Ihnen damit einen Gefallen tun kann.«
Plötzlich bekamen Krags Züge einen sonderbaren, nachdenklichen Ausdruck. »Mir kommt eben in den Sinn, wie glücklich Sie im Grunde sind, mein lieber Mr. Nelson.«
Nelson ließ die Ketten rasseln. »So? Finden Sie das wirklich?«
»Ich meine nicht, daß Sie nun in diesem Augenblick glücklich sind. Aber Sie waren es.«
»Gehen wir nun bald?« fragte Nelson ungeduldig. »Ich verstehe Sie nicht mehr. Wann war das Glück mir denn günstig?«
»Zum Beispiel, als Murfy willig war.«
Bei diesen Worten hatte Krag seinen Gegner scharf angeblickt. Sie verfehlten ihre Wirkung auf Nelson nicht. Mit riesenhafter Anstrengung aller seiner Kräfte versuchte er, die Fesseln zu sprengen. Plötzlich wurde er jedoch blaß.